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Saturday, November 29, 2008

Coeur fidèle, Jean Epstein, 1923

Marie (gespielt von Gina Manès, der man inden Großaufnahmen einige ihrer 30 Lebensjahre zuviel ansieht) ist ein Waisenkind und arbeitet in einer Kneipe. Ihr Blick aus dem Fenster sucht, wie so oft im französischen Stummfilm, den Hafen und das Meer. Dort, an der freien Luft, treibt sich Jean herum, ihr Liebster. Doch drinnen, in der Kneipe, steht Paul, ein brutaler Schläger, der sich Marie als seine zukünftige Frau bereits ausgesucht hat.
Zunächst gewährt Epstein den Bildern viele Freiheiten. Die erste Filmhälfte spielt fast ausschließlich draußen und meist am Meer. Der Blick geht in Richtung Horizint, der Film überblendet Figuren und Wellen. Die Liebenden müssen nicht am selben Ort sein, um sich zu sehen. Das erledigt der Film für sie. Als Jean Marie sucht, genügt ein Blick in Richtung Stadt, um sie Kilometer entfernt im Vergnügungspark ausfindig zu machen.
Hier, im Vergnügungspark, entwickelt der Film seine zurecht berühmteste Szene. In rhythmischer und rhythmisierender Montage verbindet Epstein die Verfolgungsjagden und Blickwechsel des Plots mit mechanisierten Vergnügungen mit ganz eigenen Gesetzmäßigkeiten, deren Eigendynamik jeder Funktionalität (und besonders der für die Spielfilmhandlung) entgegen steht.
Ganz anders die zweite Hälfte, die im Grunde eine Wiederholung der ersten ist: Wieder möchte Jean Marie vor Paul retten. Diese zweite Hälfte sperrt die Figuren und die Geschichte ein, wo sie davor frei waren: architektonisch wie filmsprachlich. Fast alle Szenen spielen in engen Räumen und werden mithilfe analytischer Montage aufgelöst. Auch in sozialer Hinsicht weicht das unspezifisch romantisierende Hafensetting dem kitchen sink. Paul wird vom Anarchoproll zum tumben Schläger, Marie vom naiven Lustobjekt zur besorgten Mutter und zu allem Überfluss taucht auch noch eine behinderte Nachbarin auf (gespielt von Epsteins Schwester Marie), die am Ende auf nicht unbedingt besonders elegante Art und Weise zur Auflösung aller narrativen Probleme missbraucht wird (u.a. wohin mit dem Kind von Marie und Paul).
Die Freiheit des ersten Abschnitts taucht nur noch als Erinnerung auf, wird korrekt psychologisch und narrativ integriert. Was es wohl zu bedeuten hat, dass die erste, avantgardistische Runde an Paul geht und die zweite, konventionelle an Jean?

Ein Teil der filmtheoretischen Schriften Epsteins ist seit ein paar Monaten in deutscher Übersetzung greifbar. Hier mehr.

Friday, June 23, 2006

The World, Jia Zhang-Ke, 2005

The World etabliert ein stilistisches Konzept, das in mancher Hinsicht von Jia Zhang-Kes vorherigen Filmen abweicht. Die Kamera ist mehr in Bewegung, in einigen Sequenzen sind die Schwenks und Fahrten sehr dynamisch und wirken weit weniger kalkuliert als etwa in Unknown Pleasures. Wirklich subjektivierend wird die Kamera selten eingesetzt, doch einige Einstellungen bleiben in einem Schwebezustand oder wechseln fließend zwischen subjektivem und objektiven Blick, wenn etwa ein Schwenk durch einen Blick motiviert wird, die Kamera aber anschließend nicht mehr zum Blicksursprung zurückkehrt, oder ein Auto, das lange in der Mitte der Leinwand auf einer Strasse fahrend gezeigt wird, plötzlich links aus dem Bild gedrängt wird. Dieser heterogene Stil wirkt jedoch nicht irritierend, im Sinne einer Sichtbarmachung des Apparats, sondern trägt konstitutiv zu der beeindruckenden sinnlichen Erfahrung des Filmes bei, da die Abweichungen von der „objektiven“ Norm nie deutlich ausgestellt werden, sondern sich mit anderen Elementen des Films verbinden.
Zu obigem sinnlichen Erleben trägt auch die Soundspur bei. Die Melodie des diegetisch begründeten Karaokeliedes etwa springt über in den nichtdiegetische Soundtrack. Immer wieder werden einzelne Motive, visuell oder akustisch, aus ihrem Zusammenhang gelöst und tauchen an anderer Stelle wieder auf; besonders deutlich wird dies in den handygetriggerten Animationssequenzen.
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Der Park, in dem die Protagonisten leben und arbeiten, stellt in vieler Hinsicht den Traum aller Globalisierungseuphoriker dar, die das globale Dorf herbeireden und alle zeitlichen und räumlichen Grenzen aufzuheben können glauben. Die Schwebebahn, die die einzelnen Attraktionen verbindet wird zum eigentlichen Ort dieser Utopie, doch sobald die Menschen dieses Gefährt jenseits der Geschichte verlassen, treten sie wieder in den sozialen Zusammenhang und problematisieren damit den Traum vom Ende aller Differenz. Die Gespräche der Angestellten des Parks, die stets lokal spezifisch bleiben, lassen die europäischen und amerikanischen Monumente lächerlich wirken. Noch deutlicher bricht diese Utopie in sich zusammen, wenn reale Differenzen, etwa sprachlicher Natur mit den Versprechen des Parks konfrontiert werden.
Das Ende des Films führt weg aus dem Weltpark und in ein Fabrikgelände, welches den beiden Hauptfiguren möglicherweise die Gelegenheit für einen Neuanfang bietet. Ein Neuanfang an der Städte der realen Produktion, die an ihrem eigentlichen Arbeitsplatz so gut versteckt zu sein schien, sich aber im Laufe des Films immer deutlicher zu Wort meldet.