A Time for Killing, 1967
Adventures in Silverado, 1948
The Phenix City Story, 1955
Walking Tall, 1973
Vielleicht die großartigste Karlson-Szene, die ich bisher gesehen habe (und die eventuell gar nicht von Karlson, sondern von Roger Corman inszeniert wurde; well, auteurism ist ein hartes Brot): Entflohene Südstaatensoldaten (allesamt ausgesucht rugged) haben eine Frau (Inger Stevens, ausgesucht blond) als Geisel genommen, und sind mit ihr auf dem Weg in Richtung Mexiko; oder vielleicht auch nicht, aber so weit ist die Geschichte (bzw: die innere und äußere Verwüstung, als die die Geschichte sich bald herausstellt) zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Alles ist Staub, aber im Staub fließt ein winziger Bach. Während im Hintergrund die Soldaten niederkauernd Wasser trinken, kühlt Stevens im Vordergrund ihren Oberkörper, stehend, die halb geöffnete Bluse der Kamera entgegen gereckt. Großartige Scopekomposition - aber auch eine unerträgliche Spannung, die das Bild, der Film, die Soldaten nicht lange aushalten. Der Boss der Ausbrecher (George Hamilton) möchte sich der Frau nähern, doch er wird abgelenkt von zwei anderen, die damit beginnen, sich gegenseitig in die Fresse zu hauen und mit Staub zu bewerfen. Einfach, weil da eine Frau ist, die sich mit Wasser bespritzt.
A Time for Killing ist in allem sehr hart, und also auch darin, wie er im weiteren mit dieser in der großartigen Staubszene direkt in die Mise-en-Scene eingetragenen sexuellen Spannung umgeht. Vor allem vollzieht er den wohl konsequentesten (wenn auch sicher nicht: den komplexesten) drift von Ordnung zu Chaos, den ich bisher in Karlsonfilmen gesehen habe: Ein militärisches, hierarchisches, offensichtlich vor allem bürgerliche Werte verteidigendes Kontrollregime desintegriert ins absolute, staaten-, fast schon konturlose Wüsten-Nichts hinein (außerdem, wenn man das historische Setting ernst nimmt: in einen Krieg nach dem Krieg, in einen Krieg endgültig ohne Grund). Zyniker werden sagen: Das liegt auch daran, dass das Drehbuch nichts taugt, daran, dass der Film nicht in der Lage ist, die Handlungen der Figuren auch nur halbwegs zu plausibilisieren. Das stimmt schon, irgendwie, gerade die Anfangs angedeutete politische Dimension materialisiert sich nie in einer auch nur halbwegs stringenten Weise. Nur entspricht die Art, wie die Figuren jeglichen inneren Halt verlieren, exakt der Art, wie der Film selbst seine Anfangs streng gezeichneten, regelrecht eingezäunten Konturen auslöscht.
Toll auch wieder einmal, was Karlsons Großaufnahmen mit den Gesichtern machen. Karlsons Geheimwaffe ist diesmal ein völlig enthemmter Max Baer Jr., der wild kichernd durch die Gegend rennt, von nichts als dem stumpfesten Blutdurst angetrieben. In den Großaufnahmen wirkt es so, als hätte ihm das enge framing gleich das Gehirn mit abgeschnitten. Paul Petersen hat eine tolle kleine Rolle, läuft andauernd mit Trompete in der Hand durch die Gegend, erhält eine rührende Stebeszene. Laut Castliste rennt auch Harrison Ford mindestens einmal durchs Bild, irgendwo.
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Adventures in Silverado ist deutlich menschenfreundlicher und auf andere Weise chaotisch: ein linker, wenn auch eher sozialdemokratischer, als sozialistischer Western, der ohne offensichtlichen Grund von einem innerdiegetisch präsenten, aber beschäftigungslosen Robert Louis Stevenson (Edgar Barrier) erzählt wird, mit der Ankunft eines geheimnisvollen Fremden in Silverado ansetzt, dann aber schnell auf eine Robin-Hood-Paraphrase um einen Räuber im Mönchskostüm umschwenkt, zwischendurch Zeit für mehrere Postkutschenrennen findet, schließlich als deus ex machina ausgerechnet den lokalen Großindustriellen aus dem Hut zaubert. Das alles in gerade einmal 75 Minuten, eigentlich gute Vorzeichen. William Bishop, der Hauptdarsteller, ist allerdings kein allzu interessanter Schauspieler, dass er die kesse Blondine, die ihm schon beim ersten Blickwechsel haushoch überlegen ist, domestizieren darf, gönnt man ihm ganz und gar nicht. Jedenfalls hat mir am Film eher die Ambition als die Ausführung gefallen.
Aber tolle Stunts, teils von den Akteuren selbst ausgeführt. Wo gibt es heute noch (außerhalb Asiens) Darsteller, denen man auch nur vorschlagen dürfte, eine kontinuierliche Einstellung zu drehen, in der sie, während sie sich prügeln, gemeinsam vom Dach einer Postkutsche fallen, um sich dann am Boden liegend weiter zu vermöbeln? (Grundsätzlich schon mehr als okay, dass es so etwas - und erst recht die wilden Tierstunts dieser Jahre - nicht mehr gibt, schon klar; aber der Zugewinn an Zivilisation ist ein Verlust fürs Kino, da kann man nichts machen).
(Großartig dagegen, aber sich meinen Schreibversuchen noch komplett entwindend:
Gunman's Walk, ein wunderbarer, ödipaler Scope-Western.)
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Noch eine tolle Karlson-Szene: Ein rechtschaffener Anwalt und Kämpfer gegen den Sündenpful der 14. Street inmitten seiner Heimatstadt (Richard Kiley) spricht zu den vor ihm versammelten anderen verbliebenen rechtschaffenen Bürgern, es geht darum, endlich gegen die Terrorherrschaft des Mobs aufzubegehren. Schließlich holt er ein Telefon und ruft in Washington an (den Attorney General vermutlich); er hält den Hörer in die Luft und fordert seine Zuhörer auf, gemeinsam fernmündlich um staatliche Unterstützung im Kampf gegen das organisierte Verbrechen zu bitten. Der vorbildlich demokratische Mob kommt seiner Bitte nach - und so rekonstruiert sich dank des Telefonhörers wieder das politische Dispositiv der Agora. "Ab morgen", ruft Kiley dann den Zuhörern zu "herrscht Militärrecht in Phenix City". Die Antwort (ebenfalls bis nach Washington übertragen): Jubel.
The Phenix City Story überträgt die privateren Verwüstungen (das Wort beschreibt einiges an Karlson, glaube ich) von
Kansas City Confidential und
99 River Street auf die Ebene der Gemeinschaft. Der Zusammenhang zwischen Ordnung und Chaos (beides bleibt auch in den früheren Filmen eng gekoppelt, dem Chaos mag alle poetische und auteuristische Sympathie gehören, aber alleine kann es keine Welt hervorbringen, das zeigt sich besonders deutlich in
A Time for Killing) wird deutlicher ausformuliert als in den früheren Filmen, zu Beispiel in einer frühen Montagesequenz, die zeigt, wie die Verbrechersyndikate Chaos fließbandmäßig, arbeitsteilig herzustellen in der Lage sind (ebenso, wie sie später in der Lage sind, den eigentlich solide prozedural strukturierten Film mit rabiaten Gewaltschüben aus dem Gleichgewicht zu bringen). Dazu passend die aufwändige, dokumentarische Rahmung, in die die Fiktion in Form eines Raum und Zeit transformierenden Tanzes einbricht.
Die politische Differenz zwischen
Gunman's Walk und
Walking Tall ist für mich nicht so eindeutig, wie Dave Kehr sie
darstellt. Sicherlich gibt es in
Gunman's Walk ein Restvertrauen in Institutionen, das dem späteren Film komplett abhanden gekommen ist. Aber die unbedingte und alternativlose Personalisierung politischer Macht, auf die
Walking Tall statt dessen setzt, lässt gleichzeitig die Kosten nachvollziehen, die eine zivilisatorische Befriedung der Gesellschaft (im puritanischen Sinne) nach sich zieht. Kiley kann, eben weil er im Rahmen der Institutionen agiert, den wohlwollenden Faschismus ausrufen und gleichzeitig Mensch bleiben, Joe Don Baker verwandelt sich dagegen in ein bandagiertes Monstrum.
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Karlsons Filme erkennen gesellschaftlich wirkmächtige Differenzen an, anstatt sie zu verleugnen. Der gegenwärtigen, dank Bechdel-Test und ähnlichen Unsinn mehr denn je in den Kurzschlüssen der politics of represetation verfangenen Kritik können die Filme kaum anders denn reaktionär vorkommen. Dabei sind sie, gerade was etnische und Klassendifferenz angeht, erstaunlich klarsichtig (und, besonders deutlich in Gunman's Walk, komplett nostalgiefrei). Bei der Geschlechterdifferenz ist die Betonung der Differenz dennoch problematisch, weil Karlson sie gleichzeitig als Antriebskraft seiner fast stets mindestens auch melodramatisch gefärbten Plots nutzt (nutzen muss).
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Zigaretten, Pfeifen, Zigarren sind überall. Vor allem Szenen, in denen Zigaretten, Pfeifen und Zigarren angezündet werden. Regelrecht zelebriert wird das, in
The Brigand (Zigarren an Kerzen anzünden),
The Phenix City Story (ein grell aufflammendes Streichholz), in
The Big Cat (ein Streichholz zum Pfeifenanzünden, das fast einen Waldbrand auslöst. (Wenig wird in der Kinemathek vor die Tür getreten um zu rauchen; und, für mich wichtiger, in dem eh etwas enttäuschenden Restaurant wird kaum an der Bar Espresso getrunken. Hm. toll ist dagegen ein Cafe auf der gegenüberliegenden Straßenseite, das sich rhythmisch füllt und wieder leert, vermutlich gemäß des Spielplans im Salle Henri Langlois.)
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Waffen sind natürlich auch überall. Manchmal feuern sie in die falsche Richtung.