“Ich mag das Unreine, manchmal sogar das Vulgäre”, meinte Ken Jacobs im Publikumsgespräch nach seinem großartigen 3D-Experimentalfilm “The Guests”, als Antwort auf den Vorwurf eines Zuschauers, er habe sein eigenes Konzept - die Stereoskopisierung eines uralten, einst von den Lumiere-Brüdern aufgenommenen Filmschnippsels - untergraben. Und zwar, weil einige kurze Passagen seines Films recht knallig eingefärbt sind, weil andere Passagen mit dem Radetzkymarsch unterlegt sind, weil er schließlich am Ende seines Films an die extrem zerdehnte Bearbeitung des Materials den Originalfilm in Normalgeschwindigkeit anhängt, was die Eigenzeit und den Eigenraum der vorherigen Bilder tatsächlich komplett zerstört (aber gut passt zu dem Gestus von Jacobs’ Gesamtwerk, das nicht an singulären, monumentalen Erfahrungsblöcken interessiert ist, sondern das sich selbst als einen ongoing process und als einen Beitrag zur Erforschung des Bewegungsbildes versteht). Der Fragesteller sehnte sich nach konzeptioneller Klarheit und sah die reine Lehre der Avantgarde an effektbewusste showmanship verraten.
Jacobs’ souveräne und kluge Antwort, seine offensive Affirmation des Unreinen und ein wenig Despektierlichen, hat mich an den Film erinnert, den ich direkt davor gesehen hatte: Richard Linklaters “Boyhood” ist ebenfalls kein Film, der frei ist von Kompromissen, von Zugeständnissen an gewisse Zielpublika und Regeldramaturgien, auch vielleicht nicht frei von Zugeständnissen Linklaters an den eigenen schlechten Geschmack (die Musikauswahl, gerade am Anfang…). Gleichzeitig ist “Boyhood” gerade deshalb ein lebendiger Film, und einer der schönsten im Wettbewerb, weil er vieles zulässt in den gut zweieinhalb Stunden, die er dauert - und weil Linklater viel zugelassen hat in den 12 Jahren, während derer er den Film peu à peu gedreht hat. Weil er vor allem die Veränderung, die die Zeit allen Menschen zufügt, von Anfang an zugelassen hat als integrativen Aspekt seines Films. (Das Gegenbeispiel eines Films, der gar nichts zulässt, wäre Brüggemanns “Kreuzweg”, aber damit soll es auch genug sein mit Nachtreten…).
Weiter hatte ich mir dann noch gedacht, dass ein offensives Umarmen der eigenen Unreinheit eine gute Idee sein könnte für die Berlinale insgesamt. Denn unrein ist die Berlinale von Anfang an: “The Guests” lief im Cubix am Alexanderplatz, auf den Nasen hatten die Zuschauer handelsübliche 3D-Brillen. In seinem Alltagsbetrieb werden im selben Saal Hollywood-Blockbuster vorgeführt, die dann auch noch durch das gleiche Accessoire hindurch betrachtet werden. Dass dieser Ort der reibungslosen, kommerziellen Auswertung von Bildern von Jacobs’ radikal verlangsamtem Eigensinn verunreinigt wird, ist erst einmal eine gute Sache. Und wenn dann umgekehrt der großzügige Experimentalfilmer die hybride Natur seines eigenen Films gegen Weihepriesterei verteidigt: umso besser.
Die reine Lehre der Cinephilie ist in Berlin vielleicht sowieso fehl am Platz: Die großen auteurs wird es auch in Zukunft eher nach Cannes ziehen, die Kathedralen der Avantgarde sind auf anderen, kleineren Festivals besser aufgehoben. Die Berlinale wird immer ein Festival der Kompromisse bleiben. Filme wie “The Guests” und “Boyhood”, auf seine Art auch mein Lieblingsfilm des diesjährigen Festivals (wenn man von der Retrospektive absieht), der popkulturgesättigter Polit-Horrorfilm “The Midnight After”, weisen statt dessen darauf hin, dass es unterschiedliche Arten von Kompromissen gibt. In ihrer gegenwärtigen Gestalt bevorzugt die Berlinale, nicht in jedem einzelnen Film natürlich, durchaus aber sektionsübergreifend im Mittel, den institutionalisierten Kompromiss, der im Mainstream des globalisierten Förderkinos seinen Platz hat.
Deshalb halte ich auch nichts von den andernorts erhobenen Forderungen nach weniger Filmen, nach mehr Konzentration: Im Zweifelsfall würden bei solchen Selbstbeschränkungen genau die falschen Filme wegfallen, übrig bliebe der Kompromiss des kleinsten gemeinsamen Nenners (Filme mit besonders vielen Fördererlogos im Ab-, bzw, das scheint ein neuer Trend zu sein, schon im Vorspann). Es würde für die Zukunft schon genügen, die Netze ganz im Gegenteil ein wenig weiter auszuwerfen, in Richtung idiosynkratischerer Formen des Kompromisses, die in den Untiefen des Populären ebenso lauern können wie in den weniger verbiesterten Winkeln der Avantgarde. Warum, zum Beispiel, nicht einfach einmal ein Nollywoodfilm auf der Berlinale? Oder, noch besser: Warum nicht einfach einmal 20 Nollywoodfilme auf der Berlinale?
Jacobs’ souveräne und kluge Antwort, seine offensive Affirmation des Unreinen und ein wenig Despektierlichen, hat mich an den Film erinnert, den ich direkt davor gesehen hatte: Richard Linklaters “Boyhood” ist ebenfalls kein Film, der frei ist von Kompromissen, von Zugeständnissen an gewisse Zielpublika und Regeldramaturgien, auch vielleicht nicht frei von Zugeständnissen Linklaters an den eigenen schlechten Geschmack (die Musikauswahl, gerade am Anfang…). Gleichzeitig ist “Boyhood” gerade deshalb ein lebendiger Film, und einer der schönsten im Wettbewerb, weil er vieles zulässt in den gut zweieinhalb Stunden, die er dauert - und weil Linklater viel zugelassen hat in den 12 Jahren, während derer er den Film peu à peu gedreht hat. Weil er vor allem die Veränderung, die die Zeit allen Menschen zufügt, von Anfang an zugelassen hat als integrativen Aspekt seines Films. (Das Gegenbeispiel eines Films, der gar nichts zulässt, wäre Brüggemanns “Kreuzweg”, aber damit soll es auch genug sein mit Nachtreten…).
Weiter hatte ich mir dann noch gedacht, dass ein offensives Umarmen der eigenen Unreinheit eine gute Idee sein könnte für die Berlinale insgesamt. Denn unrein ist die Berlinale von Anfang an: “The Guests” lief im Cubix am Alexanderplatz, auf den Nasen hatten die Zuschauer handelsübliche 3D-Brillen. In seinem Alltagsbetrieb werden im selben Saal Hollywood-Blockbuster vorgeführt, die dann auch noch durch das gleiche Accessoire hindurch betrachtet werden. Dass dieser Ort der reibungslosen, kommerziellen Auswertung von Bildern von Jacobs’ radikal verlangsamtem Eigensinn verunreinigt wird, ist erst einmal eine gute Sache. Und wenn dann umgekehrt der großzügige Experimentalfilmer die hybride Natur seines eigenen Films gegen Weihepriesterei verteidigt: umso besser.
Die reine Lehre der Cinephilie ist in Berlin vielleicht sowieso fehl am Platz: Die großen auteurs wird es auch in Zukunft eher nach Cannes ziehen, die Kathedralen der Avantgarde sind auf anderen, kleineren Festivals besser aufgehoben. Die Berlinale wird immer ein Festival der Kompromisse bleiben. Filme wie “The Guests” und “Boyhood”, auf seine Art auch mein Lieblingsfilm des diesjährigen Festivals (wenn man von der Retrospektive absieht), der popkulturgesättigter Polit-Horrorfilm “The Midnight After”, weisen statt dessen darauf hin, dass es unterschiedliche Arten von Kompromissen gibt. In ihrer gegenwärtigen Gestalt bevorzugt die Berlinale, nicht in jedem einzelnen Film natürlich, durchaus aber sektionsübergreifend im Mittel, den institutionalisierten Kompromiss, der im Mainstream des globalisierten Förderkinos seinen Platz hat.
Deshalb halte ich auch nichts von den andernorts erhobenen Forderungen nach weniger Filmen, nach mehr Konzentration: Im Zweifelsfall würden bei solchen Selbstbeschränkungen genau die falschen Filme wegfallen, übrig bliebe der Kompromiss des kleinsten gemeinsamen Nenners (Filme mit besonders vielen Fördererlogos im Ab-, bzw, das scheint ein neuer Trend zu sein, schon im Vorspann). Es würde für die Zukunft schon genügen, die Netze ganz im Gegenteil ein wenig weiter auszuwerfen, in Richtung idiosynkratischerer Formen des Kompromisses, die in den Untiefen des Populären ebenso lauern können wie in den weniger verbiesterten Winkeln der Avantgarde. Warum, zum Beispiel, nicht einfach einmal ein Nollywoodfilm auf der Berlinale? Oder, noch besser: Warum nicht einfach einmal 20 Nollywoodfilme auf der Berlinale?
1 comment:
Ein Bekenntnis zur Unreinheit wäre genau ein Schritt, ein Versuch, eine Entscheidung der Berlinale für sich selbst.
Das Problem ist nicht, dass Berlin nicht Cannes ist, sondern dass beständig versucht wird Berlin im Februar ein Cannes-Costüm überzuziehen. Die französische Mittelmeerstadt im Frühsommer wird dann schnell kalt und leer bei der ins sich brüchigen Physignomie der Stadt im Osten Deutschlands.
Berlin ist unrein, und darüber frei. Die Berlinale kann das sein, wenn sie einerseits nicht versucht den großen Auteurs nachzuhängen und andererseits nicht in ein Nieschen-Avantgarden Festival verfällt. Genau darüber wäre ein sich selbst finden möglich, welches kompromisslos die eigene Kompromisshaftigkeit bekennt.
Eher mehr als weniger Filme, eher mehr Sektionen als weniger, eher mehr Spielstätten als weniger; eine multipolare Anordnung dieser Art müsste nicht überhautp einen Haupsinn transportieren (roter Faden), sondern viele in sich stimmige Einzel-Sinne (buntes Knäul aus sich überlagernden Strängen).
Das Problem könnte dann tatsächlich sein, dass DK auf der Pressekonferenz zwar keinen roten Faden plausible auslegen kann, aber es doch behauptet zu können. Diese sozial-demokratische-neoliberale Toleranz Policy fehlt die Radikalität, der Mut und der Einsatz, es nicht allen, dafür aber vielen recht zu machen, einen Kinosaal zu bieten.
Letztes Jahr gelang dies gut gegenüber den Ost-Europäischen Filmen; Berlin kann geographisch/ vielleicht auch geschichtlich diese Inklusion leisten.
Ob dazu dann eine Nollywood-Sektion hinzukommt, ein Mittelamerika-Fokus, oder eine Betrachtung des arabischen Frühling, kann alles ein Versuch sein, vieles zu ermöglichen, ohne alles zu wollen.
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