Au-dela de la Haine, Olivier Meyrou, 2005
Er ist ja gut gemeint, der Film. Und dummerweise auch noch weitgehend gut gemacht, besser zumindest als vieles andere vage oder konkret politisches im Forum. Warum bleibt am Ende trotzdem ein ungutes Gefühl? Aufschluss gibt eine Diskussionsfrage, die nicht nur den Regisseur, sondern auch die wieder einmal völig deplazierte Moderatorin (zugegebenermaße auch aufgrund eines Übersetzungsproblems) gehörig aus dem Konzept bringt. Die Frage bezieht sich auf die Tatsache, dass im Film immer wieder darauf verweisen wird, die Skinheads hätten erst einen Homosexuellen angegriffen, nachdem sie vergeblich einen Araber gesucht hätten. Was wäre nun mit dem Film geschehen, wenn sie schneller fündig geworden wären und das Opfer kein weisser Mittelstandssohn gewesen wäre?
Regisseur beleidigt, Moderatorin hektisch, Übersetzerin konfus, da wurde wohl ein neuralgischer Punkt getroffen. Und in der Tat enthüllt diese Frage, deren Antwort sich im üblichen "alle Menschen sind gleich, alle gehören zur Gemeinschaft, die Lösung heißt universelle Toleranz" erübrigte, das Problem des Films.
Die homophobe Gewalt wird aus den Biographien hergeleitet und somit mit anderen Formen diskriminativer Angriffe gleichgesetzt. Nicht gestellt wird die strukturelle Frage. Denn mag auch auf einer Ebene sowohl Homophobie als auch Rassismus, Sexismus und ähnliches auf einem gleichartigen "Hass auf alles andere ausser mir" basieren (und selbstverständlich sind alle diese Verhaltensweisen gleich abscheulich und dämlich), bleibt doch festzuhalten, dass auf anderen Ebenen diese Phänomene alles andere als Gleich sind. Sie resonieren auf völlig unterschiedliche Art und Weise in der Gesellschaft, zeigen unterschiedliche Organisationsmuster, dienen unterschiedlichen politischen Zwecken, werden von unterschiedlichen Seiten ausgebeutet, gehen höchstwahrscheinlich auch auf unterschiedliche psychologisch Mechanismen zurück usw. Eine Gesellschaft, die diese Probleme nur zusammen denken kann, kann als Lösung nur etwas anbieten, was keine ist: allumfassende Toleranz, vermittlung allgemeingültiger Werte, deren ideologische Aufgabe ebensowenig hinterfragt wird, wie die ideologischen Substrukturen der Neonaziszene, die eben nicht nur dadurch entsteht, dass es Alkoholiker gibt, die ihre Kinder schlagen.
Schuss!, Nicolas Rey, 2005
Schön ist es dagegen, nach all den - oft jämmerlichen - Versuchen, politisches Bewusstsein zu erzeugen, einen Film sieht, der dieses dekonstruiert, beziehungsweise in klassisch ideologiekritischer Manier der Konstruiertheit von Oberflächenphänomenen auf den Grund geht.
So ein Film darf es sich auch durchaus herausnehmen, dem Publikum ordentlich auf die Nerven zu gehen. Und das tut Nicolas Reys Film oft genug. Bild und Ton immer unsynchron, minutenlange, flackernde Aufnahmen von fast gar nichts, nicht die Spur eines stringenten zeitlichen oder räumlichen Gefüges, dabei über zwei Stunden lang. Es geht um die Wintersportindustrie einerseits, die Aluminiumprodktion andererseits. Rey zeigt eindrucksvoll, dass die Konsumgesellschaft vor allem auf Arbeit basiert, die unsichtbar ist. Diese Arbeit kann auch die Form von Politik, Bürokratie, Kolonialismus und vielem anderen annehmen, bleibt jedoch immer erkennbar, wenn man nur genau genug hinschaut. Dieser orthodox ideologiekritische Akt (Sichtbarmachung von aus ideologischen Gründen versteckter Arbeit), der sich unter anderem in den Bildern der Talstation des Skigebiets widerfindet, die den Fim zusammenhalten (die Talstation ist das Gebäude, an dem die Arbeit am wenigsten verschleiert werden kann, hier finden sich Relaisstationen, große Stromaggregate, Wartungspersonal, usw, gleichzeitig ist dies jedoch auch der Ort, der am wenigsten Oberfläche ist und meistens so in das Gesamtgefüge integriert wird, dass die Skifahrer ihn jeden Tag nur einmal durchlaufen müssen), wird auch in der Filmform sichtbar, indem Rey, durchaus im Sinne Baudrys oder Comollis, das Filmmaterial und seine Bearbeitung, resp. die Arbeit im Filmlabor usw sichtbar macht.
Soweit, so eigentlich schon tausendmal dagewesen und irgendwo in den 70er Jahren steckengeblieben (was Rey allerdings frisurentechnisch auch tatsächlich ist). Die Pointe des Films trägt diesen jedoch weit über klassisch strukturalistisch-marxistische Positionen hinaus: Ski werden gar nicht aus Aluminium hergestellt. Die Strukturen sind so komplex, dass eine ein einfaches Basis-Überbau Modell zum Scheitern verurteilt ist. Rey wählt vielmehr ein allegorisches Modell: Industriegeschichte erläutert Konsumismus und umgekehrt. Dabei ist er weniger auf der Suche nach einer Tiefenstruktur, es geht um partielle argumentative Parallelen, die es in ihrer Gesamtheit vielleicht ermöglichen, die Position des Individuum in der Welt so zu gestalten, dass aktives Handeln mögich ist. Oder so ähnlich.
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