Die 9 Filme umfassende Retrospektive des japanischen Regisseurs Okamoto Kihachi, die auf dem Internationalen Forum des jungen Films vorgestellt wurde und derzeit im Berliner Arsenal wiederholt wird (die zweite Wiederholungsstaffel läuft seit 1.3.), ermöglicht nicht nur einen Einblick in die japanische Genreproduktion der Sechziger Jahre, eine filmgeschichtliche Epoche, die noch darauf wartet, von Filmwissenschaft und -geschichtsschreibung angemessen gewürdigt zu werden (in der Tat gehört das diesbezügliche Versäumnis wohl zu den schwerwiegensten der Disziplinen angesichts Dutzender großartiger Filme, die mehr oder weniger zufällig Jahr für Jahr per DVD-Veröffentlichung neu entdeckt werden), sondern erlaubt es auch, die Entwicklung der Filmsprache dieses speziellen Regisseurs von seinen Anfängen innerhalb der Industrie bis zum Zeitpunkt seiner größten Erfolge in den späten Sechzigern mitzuverfolgen. Überhaupt ist der Ansatz, Filmgeschichte mittels der Analyse des Werkes eines soliden Genrehandwerkers (und eben keines großen Auteurs) aufzuschlüsseln, in jedem Fall nachahmenswert. Okamoto ist sicherlich keine cinephile Entdeckung ersten Ranges (wie sie beispielsweise Nakagawa Nobuo in der letztjährigen Forumsretro darstellte), dennoch erscheint sein Werk in vieler Hinsicht äußerst reichhaltig.
Desperate Outpost, 1959
Desperate Outpost war zwar bereits Okamotos vierter Film, entstand jedoch nur ein Jahr nach seinem Erstling und trägt alle Zeichen eines Frühwerkes. Wilde Lust am Experiment um seiner selbst willen, Dynamik an allen Ecken und Enden, nur nicht in der Storyentwicklung, kurz angerissene politische Diskurse, die nie richtig Gestalt annehmen (1959 entstanden auch die ersten Filme der "offiziellen" japanischen neuen Welle, zu deren eher peripheren Ausläufern sicherlich auch Okamoto gezählt werden kann) und vieles mehr. Desperate Outpost beginnt als reichlich alberne Kriegssatire in MASH Manier (allerdings 11 Jahre früher), entwickelt sich im Mittelteil zu einem recht stringenten Kriminalfilm, um in einem völlig derangierten Coda doch noch zum fast waschechten Kriegsfilm zu wechseln.
Bereits dieser Film macht deutlich, dass Kino für Okamoto vor allem über die Montage funktioniert. Seine Lieblingstechnik in den Frühwerken ist der Match Cut, der hier besonders ausgiebig zelebriert wird. Doch auch dieser kann (und will) den Film nicht zusammenhalten. Dessen größtes Problem freilich ist nicht der inkonsequente Handlungsaufbau (und auch nicht das erkennbar kleine Budget, das vor allem den letzten Teil des Films ins nicht immer gewollt Komische kippen lässt), sondern die Besetzung der Hauptrolle durch Sato Makoto, dessen Dauergrinsen hier wahrlich schwer erträglich ist.
The Last Gunfight, 1960
In The Last Gunfight ist zumindest die Hauptrolle besser besetzt. Mifune Toshio spielt einen Inspektor, der zwischen die Fronten eines yakuzainternen Bandenkriegs gerät. Insgesamt freilich weiss der Film deutlich weniger zu überzeugen, als der bei allen Schwächen auf der Mikroebene doch erfrischend dynamische Desperate Outpost. The Last Gunfight ist bunt, poppig, stylish und wie die anderen hier besprochenen Filme in großartigem Cinemascope gedreht, wirkt jedoch bei aller Coolness nur wie eine höchstens zweitklassige Suzuki Seijun Kopie. An dessen exzessive Stilisierung erinnert höchstens eine sehr gelungene Gesangssequenz in einem Nachtclub (bezeihungsweise zusätzlich noch dessen Inneneinrichtung, die zu den größten Schauwerten des Film zu zählen ist), ansonsten verliert sich der Film alsbald in den oben erwähnten Montagespielchen, in kaum variierten verkanteten Kameraeinstellungen und einer Storyline, die nicht nur noch kruder daherkommt als in Desperate Outpost, sondern (zumindest mich) in kürzester Zeit nicht mehr im Geringsten zu interessieren vermag.
Procurer of Hell, 1961
Als Gernrehandwerker war Okamoto auf gute Drehbücher angewiesen. The Last Gunfight wurde von Sekizawa Shinichi geschrieben, der ansonsten vor allem für die Skripte von Tohos Monsterfilmen verantwortlich war (unter anderem auch für Trashperlen wie Gojira vs Megaron) und sich im Yakuzamilieu nicht allzu wohl zu fühlen scheint. Procurer of Hell dagegen stammt aus der Feder Ikeda Ichiros, der unter anderem auch mit Suzuki, Masumura und Imamura zusammenarbeitete. Nur ein Jahr später gelingt Okamoto denn tatsächlich all das, was in The Last Gunfight danebengeht. Procurer of Hell ist eine straighte Film Noir-Paraphrase, mit allem was dazu gehört. In der Tat erstaunt die Präzision, mit der nicht nur die Ikonografie, sondern auch große Teile des Personals (inklusive einer großartigen Femme Fatale) der schwarzen Serie nach Japan importiert werden, zu einem Zeitpunkt, als Film Noir als Begriff noch kaum präsent war.
Nicht nur das Skript funktioniert besser als in den beiden ersten Filmen der Retrospektive. Procurer of Hell ist der erste Film der gezeigten Filme, in welchem Okamotos Montageambitionen sich in einem stringenten Konzept niederschlagen. Bestimmend ist ein Wechsel zwischen extrem formalisierten Passagen, die neben den üblichen Match Cuts fast eisensteinsche Schnittkaskaden enthalten und langsamen, angespannten Passagen, in denen Okamoto den Raum, der in den schnellen Schnittfolgen obiger Sequenzen konsequent atomisiert wird, genau analysiert.
The Elegant Life of Mr. Everyman, 1963
Zwei Jahre später erreichen Okamotots Formexperimente einen gleichermaßen sonderbaren wie bezaubernden Höhepunkt. The Elegant Life of Mr. Everyman ist eine Art dekonstruierter Shomingeki, der die skurrile Selbstanalyse eines japanischen Mittelschichtslosers zum Thema hat. Mithilfe aller nur denkbarer Filmtechniken zerlegt Okamoto seinen Helden nach allen Regeln der Kunst, nicht einmal die Kleidung bleibt verschont.
Animationssequenzen beschreiben Teile der Vergangenheit des Helden, dazwischen finden sich historische Aufnahmen aus dem zweiten Weltkrieg und theatral anmutende Szenen, die sich jeder naturalisierung wiedersetzen. Ein direkter Zugriff auf die japanische Geschichte der 30er und 40er erscheint unmöglich (und war es 1963 vielleicht auch), Okamoto versucht es auf die denkbar weirdeste Art und fährt nicht einmal schlecht damit.
Die ersten zwei Drittel des Films sind großartig, danach wird es ein wenig zäh. In sich konsequent bleibt The Elegant Life of Mr. Everyman jedoch bis zum Ende. Everyman wird durch die verschriftlichung seines betrunkenen Gebrabbels zum Bestsellerautor. Und am Ende filmt Okamoto dann genau dieses eine geschlagene halbe Stunde lang ab. Everymans Zuhörer versuchen verzweifelt, sich davonzuschleichen und auch das Kinopublikum ist froh, wenn das Ganze dann irgendwann doch ein Ende findet.
The Sword of Doom, 1966
Mit The Sword of Doom, Okamotos mit Abstand bekanntestem Werk, wendet sich die Retrospektive dem Frühwerk ab und porträtiert einen Regisseur, der mitten im Mainstream der japanischen Filmwirtschaft angekommen ist. The Sword of Doom funktioniert - zumindest auf formaler Ebene, die Handlung selbst ist dann doch wieder stellenweise recht wirr - wie ein perfekt geöltes Getriebe. Immer noch definiert sich Okamotos Kino vor allem über die Montage, doch an die Stelle der wilden Experimente der Frühwerke ist ein strenges Konzept getreten, das wenig Abweichung duldet. Bestimmend ist der Schnitt von der Nah/Großaufnahme in die Totale, der die Figuren immer wieder in die geometrischen Anordnungen japanischer Architektur einschreibt. Das Schicksal aller Figuren ist von Anfang an vorbestimmt, im Gesicht des unvergleichlichen psychotischen Helden Ryunosuke schlägt sich mit zunehmendem Fortgang des Films immer stärker die Erkenntnis der Ohnmacht des eigenen Willens in Form von animalischen Zuckungen nieder.
Am Ende kämpft Ryunosuke gegen Dämonen hinter Bettlaken, die langsam in reale Gegner übergehen. Dutzendweise metzelt er die Angreifer nieder. Zwar muss er selbst mehrere Treffer einstecken, doch obwohl er sich kaum noch auf den Füßen halten kann, kämpft er blutüberströmt weiter, bis die gespenstische Szenerie irgendwann in einem Standbild erstarrt. Diese großartige Schlusssequenz ist neben den ebenso grandiosen Pendants in Red Lion und Procurer From Hell vielleicht das einzige, was man wirklich von Okamoto gesehen haben sollte.
The Emperor and a General, 1967
Dass Okamoto Mitte der Sechziger Jahre tatsächlich mitten im japanischen Mainstreamkino angekommen war, beweist die Tatsache, dass er 1967 damit beauftragt wurde, Tohos Prestigeproduktion über das Ende des zweiten Weltkriegs zu drehen, inklusive zahlreicher Megastars und allem drum und dran - wie oft in solchen Fällen am Ende dann von allem doch ein klien wenig zu viel.
The Emperor and a General beginnt fast dokumentarisch, nähert sich seinem Objekt ähnlich vorsichtig wie die Rückblenden in The Elegant Life of Mr. Everyman. Kampfhandlungen werden nicht nachgestellt, sondern aus Archivmaterial entnommen (beispielsweise auch die Atombombenabwürfe), ein längerer Prolog erläutert anhand mehrerer Grafiken die weltpolitische Lage im Sommer 1945. Auch der eigentliche Film ist größtenteils ein erstaunlich sprödes Kammerspiel und vollkommen frei von den gerade hierzulande boomenden Geschichtspornos mit ihrem Ausstattungsfetisch und befreiter Kamera. Okamoto beschränkt seineformalen Ambitionen auf einige nette Spiegelungen innerhalb der Kadrierung.
Freilich macht im Laufe der Zeit das Melodrama doch immer stärker auf sich aufmerksam und auch die Scheu vor einem direkten Zugriff auf die Zeitgeschichte nimmt zusehens ab, spätestens wenn die ersten Blutfontänen spritzen. Nur der japanische Kaiser selbst stellt weiterhin ein Repräsentationsproblem dar. Ähnlich wie Wilson in "Hör mal, wer da hämmert" ist auch der Tenno nie in seiner ganzen Pracht zu bewundern, irgendein Möbelstück bzw. eine andere Person schiebt sich regelmäßig zwischen Kamera und Kaiser. Das ist natürlich reichlich albern, wie es überhaupt spätestens nach der zweiten Stunde reichlich anstrengend wird, all den japanischen Großschauspielern (unter anderem auch Ozus Chishu Ryu) beim Heroisch-Sein zuschauen zu müssen.
The Human Bullet, 1968
Nicht nur als Gegenstück zu The Emperor and a General ist The Human Bullet zu genießen. Die ATG Produktion, auf 16mm gedreht, versprüht auch ansonsten den Reiz des japanischen Independentkinos der Sechziger und Siebziger Jahre, das im Zweifelsfall noch immer die absurde Episode über einen konsequenten Handlungsbogen stellt und dabei auch Inkohärenzen in weltanschaulicher Hinsicht gerne in Kauf nimmt. Doch die ideologische Botschaft ist klar: Dem heroischen Leiden und patriotischen Schmerz aus The Emperor and a General stellt Okamoto hier einen kurzsichtigen, trotteligen Soldaten gegenüber, der am Anfang nackt im Schlamm kriecht und am Ende in einem Faß mitten auf dem Meer in seinen eigenen Exkrementen verrottet. Auch ansonsten wird die Welt in The Human Bullet von Freaks, Losern und Kriegsopfern aller Art bevölkert, die im Vorgängerfilm selbstverständlich nie im Leben untergekommen wären.
Dennoch überzeugt an The Human Bullet heute weniger der zweifellos sinnvolle politische Ansatz, als die ins Surreale abgleitenden Nebenhandlungen, für die der pazifistische Plot letztlich nicht mehr als einen Vorwnad darstellt. Besonders hervorzuheben ist eine Szene im Rotlichtviertel, in welchem der noch jungfräuliche Held einer wahrlich monströsen Weiblichkeit begegnet.
Red Lion, 1969
Das Beste kommt bekanntlich zum Schluss und so stellte denn auch die deutlich von den politischen Umbrüchen der Sechziger Jahre geprägte Revolutionserzählung aus den Jahren der Meiji-Restauration - gemeinsam mit Procurer From Hell - den Höhepunkt der Reihe dar. Red Lion ist eine knallbunte Mischung aus Italowestern, Eisenstein und Kurosawa, ein Messagemovie reinster Schule, der nie penetrant wirkt und sein Programm dennoch Punkt für Punkt konsequent abarbeitet. Jede Figur hat eine genau definierte Aufgabe während der Revolution, am Ende jedoch wird dem Individualismus in einer Radikalität abgeschworen, wie man es im klassischen Erzählkino nicht allzuoft findet. Nicht einmal die Köpfe der Masse, die noch einen Hauch von Individualität evozieren könnten, werden gezeigt, sondern nur noch Füße, die die rote Perücke als Symbol des Individualismus zertrampeln.
Dazwischen großartige Massenszenen, eisensteinisch überzeichnete Bösewichter, bitersüße Melodramen und vieles mehr. Genaueres bei Nikolaus.
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