Sunday, February 10, 2008

Berlinale 2008: My Brother's Wedding, Charles Burnett, 1983

My Brother's Wedding ist der einzige Film, den Charles Burnett in den Achtziger Jahren verwirklichen konnte. Sieben lange Jahre verstrichen anschließend bis zu seinem Masterpiece To Sleep with Anger. Nur 81 Minuten Film konnte Burnett in einem ganzen Jahrzehnt realisieren. Doch diese 81 Minuten gehören zum großartigsten, was ich in diesem Jahr im Kino gesehen habe.
Wie in Burnetts Debutfilm Killer of Sheep (meinem Lieblingsfilm der letzten Berlinale) geht es um männlische afroamerikanische Subjektivität. Allerdings unternimmt der Regisseur nicht mehr den Versuch, diese quasi unvermittelt, via lyrischen, quasidokumentarischen Alltagsbeobachtungen und einer Third-Cinema-Ästhetik festzuhalten. Statt dessen wagt sich My Brother's Wedding an die Narration.
In mancher Hinsicht liegt der Film nicht nur zeitlich genau zwischen Killer of Sheep und To Sleep With Anger: Die poetische Introspektion weicht langsam der Gesellschaftsanalyse, im Zentrum steht aber weiterhin der Protagonist der ersteren. In einem ansonsten oft rührend unbeholfen wirkenden, dabei jedoch perfekt in Szene gesetzten Cast ist Everett Silas als Pierce eine kleine Offenbarung. Wie Henry G. Sanders in Killer of Sheep (und wie John Anderson in Haile Gerimas Ashes and Embers) reagiert Silas auf das soziopolitische Spannungsfeld, welches ihn umgibt, tendenziell resigiert und destruktiv. Die Arbeit im Reinigungsbetrieb der Eltern ist für ihn nützlich als Proletarierinszenierung, Zeit für kleine Flirts mit der (deutlich zu) jungen Nachbarstochter bleibt immer.
Verhandelt wird der Klassengegensatz innerhalb der schwarzen Bevölkerung der USA, der mit den Nachwirkungen der Politisierung der Sechziger und Siebziger Jahre ebenso kollidiert, wie mit traditionelleren, von Religiosität bestimmten, Lebensweisen.
Sichtbar wird jedoch noch viel mehr: Immer wieder bricht der Film auseinander, kleine Erzählungen treten herein und werden wieder fallengelassen. Pierces kleinkrimineller Kumpel spielt ein bisschen Blaxploitation und verrennt sich dabei in Windeseile, Pierces mutter verjagt unentschlossene Gangster aus der Reinigung, Pierces Oma schimpft über den teuflischen Fernsehapparat: In 81 Minuten erschafft Burnett erschafft Burnett mit einfachen, effektiven Mitteln einen ungemein umfassenden Blick auf die Gesellschaft, gegen den sich Hollywoods Sozialbehauptungen a la The Ice Storm erbärmlich ausmachen.
Weiterhin: Die Musik ist großartig. Das Schlussbild auch.

1 comment:

Anonymous said...

Ja, großartiger Film - ein echtes Highlight des Festival bislang.

Der Film dauerte ursprünglich über 100 Minuten, wurde jetzt aber von Burnett auf einen Director's Cut von 81 Minuten gekürzt.

Grüße
Thomas