Von den acht Rosi-Filmen, die ich in den letzten zehn Tagen gesehen habe, war mir dieser fast der liebste: Eine knapp zweistündige Stierkampfoper in Technicolor und Cinemascope. Die Hauptrolle übernimmt mit Miguel Mateo ein echter Matador (Künstlername Miguelin). Konsequenterweise überschreitet der Film die Fiktionalisierungsstruktur des klassischen Spielfilms immer wieder in Richtung Dokumentation. Eigentlich in Richtung Profilmisches, in Richtung Realität. Denn die Stierkämpfe kann nicht der Regisseur inszenieren, zumindest nicht 1965, lange vor CGI und zumindest nicht dann, wenn sie naturalistisch aussehen sollen. Den Stierkampf muss der Matador inszenieren. Und das geht nicht mit Schuss / Gegenschuss, mit analytischer Montage. Die Basis kann keine filmische Struktur sein, sondern nur eine Stierkampfstruktur. Natürlich trifft Rosi Entscheidungen und wählt aus. Oft entscheidet er sich dafür, seinen Miguelin und den Stier in der Totalen zu zeigen, so dass auch ihre Umgebung, Miguelins verängstigte Helfer und das begeisterte Publikum, sichtbar werden.
Die grandiosen Stierkampfsequenzen in Il momento della verita lassen die Unterscheidung zwischen Fiktionalisiertem und Dokumentarischem kollabieren, die meisten Aufnahmen entstammen offensichtlich realen Stierkämpfen und deren reale Matadore sind natürlich nicht dieselben wie die fiktionalen Matadore von Rosis Film. Dennoch verschmelzen beide Matadore zumindest für die Dauer der jeweiligen Einstellung. Der Kampf Mensch gegen Tier hat (oder wahrscheinlich hatte, CGI hat da einiges verändert) einen Überschuss an Realität im Bild zu Folge: Siehe Le sang des betes, siehe Cannibal Holocaust.
Allerdings geht dieser Überschuss stets zu Lasten des Tiers. Selbstverständlich ändert sich der Film vollständig, wenn es Miguelin an den Kragen geht. Der Film-Miguel ist in dieser Stierkampfsequenz nicht mehr identisch mit dem realen Miguelin, der triumphierende Stier ist im Gegensatz zu den vielen davor real dahingeschlachteten Stieren reine Fiktion. Und besteht nur aus einigen rein funktionalen Großaufnahmen. Dieser letzte Kampf ist auch nicht mehr in eine reale Stierkampfarena eingeschrieben, Publikum und Kämpfer teilen sich zwar noch einen filmischen Raum, jedoch nicht mehr einen realen. Und in diesem Film sind beide Arten von Räumen ganz emphatisch nicht identisch, zumindest nicht a priori, sondern nur in wenigen herausgehobenen Momenten.
Il momento della verita kritisiert den Stierkampf nicht. Manchmal scheint der Film aber darüber zu trauern, dass es nie einen Stierkampfilm aus der Perspektive der Stiere geben wird.
Showing posts with label Berlinale 2008. Show all posts
Showing posts with label Berlinale 2008. Show all posts
Monday, February 18, 2008
Saturday, February 16, 2008
Berlinale 2008: Divizionz, Yes That's Us, 2008
Schwer zu entscheidend, was bizarrer ist: Der Film oder die anschließende Diskussion. In letzterer verliert die völlig überforderte Moderatorin schnell die Kontrolle über das Geschehen, statt ihr leitet fortan ein Mitglied des Regie- und Produktionskollektivs "Yes That's Us" die Veranstaltung. Neben ihm (ein smarter junger Filmemacher, der anscheinend eigenhändig die ostafrikanische Musikvideoindustrie aus dem Boden gestampft hat und sich im Cinestar wie Malcolm X inszeniert: "To my african brothers and sisters in the audience") befinden sich noch drei weitere an Divizionz beteiligte Menschen auf der Bühne: Ein weißer Südafrikaner, der den Musikvideopionier wohl vor einigen Jahren auf dem Berlinale Talent Campus kennengelernt hat und inzwischen wohl zu Yes That's Us gehört. Dann ein vermutlicher Co-Produzent, der von einer Uganda-Jamaica Connection berichtet, die irgendetwas mit dem Begriff "Collywood" zu tun haben soll und der bereits vor Filmbeginn Divizionz als "underground guerilla filmmaking" angekündigt hatte: "tonight we will make history". Und schließlich noch Adolf. (Edit: Adolf ist Produzent des Films). Unklar bleibt überhaupt, warum gerade diese vier Personen auf der Bühne sitzen: Repräsentieren sie Yes That's Us? Oder sind es eher zufällig ausgewählte Crewmitglieder, die von der Berlinale eingeladen wurden? Klar wird jedoch eines: Yes That's Us ist zwar durchaus an die peripheren Aussenbreieche des europäischen Festivalbetriebs angeschlossen (Berlinale Talent Campus), die eigentliche Initiative geht jedoch ausschließlich von afrikanischem Boden aus und das Regiekollektiv denkt deshalb auch nicht im Traum daran, arthauskompatibles Festivalkino zu produzieren.
Noch unschärfer wird das Bild, wenn man die Diskussionsrunde auf den vorangegangenen Film rückprojiziert. Der ugandische Musikvideopionier erklärt, es sei ihm um eine Form von "social realism" gegangen, die Kamera solle das Leben in der afrikanischen Metropole so ungefiltert wie möglich einfangen. Außerdem sei Divizionz nur im innerugandischen Kontext zu begreifen, nämlich als Diskussion des Gegensatzes zwischen innenstädtischer Mittelklasse und dem Lumpenproletariat aus den Vorstädten. Beziehungsweise eben nicht nur als Beitrag zur Diskussion, sondern als direkter Eingriff in diese unterschiedlichen sozialen Sphären: Er selbst gehöre zur Mittelklasse, der Film behandele die Probleme der Unterklasse, die Filmvorführung im Heimatland habe das Potential, soziale Gegensätze zu überwinden. Ich fand den vorangegangenen Film und dessen krude Videooptik, dessen verwirrende Nebeneinander von Alltagsbeobachtungen, Exploitationkino und Musikvideoeinsprengseln in diesen Ausführungen nicht wieder. Was freilich nicht an dem Film liegt, sondern an mir. Beziehungsweise an der Distanz, die Divizionz, eines der ersten tatsächlich postkolonialen Werke des ostafrikanischen Kinos (Uganda besitzt keine Videoindustrie a la Nollywood, vielleicht ist Divizionz ein erster Gehversuch in diese Richtung), vom gesamten Restprogramm des Festivals trennt.
Noch unschärfer wird das Bild, wenn man die Diskussionsrunde auf den vorangegangenen Film rückprojiziert. Der ugandische Musikvideopionier erklärt, es sei ihm um eine Form von "social realism" gegangen, die Kamera solle das Leben in der afrikanischen Metropole so ungefiltert wie möglich einfangen. Außerdem sei Divizionz nur im innerugandischen Kontext zu begreifen, nämlich als Diskussion des Gegensatzes zwischen innenstädtischer Mittelklasse und dem Lumpenproletariat aus den Vorstädten. Beziehungsweise eben nicht nur als Beitrag zur Diskussion, sondern als direkter Eingriff in diese unterschiedlichen sozialen Sphären: Er selbst gehöre zur Mittelklasse, der Film behandele die Probleme der Unterklasse, die Filmvorführung im Heimatland habe das Potential, soziale Gegensätze zu überwinden. Ich fand den vorangegangenen Film und dessen krude Videooptik, dessen verwirrende Nebeneinander von Alltagsbeobachtungen, Exploitationkino und Musikvideoeinsprengseln in diesen Ausführungen nicht wieder. Was freilich nicht an dem Film liegt, sondern an mir. Beziehungsweise an der Distanz, die Divizionz, eines der ersten tatsächlich postkolonialen Werke des ostafrikanischen Kinos (Uganda besitzt keine Videoindustrie a la Nollywood, vielleicht ist Divizionz ein erster Gehversuch in diese Richtung), vom gesamten Restprogramm des Festivals trennt.
Labels:
Berlinale,
Berlinale 2008,
Collywood,
digitales Kino,
Divizions,
Uganda,
Yes That's Us
Friday, February 15, 2008
Chop Shop, Ramin Bahrani, 2007
New York sieht aus wie Rio, Chop Shop transportiert Third Cinema-Vibes in die erste Welt. Weder melodramatischer Ghettokitsch noch obsessives Wühlen im Slumschlamm, aber eben auch nicht das dröge Mittelding aus beidem: Betulich-pädagogisches Besserwisserkino mit dezentem Ekelfaktor. Ramin Bahrani nimmt seinen Protagonisten voll und ganz ernst, etabliert nie eine Außenperspektive, sondern leiht dem jungen Alejandro für 87 Minuten seine gesamte Aufmerksamkeit. Das weiße Amerika existiert hier nicht. Eventuell sind einige Freier weiß, doch für deren Gesichter interessiert sich niemand in der Welt von Chop Shop.
Die Filmsprache ist zugegebenermaßen konventioneller als in Bahranis tollem, vielleicht noch tollerem Vorgängerfilm Man Push Cart. Weniger elegisch, weniger flächig, weniger Bresson, mehr Bewegung, mehr Öffnung auf die Stadt. Dennoch finden sich wieder kunstvolle Inszenierungen, die Alejandro aus der Crowd an der U-Bahn-Haltestelle lösen, ihn isolieren, während er Autofahrern Eratzspiegel andrehen möchte. Die Kamera macht zwar vieles ähnlich wie die von Innaritu, aber sie weiß eben immer genau Bescheid, warum und wozu sie dies tut. Chop Shop ist (in mancher Hinsicht) konventionell und Chop Shop ist (emphatisch) sozialrealistisch. Aber Chop Shop ist eben nicht konventionell sozialrealistisch. Wieder geht es, wie in Man Push Cart, darum, ein Fahrzeug in Besitz zu bringen, wieder ist das Scheitern des Versuchs nicht die Moral von der Geschichte, sondern nur ein Aspekt der conditio humana im Ghetto. Bahrani möchte nicht lügen und dass er es auch in einem Film nicht tut, der so ähnlich ausschaut wie zahllose Lügenfilme der letzten jahre, ehrt ihn umso mehr.
Chop Shop ist subtil auf gute Art. Subtilität heißt hier nicht Kryptik oder Verleugnung sozialer Realität via Ästhetisierung, sondern Respekt vor dem vorgefundenen Material, nicht zuletzt vor den Schauspielern. Alejandros Schwester muss sich zwar prostituieren, aber die schnellen Blowjobs in LKWs machen aus ihr keine Cracknutte. Und Alejandro wird nicht zu ihrem Rächer.
Wenn es im amerikanischen Kino einen neuen Neorealismus geben kann, dann sieht er aus wie Chop Shop und wie Man Push Cart. Dass Bahrani immer noch höchstens ein director to watch ist und in punkto Breitenwirkung noch weit entfernt von der Miramax-Liga, ist ein Skandal und beweist wieder einmal, in was für einem ärgerlichen Zustand sich der amerikanische Indiefilm befindet. Außerdem beweist Chop Shop, dass die Schuld an diesem Zustand eben doch hauptsächlich das System trägt und ehen nicht die Filme selbst beziehungsweise eine abstrakte Nichtrepräsentierbarkeit von irgendwas. Denn in Chop Shop steckt sehr viel von Amerika. Mehr wahrscheinlich als im Gesamtwerk P.T. Andersons.
Die Filmsprache ist zugegebenermaßen konventioneller als in Bahranis tollem, vielleicht noch tollerem Vorgängerfilm Man Push Cart. Weniger elegisch, weniger flächig, weniger Bresson, mehr Bewegung, mehr Öffnung auf die Stadt. Dennoch finden sich wieder kunstvolle Inszenierungen, die Alejandro aus der Crowd an der U-Bahn-Haltestelle lösen, ihn isolieren, während er Autofahrern Eratzspiegel andrehen möchte. Die Kamera macht zwar vieles ähnlich wie die von Innaritu, aber sie weiß eben immer genau Bescheid, warum und wozu sie dies tut. Chop Shop ist (in mancher Hinsicht) konventionell und Chop Shop ist (emphatisch) sozialrealistisch. Aber Chop Shop ist eben nicht konventionell sozialrealistisch. Wieder geht es, wie in Man Push Cart, darum, ein Fahrzeug in Besitz zu bringen, wieder ist das Scheitern des Versuchs nicht die Moral von der Geschichte, sondern nur ein Aspekt der conditio humana im Ghetto. Bahrani möchte nicht lügen und dass er es auch in einem Film nicht tut, der so ähnlich ausschaut wie zahllose Lügenfilme der letzten jahre, ehrt ihn umso mehr.
Chop Shop ist subtil auf gute Art. Subtilität heißt hier nicht Kryptik oder Verleugnung sozialer Realität via Ästhetisierung, sondern Respekt vor dem vorgefundenen Material, nicht zuletzt vor den Schauspielern. Alejandros Schwester muss sich zwar prostituieren, aber die schnellen Blowjobs in LKWs machen aus ihr keine Cracknutte. Und Alejandro wird nicht zu ihrem Rächer.
Wenn es im amerikanischen Kino einen neuen Neorealismus geben kann, dann sieht er aus wie Chop Shop und wie Man Push Cart. Dass Bahrani immer noch höchstens ein director to watch ist und in punkto Breitenwirkung noch weit entfernt von der Miramax-Liga, ist ein Skandal und beweist wieder einmal, in was für einem ärgerlichen Zustand sich der amerikanische Indiefilm befindet. Außerdem beweist Chop Shop, dass die Schuld an diesem Zustand eben doch hauptsächlich das System trägt und ehen nicht die Filme selbst beziehungsweise eine abstrakte Nichtrepräsentierbarkeit von irgendwas. Denn in Chop Shop steckt sehr viel von Amerika. Mehr wahrscheinlich als im Gesamtwerk P.T. Andersons.
Labels:
Bahrani,
Berlinale,
Berlinale 2008,
Chop Shop,
Kind,
Neorealismus,
New York,
Third Cinema,
USA
Thursday, February 14, 2008
Berlinale 2008: Uomini contro, Francesco Rosi, 1970
General Leone schickt eine Gruppe von Soldaten in seltsamen Metallürstungen in Richtung gegnerische Front. In der Hand tragen sie Scheren, mit welcher sie Stacheldrahtbarrieren durchtrennen sollen. Wie Ritter aus Monty-Phyton Filmen sehen die italienischen Soldaten aus, oder wie Roboter aus 50er Jahre Science-Fiction-Trash. Im ersten Weltkrieg, in welchem diese Szene spielt, sind sie auf jeden Fall fehl am Platz und werden von den österreichischen Maschinengewehren humorlos niedergemäht.
Uomini contro, obwohl ein sehr interessantes Werk, gehört wahrscheinlich nicht zu den allerbesten Arbeiten Rosis. Zu sehr verpflichtet sich der Film den Genreregeln des Kriegsfilms, als dass ihm so tiefgreifende Machtanalysen und Gesellschaftspanoramen gelingen könnten, wie ich sie in den letzten Tagen in Lucky Luciano und Le mani sulla citta bewunderte und wie sie Ekkehard hier beschreibt. Uomini contro scheint auf eine eher klassisch allegorische Lesart abzuzielen (für eine klassisch marxistische Interpretation siehe den recht seltsamen deutschen Wikipedia-Eintrag zum Film): Die Post-68 Depression der italienischen Linken spiegelt sich in den verzweifelten Versuchen einzelner Offiziere, Widerstand gegen Leone zu organisieren.
Der genuine Sozialrevolutionär scheitert früh und mit ihm der Versuch eines direkten, nicht vermittelten Angriffs auf den General. Offizier Sassu, ein deutlich weniger ambitionierter Widerständler, hegt keine gesamtgesellschaftlichen Ambitionen und möchte Leone nicht eigenhändig, sondern mithilfe von List und den hilfreichen Österreichern beseitigen. Spontane revolutionäre Gesten lehnt der intellektuelle Sassu als unproduktiv und unrealistisch ab und probt mit seinen Kameraden statt dessen das richtige Leben im falschen. Unter anderem: Rotwein. Kann natürlich nicht gutgehen, klar.
Interessanter als die allzu schematische Politallegorie sind Nebenlinien: Unter ihnen vor allem die ideologische Spaltung der Führungsriege: Auf der einen Seite der traditionalistische Leone, ein Rassist und Nationalist der alten Schule, voller Pathos und Glaube an die feinen Unterschiede. Auf der anderen Seite ein durchgeknallter aber effektiver Faschist, ein Mann der neuen Zeit, für den Hierarchie nicht ein fein austariertes System geringfügiger Abweichungen darstellt, sondern ausschließlich den simplen Unterschied zwischen Herrscher und Untermensch sicherzustellen hat.
Zu untersuchen wäre ferner die Rolle des Zooms bei Rosi: Alle drei Filme, die ich bislang gesehen haben, setzen diese Technik vehement ein, Le mani sulla citta noch am wenigsten, Lucky Luciano am intensivsten. Der verwirrendste Zoom in Uomini contro findet sich in der letzten Einstellung, wobei mir unklar bleibt, ob die Verwirrung auf den Film selbst, oder nur auf die Aufführungskopie zurückzuführen ist: Zu sehen ist eine gewaltige Stein / Lehmmauer, irgendwann beginnt ein schneller Zoom auf die Mauer hin. Nach wenigen Sekunden und mitten im Zoom, der auf nichts bestimmtes hinaus will und die Mauer bereits in eine abstrakte bräunlich-graue Fläche verwandelt hat, wird die Leinwand scharz. Der Film ist zu ende.
Uomini contro, obwohl ein sehr interessantes Werk, gehört wahrscheinlich nicht zu den allerbesten Arbeiten Rosis. Zu sehr verpflichtet sich der Film den Genreregeln des Kriegsfilms, als dass ihm so tiefgreifende Machtanalysen und Gesellschaftspanoramen gelingen könnten, wie ich sie in den letzten Tagen in Lucky Luciano und Le mani sulla citta bewunderte und wie sie Ekkehard hier beschreibt. Uomini contro scheint auf eine eher klassisch allegorische Lesart abzuzielen (für eine klassisch marxistische Interpretation siehe den recht seltsamen deutschen Wikipedia-Eintrag zum Film): Die Post-68 Depression der italienischen Linken spiegelt sich in den verzweifelten Versuchen einzelner Offiziere, Widerstand gegen Leone zu organisieren.
Der genuine Sozialrevolutionär scheitert früh und mit ihm der Versuch eines direkten, nicht vermittelten Angriffs auf den General. Offizier Sassu, ein deutlich weniger ambitionierter Widerständler, hegt keine gesamtgesellschaftlichen Ambitionen und möchte Leone nicht eigenhändig, sondern mithilfe von List und den hilfreichen Österreichern beseitigen. Spontane revolutionäre Gesten lehnt der intellektuelle Sassu als unproduktiv und unrealistisch ab und probt mit seinen Kameraden statt dessen das richtige Leben im falschen. Unter anderem: Rotwein. Kann natürlich nicht gutgehen, klar.
Interessanter als die allzu schematische Politallegorie sind Nebenlinien: Unter ihnen vor allem die ideologische Spaltung der Führungsriege: Auf der einen Seite der traditionalistische Leone, ein Rassist und Nationalist der alten Schule, voller Pathos und Glaube an die feinen Unterschiede. Auf der anderen Seite ein durchgeknallter aber effektiver Faschist, ein Mann der neuen Zeit, für den Hierarchie nicht ein fein austariertes System geringfügiger Abweichungen darstellt, sondern ausschließlich den simplen Unterschied zwischen Herrscher und Untermensch sicherzustellen hat.
Zu untersuchen wäre ferner die Rolle des Zooms bei Rosi: Alle drei Filme, die ich bislang gesehen haben, setzen diese Technik vehement ein, Le mani sulla citta noch am wenigsten, Lucky Luciano am intensivsten. Der verwirrendste Zoom in Uomini contro findet sich in der letzten Einstellung, wobei mir unklar bleibt, ob die Verwirrung auf den Film selbst, oder nur auf die Aufführungskopie zurückzuführen ist: Zu sehen ist eine gewaltige Stein / Lehmmauer, irgendwann beginnt ein schneller Zoom auf die Mauer hin. Nach wenigen Sekunden und mitten im Zoom, der auf nichts bestimmtes hinaus will und die Mauer bereits in eine abstrakte bräunlich-graue Fläche verwandelt hat, wird die Leinwand scharz. Der Film ist zu ende.
Labels:
Berlinale,
Berlinale 2008,
Italien,
Rosi,
Uomini contro,
WW1
Wednesday, February 13, 2008
Berlinale 2008: Man jeuk / The Sparrow, Johnny To, 2008
The Sparrow ist reines Bewegungskino: Der Plot ist kein Plot im Sinne von ausformulierten Charakteren mit in der sozialen Wirklichkeit verankerten Zielen und ihren Schwierigkeiten, diese zu beseitigen, sondern eine abstrakte Figurenkonstellation, die von To mal auf die eine, mal auf die andere Art verknüpft und kurz angestoßen wird: Hier ein Windhauch, der den Luftballon in die falsche Richtung weht (die beste Luftballonszene findet allerdings innerhalb eines Fahrstuhls statt), da ein als Frau gekleideter Gangster, der Simon Yam in die falsche Gasse lockt: Eine Bewegungskaskade bringt die nächste hervor, alle zehn Minuten werden die Karten neu gemischt: Nächste Versuchsanordnung, diesmal alle mit Verband.
Leicht komödiantisch und stark fetischisiert kommt alles daher, was To in The Sparrow präsentiert. Doch selbst die Frau-mit-Zigarette Nummer im Cabrio samt Weichzeichner und Lippenstiftspuren auf der Zigarette (ein Film gegen das Rauchverbot, genau wie Hong Sang-soos neues Masterpiece Night and Day) ist nicht aufdringlich. Vor allem der jazzige, beschwingte Soundtrack verhindert ein allzu rührseliges Schwelgen im Melokitschzitat des klassischen Hollywood-, beziehungsweise Frühneunziger-Hongkongkinos. In The Sparrow ersetzt Musik Sprache, Rhythmus wird Ausdruck. Der Film ist über weite Strecken dialogfrei, Sprache ist wenn überhaupt comic relief, die Bilder selbst könnten fast vollständig auf sie verzichten.
The Sparrow ist Johnny To at his most formalistic. Quasiabstraktes Kino in Hochglanzbildern und in einer echten Stadt, die wieder mal so eindeutig und unverkennbar Hongkong ist, wie nicht einmal New York in New-York-Filmen New York ist. Um so verwunderlicher bei aller Abstraktion und scheinbarer Selbstgenügsamkeit, dass der Mac Guffin kein Mac Guffin ist, sondern ein ganz realer Reisepass, der über Lebensglück oder -elend einer ganz realen Frau entscheidet, die von einem ganz realen dirty old man ausgebeutet wird.
Natürlich ist The Sparrow, ein im Kontext von Tos Gesamtwerk eher kleiner, im Kontext der Berlinale jedoch fast übermenschlich großer Streifen, dadurch noch lange kein politischer Film (im Sinne von Rosis Lucky Luciano meinetwegen). Aber er ist eben auch kein "politischer Film". Und hat deshalb nicht die geringste Chance auf den goldenen Bären (noch geringfügig weniger sogar als der beste neue Film des Festivals, Hong Sang-soos oben erwähnter Night and Day).
Leicht komödiantisch und stark fetischisiert kommt alles daher, was To in The Sparrow präsentiert. Doch selbst die Frau-mit-Zigarette Nummer im Cabrio samt Weichzeichner und Lippenstiftspuren auf der Zigarette (ein Film gegen das Rauchverbot, genau wie Hong Sang-soos neues Masterpiece Night and Day) ist nicht aufdringlich. Vor allem der jazzige, beschwingte Soundtrack verhindert ein allzu rührseliges Schwelgen im Melokitschzitat des klassischen Hollywood-, beziehungsweise Frühneunziger-Hongkongkinos. In The Sparrow ersetzt Musik Sprache, Rhythmus wird Ausdruck. Der Film ist über weite Strecken dialogfrei, Sprache ist wenn überhaupt comic relief, die Bilder selbst könnten fast vollständig auf sie verzichten.
The Sparrow ist Johnny To at his most formalistic. Quasiabstraktes Kino in Hochglanzbildern und in einer echten Stadt, die wieder mal so eindeutig und unverkennbar Hongkong ist, wie nicht einmal New York in New-York-Filmen New York ist. Um so verwunderlicher bei aller Abstraktion und scheinbarer Selbstgenügsamkeit, dass der Mac Guffin kein Mac Guffin ist, sondern ein ganz realer Reisepass, der über Lebensglück oder -elend einer ganz realen Frau entscheidet, die von einem ganz realen dirty old man ausgebeutet wird.
Natürlich ist The Sparrow, ein im Kontext von Tos Gesamtwerk eher kleiner, im Kontext der Berlinale jedoch fast übermenschlich großer Streifen, dadurch noch lange kein politischer Film (im Sinne von Rosis Lucky Luciano meinetwegen). Aber er ist eben auch kein "politischer Film". Und hat deshalb nicht die geringste Chance auf den goldenen Bären (noch geringfügig weniger sogar als der beste neue Film des Festivals, Hong Sang-soos oben erwähnter Night and Day).
Labels:
Berlinale,
Berlinale 2008,
Formalismus,
Gangsterfilm,
Hongkong,
Sparrow,
To
Tuesday, February 12, 2008
Subida al cielo / Ascent to Heaven, Luis Bunuel, 1952
Ein chaotischer, wunderbarer Film von Bunuel. Gleichermaßen weit entfernt vom avantgardistischen Früh- wie vom aufwändig produzierten Spätwerk, ein kleiner Film mitten im populären Kino. Die Autorenambition scheint am Rande durch, in kleinen Details, zu surrealistischen Höhen schwingt Bunuel sich nur einmal, anlässlich einer Traumsequenz, auf.
Ansonsten herrscht kreatives Chaos. Mit Betonung auf Chaos: Vom exotischen Dokudrama, welches der einführende Off-Kommentar verspricht, ist weit und breit keine Spur. Auch das noirige Familienmelo der ersten Viertelstunde verläuft bald im Nichts, beziehungsweise in einer Busfahrt.
Diese macht den Hauptteil des Films aus. Eine Horde wild zusammengewürfelter Gestalten fährt in einem klapprigen Gefährt durch Mexiko. Wer warum wohin will, ist von Anfang an mehr als unklar. Und so verwundert es nicht, dass so gut wie niemand irgendwo ankommt. Nicht einmal der Busfahrer. Der lädt statt dessen seine gesamten Fahrgäste auf die Geburtstagsfeier seiner Mutter ein. Außerdem mit von der Partie: Eine Femme Fatale, die die frisch verheiratete Hauptfigur verführt (was auch niemand wirklich stört, der Held runzelt ein paarmal gequält die Stirn beim Geanken an seine Untreue, als er am Ende wieder nach hause kommt, fällt er dennoch sofort seiner Frau in die Arme), ein wahrscheinlich korrupter und noch wahrscheinlicher reaktionärer Politiker, der einen Traktor mit vorgehaltener Waffe entführt, ein Mann mit Holzbein, über den sich alle lustig machen, als dieses im Schlamm stecken bleibt, Kinder, die über das Holzbein stolpern, Schafe, die über die Kinder stolpern, eine Gruppe Touristen, die eine authentische Siesta erleben möchten und natürlich sofort zu Objekten der Begierde der Femme Fatale werden.
Noch jede Idee bleibt auf halbem Weg stecken, die Abenteuerfilmelemente (Blitz und Donner während der Busfahrt) meint Bunuel noch weniger ernst als alles andere. Doch all die kleinen, nicht auch nur halbwegs ausformulierten Ideen ergeben in ihrer Gesamtheit durchaus einen großen Film.
Ansonsten herrscht kreatives Chaos. Mit Betonung auf Chaos: Vom exotischen Dokudrama, welches der einführende Off-Kommentar verspricht, ist weit und breit keine Spur. Auch das noirige Familienmelo der ersten Viertelstunde verläuft bald im Nichts, beziehungsweise in einer Busfahrt.
Diese macht den Hauptteil des Films aus. Eine Horde wild zusammengewürfelter Gestalten fährt in einem klapprigen Gefährt durch Mexiko. Wer warum wohin will, ist von Anfang an mehr als unklar. Und so verwundert es nicht, dass so gut wie niemand irgendwo ankommt. Nicht einmal der Busfahrer. Der lädt statt dessen seine gesamten Fahrgäste auf die Geburtstagsfeier seiner Mutter ein. Außerdem mit von der Partie: Eine Femme Fatale, die die frisch verheiratete Hauptfigur verführt (was auch niemand wirklich stört, der Held runzelt ein paarmal gequält die Stirn beim Geanken an seine Untreue, als er am Ende wieder nach hause kommt, fällt er dennoch sofort seiner Frau in die Arme), ein wahrscheinlich korrupter und noch wahrscheinlicher reaktionärer Politiker, der einen Traktor mit vorgehaltener Waffe entführt, ein Mann mit Holzbein, über den sich alle lustig machen, als dieses im Schlamm stecken bleibt, Kinder, die über das Holzbein stolpern, Schafe, die über die Kinder stolpern, eine Gruppe Touristen, die eine authentische Siesta erleben möchten und natürlich sofort zu Objekten der Begierde der Femme Fatale werden.
Noch jede Idee bleibt auf halbem Weg stecken, die Abenteuerfilmelemente (Blitz und Donner während der Busfahrt) meint Bunuel noch weniger ernst als alles andere. Doch all die kleinen, nicht auch nur halbwegs ausformulierten Ideen ergeben in ihrer Gesamtheit durchaus einen großen Film.
Labels:
Berlinale,
Berlinale 2008,
Bunuel,
Mexiko,
Road Movie,
Subida al cielo,
Tiere
Monday, February 11, 2008
Nacht vor Augen, Brigitte Bertele, 2008
Viel geredet wird über die Schwäche des deutschen Kinos auf der Berlinale 2008. Vielleicht nicht zu Unrecht: Wenn sogar das ansonsten in diesem Bereich geschmackssichere Forum als einzigen deutschen Spielfilm Nacht vor Augen auswählt, kann der 2008er Jahrgang kein guter sein.
Hanno Koffler spielt David. David war in Afghanistan. Jetzt ist er traumatisiert, weil dort etwas mit einem kleinen Jungen passiert ist. Der Film weiß nicht genau, ob er uns zeigen möchte, was. Und vor allem nicht, wie er das zeigen möchte, von dem er noch nicht mal weiß, ob er es überhaupt zeigen möchte. Einerseits möchte Nacht vor Augen lieber ernsthafte Psychotherapie betreiben. das heißt: Traumakrankheitsbilder medizinisch korrekt entwickeln. Andererseits sehen flashige Alptraumsequenzen aber doch zu sexy aus, als dass man darauf verzichten mag.
Hölzern kommt Berteles Film daher. Schuld daran ist weniger Kofler, als was um ihn herum geschieht und konstruiert wird. Davids Psychosen sind teilweise nett anzusehen, vor allem, wenn sie sich gegen seinen kleinen, doofen Bruder Benny richten. Schlimm wird es eigentlich nur dann, wenn die Gründe für sein Verhalten seziert werden. Sonst könnte er als ein Held der Berliner Schule durchgehen. Vom Held aus Bungalow unterscheidet ihn zuallererst, dass er Gründe hat. Beziehungsweise, dass der Film behauptet, sie zu kennen. Und auch darstellen zu können. Da fängt das ganze Unheil an.
Hanno Koffler spielt David. David war in Afghanistan. Jetzt ist er traumatisiert, weil dort etwas mit einem kleinen Jungen passiert ist. Der Film weiß nicht genau, ob er uns zeigen möchte, was. Und vor allem nicht, wie er das zeigen möchte, von dem er noch nicht mal weiß, ob er es überhaupt zeigen möchte. Einerseits möchte Nacht vor Augen lieber ernsthafte Psychotherapie betreiben. das heißt: Traumakrankheitsbilder medizinisch korrekt entwickeln. Andererseits sehen flashige Alptraumsequenzen aber doch zu sexy aus, als dass man darauf verzichten mag.
Hölzern kommt Berteles Film daher. Schuld daran ist weniger Kofler, als was um ihn herum geschieht und konstruiert wird. Davids Psychosen sind teilweise nett anzusehen, vor allem, wenn sie sich gegen seinen kleinen, doofen Bruder Benny richten. Schlimm wird es eigentlich nur dann, wenn die Gründe für sein Verhalten seziert werden. Sonst könnte er als ein Held der Berliner Schule durchgehen. Vom Held aus Bungalow unterscheidet ihn zuallererst, dass er Gründe hat. Beziehungsweise, dass der Film behauptet, sie zu kennen. Und auch darstellen zu können. Da fängt das ganze Unheil an.
Berlinale 2008: Panasiatisches Kunstkino
Zou you /In Love We Trust, Wang Xiao Shuai, 2008
Wonderful Town, Aditya Assarat, 2008
Sweet Food City, Gao Wendong, 2008
Die Kamera bewegt sich selten, die Einstellungen sind lang, wenn Musik, dann Klaviermusik, erzählt wird tendenziell weniger als anderswo.
Die Vorbilder sind deutlich erkennbar: Hou Hsiao-hsien für Zou you (aber nur stilistisch, seine Geschichte rollt Wang Xiao Shuai ohne die Houschen Aussetzer und Ellipsen ab), Wong Kar Wai für Wonderful Town, Tsai Ming Liang für Sweet Food City. Innerhalb des (süd)ostasiatischen Kunstfilms haben sich verschiedene Archetypen herausgebildet, die endlos variiert werden können.
Zou You ist ein Wettbewerbsfilm. Und zwar nicht nur, weil er im Wettbewerb läuft, weil Kosslick ihn während seiner äußerst tiefschürfenden Recherchen im Bereich des asiatischen Autorenfilms ausfindig gemacht hat. Nein, Zou you wurde von Anfang an für diesen Wettbewerb geschrieben und gedreht. Oder wenn nicht für diesen, dann für den in Locarno oder San Sebastian (für Venedig oder Cannes ist er denn doch zu schlecht). Klar, das gilt prinzipiell für viele, wenn nicht gar für alle Filme des Programms: Der Festivalbetrieb wählt seine Filme nicht aus einem außerhalb seiner selbst existierenden Filmmarkt, sondern produziert diesen selbst, teils direkt, teils und weitaus effektiver indirekt. Dennoch addressiert Zou you die Programmkommission als anvisiertes Publikum noch deutlicher als die meisten anderen Wettbewerbsfilme der letzten Jahre, die ich gesehen habe. Pitch: World Cinema light. In diesem Fall wie bereits angedeutet und wie Wang Xiao Shuai es bereits mit Drifters einstudiert hat: Hou Hsiao-hsien light. Die Bilder sind streng komponiert, teilweise schön in die Tiefe gestaffelt, Kamerabewegungen werden spärlich, dann aber effizient eingesetzt. Freilich: In den dramatischen Momenten gibt's dann trotzdem Schuss/Gegenschuss.
Narrativ betrachtet ist Zou you leicht formalisierter Arthausproblemsozialkitsch: Wörtlich übersetzt heißt "Zou you" "Rechts Links", eine Familie rechts, eine links, das Mädchen, um dessen Krankheit es geht, hat ein Zöpfchen rechts, eines links, ein biologisches Elternteil in der rechten, eines in der linken Familie, aus medizinischen Gründen sollen sich die beiden noch einmal sexuell vereinigen (zwecks Erzeugung eines Stammzellenliefernates für das Zopfmädchen), das führt zu Ehekrach rechts und Ehekrach links, vor allem nachdem die künstliche Befruchtung scheitert. Zwischendrin erklärt eine Figur der anderen die chinesische Zweikindpolitik. Die weiß natürlich bereits Bescheid also erklärt eigentlich eine Figur dem Publikum die chinesische Zweikindpolitik. Noch genauer: Der Film erklärt der Programmkommision, dass er irgendwie auch politisch ist. Hou Hsiao-hsien würde einen solchen Stoff natürlich nie anfassen, bei Alain Resnais wäre daraus ein Masterpiece geworden. Bei Wang Xiao Shuai erfüllt sich der Zweck des Films mit der Einladung zum Berlinalewettbewerb und werweiß dem Preis irgendeiner ökumenischen Jury. Mehr gibt es für einen solchen Film nicht zu hoffen, mehr verlangt er auch nicht.
Wonderful Town hat es nur ins Forum geschafft. Wahrscheinlich, weil es sich um einen Debutfilm handelt. Auch Aditya Assarat hält sich an die Regeln. Und zwar an die von Wong Kar Wai. Beziehungsweise an die von Christopher Doyle. Langsam schwebende Kamerafahrten, liebliche Farbtöne, dünne Mädchen, die neben flatternden Vorhängen auf dem Bett liegen. Irgendwo ist ein Geisterhaus, das macht kurz Hoffnung, spielt dann aber keine große Rolle. Statt dessen bittersüße Liebesgeschichte, bittersüße Liebesgeschichtebilder, bittersüße Liebesgeschichtebilderbegleitmusik.
Technisch ist das sehr ansehnlich und da die Narration wie bei Wong Kar Wai nicht allzu aufdringlich ist, gefällt Wonderful Town besser als Zou you. Schön ist eine Sequenz, in der die lokalen Dorfprolls die Liebenden während einer Autofahrt traktieren. Die Kamera schwebt mit dem fahrenden Auto und teilt die Verunsicherung dessen Insassen. Schön ist auch das brutale Finale, welches dann doch nicht mehr ganz im Genre aufgeht. Das letzte Bild ist dann wieder Kinopoesie der schrecklicheren Art: Zwei rosa gekleidete Kinderballerinas tanzen auf einer Steinmauer.
Auch Sweet Food City läuft im Forum. Im Gegensatz zu Wonderful Town kann ein solcher Film auch nur dort laufen. Gefühlte 10 Minuten dauert eine starre Einstellung, die im Vordergrund einen Müllsammler zeigt, der im auf der Straße liegenden Abfall wühlt. Narrativ von Interesse ist eine andere Figur, im Hintergrund. Erst sitzt sie ein paar Minuten schweigend auf einer Treppe, dann führt sie ein kurzes Telefongespräch, das so gut wie keine Informationen bietet, dann bleibt sie noch ein wenig sitzen, schließlich steht sie auf und geht. Die Einstellung ist jedoch erst zu Ende, nachdem der Müllsammler das Bild verlassen hat.
Sweet Food City ist ein guter Film und orientiert sich an Tsai Ming Liang, an seiner Art, Bilder zu komponieren, wie auch an seinem Erzählstil, an einer narrativen Logik, die auf die Fähigkeit des Publikums setzt, Lücken selbstständig zu füllen. World Cinema heavy. Dabei deutlich stärker als Tsai Ming Liang Realismusdiskursen verhaftet. Sweet Food City ist nicht emphatisches nothing happens. Zumindest nicht nur. Meist gibt es in den szenischen Panoramen der vor sich hin gammelnden Stadt Interessantes zu beobachten. Das soziale Leben im Zustand seines Verfalls, denkbar weit entfernt von Jia Zhang-kes im Vergleich vitalistischen Gewusel in Still Life. Architektur im Zustand ihres Zerfalls, die Häuser brechen auf, die Kamera entfernt sich und betrachtet sie von weitem. Auf mehreren Etagen dieser Ruinen organisiert eine Art Ersatzleben, ganz ähnliche Bilder findet Sweet Food City hier wie Rithy Panhs Les artistes du Theatre Brule.
Dazwischen entwickelt sich irgendwo eine Geschichte. Erst fast gar nicht, nicht einmal deren Exposition kommt weiter als zur Klärung, dass eine Figur der Onkel einer anderen ist und eine Dritte wohl als Prostituierte arbeitet. Wenn die Geschichte dann in Schwung kommt, tut sie das zwischen den Bildern und zwar so schnell, dass die Bilder selbst gar nicht mehr hinterherkommen und das auch schnell wieder aufgeben. Dann schauen die Figuren lieber Filme von Bergman, Antonioni und Edward Yang. Dazwischen auch mal Hongkong-Trash. Gewidmet ist der Film aber natürlich nicht Godfrey Ho, sondern Antonioni, Bergman und Yang. Das sorgt für Erheiterung im Publikum. Warum eigentlich?
Wonderful Town, Aditya Assarat, 2008
Sweet Food City, Gao Wendong, 2008
Die Kamera bewegt sich selten, die Einstellungen sind lang, wenn Musik, dann Klaviermusik, erzählt wird tendenziell weniger als anderswo.
Die Vorbilder sind deutlich erkennbar: Hou Hsiao-hsien für Zou you (aber nur stilistisch, seine Geschichte rollt Wang Xiao Shuai ohne die Houschen Aussetzer und Ellipsen ab), Wong Kar Wai für Wonderful Town, Tsai Ming Liang für Sweet Food City. Innerhalb des (süd)ostasiatischen Kunstfilms haben sich verschiedene Archetypen herausgebildet, die endlos variiert werden können.
Zou You ist ein Wettbewerbsfilm. Und zwar nicht nur, weil er im Wettbewerb läuft, weil Kosslick ihn während seiner äußerst tiefschürfenden Recherchen im Bereich des asiatischen Autorenfilms ausfindig gemacht hat. Nein, Zou you wurde von Anfang an für diesen Wettbewerb geschrieben und gedreht. Oder wenn nicht für diesen, dann für den in Locarno oder San Sebastian (für Venedig oder Cannes ist er denn doch zu schlecht). Klar, das gilt prinzipiell für viele, wenn nicht gar für alle Filme des Programms: Der Festivalbetrieb wählt seine Filme nicht aus einem außerhalb seiner selbst existierenden Filmmarkt, sondern produziert diesen selbst, teils direkt, teils und weitaus effektiver indirekt. Dennoch addressiert Zou you die Programmkommission als anvisiertes Publikum noch deutlicher als die meisten anderen Wettbewerbsfilme der letzten Jahre, die ich gesehen habe. Pitch: World Cinema light. In diesem Fall wie bereits angedeutet und wie Wang Xiao Shuai es bereits mit Drifters einstudiert hat: Hou Hsiao-hsien light. Die Bilder sind streng komponiert, teilweise schön in die Tiefe gestaffelt, Kamerabewegungen werden spärlich, dann aber effizient eingesetzt. Freilich: In den dramatischen Momenten gibt's dann trotzdem Schuss/Gegenschuss.
Narrativ betrachtet ist Zou you leicht formalisierter Arthausproblemsozialkitsch: Wörtlich übersetzt heißt "Zou you" "Rechts Links", eine Familie rechts, eine links, das Mädchen, um dessen Krankheit es geht, hat ein Zöpfchen rechts, eines links, ein biologisches Elternteil in der rechten, eines in der linken Familie, aus medizinischen Gründen sollen sich die beiden noch einmal sexuell vereinigen (zwecks Erzeugung eines Stammzellenliefernates für das Zopfmädchen), das führt zu Ehekrach rechts und Ehekrach links, vor allem nachdem die künstliche Befruchtung scheitert. Zwischendrin erklärt eine Figur der anderen die chinesische Zweikindpolitik. Die weiß natürlich bereits Bescheid also erklärt eigentlich eine Figur dem Publikum die chinesische Zweikindpolitik. Noch genauer: Der Film erklärt der Programmkommision, dass er irgendwie auch politisch ist. Hou Hsiao-hsien würde einen solchen Stoff natürlich nie anfassen, bei Alain Resnais wäre daraus ein Masterpiece geworden. Bei Wang Xiao Shuai erfüllt sich der Zweck des Films mit der Einladung zum Berlinalewettbewerb und werweiß dem Preis irgendeiner ökumenischen Jury. Mehr gibt es für einen solchen Film nicht zu hoffen, mehr verlangt er auch nicht.
Wonderful Town hat es nur ins Forum geschafft. Wahrscheinlich, weil es sich um einen Debutfilm handelt. Auch Aditya Assarat hält sich an die Regeln. Und zwar an die von Wong Kar Wai. Beziehungsweise an die von Christopher Doyle. Langsam schwebende Kamerafahrten, liebliche Farbtöne, dünne Mädchen, die neben flatternden Vorhängen auf dem Bett liegen. Irgendwo ist ein Geisterhaus, das macht kurz Hoffnung, spielt dann aber keine große Rolle. Statt dessen bittersüße Liebesgeschichte, bittersüße Liebesgeschichtebilder, bittersüße Liebesgeschichtebilderbegleitmusik.
Technisch ist das sehr ansehnlich und da die Narration wie bei Wong Kar Wai nicht allzu aufdringlich ist, gefällt Wonderful Town besser als Zou you. Schön ist eine Sequenz, in der die lokalen Dorfprolls die Liebenden während einer Autofahrt traktieren. Die Kamera schwebt mit dem fahrenden Auto und teilt die Verunsicherung dessen Insassen. Schön ist auch das brutale Finale, welches dann doch nicht mehr ganz im Genre aufgeht. Das letzte Bild ist dann wieder Kinopoesie der schrecklicheren Art: Zwei rosa gekleidete Kinderballerinas tanzen auf einer Steinmauer.
Auch Sweet Food City läuft im Forum. Im Gegensatz zu Wonderful Town kann ein solcher Film auch nur dort laufen. Gefühlte 10 Minuten dauert eine starre Einstellung, die im Vordergrund einen Müllsammler zeigt, der im auf der Straße liegenden Abfall wühlt. Narrativ von Interesse ist eine andere Figur, im Hintergrund. Erst sitzt sie ein paar Minuten schweigend auf einer Treppe, dann führt sie ein kurzes Telefongespräch, das so gut wie keine Informationen bietet, dann bleibt sie noch ein wenig sitzen, schließlich steht sie auf und geht. Die Einstellung ist jedoch erst zu Ende, nachdem der Müllsammler das Bild verlassen hat.
Sweet Food City ist ein guter Film und orientiert sich an Tsai Ming Liang, an seiner Art, Bilder zu komponieren, wie auch an seinem Erzählstil, an einer narrativen Logik, die auf die Fähigkeit des Publikums setzt, Lücken selbstständig zu füllen. World Cinema heavy. Dabei deutlich stärker als Tsai Ming Liang Realismusdiskursen verhaftet. Sweet Food City ist nicht emphatisches nothing happens. Zumindest nicht nur. Meist gibt es in den szenischen Panoramen der vor sich hin gammelnden Stadt Interessantes zu beobachten. Das soziale Leben im Zustand seines Verfalls, denkbar weit entfernt von Jia Zhang-kes im Vergleich vitalistischen Gewusel in Still Life. Architektur im Zustand ihres Zerfalls, die Häuser brechen auf, die Kamera entfernt sich und betrachtet sie von weitem. Auf mehreren Etagen dieser Ruinen organisiert eine Art Ersatzleben, ganz ähnliche Bilder findet Sweet Food City hier wie Rithy Panhs Les artistes du Theatre Brule.
Dazwischen entwickelt sich irgendwo eine Geschichte. Erst fast gar nicht, nicht einmal deren Exposition kommt weiter als zur Klärung, dass eine Figur der Onkel einer anderen ist und eine Dritte wohl als Prostituierte arbeitet. Wenn die Geschichte dann in Schwung kommt, tut sie das zwischen den Bildern und zwar so schnell, dass die Bilder selbst gar nicht mehr hinterherkommen und das auch schnell wieder aufgeben. Dann schauen die Figuren lieber Filme von Bergman, Antonioni und Edward Yang. Dazwischen auch mal Hongkong-Trash. Gewidmet ist der Film aber natürlich nicht Godfrey Ho, sondern Antonioni, Bergman und Yang. Das sorgt für Erheiterung im Publikum. Warum eigentlich?
Sunday, February 10, 2008
Berlinale 2008: My Brother's Wedding, Charles Burnett, 1983
My Brother's Wedding ist der einzige Film, den Charles Burnett in den Achtziger Jahren verwirklichen konnte. Sieben lange Jahre verstrichen anschließend bis zu seinem Masterpiece To Sleep with Anger. Nur 81 Minuten Film konnte Burnett in einem ganzen Jahrzehnt realisieren. Doch diese 81 Minuten gehören zum großartigsten, was ich in diesem Jahr im Kino gesehen habe.
Wie in Burnetts Debutfilm Killer of Sheep (meinem Lieblingsfilm der letzten Berlinale) geht es um männlische afroamerikanische Subjektivität. Allerdings unternimmt der Regisseur nicht mehr den Versuch, diese quasi unvermittelt, via lyrischen, quasidokumentarischen Alltagsbeobachtungen und einer Third-Cinema-Ästhetik festzuhalten. Statt dessen wagt sich My Brother's Wedding an die Narration.
In mancher Hinsicht liegt der Film nicht nur zeitlich genau zwischen Killer of Sheep und To Sleep With Anger: Die poetische Introspektion weicht langsam der Gesellschaftsanalyse, im Zentrum steht aber weiterhin der Protagonist der ersteren. In einem ansonsten oft rührend unbeholfen wirkenden, dabei jedoch perfekt in Szene gesetzten Cast ist Everett Silas als Pierce eine kleine Offenbarung. Wie Henry G. Sanders in Killer of Sheep (und wie John Anderson in Haile Gerimas Ashes and Embers) reagiert Silas auf das soziopolitische Spannungsfeld, welches ihn umgibt, tendenziell resigiert und destruktiv. Die Arbeit im Reinigungsbetrieb der Eltern ist für ihn nützlich als Proletarierinszenierung, Zeit für kleine Flirts mit der (deutlich zu) jungen Nachbarstochter bleibt immer.
Verhandelt wird der Klassengegensatz innerhalb der schwarzen Bevölkerung der USA, der mit den Nachwirkungen der Politisierung der Sechziger und Siebziger Jahre ebenso kollidiert, wie mit traditionelleren, von Religiosität bestimmten, Lebensweisen.
Sichtbar wird jedoch noch viel mehr: Immer wieder bricht der Film auseinander, kleine Erzählungen treten herein und werden wieder fallengelassen. Pierces kleinkrimineller Kumpel spielt ein bisschen Blaxploitation und verrennt sich dabei in Windeseile, Pierces mutter verjagt unentschlossene Gangster aus der Reinigung, Pierces Oma schimpft über den teuflischen Fernsehapparat: In 81 Minuten erschafft Burnett erschafft Burnett mit einfachen, effektiven Mitteln einen ungemein umfassenden Blick auf die Gesellschaft, gegen den sich Hollywoods Sozialbehauptungen a la The Ice Storm erbärmlich ausmachen.
Weiterhin: Die Musik ist großartig. Das Schlussbild auch.
Wie in Burnetts Debutfilm Killer of Sheep (meinem Lieblingsfilm der letzten Berlinale) geht es um männlische afroamerikanische Subjektivität. Allerdings unternimmt der Regisseur nicht mehr den Versuch, diese quasi unvermittelt, via lyrischen, quasidokumentarischen Alltagsbeobachtungen und einer Third-Cinema-Ästhetik festzuhalten. Statt dessen wagt sich My Brother's Wedding an die Narration.
In mancher Hinsicht liegt der Film nicht nur zeitlich genau zwischen Killer of Sheep und To Sleep With Anger: Die poetische Introspektion weicht langsam der Gesellschaftsanalyse, im Zentrum steht aber weiterhin der Protagonist der ersteren. In einem ansonsten oft rührend unbeholfen wirkenden, dabei jedoch perfekt in Szene gesetzten Cast ist Everett Silas als Pierce eine kleine Offenbarung. Wie Henry G. Sanders in Killer of Sheep (und wie John Anderson in Haile Gerimas Ashes and Embers) reagiert Silas auf das soziopolitische Spannungsfeld, welches ihn umgibt, tendenziell resigiert und destruktiv. Die Arbeit im Reinigungsbetrieb der Eltern ist für ihn nützlich als Proletarierinszenierung, Zeit für kleine Flirts mit der (deutlich zu) jungen Nachbarstochter bleibt immer.
Verhandelt wird der Klassengegensatz innerhalb der schwarzen Bevölkerung der USA, der mit den Nachwirkungen der Politisierung der Sechziger und Siebziger Jahre ebenso kollidiert, wie mit traditionelleren, von Religiosität bestimmten, Lebensweisen.
Sichtbar wird jedoch noch viel mehr: Immer wieder bricht der Film auseinander, kleine Erzählungen treten herein und werden wieder fallengelassen. Pierces kleinkrimineller Kumpel spielt ein bisschen Blaxploitation und verrennt sich dabei in Windeseile, Pierces mutter verjagt unentschlossene Gangster aus der Reinigung, Pierces Oma schimpft über den teuflischen Fernsehapparat: In 81 Minuten erschafft Burnett erschafft Burnett mit einfachen, effektiven Mitteln einen ungemein umfassenden Blick auf die Gesellschaft, gegen den sich Hollywoods Sozialbehauptungen a la The Ice Storm erbärmlich ausmachen.
Weiterhin: Die Musik ist großartig. Das Schlussbild auch.
Saturday, February 09, 2008
There Will Be Blood, Paul Thomas Anderson, 2007
Das Kino wird wieder maskulin: Männer, die mit gezückter Waffe in die Dunkelheit gehen (We Own the Night), Männer, die im Badehaus in Blut und Schweiß baden (Eastern Promises). Und jetzt: Männer, die in Löcher steigen und sich im Schlamm wälzen.
There Will Be Blood beginnt großartig: Die Spätphase der Erschließung des amerikanischen Kontinents wird mit wiederkehrenden Motiven dargestellt: Immer wieder sucht man das Glück unter der Erde, immer wieder findet man da vor allem: Matsch und immer wieder kracht schließlich irgendwas von oben auf einen runter.
Begleitet wird dies von episch-atonalen Klängen, die die gesamte erste Stunde des Films prägen. Diese erste Stunde widmet sich neben den Löchern auch der Landschaft, in der gebuddelt wird. Die grandiosen Panoramaaufnahmen dieser ersten Stunde begnügen sich nicht damit, zu überwältigen (obwohl sie auch das tun), sie behalten auch stets ein verstörendes Moment durch die Tatsache, dass die menschlichen Landschafts-Aneignungsversuche sich oft recht hilflos ausmachen zwischen all dieser erdrückenden, aber auch leeren Natur. Stellenweise filmt Anderson Amerika so, als sei es ein Eintwicklungsland.
Die erste Stunde gipfelt in einer gigantischen Ölexplosion: Das Unterirdische kehrt sich nach außen, gebuddelt werden muss also im weiteren nicht mehr. Mit peitschender Musik unterlegt Anderson die Feuersbrunst. Eigentlich hätte der Film hier sein Ende finden sollen.
Leider folgt danach noch eine komplette Spielfilmlänge. Und je mehr Abstand ich zu diesem Nachklapp gewonnen habe, desto deutlicher wird mir: Dieser zweite, größere Filmabschnitt ist in der Tat ziemlich schlecht.
Hier setzt Daniel Day-Lewis zum konzentrierten Großangriff auf den Darsteller-Oskar an. Und Paul Dano auf den Nebendarsteller-Oskar. Und die Landschaft verschwindet zugunsten eines unzusammenhängenden Nebeneinanders von Szenen, die nur auf den Effekt hinprogrammiert erscheinen. Und der Haupteffekt soll eben der Oskargewinn Day Lewis' sein. Und der Nebeneffekt wahrscheinlich irgendein Kommentar zur Verstrickung von Religion, Amerika und Kapitalismus. Doch sobald dieser Kommentar sich von der Landschaft und den Löchern in der Erde löst, wird er zur bloßen Behauptung, die ihren einzigen Halt im exzentrischen Schauspiel der Figuren findet. Und also eigentlich gar keinen.
Auch ist der Film hier epigonal auf eine recht unerträgliche Weise. Am naheliegensten ist der Verweis auf Giant (ein weiteres um eine volle Spielfilmlänge zu lange geratenes Ölbohrerdrama), doch im weiteren finden sich mal mehr, mal weniger deutliche Anklänge an mindestens Citizen Kane, The Godfather, Brian dePalmas Scarface (dies besonders aufdringlich) und, worauf Thomas verweist, Clockwork Orange. Natürlich sind solche Bezüge unvermeidlich nach 113 Jahren Filmgeschichte. Ärgerlich ist nur, dass Anderson, anders als Ridley Scott in seinem tollen, gut sortierten American Gangster, alles auf einmal haben will: Zitatenspiel und größtmögliches Angeberepos, Mythendekonstruktion nach Art des Autorenfilms und Starsystem. Übrig bleibt dann erwartungsgemäß sehr wenig.
Und dabei ist die ersten Stunde des Films so großartig...
There Will Be Blood beginnt großartig: Die Spätphase der Erschließung des amerikanischen Kontinents wird mit wiederkehrenden Motiven dargestellt: Immer wieder sucht man das Glück unter der Erde, immer wieder findet man da vor allem: Matsch und immer wieder kracht schließlich irgendwas von oben auf einen runter.
Begleitet wird dies von episch-atonalen Klängen, die die gesamte erste Stunde des Films prägen. Diese erste Stunde widmet sich neben den Löchern auch der Landschaft, in der gebuddelt wird. Die grandiosen Panoramaaufnahmen dieser ersten Stunde begnügen sich nicht damit, zu überwältigen (obwohl sie auch das tun), sie behalten auch stets ein verstörendes Moment durch die Tatsache, dass die menschlichen Landschafts-Aneignungsversuche sich oft recht hilflos ausmachen zwischen all dieser erdrückenden, aber auch leeren Natur. Stellenweise filmt Anderson Amerika so, als sei es ein Eintwicklungsland.
Die erste Stunde gipfelt in einer gigantischen Ölexplosion: Das Unterirdische kehrt sich nach außen, gebuddelt werden muss also im weiteren nicht mehr. Mit peitschender Musik unterlegt Anderson die Feuersbrunst. Eigentlich hätte der Film hier sein Ende finden sollen.
Leider folgt danach noch eine komplette Spielfilmlänge. Und je mehr Abstand ich zu diesem Nachklapp gewonnen habe, desto deutlicher wird mir: Dieser zweite, größere Filmabschnitt ist in der Tat ziemlich schlecht.
Hier setzt Daniel Day-Lewis zum konzentrierten Großangriff auf den Darsteller-Oskar an. Und Paul Dano auf den Nebendarsteller-Oskar. Und die Landschaft verschwindet zugunsten eines unzusammenhängenden Nebeneinanders von Szenen, die nur auf den Effekt hinprogrammiert erscheinen. Und der Haupteffekt soll eben der Oskargewinn Day Lewis' sein. Und der Nebeneffekt wahrscheinlich irgendein Kommentar zur Verstrickung von Religion, Amerika und Kapitalismus. Doch sobald dieser Kommentar sich von der Landschaft und den Löchern in der Erde löst, wird er zur bloßen Behauptung, die ihren einzigen Halt im exzentrischen Schauspiel der Figuren findet. Und also eigentlich gar keinen.
Auch ist der Film hier epigonal auf eine recht unerträgliche Weise. Am naheliegensten ist der Verweis auf Giant (ein weiteres um eine volle Spielfilmlänge zu lange geratenes Ölbohrerdrama), doch im weiteren finden sich mal mehr, mal weniger deutliche Anklänge an mindestens Citizen Kane, The Godfather, Brian dePalmas Scarface (dies besonders aufdringlich) und, worauf Thomas verweist, Clockwork Orange. Natürlich sind solche Bezüge unvermeidlich nach 113 Jahren Filmgeschichte. Ärgerlich ist nur, dass Anderson, anders als Ridley Scott in seinem tollen, gut sortierten American Gangster, alles auf einmal haben will: Zitatenspiel und größtmögliches Angeberepos, Mythendekonstruktion nach Art des Autorenfilms und Starsystem. Übrig bleibt dann erwartungsgemäß sehr wenig.
Und dabei ist die ersten Stunde des Films so großartig...
Labels:
Berlinale,
Berlinale 2008,
Indiewood,
Industrie,
Method acting,
Pomo,
PT Anderson,
There Will Be Blood
Tuesday, February 05, 2008
Berlinale 2008: Notizen
Victoire Terminus, Kinshasa, Florent de la Tullaye, Renaud Barret, 2008
Otto; or Up with Dead People, Bruce LaBruce, 2008
Frauenboxen im Kongo: Zerschlissene Trainingsutensilien, 1 US-Dollar Siegprämie, Trainerratschlag: Haltet Euch von Männern fern (nicht, weil Sex die Kampfmpral untergräbt, sondern weil so mancher Mann im Kongo Frauen mit Eisenstangen traktiert, auch das erfahren wir). Dazwischen beziehungsweise daneben: Wahlplakate Joseph Kabilas, weitaus seltener solche seines Kontrahenten Jean-Pierre Bemba. Am Rande einer Wahlkampfveranstaltung des letzteren liefern sich seine Milizen Gefechte mit Polizeikräften. Die Kamera ist fast genauso nah an den Schießereien wie an den Boxkämpfen. Freilich hält sie sich raus, genau wie die Filmemacherinnen.
Victoire Terminus, Kinshasa porträtiert die Boxerinnen zurückhaltend, drängt sich nicht auf und lässt ihnen dennoch Raum, sich offen vor der Kamera zu artikulieren. Nie verlässt er die Aussenperspektive und nie schafft er unzulässige Verbindungen. Alles im Leben der Frauen verweist auf Politik, und so muss der Film dasselbe tun. Wenn der Film selbst ein politisches Programm hat, dann ist es das der kleinen, kontruktiven Gesten. Genau wie der Boxtrainer gegen alle Widerstände seine Schule aufbaut und von der Afrikameisterschaft träumt. Die Mehrzahl seiner Schülerinnen freilich träumt vom Leben im Ausland.
Jedes Jahr finden sich im Programm des Panoramas zwei bis drei Filme, die man sich anschauen sollte. Dann nochmal zwei bis drei, die man sich durchaus anschauen kann. Und schließlich 30 bis 40 Filme, die man sich keinesfalls anschauen sollte. Otto; or Up with Dead People gehört zur mittleren Kategorie.
Einen schwuler Zombie-Trash-Essay-Pornofilm bekommt man auf der Berlinale nicht alle Tage zu sehen. Bruce LaBruces Werk wird deshalb gewiss zu den öfters diskutierten Filmen des Festivals gehören. Freilich sollte man sich darüber klar sein, dass der Film eben genau das ist: Ein schwuler Zombie-Trash-Essay-Pornofilm.
Natürlich nicht alles in gleichem Maße: Zombies sind nur als Idee wichtig und eigentlich gar nicht. Ein schwuler Porno im eigentlichen Sinne ist der Film in der im Festival präsentierten Version auch nicht. Es steht zu erwarten, dass eine solche (integrale?) Version irgendwann die Videotheken erreichen wird. Denn so finanziert Bruce LaBruce sein Schaffen; allerdings ist auch die Festivalschnittfassung dazu angetan, den neuen BZ-Berlinale-Pornoskandal zu provozieren. Trashig ist der Film schon, aber die toten Tiere sehen erstaunlich echt aus.
Bleibt der Essayfilm. Denn ein solcher ist Otto; or Up with Dead People natürlich letzten Endes. Und als solcher tendiert er für meinen Geschmack leider doch, trotz aller schöner Einfälle, zu sehr in Richtung Ulkrike Oettingers präironischen Diskurssalat. Oder so ähnlich.
Otto; or Up with Dead People, Bruce LaBruce, 2008
Frauenboxen im Kongo: Zerschlissene Trainingsutensilien, 1 US-Dollar Siegprämie, Trainerratschlag: Haltet Euch von Männern fern (nicht, weil Sex die Kampfmpral untergräbt, sondern weil so mancher Mann im Kongo Frauen mit Eisenstangen traktiert, auch das erfahren wir). Dazwischen beziehungsweise daneben: Wahlplakate Joseph Kabilas, weitaus seltener solche seines Kontrahenten Jean-Pierre Bemba. Am Rande einer Wahlkampfveranstaltung des letzteren liefern sich seine Milizen Gefechte mit Polizeikräften. Die Kamera ist fast genauso nah an den Schießereien wie an den Boxkämpfen. Freilich hält sie sich raus, genau wie die Filmemacherinnen.
Victoire Terminus, Kinshasa porträtiert die Boxerinnen zurückhaltend, drängt sich nicht auf und lässt ihnen dennoch Raum, sich offen vor der Kamera zu artikulieren. Nie verlässt er die Aussenperspektive und nie schafft er unzulässige Verbindungen. Alles im Leben der Frauen verweist auf Politik, und so muss der Film dasselbe tun. Wenn der Film selbst ein politisches Programm hat, dann ist es das der kleinen, kontruktiven Gesten. Genau wie der Boxtrainer gegen alle Widerstände seine Schule aufbaut und von der Afrikameisterschaft träumt. Die Mehrzahl seiner Schülerinnen freilich träumt vom Leben im Ausland.
Jedes Jahr finden sich im Programm des Panoramas zwei bis drei Filme, die man sich anschauen sollte. Dann nochmal zwei bis drei, die man sich durchaus anschauen kann. Und schließlich 30 bis 40 Filme, die man sich keinesfalls anschauen sollte. Otto; or Up with Dead People gehört zur mittleren Kategorie.
Einen schwuler Zombie-Trash-Essay-Pornofilm bekommt man auf der Berlinale nicht alle Tage zu sehen. Bruce LaBruces Werk wird deshalb gewiss zu den öfters diskutierten Filmen des Festivals gehören. Freilich sollte man sich darüber klar sein, dass der Film eben genau das ist: Ein schwuler Zombie-Trash-Essay-Pornofilm.
Natürlich nicht alles in gleichem Maße: Zombies sind nur als Idee wichtig und eigentlich gar nicht. Ein schwuler Porno im eigentlichen Sinne ist der Film in der im Festival präsentierten Version auch nicht. Es steht zu erwarten, dass eine solche (integrale?) Version irgendwann die Videotheken erreichen wird. Denn so finanziert Bruce LaBruce sein Schaffen; allerdings ist auch die Festivalschnittfassung dazu angetan, den neuen BZ-Berlinale-Pornoskandal zu provozieren. Trashig ist der Film schon, aber die toten Tiere sehen erstaunlich echt aus.
Bleibt der Essayfilm. Denn ein solcher ist Otto; or Up with Dead People natürlich letzten Endes. Und als solcher tendiert er für meinen Geschmack leider doch, trotz aller schöner Einfälle, zu sehr in Richtung Ulkrike Oettingers präironischen Diskurssalat. Oder so ähnlich.
Monday, February 04, 2008
Tatil kitabi / Summer Book, Seyfi Teoman, 2008
Der integre Teil des Weltkinos hat längst eine Filmgrammatik entwickelt, die mindestens ebenso konventionalisiert ist wie sein böses anderes, Hollywood. Tatil kitabi ist Teil dieses Kinos und sein Regisseur Seyfi Teoman beschreibt in seinem Director's statment mit bewundernswerter Präzision die dieser Filmform zugrundeliegende Ästhetik: "The combination of long wide shots with functional close-ups, amateur actors, minimal acting and natural lighting are the determing characteristics for the style and atmosphere of this film."
Selbstverständlich bietet diese Filmsprache - wie die Hollywoods - unendliche Variationsmöglichkeiten und so durchzieht Tatil kitabi denn auch ein völlig anderer Tonfall als beispielsweise die Filme der Berliner Schule oder, naheliegender, Nuri Bilge Ceylans. Mit letzterem verbindet Teoman die unaufdringliche Stilisierung des Dargestellten, oft mittels kunstvoller Schärfeverlagerung (beispielsweise während eines assymetrischen Blickwechsels, der für die eine Seite Beginn eines Flirts, für die andere höchstens ein kurzer Ausbruch aus dem ehealltag darstellt), allerdings steht diese weit weniger im Mittelpunkt. Stärker als Ceylan ist Teoman seinem Schauplatz verpflichtet, einer türkischen Provinzstadt, deren Porträt ist Tatil Kitabi im Grunde mehr als das der Großfamilie, welche im Zentrum der Handlung steht.
Die Parameter sind längst bekannt, Tatil kitabi orientiert sich wie andere gute neue türkische Filme (und wie nebenbei bemerkt noch fast jede Neue Welle der letzten 30 Jahre) in letzter Instanz am italienischen Neorealismus. Dennoch gefällt Teomans Film: Die Kamera weiß in jedem Moment, was sie tut, die Figuren geraten nicht ins Schwatzen, wollen uns nichts beweisen sondern höchstens einen kleinen ausschnitt ihres Lebens präsentieren.
Der Film, auch das gehört zum Konventionsarsenal dieses Kinosegments, findet keine inhaltliche, wohl aber eine formale Schließung. Insofern ist der Schluss von Teomans Director's statement eigentlich nur halb richtig: "I think a film should try to be as loose as life itself."
Natürlich existieren im "life itself" keine motivisch-zirkulären Schließungen wie in Tatil kitabi (obwohl: die wiederkehrenden Schulbänke am Ende der Sommerferien sind zumindest Teil einer Serie), keine stringende Motivik und so weiter. Und natürlich ist es letztlich willkürlich, Film auch nur irgendwie mimetisch einer so allgemeinen Kategorie wie dem Leben angleichen wollen. Was jedoch bleibt, ist ein Film, der ein Fenster zur Welt sein will, mit all den Problemen, die eine solche Konzeption mit sich bringt (unter anderem dem Verzicht auf jede falsche Unmittelbarkeit, da der Zuschauer sich immer schon auf der falschen Seite des fensters befindet). Und irgendwie ist ein Film wie Tatil kitabi vielleicht tatsächlich dieses Fenster.
Selbstverständlich bietet diese Filmsprache - wie die Hollywoods - unendliche Variationsmöglichkeiten und so durchzieht Tatil kitabi denn auch ein völlig anderer Tonfall als beispielsweise die Filme der Berliner Schule oder, naheliegender, Nuri Bilge Ceylans. Mit letzterem verbindet Teoman die unaufdringliche Stilisierung des Dargestellten, oft mittels kunstvoller Schärfeverlagerung (beispielsweise während eines assymetrischen Blickwechsels, der für die eine Seite Beginn eines Flirts, für die andere höchstens ein kurzer Ausbruch aus dem ehealltag darstellt), allerdings steht diese weit weniger im Mittelpunkt. Stärker als Ceylan ist Teoman seinem Schauplatz verpflichtet, einer türkischen Provinzstadt, deren Porträt ist Tatil Kitabi im Grunde mehr als das der Großfamilie, welche im Zentrum der Handlung steht.
Die Parameter sind längst bekannt, Tatil kitabi orientiert sich wie andere gute neue türkische Filme (und wie nebenbei bemerkt noch fast jede Neue Welle der letzten 30 Jahre) in letzter Instanz am italienischen Neorealismus. Dennoch gefällt Teomans Film: Die Kamera weiß in jedem Moment, was sie tut, die Figuren geraten nicht ins Schwatzen, wollen uns nichts beweisen sondern höchstens einen kleinen ausschnitt ihres Lebens präsentieren.
Der Film, auch das gehört zum Konventionsarsenal dieses Kinosegments, findet keine inhaltliche, wohl aber eine formale Schließung. Insofern ist der Schluss von Teomans Director's statement eigentlich nur halb richtig: "I think a film should try to be as loose as life itself."
Natürlich existieren im "life itself" keine motivisch-zirkulären Schließungen wie in Tatil kitabi (obwohl: die wiederkehrenden Schulbänke am Ende der Sommerferien sind zumindest Teil einer Serie), keine stringende Motivik und so weiter. Und natürlich ist es letztlich willkürlich, Film auch nur irgendwie mimetisch einer so allgemeinen Kategorie wie dem Leben angleichen wollen. Was jedoch bleibt, ist ein Film, der ein Fenster zur Welt sein will, mit all den Problemen, die eine solche Konzeption mit sich bringt (unter anderem dem Verzicht auf jede falsche Unmittelbarkeit, da der Zuschauer sich immer schon auf der falschen Seite des fensters befindet). Und irgendwie ist ein Film wie Tatil kitabi vielleicht tatsächlich dieses Fenster.
Labels:
Berlinale,
Berlinale 2008,
Kind,
Tatil kitabi,
Teoman,
Türkei,
world cinema
Saturday, February 02, 2008
Berlinale 2008: Notizen
Buda as sharm foru rikht / Buddha Collapsed Out of Shame, Hana Makhmalbaf, 2007
Musunde hiraite, Izumi Takahashi, 2007
Nirvana, Igor Voloshin, 2008
Corroborree, Ben Hackworth, 2007
Hana Makhmalbaf ist Mohsens jüngste Tochter und wie ihre Schwester Samira längst Teil der internationalen Festivalszene. Ihr erster Spielfilm Buddha Collapsed Out of Shame ist eine Allegorie der unsubtileren Art: Der Clou des Streifens ist schon im Namen enthalten und erfüllt sich sowohl im ersten, als auch im letzten Bild. Dazwischen der Inhalt der Allegorie: Das, weswegen Buddha vor Scham kollabiert. Wer mit dem Kino der Makhmalbafs, insbesondere Samiras, oder auch nur der Festivallogik vertraut ist, wird sich nicht wundern, dass er dies aufgrund der multiplen Unterdrückungsstrukturen der afghanischen und implizit auch der iranischen Gesellschaft tut. Ebensowenig wird er sich darüber wundern, dass die Akteure des Films fast ausschließlich Kinder sind. Auch diese Strategie kennt man nicht nur aus Samiras schönem Debut The Apple (Sib, 1998). Zu vermuten ist, dass so gleich zwei Ziele verfolgt werden: Einerseits soll der heimischen Zensur ein Schnippchen geschlagen werden, indem die politische Kritik kodifiziert wird (aber dennoch deutlich lesbar bleibt) und dadurch die Voraussetzungen für eine Fortführung der eigenen Filmpraxis im Heimatland erhalten bleiben. Andererseits spekuliert dieses Kino auf Nischen im Festivalbetrieb, welcher zwar immer nach dem Politischen schreit, dieses aber doch bitte entsprechend verpackt und entschärft präsentiert bekommen möchte, auf dass er es selbst entsprechend verpacken, präsentieren und dadurch noch einmal entschärfen kann. In diesem Fall läuft Hana Makhmalbafs Film im Kinder- und Jugendprogramm der Berlinale, und zwar nicht einmal im etwas "erwachseneren" Bereich "14+". Einen Film wie Buddha Collapsed Out of Shame als Kinderfilm umzudeuten, nur weil Kinder die Hauptrollen übernehmen (sind dann Les Quatre cents coups und Ohayo auch Kinderfilme? Und liefe Melvilles Les enfants terribles im Bereich "14+"?) ist entweder auf Lust an der Subversion oder auf Dummheit zurückzuführen.Jenseits aller Programmierungspolitik ist Buddha Collapsed Out of Shame ein guter, schöner, kraftvoller Film, gerade wegen seines Mangels an Subtilität. Subtilität ist wahrscheinlich grundsätzlich der falsche Modus für Sozialkritik. Überhaupt, die Subtilität... Dazu vielleicht bald mehr.
Musunde hiraite ist für mich jetzt schon die größte Enttäuschung des Festivals. Der Debutfilm des Regisseurs Izumi Takahashi The Soup, One Morning (Ara asa, Soup wa, 2003) gehört zu dem eindrücklichsten, was ich aus dem Bereich des japanischen Indie-Kinos kenne: Ein extrem reduziertes, klaustrophobisches Beziehungsdrama, das mit minimalem Budget und Personal maximale Wirkung zeitigt. Eine der Stärken sind dieses Films ist in Izumis Nachfolgeprojekt im Ansatz noch erkennbar. Vor allem zu Beginn konzentriert sich auch Musunde hiraite auf Innenräume, enthält die Großstadt nur als dasjenige, was manchmal durch das Fenster aufblitzt, oder durch die Türöffnung für einen Moment sichtbar wird. Eine Stadt, die gerade durch ihre Abwesenheit, beziehungsweise durch die Versuche der Figuren, sich von ihr zu distanzieren (nicht umsonst geht es im ersten Teil des Films darum, dass einige Hausschlüssel vertauscht wurden und nun unbedingt wiederbeschafft werden müssen) als prägende Kraft in ihrem Leben präsent ist. Geblieben ist auch das Fotografiemotiv, abgesehen von einigen netten optischen Tricks führt dieses jedoch, wie der Rest des Films, straight ins Nichts.
Völlig verloren gegangen ist die Stringenz, die The Soup, One Morning auszeichnete. Bereits in narrativer Hinsicht durch zu viele, ungenau gezeichnete Charaktere und deren wirre Handlungen (wirr nicht als überforderte Reaktion auf überfordernde Situationen, wie in The Soup..., sondern mehr oder weniger aus Scheiss) hoffnungslos überfrachtet, geht vor allem in formaler Hinsicht hier restlos alles durcheinander. Die klassische Auflösung einzelner Szenen bringt Izumi bei jeder Gelegenheit durch dekorativ modernistische Experimente aus dem Gleichgewicht. Zum Einsatz kommen neben rhythmischen Montagesequenzen und allerweltslyrischen Klavierklängen dabei auch schwarz-weiss-Bilder, bei denen sich mir nie erschlossen hat, ob sie auch nur irgendeinen semantischen Mehrwert besitzen (Rückblenden eventuell?). Gut aussehen tut Musunde hiraite durchaus, gerade in den Innenraumszenen teilweise sogar fast unanständig gut für solch einen mittelmäßigen Film. Nur leider retardiert noch jedes formale Experiment in Musunde hiraite zur banalen Alltagslyrik, die sich irgendwann auch nicht mehr zu schade ist für in Zeitlupe davonflatternde Möwen.
"Ruhe Bitte!", ruft ein autoritärer Journalist seinen scheint's unruhigen Kollegen zu Beginn Nirvanas zu. Dabei ist das einzige was ungebührlich Lärmt der Film. Seit Jahren stammen die unerträglichsten Forumsfilme aus Russland beziehungsweise Osteuropa. Ob dies am allgemeinen Niveau der dortigen Produktion liegt oder an der Auswahl, kann ich mangels Expertise nicht beurteilen. Nirvana zumindest ist wieder einmal eine komplette Gurke.
In einem Paralleluniversum, welches zwar Städte namens Moskau und St. Petersburg kennt, aber ausschließlich von wild und tendenziell aber nicht näher definiert subkulturell geschminkt / bekleideten Freaks bewohnt wird, die zwischen Drogenexzessen und Jugendliteraturklischees gefangen in einen öden Gangster-Melodram-Plot hineinschlittern und leider erst nach quälenden 89 Minuten wieder herausfinden. Während alledem ist der Film vor allem: laut.
Wo ich schon bei Masochistenkino bin: Wem Nirvana und Paruthi Veeran nicht genügen, der schaue sich bitte Corroborree an: Ein australischer Jüngling (der von ferne an Constantin von Jascheroff erinnert) wird von einem alten Mann in dessen Anwesen eingeladen. Dieses wird bevölkert von einer Horde Frauen unterschiedlichen Alters, dessen Verhältnis zu ihrem Hausherrn ebenso ungeklärt bleibt wie jegliche Sinnfrage, die man an diesen Film zu stellen sich anschickt. In tristester Digioptik marschiert der Held durch die Zimmer des Anwesens sowie ein zugehöriges Gartenlabyrinth und unterhält sich mit den Frauen über nichts und wieder nichts. Mit der einen oder anderen schläft er auch und so langsam kommt man auf den Verdacht, dass es der Intention nach wohl um Performativität von Geschlechteridentität oder etwas ähnliches grundsätzlich höchst löbliches, sich hier jedoch leider im völlig falschen Kontext befindendes geht. Naja, irgendwann ist auch dieser Film zuende. @ Christian: Falls Du einen Nachfolger für Kinetta suchst: Das ist Dein Film.
Thursday, January 24, 2008
Berlinale 2008: Eisenbahnfilme
La frontera infinita, Juan Manuel Sepulveda, 2007
RR, James Benning, 2007
Kurz vor Ende des Films findet La frontera infinita doch noch das große Bild, auf welches Sepulveda vorher schon das eine oder andere Mal aus war: Ein Güterzug setzt sich langsam in Bewegung und beginnt eine langsame, mühselige Fahrt durch das struppig-chaotische Mexiko. Dutzende oder gar Hunderte von Menschen springen auf und in die Waggons, wer kein Platz im Inneren findet, bedeckt sich mit Laub, damit die allgegenwärtige Migra am Zugriff gehindert wird. Bestenfalls im Schritttempo bewegt sich der Zug vorwärts, einem utopischen Ort entgegen, der zwischen sich und diesen Passagieren zur selben Zeit eine Mauer hochzieht.
In der Mitte des Films präsentiert La frontera infinita einen anderen Zug, in einer historischen Aufnahme, die wohl vom Beginn des 20. Jahrhunderts datiert. Ein Personenzug diesmal. Doch, wie der hier urplötzlich auftauchende Voice-Over Kommentar erklärt, ist ein solcher Zug nie für die Mexikaner selbst gedacht, sondern immer für die anderen, die Ausländer, die Kartenbesitzer. Für die Mexikaner bleibt nur der Güterzug, als blinde Passagiere im Warenkreislauf riskieren sie ihr Leben und inbesondere, wie der Film eindrücklich deutlich macht, ihre Gliedmaßen, um der perspektivlosen Gegenwart zu entkommen.
Nicht ganz sicher scheint sich der Film zu sein, wie er sein ehrevolles Projekt in Angriff nehmen soll. Die halbinszenierten Sequenzen zu Beginn funktionieren tendenziell besser, als die späteren genuin dokumentarischen. Wenn etwa einer der Betroffenen seine Kameraden über das Unheil aufklärt, welches die USA über die dritte Welt gebracht haben, kann er doch nicht darüber hinwegtäuschen, dass er nirgendwo lieber leben würde als im Land George W. Bushs. In einer anderen Sequenz stehen mehrere potentielle Immigranten hilflos vor einer großen Landkarte, deren positivistisches Raumverständnis mit der konkreten Lebenswirklichkeit der Mexikaner unvereinbar ist.
---
Sepulvedas Züge durchqueren Raum, Bennings Züge durchqueren Zeit. Jede Einstellung in RR beginnt mit der Einfahrt/Anfahrt eines Zuges und endet mit der Ausfahrt respektive dem Stillstand eines Schienenfahrzeugs. Kleine Tricks gibt es freilich auch: Einmal fährt ohne jede Vorwarnung ein zweiter Zug im rechten Winkel zum ersten durchs Bild, noch dazu einer mit den identischen Güterwaggons. (EDIT: Stimmt gar nicht, es ist derselbe Zug, die Kamera stand hier - ähnliche Perspektive wie im ersten Bild von oben - und so kommt man da hin) Und richtig heikel wird das Konzept auf dem Rangierbahnhof. Dennoch dienen die Züge primär als letztlich kontingente Zeitmarker. Die einzelnen Waggons sorgen für Mikrounterteilung, wenn sie das Bild verlassen oder ein herausgehobenes Landschaftsmerkmal passieren. Interessanter ist eigentlich, was neben den Zügen passiert, innerhalb des von diesen markierten Zeitfensters. Meistens freilich: Gar nichts. Ein Baum ist ein Baum ist ein Baum. Schmetterlinge werden zu Akteuren, Autos und Motorboote zu Großereignissen. Einmal bellt ein Hund. Manchmal scheint irgendwo ein Radio positioniert zu sein. Daraus tönt es dann stets sehr amerikanisch, manchmal in Text-, manchmal in Musikform. Korrespondierend dazu Amerikafahnen auf Lokomotiven und einmal auch im Hintergrund. Das Themenfeld Amerika-Landschaft-Eisenbahn ist gesetzt, wird aber natürlich in keine Richtung ausformuliert.
Keine Frage: RR hat meditative Qualitäten und ist gleichzeitig ein Spannungsfilm: Wird nicht jeden Moment vielleicht doch Godzilla ins Bild treten und dem harmonischen Rattern und Tuckern ein Ende bereiten? Oder wäre es nicht fabelhaft, wenn nach einer von der Kamera nicht einsehbaren Kurve eine andere Lokomotive ins Bild fahren würde, als die, die vorher zu sehen war? Dennoch mag mir RR, anders als der grandiose 13 Lakes, nicht so recht einleuchten. Vielleicht nur, weil ich zurzeit zu oft tagsüber im Kino sitze. Vielleicht aber auch, weil mir Züge die Raum durchqueren lieber sind.
RR, James Benning, 2007
Kurz vor Ende des Films findet La frontera infinita doch noch das große Bild, auf welches Sepulveda vorher schon das eine oder andere Mal aus war: Ein Güterzug setzt sich langsam in Bewegung und beginnt eine langsame, mühselige Fahrt durch das struppig-chaotische Mexiko. Dutzende oder gar Hunderte von Menschen springen auf und in die Waggons, wer kein Platz im Inneren findet, bedeckt sich mit Laub, damit die allgegenwärtige Migra am Zugriff gehindert wird. Bestenfalls im Schritttempo bewegt sich der Zug vorwärts, einem utopischen Ort entgegen, der zwischen sich und diesen Passagieren zur selben Zeit eine Mauer hochzieht.
In der Mitte des Films präsentiert La frontera infinita einen anderen Zug, in einer historischen Aufnahme, die wohl vom Beginn des 20. Jahrhunderts datiert. Ein Personenzug diesmal. Doch, wie der hier urplötzlich auftauchende Voice-Over Kommentar erklärt, ist ein solcher Zug nie für die Mexikaner selbst gedacht, sondern immer für die anderen, die Ausländer, die Kartenbesitzer. Für die Mexikaner bleibt nur der Güterzug, als blinde Passagiere im Warenkreislauf riskieren sie ihr Leben und inbesondere, wie der Film eindrücklich deutlich macht, ihre Gliedmaßen, um der perspektivlosen Gegenwart zu entkommen.
Nicht ganz sicher scheint sich der Film zu sein, wie er sein ehrevolles Projekt in Angriff nehmen soll. Die halbinszenierten Sequenzen zu Beginn funktionieren tendenziell besser, als die späteren genuin dokumentarischen. Wenn etwa einer der Betroffenen seine Kameraden über das Unheil aufklärt, welches die USA über die dritte Welt gebracht haben, kann er doch nicht darüber hinwegtäuschen, dass er nirgendwo lieber leben würde als im Land George W. Bushs. In einer anderen Sequenz stehen mehrere potentielle Immigranten hilflos vor einer großen Landkarte, deren positivistisches Raumverständnis mit der konkreten Lebenswirklichkeit der Mexikaner unvereinbar ist.
---
Sepulvedas Züge durchqueren Raum, Bennings Züge durchqueren Zeit. Jede Einstellung in RR beginnt mit der Einfahrt/Anfahrt eines Zuges und endet mit der Ausfahrt respektive dem Stillstand eines Schienenfahrzeugs. Kleine Tricks gibt es freilich auch: Einmal fährt ohne jede Vorwarnung ein zweiter Zug im rechten Winkel zum ersten durchs Bild, noch dazu einer mit den identischen Güterwaggons. (EDIT: Stimmt gar nicht, es ist derselbe Zug, die Kamera stand hier - ähnliche Perspektive wie im ersten Bild von oben - und so kommt man da hin) Und richtig heikel wird das Konzept auf dem Rangierbahnhof. Dennoch dienen die Züge primär als letztlich kontingente Zeitmarker. Die einzelnen Waggons sorgen für Mikrounterteilung, wenn sie das Bild verlassen oder ein herausgehobenes Landschaftsmerkmal passieren. Interessanter ist eigentlich, was neben den Zügen passiert, innerhalb des von diesen markierten Zeitfensters. Meistens freilich: Gar nichts. Ein Baum ist ein Baum ist ein Baum. Schmetterlinge werden zu Akteuren, Autos und Motorboote zu Großereignissen. Einmal bellt ein Hund. Manchmal scheint irgendwo ein Radio positioniert zu sein. Daraus tönt es dann stets sehr amerikanisch, manchmal in Text-, manchmal in Musikform. Korrespondierend dazu Amerikafahnen auf Lokomotiven und einmal auch im Hintergrund. Das Themenfeld Amerika-Landschaft-Eisenbahn ist gesetzt, wird aber natürlich in keine Richtung ausformuliert.
Keine Frage: RR hat meditative Qualitäten und ist gleichzeitig ein Spannungsfilm: Wird nicht jeden Moment vielleicht doch Godzilla ins Bild treten und dem harmonischen Rattern und Tuckern ein Ende bereiten? Oder wäre es nicht fabelhaft, wenn nach einer von der Kamera nicht einsehbaren Kurve eine andere Lokomotive ins Bild fahren würde, als die, die vorher zu sehen war? Dennoch mag mir RR, anders als der grandiose 13 Lakes, nicht so recht einleuchten. Vielleicht nur, weil ich zurzeit zu oft tagsüber im Kino sitze. Vielleicht aber auch, weil mir Züge die Raum durchqueren lieber sind.
Wednesday, January 23, 2008
Berlinale 2008: Paruthi Veeran, Ameer Sultan, 2006
Paruthi Veeran ist ein Produkt der indischen Filmindustrie, allerdings nicht derer, die in Bombay ansässig ist, sondern einer anderen, im Süden des Landes situierten. Inwieweit Ameer Sultans Streifen repräsentativ für sein Produktionsumfeld ist, kann ich nicht beurteilen. Deshalb auch nicht, wieviel von der Differenz, die der Film zu dem wenigen aufweist, was ich aus Bollywood kenne, in unterschiedlichen industriellen Praktiken beziehungsweise Publikumserwartungen wurzelt.
Ohne diese Einordnungen ist Paruthi Veeran eine Romeo & Julia Version der ruppigeren Sorte. Beide Seiten, getrennt durch eine Kastenschranke, überbieten sich in unreflektierter, stumpfer Brutalität, die in Paruthi Veeran Anfang und Ende, Problem und Lösung, kurzum allgegenwärtig und nicht hinterfragbar ist. Man muss kein zartbesaiteteter Schöngeist sein, um das penetrant zu finden: Selbst die einzige Song & Dance Sequenz des Streifens kommt nur unter Gewaltandrohung zustande und taugt in all ihrer Verkrampftheit, Lustfeindlichkeit und Fantasielosigkeit fast zur Dekonstruktion dieser Spezialität des indischen Kinos. Nur ist sie erstens völlig ernstgemeint und passt sich zweitens hervorragend ein in den restlichen Film.
Denn auch die Inszenierung kennt keine Gnade. Die Schnellfeuermontage und häßliche Großaufnahmen en masse versuchen die Figuren an Stumpfheit und Brutalität noch zu überbieten. Technische Ambitionen sind reichlich vorhanden, ebenso der unbedingte Wille zum Epos. Heraus kommt dabei jedoch ein hektisches Durcheinander unterschiedlicher Erzählfäden, die sich jedoch nicht, wie in anderen Bollywoodfilmen (ein letztes Mal weise ich auf meine eigene Unwissenheit auf dem Gebiet hin) in ein charmant-sprunghaftes Nebeneinander fügen, sondern sich gegenseitig zerstören zu versuchen scheinen. Besonders aufdringlich sind Special-Effects-lastige Rückblenden in Schwarz-Weiß, die unter anderem äußerst sonderbare Split-Screen Montagen bergen.
In Paruthi Veeran dringt die Gewalt des Dargestellten ungehindert in die Darstellung ein: Romeo prügelt sich ebenso wie seine Gegenspieler von Szene zu Szene und der Film prügelt fleißig mit. Der eine oder andere mag das mit ästhetischer Konsequenz verwechseln, schwer erträglich bleibt es in jedem Fall.
Ohne diese Einordnungen ist Paruthi Veeran eine Romeo & Julia Version der ruppigeren Sorte. Beide Seiten, getrennt durch eine Kastenschranke, überbieten sich in unreflektierter, stumpfer Brutalität, die in Paruthi Veeran Anfang und Ende, Problem und Lösung, kurzum allgegenwärtig und nicht hinterfragbar ist. Man muss kein zartbesaiteteter Schöngeist sein, um das penetrant zu finden: Selbst die einzige Song & Dance Sequenz des Streifens kommt nur unter Gewaltandrohung zustande und taugt in all ihrer Verkrampftheit, Lustfeindlichkeit und Fantasielosigkeit fast zur Dekonstruktion dieser Spezialität des indischen Kinos. Nur ist sie erstens völlig ernstgemeint und passt sich zweitens hervorragend ein in den restlichen Film.
Denn auch die Inszenierung kennt keine Gnade. Die Schnellfeuermontage und häßliche Großaufnahmen en masse versuchen die Figuren an Stumpfheit und Brutalität noch zu überbieten. Technische Ambitionen sind reichlich vorhanden, ebenso der unbedingte Wille zum Epos. Heraus kommt dabei jedoch ein hektisches Durcheinander unterschiedlicher Erzählfäden, die sich jedoch nicht, wie in anderen Bollywoodfilmen (ein letztes Mal weise ich auf meine eigene Unwissenheit auf dem Gebiet hin) in ein charmant-sprunghaftes Nebeneinander fügen, sondern sich gegenseitig zerstören zu versuchen scheinen. Besonders aufdringlich sind Special-Effects-lastige Rückblenden in Schwarz-Weiß, die unter anderem äußerst sonderbare Split-Screen Montagen bergen.
In Paruthi Veeran dringt die Gewalt des Dargestellten ungehindert in die Darstellung ein: Romeo prügelt sich ebenso wie seine Gegenspieler von Szene zu Szene und der Film prügelt fleißig mit. Der eine oder andere mag das mit ästhetischer Konsequenz verwechseln, schwer erträglich bleibt es in jedem Fall.
Sunday, January 20, 2008
Berlinale 2008: Jitsuroku Rengo Sekigun: Asama Sanso E No Michi (United Red Army), Koji Wakamatsu, 2007
Nach Phillip Garrels Les amants reguliers und Marco Bellocchios Buongiorno, notte findet sich im diesjährigen Programm des Forums ein dritter Film eines seinerzeit extrem politisierten Regisseurs, der nach über dreißig Jahren einen (teilweise) revisionistischen Blick auf die Studentenbewegung der späten Sechziger und was daraus folgte, wirft. Ein Vergleich dieser drei Filme wäre sicherlich hochinteressant, einen solchen überlasse ich jedoch Kompetenteren.
Koji Wakamatsu drehte in den Sechzigern und Siebzigern eine Reihe radikaler Polit-Exploiatationfilme, die einst höchst umstritten waren (Amos Vogel beispielsweise fertigt Wakamatsu in Film As A Subversive Art glaube ich in wenigen abfälligen Sätzen ab) und inzwischen zu Kultklassikern avanciert sind. Drei davon werden neben United Red Army im Rahmen des Forums zu sehen sein. In den Achtzigern, Neunzigern sowie im neuen Jahrtausend drehte er fleißig weiter, so richtig interessiert hat das meines Wissens aber selbst in Japan niemand mehr. Umso überraschender ist sein neues Werk United Red Army, ein überaus ambitioniertes und letzten Endes auch sehr großartiges Dreistundenepos über die Selbstzerstörung der radikalen politischen Linken Japans in den Siebzieger Jahren.
United Red Army verbindet Archivmaterial mit Nachinszenierungen der historischen Ereignisse. Start- wie Endpunkt ist die Historie. Der Film setzt mit einer fast Einstündigen Montagesequenz ein, die die Ereignisse zwischen der Politisierung der japanischen Studenten anlässlich der Proteste gegen die Verlängerung des Sicherheitsvertrages mit den USA 1959/60 (die Radikalisierung der japanischen Linken hatte ihre Wurzeln lange vor Mai 68 und Rudi Dutschke) bis zu der konsequenten Militarisierung und ideologischen Aufrüstung zwischen 1968 und 1970 nachzeichnet. Dominant ist Archivmaterial, doch bereits hier wird dieses durch Nachinszeniertes ergänzt.
Punktgenau durchkomponiert sind diese Vignetten, fast scheinen die seltsam entleerten Bilder etwas zu gut auszusehen für das, was sie darstellen sollen. Genau wie auch die Musik, hypnotisierter Retro-Gitarrenrock von Jim O'Rourke, fast zu schön zu sein scheint, weil sie die unterschiedlichen Bildformen ihrer Widerständigkeit beraubt. Zweifellos ist Wakamatsu zuerst ein Ästhet und (wenn überhaupt) erst dann ein Analytiker und zweifellos ist United Red Army auf seine Weise auch ein Nostalgiefilm, der Geschichte in Dekoration verwandelt. Insbesondere die Erzählerstimme, die abwechselnd mit Jim O'Rourke die Bilder begleitet, gerät aufgrund ihres autoritären Timbres in der ersten halben Stunde fast unter Guido-Knopp-Verdacht. Überhaupt konnte ich mich nie so recht anfreunden mit dieser Erzählerstimme, erst recht nicht im weiteren Verlauf des Films, wenn das Archivmaterial verschwindet und der Inszenierung weicht. Denn dieser Erzählerstimme ist ein seltsam affirmativer, objektivistischer Duktus eigen, der diesem Film, der von nostalgischen Dystopien, paranoiden Fantasmen und allgemeiner von Verlust spricht, ansonsten fremd ist.
United Red Army ist primär nicht analytisch. Vielleicht ist er stellenweise sogar dumm und wahrscheinlich geht der Sexismus des Dargestellten bisweilen in einen Sexismus des Films selbst über: Nicht nur gründet die Politisierung der Frauen immer im persönlichen, die der Männer in dagegen in der Theorie; Frauengesichter haben einen grundsätzlich anderen Status als Männergesichter, dienen als Projektionsfläche für den Affekt der Geschichte. Dennoch ist Wakamatsu in seinem eigenen ästhetischen System präzise. Die zunehmende Hierarchisierung der Studentenbewegung findet Ausdruck in einer Serie von Gruppenanordnungen. Von der demokratischen Diskussionsrunde über das Führerprinzip bis zur quasistalinistischen Bürokratisierung: Die Parteielite an dem einen, das Fußvolk am anderen Tisch, nur scheinbar auf gleicher Ebene.
Diese Stalinisierung findet im zweiten Teil des Films statt. Die Studentenbewegung hat jede Anbindung an andere gesellschaftliche Gruppierungen verloren und mutiert ins Sektiererische. In den Bergen übt sie Selbstkritik, soll heißen: Die Parteielite sorgt dafür, dass sich das Fußvolk gegenseitig den Schädel einschlägt. Der Film entwickelt, befreit von der Faktenfülle der Anfangsstunde, eine ungemeine Intensität. Überraschend zurückhaltend ist United Red Army dabei auf der Bildebene. Die Selbstzerfleischung der Studenten, mitsamt ihres ganz speziellen Genderings, hätte der Wakamatsu der Sechziger wohl in einer Sex'n Gore Orgie aufgelöst. Hier optiert er jedoch, möglicherweise auch, um den Film im internationalen Festivalzirkus platzieren zu können, für eine in grafischer Hinsicht zurückhaltendere Variante. Sexuelle Gewalt spielt überhaupt keine Rolle und die übrige findet größtenteils Offscreen statt. Überhaupt Reduktion auf allen Ebenen: Die weit ausgreifende Geschichtserzählung zieht sich auf einen einzigen Schauplatz zusammen (eine Waldhütte, die am Anfang dieser ausführlichen Episode aufgebaut, am Ende wieder abgerissen wird), auf die Auseinandersetzung einer Handvoll Charaktere, die auf historischen Vorbildern basieren und nur mit einem Minimum an fiktivem Mehrwert ausgestattet werden. Weiterhin bleiben die Bilder einfach, die Kompositionen präzise, alle Montagemanöver höchstens dekorativ, nie manipulativ. In der Reduktion gelingen unglaublich eindringliche Sequenzen, das umgekehrte Spiegelstadium einer verzweifelten Revolutionärin nach der Selbstgeiselung oder das Begräbnis einer anderen als perverser Höhepunkt einer Bestrafungsorgie.
Schließlich wandelt sich der Film ein zweites Mal, fast ohne Ankündigung. Die beiden Hauptfiguren des Mittelteils verschwinden zwischen zwei Schnitten, ihr Schicksal erfährt das Publikum genau wie die Kleingruppe der letzten Aufrechten übers Radio. Im Epilog wird man erfahren, dass die sadistische Anführerin noch immer auf die Vollstreckung ihres Todesurteils wartet. Unified Red Army begiebt sich mit den letzten fünf Terroristen in deren finale Zufluchtsstätte: Ein Wohnhaus, wo sie sich gemeinsam mit der Gattin des Besitzers verschanzen, während draußen vor der Tür ein Polizeitrupp nach dem nächsten auffährt. Der Film jedoch bleibt im Haus, bis ganz am Ende, bis zur endgültigen Stürmung taucht nicht ein einziger Polizist im Bild auf. Die Polizei und die von dieser herbeizitierten Eltern der Studenten dringen nur als Stimme in das Bild ein, einen Körper gewinnen sie nie. Ihre Selbstisolierung halten die Studenten bis zum bitteren Ende aufrecht. Was in dieses Haus eindringt, in ein Haus, das sich zeitweise in der filmischen inszenierung von allen raumzeitlichen Beziehungen zur Außenwelt abgelöst hat, ist denn auch weniger die reale, spröde Staatsgewalt, als vielmehr hell leuchtendes Chaos, das die seit Jahren in ihrer Privatmysthik versteinerten Terroristen zu befreien verspricht. In diesem hell leuchtenden Chaos geht denn auch schließlich, kurz vor dem endgültigen Zugriff der Polizei, die Ideologie zugrunde. Wie dies geschieht, ist wie manch anderes in United Red Army möglicherweise etwas sentimental und inkonsequent. In Wakamatsus inszenatorischer, imaginativen Wucht jedoch schlicht und einfach und vor allem anderen großartig.
Koji Wakamatsu drehte in den Sechzigern und Siebzigern eine Reihe radikaler Polit-Exploiatationfilme, die einst höchst umstritten waren (Amos Vogel beispielsweise fertigt Wakamatsu in Film As A Subversive Art glaube ich in wenigen abfälligen Sätzen ab) und inzwischen zu Kultklassikern avanciert sind. Drei davon werden neben United Red Army im Rahmen des Forums zu sehen sein. In den Achtzigern, Neunzigern sowie im neuen Jahrtausend drehte er fleißig weiter, so richtig interessiert hat das meines Wissens aber selbst in Japan niemand mehr. Umso überraschender ist sein neues Werk United Red Army, ein überaus ambitioniertes und letzten Endes auch sehr großartiges Dreistundenepos über die Selbstzerstörung der radikalen politischen Linken Japans in den Siebzieger Jahren.
United Red Army verbindet Archivmaterial mit Nachinszenierungen der historischen Ereignisse. Start- wie Endpunkt ist die Historie. Der Film setzt mit einer fast Einstündigen Montagesequenz ein, die die Ereignisse zwischen der Politisierung der japanischen Studenten anlässlich der Proteste gegen die Verlängerung des Sicherheitsvertrages mit den USA 1959/60 (die Radikalisierung der japanischen Linken hatte ihre Wurzeln lange vor Mai 68 und Rudi Dutschke) bis zu der konsequenten Militarisierung und ideologischen Aufrüstung zwischen 1968 und 1970 nachzeichnet. Dominant ist Archivmaterial, doch bereits hier wird dieses durch Nachinszeniertes ergänzt.
Punktgenau durchkomponiert sind diese Vignetten, fast scheinen die seltsam entleerten Bilder etwas zu gut auszusehen für das, was sie darstellen sollen. Genau wie auch die Musik, hypnotisierter Retro-Gitarrenrock von Jim O'Rourke, fast zu schön zu sein scheint, weil sie die unterschiedlichen Bildformen ihrer Widerständigkeit beraubt. Zweifellos ist Wakamatsu zuerst ein Ästhet und (wenn überhaupt) erst dann ein Analytiker und zweifellos ist United Red Army auf seine Weise auch ein Nostalgiefilm, der Geschichte in Dekoration verwandelt. Insbesondere die Erzählerstimme, die abwechselnd mit Jim O'Rourke die Bilder begleitet, gerät aufgrund ihres autoritären Timbres in der ersten halben Stunde fast unter Guido-Knopp-Verdacht. Überhaupt konnte ich mich nie so recht anfreunden mit dieser Erzählerstimme, erst recht nicht im weiteren Verlauf des Films, wenn das Archivmaterial verschwindet und der Inszenierung weicht. Denn dieser Erzählerstimme ist ein seltsam affirmativer, objektivistischer Duktus eigen, der diesem Film, der von nostalgischen Dystopien, paranoiden Fantasmen und allgemeiner von Verlust spricht, ansonsten fremd ist.
United Red Army ist primär nicht analytisch. Vielleicht ist er stellenweise sogar dumm und wahrscheinlich geht der Sexismus des Dargestellten bisweilen in einen Sexismus des Films selbst über: Nicht nur gründet die Politisierung der Frauen immer im persönlichen, die der Männer in dagegen in der Theorie; Frauengesichter haben einen grundsätzlich anderen Status als Männergesichter, dienen als Projektionsfläche für den Affekt der Geschichte. Dennoch ist Wakamatsu in seinem eigenen ästhetischen System präzise. Die zunehmende Hierarchisierung der Studentenbewegung findet Ausdruck in einer Serie von Gruppenanordnungen. Von der demokratischen Diskussionsrunde über das Führerprinzip bis zur quasistalinistischen Bürokratisierung: Die Parteielite an dem einen, das Fußvolk am anderen Tisch, nur scheinbar auf gleicher Ebene.
Diese Stalinisierung findet im zweiten Teil des Films statt. Die Studentenbewegung hat jede Anbindung an andere gesellschaftliche Gruppierungen verloren und mutiert ins Sektiererische. In den Bergen übt sie Selbstkritik, soll heißen: Die Parteielite sorgt dafür, dass sich das Fußvolk gegenseitig den Schädel einschlägt. Der Film entwickelt, befreit von der Faktenfülle der Anfangsstunde, eine ungemeine Intensität. Überraschend zurückhaltend ist United Red Army dabei auf der Bildebene. Die Selbstzerfleischung der Studenten, mitsamt ihres ganz speziellen Genderings, hätte der Wakamatsu der Sechziger wohl in einer Sex'n Gore Orgie aufgelöst. Hier optiert er jedoch, möglicherweise auch, um den Film im internationalen Festivalzirkus platzieren zu können, für eine in grafischer Hinsicht zurückhaltendere Variante. Sexuelle Gewalt spielt überhaupt keine Rolle und die übrige findet größtenteils Offscreen statt. Überhaupt Reduktion auf allen Ebenen: Die weit ausgreifende Geschichtserzählung zieht sich auf einen einzigen Schauplatz zusammen (eine Waldhütte, die am Anfang dieser ausführlichen Episode aufgebaut, am Ende wieder abgerissen wird), auf die Auseinandersetzung einer Handvoll Charaktere, die auf historischen Vorbildern basieren und nur mit einem Minimum an fiktivem Mehrwert ausgestattet werden. Weiterhin bleiben die Bilder einfach, die Kompositionen präzise, alle Montagemanöver höchstens dekorativ, nie manipulativ. In der Reduktion gelingen unglaublich eindringliche Sequenzen, das umgekehrte Spiegelstadium einer verzweifelten Revolutionärin nach der Selbstgeiselung oder das Begräbnis einer anderen als perverser Höhepunkt einer Bestrafungsorgie.
Schließlich wandelt sich der Film ein zweites Mal, fast ohne Ankündigung. Die beiden Hauptfiguren des Mittelteils verschwinden zwischen zwei Schnitten, ihr Schicksal erfährt das Publikum genau wie die Kleingruppe der letzten Aufrechten übers Radio. Im Epilog wird man erfahren, dass die sadistische Anführerin noch immer auf die Vollstreckung ihres Todesurteils wartet. Unified Red Army begiebt sich mit den letzten fünf Terroristen in deren finale Zufluchtsstätte: Ein Wohnhaus, wo sie sich gemeinsam mit der Gattin des Besitzers verschanzen, während draußen vor der Tür ein Polizeitrupp nach dem nächsten auffährt. Der Film jedoch bleibt im Haus, bis ganz am Ende, bis zur endgültigen Stürmung taucht nicht ein einziger Polizist im Bild auf. Die Polizei und die von dieser herbeizitierten Eltern der Studenten dringen nur als Stimme in das Bild ein, einen Körper gewinnen sie nie. Ihre Selbstisolierung halten die Studenten bis zum bitteren Ende aufrecht. Was in dieses Haus eindringt, in ein Haus, das sich zeitweise in der filmischen inszenierung von allen raumzeitlichen Beziehungen zur Außenwelt abgelöst hat, ist denn auch weniger die reale, spröde Staatsgewalt, als vielmehr hell leuchtendes Chaos, das die seit Jahren in ihrer Privatmysthik versteinerten Terroristen zu befreien verspricht. In diesem hell leuchtenden Chaos geht denn auch schließlich, kurz vor dem endgültigen Zugriff der Polizei, die Ideologie zugrunde. Wie dies geschieht, ist wie manch anderes in United Red Army möglicherweise etwas sentimental und inkonsequent. In Wakamatsus inszenatorischer, imaginativen Wucht jedoch schlicht und einfach und vor allem anderen großartig.
Berlinale 2008: Notizen
Invisible City, Tan Pin Pin, 2007
Grandmother's Flower, Mun Jeong-hyun, 2007
Asyl (Park and Love Hotel), Kumasaka Izuru, 2007
Versuche, die Vergangenheit in Bildern wiederzufinden, sind stets in gewissem Sinne zum Scheitern verurteilt. Schließlich enthalten die Bilder selbst keine Vergangenheit, sondern sind nur fruchtbar zu machen, wenn sie in Diskurse eingebettet werden. Und das Verhältnis zwischen Diskurs und Bild ist immer ein problematisches. Eine harmonische Einheit von (Vergangenheits-)Bild und Diskurs kann es nicht geben und wenn Filme diese dennoch zu erreichen suchen, ist Vorsicht geboten. So kann es einem Dokumentarfilm nur darum gehen, intertessante Formen des Scheiterns zu finden. Koloniale Vergangenheiten haben das zusätzliche Problem, dass die Bilder immer jemand anderem gehören und doch über die eigenen Vorfahren zu sprechen scheinen.
In Invisible City gehören die Bilder einem alten Engländer, der sich weigert, dieselben einem Archiv zur Verfügung zu stellen. Statt Teil der Geschichte Singapurs zu werden, sollen sie seinen Kindern als finanzielle Absicherung dienen. Eine von mehreren eindrücklichen Begegnungen: Der am Rande der Demenz immer noch höchst vitale Immernoch-irgendwie-Kolonisatort schwafelt von allem möglichem und entwickelt währenddessen sogar eine Art von Medientheorie: "I want to unload my brain into this machine". Zwischen meterhohen Stapeln veralteter Filmtechnologie stolpert er herum und durchforstet sein Archiv, das zweifellos viele Schätze birgt. Sein neuester Plan: Das Filmmaterial (größtenteils dokumentarische Aufnahmen aus dem Südostasien der Fünfziger und Sechziger) vertonen und zwar mit Hilfe eines frei assoziierenden Voice-Over Kommentars. Wenn daraus mal was wird, möchte ich das nur allzu gerne sehen.
Auch sonst trifft man in Invisible City zwischen Bildfragmenten jeder Art auf absonderliche Gestalten: Einen dandyhaften Archäologen beispielsweise, der Colaflaschen ausbuddelt, oder eine uralte Britin, die nach der Unabhängikeit Singapurs nicht nach Europa zurückgekehrt ist und nun aussieht wie das buchstäbliche Gespenst des Kolonialismus'.
Besonders die Verbindung von Bildproduzenten und Bildfragmenten fasziniert an Invisible City. Etwas weniger sinnvoll scheinen mir die (glücklicherweise nicht allzu häufigen) Attacken auf das eigene Filmmaterial, die Tan Pin Pin selbst vornimmt. Schließlich besteht doch ein Unterschied zwischen dem Verfall von Bildern im Verlauf der Geschichte durch Geschichte und dem Eingriff des modernistischen Künstlersubjekts.
Auch Grandmother's Flower geht auf Spurensuche in der Vergangenheit und hat mit der mangelnden Sichtbarkeit derselben zu kämpfen. Mun Jeong-hyun wählt den Weg der bedingungslosen Personalisierung (bzw Familiarisierung) und Sentimentalisierung. Das geht erwartungsgemäß schief. Dabei macht auch Grandmother's Flower anfang einige interessante Bekanntschaften: Alternde Einwohner zweier durch eine Klassenschranke getrennter südkoreanischer Dörfer, die sich im Koreakrieg in unterschiedlichen politischen Lagern wiederfanden: Die Bourgeoisie im einen Dorf hielt zur Linken, die Arbeiterklasse im andern zur Rechten. Die Fronten sind heute, mehr als 50 Jahre später, immer noch dieselben. Zumindest unter den Rentnern. Ebenfalls wie in Invisible City zeigt der Film hier unter anderem Ex-Kommunisten beim Singen alter Kampfeslieder.
Bald jedoch wird klar, dass Mun Jeong-hyun die Schrecken der Vergangenheit nur beschwört, um sie in der Gegenwart wieder zu versöhnen. Die zähe Familiengeschichte, die sich um diese Versuche entspannt wird durch die Animationseinlagen, die die fehlenden Vergangenheitsbilder ersetzen sollen, nur noch rührseliger.
---
Asyl (Park and Love Hotel) dagegen ist ein Spielfilm. Der Macht des Fiktiven gibt er sich dennoch nur sehr bedingt hin. Soll heißen: Es passiert nicht viel in diesem Debutfilm, dem man die Tatsache, dass er ein Debutfilm ist, schon von weitem ansieht. Manchmal nett anzusehen sind die Versuche, motivische Kohärenz zu etablieren, allerdings leiden diese stets darunter, dass von narrativer Stringenz oder auch nur irgendeinem Projekt weit und breit keine Spur ist. Wahrscheinlich möchte Asyl (Park and Love Hotel) ein Film über alternative Lebensformen in einer konformistischen Gesellschaft sein. Den utopischen Ort jenseits sozialer Klassifizerung bildet eine Dachterrasse voller lärmender Menschen, die putzige Dinge tun. Das ist denn doch etwas wenig. Im Grunde weiß nur die zweite Episode um die Konfrontation einer Hausfrau mit der außerhausfräulichen Wirklichkeit etwas zu erzählen, ansonsten verabschiedet sich das Anliegen des Films mitsamt seiner formalen Spielereien geradewegs in Richtung Nirwana.
Grandmother's Flower, Mun Jeong-hyun, 2007
Asyl (Park and Love Hotel), Kumasaka Izuru, 2007
Versuche, die Vergangenheit in Bildern wiederzufinden, sind stets in gewissem Sinne zum Scheitern verurteilt. Schließlich enthalten die Bilder selbst keine Vergangenheit, sondern sind nur fruchtbar zu machen, wenn sie in Diskurse eingebettet werden. Und das Verhältnis zwischen Diskurs und Bild ist immer ein problematisches. Eine harmonische Einheit von (Vergangenheits-)Bild und Diskurs kann es nicht geben und wenn Filme diese dennoch zu erreichen suchen, ist Vorsicht geboten. So kann es einem Dokumentarfilm nur darum gehen, intertessante Formen des Scheiterns zu finden. Koloniale Vergangenheiten haben das zusätzliche Problem, dass die Bilder immer jemand anderem gehören und doch über die eigenen Vorfahren zu sprechen scheinen.
In Invisible City gehören die Bilder einem alten Engländer, der sich weigert, dieselben einem Archiv zur Verfügung zu stellen. Statt Teil der Geschichte Singapurs zu werden, sollen sie seinen Kindern als finanzielle Absicherung dienen. Eine von mehreren eindrücklichen Begegnungen: Der am Rande der Demenz immer noch höchst vitale Immernoch-irgendwie-Kolonisatort schwafelt von allem möglichem und entwickelt währenddessen sogar eine Art von Medientheorie: "I want to unload my brain into this machine". Zwischen meterhohen Stapeln veralteter Filmtechnologie stolpert er herum und durchforstet sein Archiv, das zweifellos viele Schätze birgt. Sein neuester Plan: Das Filmmaterial (größtenteils dokumentarische Aufnahmen aus dem Südostasien der Fünfziger und Sechziger) vertonen und zwar mit Hilfe eines frei assoziierenden Voice-Over Kommentars. Wenn daraus mal was wird, möchte ich das nur allzu gerne sehen.
Auch sonst trifft man in Invisible City zwischen Bildfragmenten jeder Art auf absonderliche Gestalten: Einen dandyhaften Archäologen beispielsweise, der Colaflaschen ausbuddelt, oder eine uralte Britin, die nach der Unabhängikeit Singapurs nicht nach Europa zurückgekehrt ist und nun aussieht wie das buchstäbliche Gespenst des Kolonialismus'.
Besonders die Verbindung von Bildproduzenten und Bildfragmenten fasziniert an Invisible City. Etwas weniger sinnvoll scheinen mir die (glücklicherweise nicht allzu häufigen) Attacken auf das eigene Filmmaterial, die Tan Pin Pin selbst vornimmt. Schließlich besteht doch ein Unterschied zwischen dem Verfall von Bildern im Verlauf der Geschichte durch Geschichte und dem Eingriff des modernistischen Künstlersubjekts.
Auch Grandmother's Flower geht auf Spurensuche in der Vergangenheit und hat mit der mangelnden Sichtbarkeit derselben zu kämpfen. Mun Jeong-hyun wählt den Weg der bedingungslosen Personalisierung (bzw Familiarisierung) und Sentimentalisierung. Das geht erwartungsgemäß schief. Dabei macht auch Grandmother's Flower anfang einige interessante Bekanntschaften: Alternde Einwohner zweier durch eine Klassenschranke getrennter südkoreanischer Dörfer, die sich im Koreakrieg in unterschiedlichen politischen Lagern wiederfanden: Die Bourgeoisie im einen Dorf hielt zur Linken, die Arbeiterklasse im andern zur Rechten. Die Fronten sind heute, mehr als 50 Jahre später, immer noch dieselben. Zumindest unter den Rentnern. Ebenfalls wie in Invisible City zeigt der Film hier unter anderem Ex-Kommunisten beim Singen alter Kampfeslieder.
Bald jedoch wird klar, dass Mun Jeong-hyun die Schrecken der Vergangenheit nur beschwört, um sie in der Gegenwart wieder zu versöhnen. Die zähe Familiengeschichte, die sich um diese Versuche entspannt wird durch die Animationseinlagen, die die fehlenden Vergangenheitsbilder ersetzen sollen, nur noch rührseliger.
---
Asyl (Park and Love Hotel) dagegen ist ein Spielfilm. Der Macht des Fiktiven gibt er sich dennoch nur sehr bedingt hin. Soll heißen: Es passiert nicht viel in diesem Debutfilm, dem man die Tatsache, dass er ein Debutfilm ist, schon von weitem ansieht. Manchmal nett anzusehen sind die Versuche, motivische Kohärenz zu etablieren, allerdings leiden diese stets darunter, dass von narrativer Stringenz oder auch nur irgendeinem Projekt weit und breit keine Spur ist. Wahrscheinlich möchte Asyl (Park and Love Hotel) ein Film über alternative Lebensformen in einer konformistischen Gesellschaft sein. Den utopischen Ort jenseits sozialer Klassifizerung bildet eine Dachterrasse voller lärmender Menschen, die putzige Dinge tun. Das ist denn doch etwas wenig. Im Grunde weiß nur die zweite Episode um die Konfrontation einer Hausfrau mit der außerhausfräulichen Wirklichkeit etwas zu erzählen, ansonsten verabschiedet sich das Anliegen des Films mitsamt seiner formalen Spielereien geradewegs in Richtung Nirwana.
Saturday, January 19, 2008
Berlinal 2008: Notizen
Coupable, Laetitia Masson, 2008
Eskalofrío, Isidro Ortiz, 2008
Am Anfang ist das Chaos. Und es dauert eine ganze Weile, bis sich in Laetitia Massons Coupable eine Struktur, ein Thema, ein Stilprinzip bemerkbar macht. Ganz so schlimm wie der ausführliche Prolog inklusive fürcherlichem In-Die-Kamera-Geschwafel und noch fürchterlicherem Irgendwas-mit-Lacan-Voiceover ist der Rest des Films dann glücklicherweise doch nicht. Es gelingem ihm sogar einige schöne Szenen, derer erste - und vielleicht bemerkenswerteste - gleich die Titelsequenz ist. Recht viel Mühe gibt sich Coupable mit der Figurenzeichnung, weitaus weniger mit der Etablierung eines einigermaßen interessanten, oder wenigstens nur kohärenten, filmischen Raumes. Nicht einmal das räumliche Zentrum des Films, eine von den Besitzern verlassene Villa, in welcher sich eine überspannte Dreiecksbeziehung einnistet, ist mehr als ein Nebeneinander halbwegs schicker Designermöbel und einfarbiger Wände.
Filme, die nicht wissen, wo sie spielen, wissen normalerweise auch nicht wirklich, wovon sie handeln. Und so bleibt Coupable auch narrativ unbefriedigend, der von Anfang an uninteressante Whodunit stolpert seiner Auflösung entgegen, während sich das prinzipiell etwas vitalere Psychodramen in überflüssigen Manierismen und gleich mehreren Popmusik-Montagesequenzen verliert. Am Ende bleibt wenig. Und schon gar keine Bilder, an die man sich zwei, drei Tage später noch erinnern würde.
Eskalofrío dagegen ist ein Film, der weiß, wo er spielt. Und wovon er handelt. Leider ist das auch schon alles. Isidro Ortiz' Film ist einer jener Streifen, bei denen man sich fragt, was sie auf der Berlinale verloren haben. Als geradliniger, öder Horrorfilm ist Eskalofrío höchstens ein Film für das Fantasy Filmfest und die Videothek, wo er wahrscheinlich demnächst als Devil From the Woods oder ähnliches, versehen mit einem in dunklen Farbtönen gestalteten Cover, sich aufs Altenteil zurückziehen wird. Auf dem FFF würde der Film wohl gar nicht so negativ auffallen, schließlich ist er handwerklich durchaus passabel und hat als Distinktionsmoment ein, zwei wenig originelle Story-Twists parat.
Erwähnenswert ist an dieser spanischen Backwood-Horror Variante im Grunde nur die Tatsache, dass er tatsächlich glaubt, seinem Publikum ausgerechnet mit einem deutschen PKW-Nummernschild Angst einjagen zu können.
Eskalofrío, Isidro Ortiz, 2008
Am Anfang ist das Chaos. Und es dauert eine ganze Weile, bis sich in Laetitia Massons Coupable eine Struktur, ein Thema, ein Stilprinzip bemerkbar macht. Ganz so schlimm wie der ausführliche Prolog inklusive fürcherlichem In-Die-Kamera-Geschwafel und noch fürchterlicherem Irgendwas-mit-Lacan-Voiceover ist der Rest des Films dann glücklicherweise doch nicht. Es gelingem ihm sogar einige schöne Szenen, derer erste - und vielleicht bemerkenswerteste - gleich die Titelsequenz ist. Recht viel Mühe gibt sich Coupable mit der Figurenzeichnung, weitaus weniger mit der Etablierung eines einigermaßen interessanten, oder wenigstens nur kohärenten, filmischen Raumes. Nicht einmal das räumliche Zentrum des Films, eine von den Besitzern verlassene Villa, in welcher sich eine überspannte Dreiecksbeziehung einnistet, ist mehr als ein Nebeneinander halbwegs schicker Designermöbel und einfarbiger Wände.
Filme, die nicht wissen, wo sie spielen, wissen normalerweise auch nicht wirklich, wovon sie handeln. Und so bleibt Coupable auch narrativ unbefriedigend, der von Anfang an uninteressante Whodunit stolpert seiner Auflösung entgegen, während sich das prinzipiell etwas vitalere Psychodramen in überflüssigen Manierismen und gleich mehreren Popmusik-Montagesequenzen verliert. Am Ende bleibt wenig. Und schon gar keine Bilder, an die man sich zwei, drei Tage später noch erinnern würde.
Eskalofrío dagegen ist ein Film, der weiß, wo er spielt. Und wovon er handelt. Leider ist das auch schon alles. Isidro Ortiz' Film ist einer jener Streifen, bei denen man sich fragt, was sie auf der Berlinale verloren haben. Als geradliniger, öder Horrorfilm ist Eskalofrío höchstens ein Film für das Fantasy Filmfest und die Videothek, wo er wahrscheinlich demnächst als Devil From the Woods oder ähnliches, versehen mit einem in dunklen Farbtönen gestalteten Cover, sich aufs Altenteil zurückziehen wird. Auf dem FFF würde der Film wohl gar nicht so negativ auffallen, schließlich ist er handwerklich durchaus passabel und hat als Distinktionsmoment ein, zwei wenig originelle Story-Twists parat.
Erwähnenswert ist an dieser spanischen Backwood-Horror Variante im Grunde nur die Tatsache, dass er tatsächlich glaubt, seinem Publikum ausgerechnet mit einem deutschen PKW-Nummernschild Angst einjagen zu können.
Labels:
Berlinale,
Berlinale 2008,
Coupable,
Eskalofrio,
Festivalkino,
Frankreich,
Horror,
Masson,
Monster,
Ortiz,
Pomo,
Spanien
Subscribe to:
Posts (Atom)