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Friday, November 20, 2009

Tamnaan somdet phra Naresuan maharat: Phaak prakaat itsaraphaap / The Legend of Naresuan: Part 2, Chatrichalerm Yukol, 2007

Chatrichalerm Yukol hat seit der Jahrtausendwende seine Karriere grundlegend neu justiert und drei große, für thailändische Verhältnisse extrem hoch budgetierte Historienfilme gedreht: zuerst Suriyotai, dessen internationale Version von niemand geringerem als Francis Ford Coppola produziert wurde, danach zwei Teile einer geplanten Trilogie über das Leben des legendären Königs Naresuan, der im 16. Jarhundert Siams Unabhängigkeit von Burma erstritt. Ich kenne nur deren zweiten Teil, Yukols neuesten Film, der auch als alleinstehendes Werk sehr gut rezipierbar ist. Der dritte Teil der Trilogie ist seit längerem angekündigt, scheint aber derzeit auf Eis zu liegen, eventuell, weil Yukol ernsthaft erkrankt ist. Dieses Youtube-Video scheint etwas in diese Richtung nahe zu legen. Leider beschäftigen sich die zugehörigen Kommentare mehr mit der Moderatorin Aff als mit dem Grund ihres Besuchs. Ich wünsche jedenfalls dem - Apichatpong hin, Weerasethakul her - nach wie vor wichtigsten Regisseur seines Landes gute Genesung.
Wenn man ältere Filme des Regisseurs gesehen hat, muss man zunächst, was diese Karrierewendung angeht, mindestens skeptisch sein. Deren prekärer Sozialrealismus und subversiv-energische Genreaneignungen weichen nationalistisch gefärbtem Ausstattungskino. Eine ähnliche Karriereentwicklung musste man zuletzt bei einigen Regisseuren der chinesischen fünften Generation beobachten und selbst Jia Zhang-ke und der Großmeister Hou Hsiao Hsien arbeiten derzeit an entsprechenden Projekten.
Freilich ist dieser erste Yukol-Historienfilm, den ich gesehen habe, doch einigermaßen weit entfernt von den zur Zeit nicht selten mehr oder weniger offen faschistoid daherkommenden modernen Wuxias (ganz abgesehen davon ist der Film schon deshalb von besonderem Interesse, weil die Welt, die sie entwerfen, eine ganz andere ist als die der chinesischen und japanischen Historienfilme; ein wenig kann man sich diese Welt der südostasiatischen Königsreiche über Wikipedia erschließen, ein guter Ausgangspunkt ist der Eintrag zu Ayutthaya).
Zwar bleibt Naresuan 2 in den Grenzen des Genres: Bilder aus der Perspektive der Macht, Geschichte aus der Perspektive der Nation. Imperialer Prunk in Aufsicht, fließende Kamerabewegungen, dem Herrscher gehört die Großaufnahme, seine Untergebenen fasst er in die Totale. Shakespearesque Königsdramen und das Fußvolk, das sie blutig ausagiert. Allerdings scheint mir in Yukols Film das Verhältnis der Herrscher zu ihren Untertanen doch ein wenig anders beschaffen zu sein als in den chinesischen Filmen (und insgesamt nehme ich dem Film eher als seinen eleganteren Pendants ab, dass in ihm tatsächlich eine Gesellschaft über ihre Geschichte nachdenkt).
Die Unterschiede sind (wenn ich sie mir nicht ohnehin nur einbilde) nicht in jeder Hinsicht offensichtlich und sie sind schwer zu beschreiben. In den chinesischen Filmen ist der Herrscher ein Künstler, der sein Volk als Ornament arrangiert und der Regisseur hilft ihm dabei. Bei Yukol wirkt das einerseits organischer, andererseits handwerklicher, brachialer. Zunächst: keine aufwändigen Martial-Arts-Arrangements, statt dessen schlagen die Krieger humorlos zu, in der einen Hand das Schwert, in der anderen die Streitaxt. Vor allem aber gibt es Momente, in denen der Film gegen seine Struktur eine Kontinuität zwischen seinen historischen Helden und ihrer namenlosen Gefolgschaft aufscheinen lässt. Wenn die Kamera vor den Schlachten über die Reihen der Soldaten schwenkt, sucht sie weniger die mechanistische Gesamtheit, die militärischer Drill und Uniformierung als serielles Moment hervorbringen, sondern es geht um eine organische Gesamtheit, die nicht nur der bloßen funktionalisierbaren Variation, sondern qualitativer Unterschiede bedarf. Vielleicht: im europäischen Historienfilm löst sich das Ornament im Moment der Schlacht, im Angesicht des Todes auf und kritisiert dadurch das Ornament; das neue Wuxia strebt danach, die Ordnung (als visuelle) in den Schlacht, in den Tod zu verlängern und setzt das Ornament als transzendentale Instanz; Yukols Film bleibt als Ganzes nicht vor dem Ornamentalen, aber vor dem totalitären, vollendeten Ornament.
Yukols Autorenhandschrift ist weitgehend unsichtbar und prägt sich eher in das ein, was der Film nicht macht. Zum Beispiel verzichtet Naresuan 2 auf Triumphalismen, sein Pathos ist in den entscheidenden Momenten melancholisch grundiert. Freilich habe ich in zweieinhalb Stunden Laufzeit nur eine einzige "echte" Yukol-Szene ausmachen können: In der besucht Naresuan, Haupt- und Identifikationsfigur der geplanten Trilogie, anonym seine Untertanen. Wenn die Kamera für einmal nicht imperial motiviert auf das Volk blickt, verschwindet der Piktorialismus zwar nicht, aber er wird als eine Konvention sichtbar, die lügt und als eine Lüge, die Naresuan und Yukol eigentlich aufdecken sollten und irgendwie auch wollen. Allein, man lässt sie nicht und nach einer anekdotischen Nacht bei einer schrulligen Alten, die ihren Herrscher nicht erkennt, macht man sich wieder auf in Richtung Geschichtsbuch.

Thursday, November 19, 2009

Issaraparb kong Thongphun Khokpho / Citizen 2, Chatrichalerm Yukol, 1984

Diese Fortsetzung eines bislang nicht auf DVD, VHS oder VCD verfügbaren Films gehört mit Sicherheit zu Yukols schönsten Werken: Eine düster schimmernde Großstadtballade, ehrlich-romantischer Sozialrealismus, pumpende Discomusik als Hintergrund für Schießereien in Tiefgaragen, Neonreklamen färben die notdürftige Unterkunft, in der der aus der Haft entlassene ehemalige Taxifahrer Thongphun und die unter prekären Bedingungen aufgewachsene Jugendliche Lamai sich notdürftig von der sie umgebenden Stadt abzuschirmen versuchen (nicht nur vor den Neonreklamen gibt es kein Entkommen). Erst kurz vor Ende entwickelt sich ein klassischer Thrillerstoff, davor erkundet der Film mit seinen Figuren in episodischer Form Bangkok. Die inszenierte Schlägerei im Restaurant, um die Rechnung nicht bezahlen zu müssen. Der Polizist, der den Gangsterboss, der sich immer wieder aus dem Gefängnis freikauft, stellt und damit sein eigenes Todesurteil unterzeichnet (das der Film dann aber nicht, oder wenigstens nicht ganz, vollstreckt). Die Diebin, die eine andere Diebin bestehlen möchte und bei dem Versuch aus Versehen eine reguläre Anstellung erhält. Einmal bleibt die Kamera auch einfach nur für ein paar Sekunden an einem Mann hängen, der auf der Straße liegt und sich in Schmerzen windet.
Großartig auch in diesem Film, wie Yukol seine Figuren entwirft: nie als handlungsmächtige Individuen im engeren Sinne natürlich, aber eben auch nie als bloße Opfer oder Funktionen ihrer jeweiligen Milieus. Es geht immer um spezifische Haltungen zum eigenen Leid, Haltungen, die eher ethischer als epistemischer Natur sind. Es geht um die Wahl zwischen verschiedenen derartigen Haltungen und darum, dass eine solche Wahl auch dann möglich ist, wenn man noch nicht in der Lage ist, das große Ganze in den Blick zu bekommen. (Immer wieder kommt mir Brocka in den Sinn, erst recht in diesem Fall, weil der Film mit einem Gewaltausbruch endet, der zu dem vorherigen Verhalten des Protagonisten in keinem Verhältnis steht. Dennoch verhält es sich bei Brocka glaube ich etwas anders: Zwar geht es dem philippinischen Regisseur ebenfalls immer wieder um eine prä-revolutionäre Selbstermächtigung nicht als Ergebnis von, sondern als Voraussetzung für politische Kritik, aber der Wandel, auf den seine Filme zielen, ist genau die Konstitution eben der ethischen Haltung zum eigenen Schicksal, die Yukols deutlich näher an den Figurenkonzeptionen Hollywoods angelegte Filme bereits voraussetzen.)
Thongphuns Vorgeschichte wurde in einem anderen Film erzählt, man kann sie jedoch recht genau rekonstruieren: Er ist ein idealistischer Taxifahrer, der mit Gangstern in Konflikt geraten war und irgendwann beschloss, sich zu wehren. Die Tatsache, dass er bei der Gelegenheit im ersten Film nicht einfach nur zuschlug, sondern ein waschechtes Blutbad anrichtete (vier Tote, zwei Verletzte), schwebt von Anfang an als irritierendes Moment über dem Nachfolger, als Potential, das auf seine Realisierung wartet - und natürlich, da verrate ich nicht zuviel: nicht umsonst warten muss. Im Grunde weiß Thongphun die ganze Zeit, worauf seine Odyssee auch diesmal wieder hinauslaufen muss. Der eher lakonisch als emphatisch inszenierte Gewaltausbrauch am Ende, nach einigen yukoltypischen Drehbuchmanövern, denen man eigentlich nur bedingt folgen möchte, kommt nicht überraschend, aber er verändert den Film überraschend radikal. In wenigen Minuten stellt Thongphun sich und seine Welt auf den Kopf, beziehungsweise vom Kopf auf die Füße und im federleichten Happy End (begleitet von einem unter mehreren großartigen Thai-Popsongs - Citizen 2 ist tatsächlich mal ein Film, dessen Soundtrack ich mir kaufen würde) ist seine eigene Unmöglichkeit schon mitgedacht.

Wednesday, November 18, 2009

Nawng mia / Story of Chao Phraya, Chatrichalerm Yukol, 1990

Chatrichalerm Yukol ist ein sozial engagierter Regisseur mit verwandschaftlichen Verbindungen zum thailändischen Königshaus. Dem Vernehmen nach haben ihm diese Verbindungen des öfteren geholfen, seine Filme an der harten thailändischen Zensur vorbei zu schmuggeln. Seine Position im thailändischen Kino ähnelt vielleicht ein wenig der Lino Brockas im philippinischen (wobei nicht zuletzt die großen Unterschiede zwischen den jeweiligen Filmindustrien, in denen die beiden Regisseure arbeiteten, bei einem derartigen Vergleich zu bedenken sind): Er arbeitet in populären Genres, beherrscht deren Regelwerke auch außerordentlich gut, stellt das Genre aber konsequent in den Dienst eines sozialen Programms - die Historienspektakel, die Yukol seit einigen Jahren inszeniert und die sein Werk mit Sicherheit in eine ganz andere Richtung führen, kenne ich noch nicht. Weniger kohärent erscheint dieses Programm als im Falle Brockas und ich kenne keine im engeren Sinne agitatorischen Yukolfilme, die mit beispielsweise Bayan ko vergleichbar wären.
Überhaupt ist sein Einsatz eher liberal-reformerisch als radikal-revolutionär. Die Filme arbeiten sich an auf den ersten Blick eng umgrenzten Themen ab: In einem Film geht es um Zwangsprostitution (Hotel Angel), in einem zweiten um Drogensucht (Daughter), in einem dritten um AIDS (Daughter 2). Das Thema von Story of Chao Phraya ist als konstitutiver Hintergrund in vielen, wenn nicht gar in allen seinen Filmen (soweit ich sie kenne) präsent, mindestens in einem weiteren (Doktor Kam) steht es direkt im Mittelpunkt: Die krasse Differenz zwischen dem Leben in der Stadt und dem auf dem Land.
Es geht um eine Familie von Händlern aus einem ländlich geprägten Teil Thailands, die Waren in die Städte schifft und dort verkauft. Yukol etabliert die Dynamik, die den Film antreibt, schon in der ersten Szene, wenn Prang, die Frau der Familie, auf dem Deck des Schiffs sitzt und ihre Fußnägel lackiert. Prang hält nichts mehr auf dem Schiff. Sobald es in der Hauptstadt Bangkok angekommen ist, macht sie sich auf in einen Frisiersalon, in dem eine zwielichtige Dame junge Provinzlerinnen anspricht und ihnen Hoffnung auf Filmkarrieren macht.
Vielleicht, weil sich ohnehin jeder den weiteren Verlauf dieses Handlungsstrangs ausmalen kann, lässt Yukol ihn zunächst fast vollständig fallen und erschließt die Verlockungen und Gefahren der Großstadt nicht über die direkte körperliche Erfahrung Prangs, sondern über ihren Ehemann Sang, der sich gemeinsam mit einem Taxifahrer, der ihn nach allen Regeln der Kunst ausnimmt, auf die Suche nach seiner Geliebten macht (noch einmal der Brocka-Vergleich: sowohl thematisch als auch strukturell erinnert der Film an dessen freilich bei aller Liebe für Yukol ungleich kraftvolleren und reicheren Klassiker Manila in the Claws of Neon). Sang ist nicht direkt körperlich in diese Stadt involviert, er bleibt ein Fremdkörper, ein distanzierter Betrachter, vor dem Yukol das sündige Bangkok in Form von Attraktionsmontagen ausbreitet. Nachtclubtänzerinnen, Neonreklamen etc. Die besten Momente des Films finden sich in diesen Szenen, etwa, wenn Sang in einer Totalen ein gigantisches Kaufhaus durchquert, in dem er sichtlich nichts verloren hat.
Yukols Filme bekommen nicht selten Probleme mit ihrer melodramatischen Struktur. Anders als in den besten Brocka-Filmen (zB Bona, Insiang, Jaguar, Manila...) bleibt das Melodrama dem sozialen Gehalt (und auch den immer wieder, in den späteren Filmen aber weniger häufig auftauchenden avandgardistisch-dialektischen Montagesequenzen) äußerlich. In Story of Chao Phraya heftet sich das Melodrama vor allem an die dritte Figur in der Familie, an Tubtim, die jugendliche Schwester der Frau, die sich (Yukol lässt auch in seinen zurückhaltenderen Filmen, zu denen der hier besprochene zählt, keine Härten aus, in einigen früheren Werken, aber auch im später entstandenen Daughter, geht es auch schon mal in Richtung Exploitation) von ihrem Schwager erst um ein Haar vergewaltigen lassen muss und ihn später, als ihre Schwester nicht aufzutreiben ist, dann auch noch heiraten soll. Am Ende kollidiert dieses Melodram (das zweifellos an reale Erfahrungen anschließt aber nicht in diesem Sinne inszeniert wird) mit dem sozialen Inhalt des Films in einer recht kruden Szene, die eben in ihrer Krudheit anzeigt, dass da etwas nicht stimmt in der Konstruktion des Films und dass das, was nicht stimmt, etwas ist, für das der Regisseur wenig wenn überhaupt etwas kann. Eher bezeichnet diese Szene die notwendige politische Grenze eines in sich dennoch sehr interessanten Kinoentwurfs.

Monday, February 11, 2008

Berlinale 2008: Panasiatisches Kunstkino

Zou you /In Love We Trust, Wang Xiao Shuai, 2008

Wonderful Town, Aditya Assarat, 2008

Sweet Food City, Gao Wendong, 2008

Die Kamera bewegt sich selten, die Einstellungen sind lang, wenn Musik, dann Klaviermusik, erzählt wird tendenziell weniger als anderswo.
Die Vorbilder sind deutlich erkennbar: Hou Hsiao-hsien für Zou you (aber nur stilistisch, seine Geschichte rollt Wang Xiao Shuai ohne die Houschen Aussetzer und Ellipsen ab), Wong Kar Wai für Wonderful Town, Tsai Ming Liang für Sweet Food City. Innerhalb des (süd)ostasiatischen Kunstfilms haben sich verschiedene Archetypen herausgebildet, die endlos variiert werden können.
Zou You ist ein Wettbewerbsfilm. Und zwar nicht nur, weil er im Wettbewerb läuft, weil Kosslick ihn während seiner äußerst tiefschürfenden Recherchen im Bereich des asiatischen Autorenfilms ausfindig gemacht hat. Nein, Zou you wurde von Anfang an für diesen Wettbewerb geschrieben und gedreht. Oder wenn nicht für diesen, dann für den in Locarno oder San Sebastian (für Venedig oder Cannes ist er denn doch zu schlecht). Klar, das gilt prinzipiell für viele, wenn nicht gar für alle Filme des Programms: Der Festivalbetrieb wählt seine Filme nicht aus einem außerhalb seiner selbst existierenden Filmmarkt, sondern produziert diesen selbst, teils direkt, teils und weitaus effektiver indirekt. Dennoch addressiert Zou you die Programmkommission als anvisiertes Publikum noch deutlicher als die meisten anderen Wettbewerbsfilme der letzten Jahre, die ich gesehen habe. Pitch: World Cinema light. In diesem Fall wie bereits angedeutet und wie Wang Xiao Shuai es bereits mit Drifters einstudiert hat: Hou Hsiao-hsien light. Die Bilder sind streng komponiert, teilweise schön in die Tiefe gestaffelt, Kamerabewegungen werden spärlich, dann aber effizient eingesetzt. Freilich: In den dramatischen Momenten gibt's dann trotzdem Schuss/Gegenschuss.
Narrativ betrachtet ist Zou you leicht formalisierter Arthausproblemsozialkitsch: Wörtlich übersetzt heißt "Zou you" "Rechts Links", eine Familie rechts, eine links, das Mädchen, um dessen Krankheit es geht, hat ein Zöpfchen rechts, eines links, ein biologisches Elternteil in der rechten, eines in der linken Familie, aus medizinischen Gründen sollen sich die beiden noch einmal sexuell vereinigen (zwecks Erzeugung eines Stammzellenliefernates für das Zopfmädchen), das führt zu Ehekrach rechts und Ehekrach links, vor allem nachdem die künstliche Befruchtung scheitert. Zwischendrin erklärt eine Figur der anderen die chinesische Zweikindpolitik. Die weiß natürlich bereits Bescheid also erklärt eigentlich eine Figur dem Publikum die chinesische Zweikindpolitik. Noch genauer: Der Film erklärt der Programmkommision, dass er irgendwie auch politisch ist. Hou Hsiao-hsien würde einen solchen Stoff natürlich nie anfassen, bei Alain Resnais wäre daraus ein Masterpiece geworden. Bei Wang Xiao Shuai erfüllt sich der Zweck des Films mit der Einladung zum Berlinalewettbewerb und werweiß dem Preis irgendeiner ökumenischen Jury. Mehr gibt es für einen solchen Film nicht zu hoffen, mehr verlangt er auch nicht.
Wonderful Town hat es nur ins Forum geschafft. Wahrscheinlich, weil es sich um einen Debutfilm handelt. Auch Aditya Assarat hält sich an die Regeln. Und zwar an die von Wong Kar Wai. Beziehungsweise an die von Christopher Doyle. Langsam schwebende Kamerafahrten, liebliche Farbtöne, dünne Mädchen, die neben flatternden Vorhängen auf dem Bett liegen. Irgendwo ist ein Geisterhaus, das macht kurz Hoffnung, spielt dann aber keine große Rolle. Statt dessen bittersüße Liebesgeschichte, bittersüße Liebesgeschichtebilder, bittersüße Liebesgeschichtebilderbegleitmusik.
Technisch ist das sehr ansehnlich und da die Narration wie bei Wong Kar Wai nicht allzu aufdringlich ist, gefällt Wonderful Town besser als Zou you. Schön ist eine Sequenz, in der die lokalen Dorfprolls die Liebenden während einer Autofahrt traktieren. Die Kamera schwebt mit dem fahrenden Auto und teilt die Verunsicherung dessen Insassen. Schön ist auch das brutale Finale, welches dann doch nicht mehr ganz im Genre aufgeht. Das letzte Bild ist dann wieder Kinopoesie der schrecklicheren Art: Zwei rosa gekleidete Kinderballerinas tanzen auf einer Steinmauer.
Auch Sweet Food City läuft im Forum. Im Gegensatz zu Wonderful Town kann ein solcher Film auch nur dort laufen. Gefühlte 10 Minuten dauert eine starre Einstellung, die im Vordergrund einen Müllsammler zeigt, der im auf der Straße liegenden Abfall wühlt. Narrativ von Interesse ist eine andere Figur, im Hintergrund. Erst sitzt sie ein paar Minuten schweigend auf einer Treppe, dann führt sie ein kurzes Telefongespräch, das so gut wie keine Informationen bietet, dann bleibt sie noch ein wenig sitzen, schließlich steht sie auf und geht. Die Einstellung ist jedoch erst zu Ende, nachdem der Müllsammler das Bild verlassen hat.
Sweet Food City ist ein guter Film und orientiert sich an Tsai Ming Liang, an seiner Art, Bilder zu komponieren, wie auch an seinem Erzählstil, an einer narrativen Logik, die auf die Fähigkeit des Publikums setzt, Lücken selbstständig zu füllen. World Cinema heavy. Dabei deutlich stärker als Tsai Ming Liang Realismusdiskursen verhaftet. Sweet Food City ist nicht emphatisches nothing happens. Zumindest nicht nur. Meist gibt es in den szenischen Panoramen der vor sich hin gammelnden Stadt Interessantes zu beobachten. Das soziale Leben im Zustand seines Verfalls, denkbar weit entfernt von Jia Zhang-kes im Vergleich vitalistischen Gewusel in Still Life. Architektur im Zustand ihres Zerfalls, die Häuser brechen auf, die Kamera entfernt sich und betrachtet sie von weitem. Auf mehreren Etagen dieser Ruinen organisiert eine Art Ersatzleben, ganz ähnliche Bilder findet Sweet Food City hier wie Rithy Panhs Les artistes du Theatre Brule.
Dazwischen entwickelt sich irgendwo eine Geschichte. Erst fast gar nicht, nicht einmal deren Exposition kommt weiter als zur Klärung, dass eine Figur der Onkel einer anderen ist und eine Dritte wohl als Prostituierte arbeitet. Wenn die Geschichte dann in Schwung kommt, tut sie das zwischen den Bildern und zwar so schnell, dass die Bilder selbst gar nicht mehr hinterherkommen und das auch schnell wieder aufgeben. Dann schauen die Figuren lieber Filme von Bergman, Antonioni und Edward Yang. Dazwischen auch mal Hongkong-Trash. Gewidmet ist der Film aber natürlich nicht Godfrey Ho, sondern Antonioni, Bergman und Yang. Das sorgt für Erheiterung im Publikum. Warum eigentlich?

Friday, January 26, 2007

Berlinale 2007: Village People Radio Show, Amir Muhammad, 2007

Mit Amir Muhammads Last Communist konnte ich auf der Berlinale 2006 nicht richtig warm werden, trotz vieler eindrücklicher Kleinigkeiten schien mir das Konzept den Film nicht in voller Länge zu tragen. Rückblickend freilich war das absurde Politmusical durchaus einer der eindrücklicheren Streifen des letztjährigen Festivals.
Muhammads neues Werk ist thematisch sehr ähnlich, wieder dokumentiert der Regisseur den Lebensweg eines malayischen Kommunisten, der in diesem Fall im Alter und nach zermürbenden Kämpfen nach Thailand ausgewandert ist. Formal ist Village People Radio Show ähnlich experimell wie Last Communist (unter anderem finden sich Auszüge aus einem Heldenepos und kurze, Brakhage-artige Filmabschnitte ohne jewglichen inhaltlichen Bezug zum Rest des Werks), aber innerhalb des eigenen Systems deutlich strenger: Die Kamera ist lange Zeit geradezu obsessiv starr, nur ganz langsam gewinnt sie etwas Spielraum, um am Ende vollkommen unverhofft in rasante Bewegungen verstzt zu werden. Wie in Last Communist versucht Muhammad, sich seinem Thema mithilfe mehrerer Ebenen zu nähern. In Village People Radio Show sind dieselben freilich ungleich heterogener und innerhalb ihrer jeweils eigenen Form ungleich konsequenter ausgestaltet.
Manch einer, dem Last Communist sehr gefallen hat, wird Village People Radio Show möglicherweise leicht enttäuscht verlassen. In der Tat scheint Muhammads neues Werk weniger auf die Darstellung gesellschaftlicher Realität aus zu sein, paradigmatisch ist hier die Hinwendung zu Naturmotiven anstelle der Dokumentation sozialer und kultureller Praktiken (einzig die Strasse als öffentlicher Raum wird öfters ins Bild gerückt). In meinen Augen aber funktioniert das formalistischere Konzept weitaus besser, als die Improvisationen des Vorgängers. Zwar droht das gesamte Konzept am Ende bisweilen in einem selbstgefälligen Zeichenspiel zu enden, meist scheint der Zugriff auf Geschichte (die innerhalb des Bildkaders genauso abwesend ist wie in Last Communist) jedoch ausgesprochen gut zu gelingen. Der fast kontingenten Organisation diverser Materialien resonieren in den gescheiterten Lebensläufen der irgendwo im Dschungel und den eigenen Erinnerungen vergessenen Revolutionäre, denen mit den Mitteln klassischer Dokumentationen wohl tatsächlich kaum beizukommen wäre.

Tuesday, June 13, 2006

Tears of the Black Tiger (Fah talai jone), Wisit Sasanatieng, 2000

Dieser tatsächlich absolut unglaublicher Film läutete die Renaissance des thailändischen Kinos auf der internationalen Festivalbühne ein. Nicht nur ist Sasanatiengs Meisterwerk eine wunderbar campige Reise durch die Filmgeschichte, sondern auch durch die Filmtechnik. Von Melies gemalten Sonnenuntergängen bis zur - hier auf groteske Weise dekonstruierten - Matrix Bullettime ist alles vorhanden, stehen alle optische Tricks und Spielereien der Filmgeschichte sauber getrennt voneinander, entzaubert und gleichzeitig wunderbarer als je zuvor. Sogar die gute alte Rückprojektion während Autofahrten der Schwarz-Weiss Ära hat ihren kleinen Auftritt.
Dass ein Bollywoodstyle-Melodram im Italowesterngewand schon allein konzeptionell ein ziehmlich grandioser Blödsinn ist, kann wohl niemand in Frage stellen. Das wunderbarste an Tears of the Black Tiger ist jedoch die völlige Abwesenheit von Selbstreflexivität und offensichtlich parodistischer Elemente. Jede einzelne Einstellung, jede Sequenz, so bescheuert sie auch sein mag, bleibt dem stilistischen Konzept treu, ist mit derselben Liebe zum noch so kleinen Detail durchgestylt - und in diesem Falle heißt das vor allem: digital angemalt. Tears of the Black Tiger ist mit sicherheit einer der psychedelischsten Filme aller Zeiten.
Alles steht streng getrennt nebeneinander. Die Montage ist messerscharf, treibt die Logik des Melodrams zum Extrem. Tränen lösen scheinbar automatisch völlig hypotrophe Streicherklänge aus, die Farbdramaturgie und Figurenpsychologie sind sowieso eins.
Ein wunderbarer Film mit Erleuchtungspotential.