Abdel Kechiches La graine et la mulet heißt auf deutsch Couscous mit Fisch und startet heute in den Kinos. Auch wenn ich selbst mit dem Film doch ein paar Probleme habe, gehört er sicherlich zum interessantesten, was die deutschen Verleiher dieses Jahr aufs Arthauspublikum loslassen und ist deshalb dringend empfohlen. Siehe auch Ekkehard. Meet Dave / Mensch, Dave! ist eine neue Eddie-Murphy-Komödie, die in den USA katastrophal gefloppt ist, aber eigentlich eine ganz nette Prämisse zu haben scheint. Wahrscheinlich eher nichts: Grace is Gone, ein weiteres Mal Irakkrieg, diesmal mit ganz viel Familie.
Im Arsenal gibt's bis Sonntag wieder einmal in der sun-screen-Reihe die volle Ladung Experimentalfilm, zu weiten Teilen mit den üblichen Arsenal/Forum-Verdächtigen: Kuchar, Jarman, Maddin, Losier, Emigholz, CHEAP. Es sind aber, zugegeben, auch jede Menge Namen dabei, von denen ich noch nie etwas gehört habe. Am Montag beginnt dann die Heinosuke-Gosho-Werkschau, auf die ich bereits äußerst gespannt bin.
Das Zeughauskino öffnet ebenfalls wieder seine Pforten und beginnt mit einer (Überraschung) 68-er Reihe, in diesem Fall verengt auf Berlin. Filmhistorisch ist das natürlich durchaus interessant und im Grunde deutlich ambitionierter als das Programm im Arsenal es war.
Im Babylon lstartet derweil das Globians, ein politisch engagiertes Dokumentarfilmfestival. Und die Freunde des schrägen Films zeigen wieder mal einen Film von Margheriti, da kann ohnehin nichts schief gehen.
Thursday, August 28, 2008
Tuesday, August 26, 2008
Aibu / Love, Gosho Heinosuke, 1933
Die ersten Episoden des Films gehören dem Schriftsteller aus Tokyo. Der ist die einzige rein oder zumindest hauptsächlich funktionelle Figur in Aibu. Funktionell, weil er ein älterer Herr ist, der keine außerordentlichen Gefühle zu investieren hat in irgendeine der anderen Figuren. Er sagt das ganz deutlich: Wäre ich ein wenig jünger, dann wäre ich verrückt nach der Tochter des Hauses - oder könnte zumindest darauf hoffen, soll das vielleicht heißen, dass das verrückt sein etwas nützen würde und nicht nur lächerlich wäre. Wer keine außerordentlichen Gefühle hat in Aibu, der hat eben das nicht, worum es dem Film geht und kann deshalb höchstens noch eine Funktion haben. (Auch im anderen Goshofilm, den ich gesehen habe (Ryoju), gibt es genau eine primär funktionale Figur, auch da ist es ein älterer Mann, in diesem Fall zwar ein Verwandter, aber doch kein besonders wichtiger, keiner, der mehr zu tun hätte, als auf eine bestimmte Verhaltensweise /eine bestimmte Moral argumentativ hinzuwirken, was er erreicht, ist zwingend außerhalb seiner selbst.)
Ansonsten investieren alle Figuren, selbst die Nebenrollen, außerordentliche Gefühle und stehen jenseits der Funktionalität. Selbst der Rikschafahrer liebt seinen Meister so abgöttisch, dass er (die Fleisch und Blut gewordene Funktionalität seines Berufes nach) beim Betrachten der heruntergerissenen Werbetafel desselben, Zugang findet zur eigentlichen Ökonomie des Films, die sich aber nicht ganz lösen kann von einer funktionalen, schließlich benötigt Aibu auch eine Intrige; Die Szenen des Dichters wirken deshalb nicht falsch, sondern sind - vor allem, was sein zweites Auftreten betrifft, gegen Ende des Films - lesbar als sanfte Anrufungen der Figuren selbst durch den Regisseur, doch wieder zumindest ein wenig die Gefühle in den Griff zu bekommen und der dem Leben eben auch zugrundeliegenden funktionalen Ordnung Tribut zu zollen, es ist ja zu ihrem Vorteil auch jenseits der Erzählökonomie. Der Dichter (wahrscheinlich ist es kein Zufall, dass er ein solcher ist und wahrscheinlich verfasst er Dichtungen ganz anderer Art als der Sohn der Familie, der das Medizinstudium für die Literatur aufzugeben trachtet) ist in Aibu eine Art auktorialer Eingriff auf einer ebene jenseits der restlichen Handlung, vielleicht eine verschobene japanische Verwandtschaft des deus ex machina.
Zunächst bleibt der Film lange im Dorf. Das Dorf wird bestimmt von Fluidität, von fein abgestimmten und sich dennoch ständig transformierenden Beziehungsgefügen. Antrieb der wichtigsten ist zunächst nur ein Foto: das des Sohnes, adrett in seiner Uniform. Der studiert, wie oben erwähnt, Medizin in Tokyo, noch hat man keinen Grund, daran zu zweifeln, dass er der Praxis seines Vaters beitreten wird. Lange enthält der Film einem den Sohn vor. Irgendwann kommt ein Brief, seine erster aktiver Akt. Erst in der Stadt trifft man ihn und nicht einmal dort sofort. Die Schwester, Mittelpunkt der ersten Filmhälfte muss den Bruder, Mittelpunkt der zweiten, erst aktiv suchen. Und zwar in der Stadt, die den gesamten Film transformiert.
Im Dorf ist auch die Filmsprache fluide, respektiert vor allem nicht die Grenzen zwischen innen und außen. Die klassische japanische Architektur öffnet sich direkt in die Natur, man schiebt eine Wandtür beiseite, dann muss sich nicht einmal die Kamera bewegen, um das zu offenbaren. (Sie bewegt sich dennoch manchmal, kleine, fein auskalkulierte Schwenks, manchmal hin von Handlung auf Pausenmotiv, manchmal umgekehrt, manchmal von Handelndem zu Beobachtendem, manchmal umgekehrt, ein imposanter Katalog an Bewegungen, die immer gerichtet sind, aber selten ganz klassisch motiviert, die immer ganz konkret zwei Dinge verbinden und nicht nur Schmuck sind, aber welche zwei Dinge das sind, lässt sich zu Beginn der Bewegung nie vorhersagen).
In der Stadt verwandelt sich Aibu dann in ein Kammerspiel. Die Wände sind fester geworden, öffnen sich selten direkt zur Straße (auf die wagt sich der Film dann in entscheidenden Momenten doch, aber vorsichtig, meist ist es genau eine Straße, die immer wiederkehrt, nur ein Ausflug wagt einen subjektivierten Blick auf die Stadt). Die Menschen sind eingeschlossen, verbringen ihre Zeit in Höusern, die sie so einrichten, wie sie selber sind. Die Schwester liest den Charakter des Bruders und seiner Geliebten in den Gegenständen, die in seiner Wohnung platziert sind, noch bevor sie einen von beiden kennengelernt hat. Ein wenig Angst vor der Stadt haben alle, am meisten die Kamera selbst. Froh ist sie, froh sind alle Figuren und man selbst mit ihnen, wenn es am Ende wieder aufs Land geht.
Ansonsten investieren alle Figuren, selbst die Nebenrollen, außerordentliche Gefühle und stehen jenseits der Funktionalität. Selbst der Rikschafahrer liebt seinen Meister so abgöttisch, dass er (die Fleisch und Blut gewordene Funktionalität seines Berufes nach) beim Betrachten der heruntergerissenen Werbetafel desselben, Zugang findet zur eigentlichen Ökonomie des Films, die sich aber nicht ganz lösen kann von einer funktionalen, schließlich benötigt Aibu auch eine Intrige; Die Szenen des Dichters wirken deshalb nicht falsch, sondern sind - vor allem, was sein zweites Auftreten betrifft, gegen Ende des Films - lesbar als sanfte Anrufungen der Figuren selbst durch den Regisseur, doch wieder zumindest ein wenig die Gefühle in den Griff zu bekommen und der dem Leben eben auch zugrundeliegenden funktionalen Ordnung Tribut zu zollen, es ist ja zu ihrem Vorteil auch jenseits der Erzählökonomie. Der Dichter (wahrscheinlich ist es kein Zufall, dass er ein solcher ist und wahrscheinlich verfasst er Dichtungen ganz anderer Art als der Sohn der Familie, der das Medizinstudium für die Literatur aufzugeben trachtet) ist in Aibu eine Art auktorialer Eingriff auf einer ebene jenseits der restlichen Handlung, vielleicht eine verschobene japanische Verwandtschaft des deus ex machina.
Zunächst bleibt der Film lange im Dorf. Das Dorf wird bestimmt von Fluidität, von fein abgestimmten und sich dennoch ständig transformierenden Beziehungsgefügen. Antrieb der wichtigsten ist zunächst nur ein Foto: das des Sohnes, adrett in seiner Uniform. Der studiert, wie oben erwähnt, Medizin in Tokyo, noch hat man keinen Grund, daran zu zweifeln, dass er der Praxis seines Vaters beitreten wird. Lange enthält der Film einem den Sohn vor. Irgendwann kommt ein Brief, seine erster aktiver Akt. Erst in der Stadt trifft man ihn und nicht einmal dort sofort. Die Schwester, Mittelpunkt der ersten Filmhälfte muss den Bruder, Mittelpunkt der zweiten, erst aktiv suchen. Und zwar in der Stadt, die den gesamten Film transformiert.
Im Dorf ist auch die Filmsprache fluide, respektiert vor allem nicht die Grenzen zwischen innen und außen. Die klassische japanische Architektur öffnet sich direkt in die Natur, man schiebt eine Wandtür beiseite, dann muss sich nicht einmal die Kamera bewegen, um das zu offenbaren. (Sie bewegt sich dennoch manchmal, kleine, fein auskalkulierte Schwenks, manchmal hin von Handlung auf Pausenmotiv, manchmal umgekehrt, manchmal von Handelndem zu Beobachtendem, manchmal umgekehrt, ein imposanter Katalog an Bewegungen, die immer gerichtet sind, aber selten ganz klassisch motiviert, die immer ganz konkret zwei Dinge verbinden und nicht nur Schmuck sind, aber welche zwei Dinge das sind, lässt sich zu Beginn der Bewegung nie vorhersagen).
In der Stadt verwandelt sich Aibu dann in ein Kammerspiel. Die Wände sind fester geworden, öffnen sich selten direkt zur Straße (auf die wagt sich der Film dann in entscheidenden Momenten doch, aber vorsichtig, meist ist es genau eine Straße, die immer wiederkehrt, nur ein Ausflug wagt einen subjektivierten Blick auf die Stadt). Die Menschen sind eingeschlossen, verbringen ihre Zeit in Höusern, die sie so einrichten, wie sie selber sind. Die Schwester liest den Charakter des Bruders und seiner Geliebten in den Gegenständen, die in seiner Wohnung platziert sind, noch bevor sie einen von beiden kennengelernt hat. Ein wenig Angst vor der Stadt haben alle, am meisten die Kamera selbst. Froh ist sie, froh sind alle Figuren und man selbst mit ihnen, wenn es am Ende wieder aufs Land geht.
Monday, August 25, 2008
Lav Diaz und mehr im Arsenal
Die nächsten beiden Monatsprogramme des Berliner Kinos Arsenal bieten neben der Heinosuke-Gosho-Reihe noch einen weiteren ganz großen Höhepunkt: Eine (soweit ich das überblicken kann) komplette Retrospektive des philippinischen Meister- und Extremregisseurs Lav Diaz. Gesehen habe ich bisher nur Heremias, der hat mich extrem begeistert. Gleich zu Beginn, am 25.10., läuft Melancholia, ein ganz neues Werk, das mit seinen siebeneinhalb Stunden Laufzeit im Kontext des Gesamtwerkes des Regiseurs fast schon als Kurzfilm zu bezeichnen ist. Freilich laufen auch (im dffb-Kino, nicht im Arsenal) die Frühwerke, welche teilweise noch innerhalb der kommerziellen Filmindustrie der Philippinen entstanden sind und Standardlängen aufweisen.
Auch sonst sieht das Arsenal-Programm (über das ich nicht mehr so schnell schimpfen werde, soviel ist sicher) äußerst interessant aus: In einer Reihe namens "Die Tropen - Filmische Expeditionen" laufen unter anderem Werke von Siodmak, Tonacci, Hitchcock (sein Debütfilm The Pleasure Garden), Weerasethakul, Renoir, Herzog (natürlich) und Rudolf Thome. Außerdem eine Reihe zu Hanns Eisler.
Auch sonst sieht das Arsenal-Programm (über das ich nicht mehr so schnell schimpfen werde, soviel ist sicher) äußerst interessant aus: In einer Reihe namens "Die Tropen - Filmische Expeditionen" laufen unter anderem Werke von Siodmak, Tonacci, Hitchcock (sein Debütfilm The Pleasure Garden), Weerasethakul, Renoir, Herzog (natürlich) und Rudolf Thome. Außerdem eine Reihe zu Hanns Eisler.
Thursday, August 21, 2008
Berlin Kino, 21.-27.8.2008
Die Aufregung um The Dark Knight hat sich inzwischen bereits wieder etwas gelegt: In der Nerdrangliste steht Nolans Fledermausfilm nur noch auf Platz 3 (und hat einem Film weichen müssen, der diese Position tatsächlich noch weniger verdient hat), auf der inneramerikanischen Geldrangliste reicht es für Platz zwei, vor Star Wars, aber doch deutlich hinter Titanic. In Deutschland startet das Ding aber tatsächlich erst heute. Geschrieben wurde auch schon genug, deshalb nur noch einmal contra (Armond White) und einmal pro (Thomas). Auf der Seite, auf welche letzterer Link verweist, findet sich auch ein Text von Ekkehard zu Les Chansons d'Amour. Der Film hat nichts zu tun mit dem dem Vernehmen nach eher uninteressanten (wobei) Depardieu-Vehikel Quand j'étais chanteur, das in Deutschland unter dem irreführend ähnlichen Verleihtitel Chanson d'Amour zu sehen war. Der (zumindest hierzulande) neuere Film wurde mir bereits von mehreren Seiten empfohlen, statt Depardieu übernimmt Louis Garrel die Hauptrolle und das Ganze scheint von einem schönen Nouvelle-Vague-Vibe getragen zu sein. Außerdem: Räuber Kneißl, ein Film vom bayrischen Vielfilmer Marcus Rosenmüller, von dem noch nichts gesehen zu haben ich eher nicht bereue und Ich habe den englischen König bedient, eine, vermute ich mal, weitere Berlinalewettbewerbsgurke.
Im Babylon Mitte startet dieses Wochenende Eine Polanski-Retrospektive, die auf den ersten Blick einen recht lückenlosen Eindruck macht. Allerdings läuft gleich Die neun Pforten an einem der ersten Tage als DVD-Projektion. Dass das (wie die Praxis, öfter mal deutsche anstatt Originalversionen zu zeigen) inzwischen nicht unüblich ist im Babylon, ist eine traurige Entwicklung... Bei den Freunden des schrägen Films dagegen läuft ein sicher wunderbarer Endzeitfilm mit Don Johnson: A Boy and His Dog.
Im Arsenal ist zur Zeit nicht viel los (Gosho startet im September). Verweisen möchte ich nur auf Hallelujah the Hills, inszeniert von Jonas Mekas' Bruder Adolfas, den ich vor Jahren auf Video gesehen und bewundert habe. Meine Hand ins Feuer legen möchte ich aber auch für diesen Film nicht.
Im Babylon Mitte startet dieses Wochenende Eine Polanski-Retrospektive, die auf den ersten Blick einen recht lückenlosen Eindruck macht. Allerdings läuft gleich Die neun Pforten an einem der ersten Tage als DVD-Projektion. Dass das (wie die Praxis, öfter mal deutsche anstatt Originalversionen zu zeigen) inzwischen nicht unüblich ist im Babylon, ist eine traurige Entwicklung... Bei den Freunden des schrägen Films dagegen läuft ein sicher wunderbarer Endzeitfilm mit Don Johnson: A Boy and His Dog.
Im Arsenal ist zur Zeit nicht viel los (Gosho startet im September). Verweisen möchte ich nur auf Hallelujah the Hills, inszeniert von Jonas Mekas' Bruder Adolfas, den ich vor Jahren auf Video gesehen und bewundert habe. Meine Hand ins Feuer legen möchte ich aber auch für diesen Film nicht.
Tuesday, August 19, 2008
Sun taam / Mad Detective, Johnny To & Wai Ka-Fai, 2007
Mad Detective gehorcht nicht vollständig einer Nummernlogik, wie Sparrow, Tos Nachfolgewerk. Dennoch sind es die Setpieces als geschlossene, die für die größte Begeisterung sorgen in diesem wunderschönen Film, den ich mir Dank des Fantasy Filmfests im Kino ansehen konnte. Die großartigste ist natürlich die abschließende im Spiegelkabinett (der Unterschied zu Sparrow: Die Spiegelkabinettszene geht logisch aus dem Vorherigen hervor, bildet den konsequenten Abschluss einer Reihe von Setpieces, motivisch, inhaltlich und psychologisch, während die Regenschirmszene im Nachfolger zwar zweifellos Höhepunkt ist, aber nur im Sinne des Höhepunkts eines Zirkusprogramms, aufgrund ihres reinen Eigenwerts als Attraktion, nicht aufgrund semantischer Bezüge zum restlichen Film).
Die liebste ist mir jedoch eine andere, am entgegengesetzten Ende des Films platziert, am Anfang. Noch sind die Bilder nicht eindeutig sortiert in Wahn und Realität, in subjektiven und objektiven Blick, so ganz werden sie das ohnehin nie sein, aber zu diesem Zeitpunkt haben To und Wai noch nicht einmal die Grundregeln ihres Spiels offen gelegt. Die Szene spielt in der Wohnung des titelgebenden verrückten Detektivs. Er selber ist, nachdem er sich vor Jahren selbst das Ohr abgeschnitten hat, aus dem Polizeidienst ausgeschieden. Ein junger Kollege möchte seine Hilfe in einem verzwickten Fall und besucht ihn zu hause. Die beiden unterhalten sich, der Mad Detective lässt mehr und mehr Interesse durchblicken. Zwischengeschnitten, und zwar immer sehr rabiat zwischengeschnitten, die Frau des Detektivs in der Küche bei der Zubereitung einer Mahlzeit. Hart, kurz, in Großaufnahme, vor allem jedoch laut dringen die einzelnen Arbeitsschritte (meist ist ein Messer involviert) in das Gespräch ein und zerreißen den Film. Eine Parallelmontage, die nicht nur formal durch die plötzlichen Wechsel in Bild- und Tonregie verwirrt, sondern auch durch die Tatsache, dass man beim besten Willen die Relevanz dieser Zwischenschnitte zu diesem Zeitpunkt noch nicht auszumachen vermag. Fast scheint es, als ginge es tatsächlich um Hausarbeit als unterbewusster Hintergrund des Genrefilmplots. Eine solche Aufteilung der Geschlechterrollen existiert aber nur im Kopf des Detektivs. Das reale Gegenstück der Hausfrau macht durchaus Karriere und zwar um einiges erfolgreicher als Mad Detective selbst.
Das Stakkato der Messerschnitte auf dem Arbeitsbrett beschleunigt sich, die Gesichtszüge der Frau spannen sich von Mal zu Mal stärker an. Dann kommt es zur Explosion. Freilich ist diese Explosion eine, die eigentlich nur im Kopf des Detektivs stattfindet. Erst ganz am Ende der Sequenz stellt der Film das durch einen Schnitt in die "objektive" Perspektive endgültig klar (aber dass diese Perspektive als objektiv nur in soweit von einer subjektiven zu trennen ist, wie man sich ganz dem Modus des Narrativen verschreibt und dass dieser Modus des Narrativen ein ganz und gar kontingenter ist, wenn man rein vom materiellen Aspekt des Films ausgeht, auch das macht Mad Detective eindrücklich klar) und eröffnet sich selbst dadurch eine Spielwiese sondergleichen.
Eine weiteres wunderbares Setpiece stellt erwartungsgemäß die Konfrontation der fiktiven Frau mit der realen (Ex-)Frau dar. Bemerkenswert ist vor allen Dingen, dass die fiktive die komplexere der beiden Damen zu sein scheint: In einem bei näherer Betrachtug wirklich völlig wahnwitzigen Manöver wird die fiktive Frau vom Detektiv eben dieser Fiktivität beschuldigt und infolgedessen auf die reale Ex (ob derer Realität, vermutlich) eifersüchtig.
Das Formenspiel bezieht sich nie nur auf Formen, sondern immer auch auf Inhalte, aufs soziale, psychologische, physische Material des Films. Beides zu trennen ist bei To und Wai, wie wahrscheinlich in allen interessanten "formalistischen" Varianten des Kinos, unmöglich (schwieriger die Frage, ob das Formenspiel auch immer mehr ist als "nur" Spiel, oder was "Spiel" in so einem Film überhaupt bedeuten kann, beziehungsweise, ob es das, was es auszuschließen scheint (den Ernst, die Relevanz) auch tatsächlich ausschließt).
Die liebste ist mir jedoch eine andere, am entgegengesetzten Ende des Films platziert, am Anfang. Noch sind die Bilder nicht eindeutig sortiert in Wahn und Realität, in subjektiven und objektiven Blick, so ganz werden sie das ohnehin nie sein, aber zu diesem Zeitpunkt haben To und Wai noch nicht einmal die Grundregeln ihres Spiels offen gelegt. Die Szene spielt in der Wohnung des titelgebenden verrückten Detektivs. Er selber ist, nachdem er sich vor Jahren selbst das Ohr abgeschnitten hat, aus dem Polizeidienst ausgeschieden. Ein junger Kollege möchte seine Hilfe in einem verzwickten Fall und besucht ihn zu hause. Die beiden unterhalten sich, der Mad Detective lässt mehr und mehr Interesse durchblicken. Zwischengeschnitten, und zwar immer sehr rabiat zwischengeschnitten, die Frau des Detektivs in der Küche bei der Zubereitung einer Mahlzeit. Hart, kurz, in Großaufnahme, vor allem jedoch laut dringen die einzelnen Arbeitsschritte (meist ist ein Messer involviert) in das Gespräch ein und zerreißen den Film. Eine Parallelmontage, die nicht nur formal durch die plötzlichen Wechsel in Bild- und Tonregie verwirrt, sondern auch durch die Tatsache, dass man beim besten Willen die Relevanz dieser Zwischenschnitte zu diesem Zeitpunkt noch nicht auszumachen vermag. Fast scheint es, als ginge es tatsächlich um Hausarbeit als unterbewusster Hintergrund des Genrefilmplots. Eine solche Aufteilung der Geschlechterrollen existiert aber nur im Kopf des Detektivs. Das reale Gegenstück der Hausfrau macht durchaus Karriere und zwar um einiges erfolgreicher als Mad Detective selbst.
Das Stakkato der Messerschnitte auf dem Arbeitsbrett beschleunigt sich, die Gesichtszüge der Frau spannen sich von Mal zu Mal stärker an. Dann kommt es zur Explosion. Freilich ist diese Explosion eine, die eigentlich nur im Kopf des Detektivs stattfindet. Erst ganz am Ende der Sequenz stellt der Film das durch einen Schnitt in die "objektive" Perspektive endgültig klar (aber dass diese Perspektive als objektiv nur in soweit von einer subjektiven zu trennen ist, wie man sich ganz dem Modus des Narrativen verschreibt und dass dieser Modus des Narrativen ein ganz und gar kontingenter ist, wenn man rein vom materiellen Aspekt des Films ausgeht, auch das macht Mad Detective eindrücklich klar) und eröffnet sich selbst dadurch eine Spielwiese sondergleichen.
Eine weiteres wunderbares Setpiece stellt erwartungsgemäß die Konfrontation der fiktiven Frau mit der realen (Ex-)Frau dar. Bemerkenswert ist vor allen Dingen, dass die fiktive die komplexere der beiden Damen zu sein scheint: In einem bei näherer Betrachtug wirklich völlig wahnwitzigen Manöver wird die fiktive Frau vom Detektiv eben dieser Fiktivität beschuldigt und infolgedessen auf die reale Ex (ob derer Realität, vermutlich) eifersüchtig.
Das Formenspiel bezieht sich nie nur auf Formen, sondern immer auch auf Inhalte, aufs soziale, psychologische, physische Material des Films. Beides zu trennen ist bei To und Wai, wie wahrscheinlich in allen interessanten "formalistischen" Varianten des Kinos, unmöglich (schwieriger die Frage, ob das Formenspiel auch immer mehr ist als "nur" Spiel, oder was "Spiel" in so einem Film überhaupt bedeuten kann, beziehungsweise, ob es das, was es auszuschließen scheint (den Ernst, die Relevanz) auch tatsächlich ausschließt).
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Thursday, August 14, 2008
Fantasy Filmfest 2008 Kurzkritik: Les Insoumis / Crossfire, Claude-Michel Rome, 2008
Eigentlich glaube ich ja, dass Cop / Detektivfilme ganz uninteressant gar nicht sein können, weil sie sich schon per Definition mit der Wirklichkeit unter Berücksichtigung ihrer sozioökonomischen Verfasstheit auseinandersetzen müssen. Crossfire stellt die These auf eine harte Probe. Denn hier stimmt einfach gar nichts. Billig inszeniert durch und durch fehlt bis kurz vor Schluss sogar noch der Mut zum selbstbewussten Trash. Die Actionszenen sind so inkohärent, dass ich bei der ersten noch Absicht unterstellen wollte, was mir aber nicht lange möglich war. Statt dessen ein Klischee öder als das andere: Richard Berry spielt den desilussionierten Cop auf die falsche Art routiniert. Er wohnt in einem heruntergekommenen Motel. Er nimmt ein kleines Kätzchen zu sich auf. Im Moment des größten Selbstzweifels zerschmeißt er einen Spiegel. Und natürlich zeigt die nächste Einstellung sein im kaputten Spiegel verzerrtes Gesicht.
Schauplatz ist ein Ghetto in der Nähe von Marseille. Die einzige Haltung, die der Film zu seinem Schauplatz einnimmt ist die, dass da irgendwie zu viele Leute mit dunkler Hautfarbe rumlaufen und deshalb nicht nur Dealer, sondern seltsamerweise auch noch Diamantenräuber (die aus einem anderen Genre völlig willkürlich in den Film eindringen) leichtes Spiel haben. Natürlich ist das alles drecksreaktionär, wird aber so mieß umgesetzt, dass die Verachtung für einen solchen Film fast schon in Mitleid umschlägt. Symptomatisch lesen kann man an dem Film tatsächlich nur seine ganz und gar groben Ungereimtheiten. Dass aus den zuerst noch vagen Erziehungsversuchen unterworfenen Kleinkriminellen Immigrantensöhnen mir nichts Dir nichts und ohne jede Erklärung Motorradfreaks im Mad Max-Aufzug werden, sagt wahrscheinlich doch einiges aus über die Probleme im französischen Mainstream, Angehörigkeiten von Minderheiten im eigenen Weltbild einen nicht ganz und gar paranoiden Platz zuzuweisen. Anderereits ist es in so einem Film dann aber auch wieder egal...
Schauplatz ist ein Ghetto in der Nähe von Marseille. Die einzige Haltung, die der Film zu seinem Schauplatz einnimmt ist die, dass da irgendwie zu viele Leute mit dunkler Hautfarbe rumlaufen und deshalb nicht nur Dealer, sondern seltsamerweise auch noch Diamantenräuber (die aus einem anderen Genre völlig willkürlich in den Film eindringen) leichtes Spiel haben. Natürlich ist das alles drecksreaktionär, wird aber so mieß umgesetzt, dass die Verachtung für einen solchen Film fast schon in Mitleid umschlägt. Symptomatisch lesen kann man an dem Film tatsächlich nur seine ganz und gar groben Ungereimtheiten. Dass aus den zuerst noch vagen Erziehungsversuchen unterworfenen Kleinkriminellen Immigrantensöhnen mir nichts Dir nichts und ohne jede Erklärung Motorradfreaks im Mad Max-Aufzug werden, sagt wahrscheinlich doch einiges aus über die Probleme im französischen Mainstream, Angehörigkeiten von Minderheiten im eigenen Weltbild einen nicht ganz und gar paranoiden Platz zuzuweisen. Anderereits ist es in so einem Film dann aber auch wieder egal...
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Wednesday, August 13, 2008
Gosho im Kino Arsenal
Da schimpfe ich hier an dieser Stelle gerade erst letzte Woche über das Kinoprogramm nicht nur ganz allgemein, sondern auch speziell über das des Arsenals und werde schon eines besseren belehrt: Im September laufen dort zehn Filme von Heinosuke Gosho, einem der profiliertesten Regisseure des klassischen japanischen Kinos. Ich habe immer mal wieder das eine oder andere über ihn gelesen (Donald Ritchie ist ein großer Verehrer), gesehen habe ich noch nichts. Die Vorfreude ist trotzdem groß: Von den japanischen Meistern, die in Europa alle paar Jahre wieder zyklisch neu entdeckt werden, hat mich bislang noch keiner enttäuscht. Besonders freuen darf man sich auf zwei Stummfilme.
Tuesday, August 12, 2008
Red Road, Andrea Arnold, 2006
Bereits das erste Bild ist falsch. Eine Frau sitzt vor Überwachungsbildschirmen. Auf der tonspur macht sich, sanft im Hintergrund zwar aber doch deutlich vernehmbar, Ambient-Musik breit, der Bildhintergrund beginnt, in der Unschärfe zu verschwimmen. Schon hier setzt der Film etwas voraus, das er sich eigentlich erst verdienen müsste: Die Sympathie des Zuschauers, seine Bereitschaft, dieser Frau und ihrer Arbeit soviel Interesse engegenzubringen, damit solche kleinen Transzendenzmarker nicht aufgesetzt wirken wie hier, nicht nach falscher Heimeligkeit stinken, sondern der inneren Logik des Dargestellten entsprechen.
Nach dieser ersten Einstellung geht es konstant abwärts. Dabei ist die erste Hälfte des Films, mit dem Ekkehard hier noch viel zu gnädig umspringt, halbwegs erträglich. Erträglich aber nur auf eine Gus-van-Sant-artige Weise: Man schaut halbwegs entspannt Menschen zu, wie sie durch Zeit, Raum und Ambient-Soundscapes gleiten und freut sich, dass man sie nicht näher kennenlernen muss. Denn, das weiß man genau, sobald man sie näher kennenlernen würde, sobald der Film versuchen würde, sie in etwas anderes zu verorten als dem plüschigen Lebensweltimitat aus Paranoid Park, würde das grandios schiefgehen. Und genau das passiert dann in der zweiten Filmhälfte.
Davor gefallen ein paar nette Unschärfeverlagerungen und einige gut inszenierte Szenen, wie beispielsweise die erste Annäherung zwischen der Überwachungsfrau und dem Mann, von dem später klar wird, dass er früher einmal ihr Kind umgebracht hat. Dennoch gleitet der Film schon hier nicht selten in banale Unterschichtenbeschau ab und aus der Tatsache, dass diese Unterschichtenbeschau tatsächlich via Überwachungskamera stattfindet (potentiell das interessanteste an dem Film), macht Red Road schon gar nichts. Was die emphatisch nicht der Unterschicht zugehörende Überwacherin auf den Bildschirmen beobachtet, neigt entweder zum putzig Anekdotischen oder verwandelt sich in völlig inhaltsleeres Assi-Ennui (inklusive Ambient-Soundtrack).
Kein Halten gibt es schließlich, wenn der Film nach der obligatorischen halbexpliziten Sexszene anfängt, die Überwacherin und alles um sie herum mit Erzählkino und - noch schlimmer - Psychologie zu unterfüttern. Mit jeder Wendung wird's unerträglicher, vom ausgestopften wollenen Kindsersatz bis zur Hinwendung zwecks Trost und Ratschlag zur älteren Generation. Ich weiß nicht, ob das Problem tatsächlich, wie Ekkehard es beschreibt, in der Geste der Kontextualisierung selbst zu suchen ist. Mir scheint eher, dass diese völlig banale Kontextualisierung nur aufdeckt, wie banal auch die erste Filmhälfte hinter ihrer hippen, nach contemporary world cinema schmeckenden, Fassade eigentlich auch schon beschaffen war. Vielleicht ist tatsächlich die zweite Hälfte zwar nicht besser, aber doch ehrlicher als die erste. Das schlimmste Bild ist dann aber tatsächlich das allerletzte: Gezeigt wird eine Kleinstadtstraße aus Überwachungskameraperspektive. Freilich verschwimmt die körnige Überwachungsoptik in ein schlieriges Schwarz-Weiß-Bild, das, unterstützt natürlich von einem denkbar schmierigen Indiepopsong, für eine derart falsche, verlogene Form von Nostalgie sorgt, dass ich, kaum Rollen die ersten Titel über die Leinwand, fluchtartig das Kino verlasse.
Es handelte sich, natürlich, um ein Arthauskino. Warum ich mich in solchen in letzter Zeit immer seltener aufhalte, wurde mir gestern abend noch einmal überdeutlich vor Augen geführt. Selbst in den banalsten / mißlungensten Filmen, die ich in letzter Zeit im Cinestar gesehen habe, in Love Vegas etwa, oder in Hancock, steckt mehr Ehrlichkeit, mehr echtes Lebe und - ja - auch mehr Intelligenz.
Nach dieser ersten Einstellung geht es konstant abwärts. Dabei ist die erste Hälfte des Films, mit dem Ekkehard hier noch viel zu gnädig umspringt, halbwegs erträglich. Erträglich aber nur auf eine Gus-van-Sant-artige Weise: Man schaut halbwegs entspannt Menschen zu, wie sie durch Zeit, Raum und Ambient-Soundscapes gleiten und freut sich, dass man sie nicht näher kennenlernen muss. Denn, das weiß man genau, sobald man sie näher kennenlernen würde, sobald der Film versuchen würde, sie in etwas anderes zu verorten als dem plüschigen Lebensweltimitat aus Paranoid Park, würde das grandios schiefgehen. Und genau das passiert dann in der zweiten Filmhälfte.
Davor gefallen ein paar nette Unschärfeverlagerungen und einige gut inszenierte Szenen, wie beispielsweise die erste Annäherung zwischen der Überwachungsfrau und dem Mann, von dem später klar wird, dass er früher einmal ihr Kind umgebracht hat. Dennoch gleitet der Film schon hier nicht selten in banale Unterschichtenbeschau ab und aus der Tatsache, dass diese Unterschichtenbeschau tatsächlich via Überwachungskamera stattfindet (potentiell das interessanteste an dem Film), macht Red Road schon gar nichts. Was die emphatisch nicht der Unterschicht zugehörende Überwacherin auf den Bildschirmen beobachtet, neigt entweder zum putzig Anekdotischen oder verwandelt sich in völlig inhaltsleeres Assi-Ennui (inklusive Ambient-Soundtrack).
Kein Halten gibt es schließlich, wenn der Film nach der obligatorischen halbexpliziten Sexszene anfängt, die Überwacherin und alles um sie herum mit Erzählkino und - noch schlimmer - Psychologie zu unterfüttern. Mit jeder Wendung wird's unerträglicher, vom ausgestopften wollenen Kindsersatz bis zur Hinwendung zwecks Trost und Ratschlag zur älteren Generation. Ich weiß nicht, ob das Problem tatsächlich, wie Ekkehard es beschreibt, in der Geste der Kontextualisierung selbst zu suchen ist. Mir scheint eher, dass diese völlig banale Kontextualisierung nur aufdeckt, wie banal auch die erste Filmhälfte hinter ihrer hippen, nach contemporary world cinema schmeckenden, Fassade eigentlich auch schon beschaffen war. Vielleicht ist tatsächlich die zweite Hälfte zwar nicht besser, aber doch ehrlicher als die erste. Das schlimmste Bild ist dann aber tatsächlich das allerletzte: Gezeigt wird eine Kleinstadtstraße aus Überwachungskameraperspektive. Freilich verschwimmt die körnige Überwachungsoptik in ein schlieriges Schwarz-Weiß-Bild, das, unterstützt natürlich von einem denkbar schmierigen Indiepopsong, für eine derart falsche, verlogene Form von Nostalgie sorgt, dass ich, kaum Rollen die ersten Titel über die Leinwand, fluchtartig das Kino verlasse.
Es handelte sich, natürlich, um ein Arthauskino. Warum ich mich in solchen in letzter Zeit immer seltener aufhalte, wurde mir gestern abend noch einmal überdeutlich vor Augen geführt. Selbst in den banalsten / mißlungensten Filmen, die ich in letzter Zeit im Cinestar gesehen habe, in Love Vegas etwa, oder in Hancock, steckt mehr Ehrlichkeit, mehr echtes Lebe und - ja - auch mehr Intelligenz.
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Monday, August 11, 2008
Bara no soretsu / Funeral Parade of Roses, Matsumoto Toshio, 1969
Zwei Jahre vor dem dunklen Meisterwerk Shura / Pandemonium dreht Matsumoto einen etwas weniger nihilistischen Film, der aber ebenfalls konsequent auf die Katastrophe hin programmiert ist. Schließlich ist Funeral Parade of Roses ein Ödipus-Adaption. Verlegt wird die Geschichte mit verdrehten Geschlechterrollen nach Japan und in die schwule Subkultur.
Matsumoto setzt eine Welt ins Bild, die davor kaum ein Bild haben durfte. Der Film ist durchsetzt von quasidokumentarischen Passagen, die meisten Darsteller gehören tatsächlich der portraitierten Szene an, bisweilen bricht der Film selbst mit seiner, sehr idiosynkratischen Vorstellung von Illusionsbildung und interviewt Schwule und real-life-Drag-Queens. Es entsteht dabei eine zuerst einmal sehr offene Struktur, die mit Dokumentarischem ebenso spielt, wie mit Genreelementen (das Film-noir-Zitat am Anfang steht zunächst sehr frei im Raum, wirklich Sinn ergibt es erst nach zwei Dritteln der Laufzeit). Dazwischen drängt sich innerdiegetisch ein Experimentalfilm, dessen Grenzen hin zum eigentlichen Film für den Zuschauer nicht immer leicht zu ziehen sind. Gedreht wird dieser von Peter, der Hauptfigur. Peter ist eine Drag-Queen (die Drag-Queens sind es denn auch insgesamt, was Matsumoto an seinem Thema am meisten, vielleicht sogar alleinig, zu faszinieren scheint), im echten Leben wie im Film. 17 Jahre alt war Peter (der im echten Leben mehr Glück hatte als in diesem Film und im Anschluss an diesen eine kleine Schauspielerkarriere startete), als der Film gedreht wurde und er bezaubert alle in seiner Umgebung. Peter ist die Verkörperung einer Utopie des neuen Lebens, ohne ihn würden die Filmclubs (Shinoda Masahiro hat einen Gastauftritt), die Drogenpartys, die Love-Ins, allesamt fragil und ohne Substanz, in sich zusammenbrechen.
Die erste halbe Stunde des Films fließt so frei hin und her zwischen verschiedenen Zeit-, Erzähl und Realitätsebenen, dass die nachfolgende Strukturierung des Materials dieses bisweilen etwas zu stark zu gängeln scheint. Die Konfrontation der anarchischen Freiheit der Filmsprache mit einem rigorosen Strukturprinzip ist manchmal produktiv, in anderen Momenten (das Lachen der Mutter in ihren Rückblenden, das zwangsläufig in ihrem Tod mündet) durchaus diskussionswürdig.
Dass der Film aber seine Figuren ausgerechnet mit Ödipus konfrontiert, kann ihm nur übelnehmen, wer Kino grundsätzlich nur als Anschauungsmaterial für Kulturtherorie begreift. Denn höchstwahrscheinlich ist der Hauptgrund dafür, dass Matsumoto sich auf die alten Griechen besinnt, das unglaubliche Schlussbild auf das er von Anfang an hinaus will: Peter, der mit blutenden Augen aus seinem Appartment und damit auch aus der schwulen Parallelwelt läuft, hinaus in das ebenso hell glänzende wie brutale Sonnenlicht umgeben von den staunenden Normalbürgern, die davor konsequent außen vor geblieben waren. Eine Szene, die den Bogen zum Filmbeginn schlägt, dort umschlangen sich zwei weiß gleißende, noch völlig geschlechtslose Körper; zweimal Blendung, am Anfang die utopische einer von gesellschaftlichen Zwängen befreiten Sexualität, am Ende die weniger dystopische als schlicht und einfach banal brutale der reinen Gegenwart; Augen benötigt Peter nur so langem, wie er in der Lage ist, mehr zu sehen als diese Gegenwart.
Matsumoto setzt eine Welt ins Bild, die davor kaum ein Bild haben durfte. Der Film ist durchsetzt von quasidokumentarischen Passagen, die meisten Darsteller gehören tatsächlich der portraitierten Szene an, bisweilen bricht der Film selbst mit seiner, sehr idiosynkratischen Vorstellung von Illusionsbildung und interviewt Schwule und real-life-Drag-Queens. Es entsteht dabei eine zuerst einmal sehr offene Struktur, die mit Dokumentarischem ebenso spielt, wie mit Genreelementen (das Film-noir-Zitat am Anfang steht zunächst sehr frei im Raum, wirklich Sinn ergibt es erst nach zwei Dritteln der Laufzeit). Dazwischen drängt sich innerdiegetisch ein Experimentalfilm, dessen Grenzen hin zum eigentlichen Film für den Zuschauer nicht immer leicht zu ziehen sind. Gedreht wird dieser von Peter, der Hauptfigur. Peter ist eine Drag-Queen (die Drag-Queens sind es denn auch insgesamt, was Matsumoto an seinem Thema am meisten, vielleicht sogar alleinig, zu faszinieren scheint), im echten Leben wie im Film. 17 Jahre alt war Peter (der im echten Leben mehr Glück hatte als in diesem Film und im Anschluss an diesen eine kleine Schauspielerkarriere startete), als der Film gedreht wurde und er bezaubert alle in seiner Umgebung. Peter ist die Verkörperung einer Utopie des neuen Lebens, ohne ihn würden die Filmclubs (Shinoda Masahiro hat einen Gastauftritt), die Drogenpartys, die Love-Ins, allesamt fragil und ohne Substanz, in sich zusammenbrechen.
Die erste halbe Stunde des Films fließt so frei hin und her zwischen verschiedenen Zeit-, Erzähl und Realitätsebenen, dass die nachfolgende Strukturierung des Materials dieses bisweilen etwas zu stark zu gängeln scheint. Die Konfrontation der anarchischen Freiheit der Filmsprache mit einem rigorosen Strukturprinzip ist manchmal produktiv, in anderen Momenten (das Lachen der Mutter in ihren Rückblenden, das zwangsläufig in ihrem Tod mündet) durchaus diskussionswürdig.
Dass der Film aber seine Figuren ausgerechnet mit Ödipus konfrontiert, kann ihm nur übelnehmen, wer Kino grundsätzlich nur als Anschauungsmaterial für Kulturtherorie begreift. Denn höchstwahrscheinlich ist der Hauptgrund dafür, dass Matsumoto sich auf die alten Griechen besinnt, das unglaubliche Schlussbild auf das er von Anfang an hinaus will: Peter, der mit blutenden Augen aus seinem Appartment und damit auch aus der schwulen Parallelwelt läuft, hinaus in das ebenso hell glänzende wie brutale Sonnenlicht umgeben von den staunenden Normalbürgern, die davor konsequent außen vor geblieben waren. Eine Szene, die den Bogen zum Filmbeginn schlägt, dort umschlangen sich zwei weiß gleißende, noch völlig geschlechtslose Körper; zweimal Blendung, am Anfang die utopische einer von gesellschaftlichen Zwängen befreiten Sexualität, am Ende die weniger dystopische als schlicht und einfach banal brutale der reinen Gegenwart; Augen benötigt Peter nur so langem, wie er in der Lage ist, mehr zu sehen als diese Gegenwart.
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Thursday, August 07, 2008
Berlin Kino, 7. - 13.8.2008
Dass die Rubrik die letzten Wochen eingeschlafen ist, lag nicht nur an zu erledigen anderer Aufgaben, die inzwischen bereits seit zwei Wochen auch tatsächlich erledigt sind. Sondern auch daran, dass ich erstens zZ wenig ins Kino gehe und zweitens da auch wenig interessantes läuft, insbesondere abseits des durchaus unterhaltsamen Sommerblockbuster-Tagesprogramms. Letzteres hat diese Woche als Neustart The Mummy: Tomb of the Dragon Emperor zu bieten und also wahrscheinlich nicht viel. Sonst läuft mit Nue propriete ein Arthausfilm an, den sich anzuschauen vielleicht doch einmal wieder lohnen würde. Vom Warhol-Pastiche Factory Girl erwarte ich dagegen eher wenig.
Finster sieht es in den drei großen, von öffentlichen Geldern finanzierten Institutionen aus: Das Arsenal hat seine freilich in der Rückschau doch eindrückliche 68er-Reihe hinter sich gebracht und verlängert dieses Jahr sein ausgedünntes Sommerprogramm bis in den Oktober. Das Zeughauskino gönnt sich bis Ende August gleich ganz eine Pause und im Babylon ist höchstens eine Reihe mit Comicverfilmungen zu erwähnen, die sich aber leider dadurch auszeichnet, dass die meisten interessanten Filme mit deutscher Synchronfassung zu sehen sind.
Bleibt das Fantasy Fimfest, Start ist nächsten Dienstag und mit Johnnie To, Miike Takashi sowie Dario Argento sind immerhin schon einmal ein paar Auteurs mit dabei. Bereits gesehen habe ich zwei Schwertkampffilme: An Empress and the Warriors ist ein wunderschönes Oldschool-Wuxia des Veteranen Chin Siu-tung (A Chinese Ghost Story), Three Kingdoms dagegen ein etwas anstrengendes und vor allem hochgradig redundantes Unterfangen.
Finster sieht es in den drei großen, von öffentlichen Geldern finanzierten Institutionen aus: Das Arsenal hat seine freilich in der Rückschau doch eindrückliche 68er-Reihe hinter sich gebracht und verlängert dieses Jahr sein ausgedünntes Sommerprogramm bis in den Oktober. Das Zeughauskino gönnt sich bis Ende August gleich ganz eine Pause und im Babylon ist höchstens eine Reihe mit Comicverfilmungen zu erwähnen, die sich aber leider dadurch auszeichnet, dass die meisten interessanten Filme mit deutscher Synchronfassung zu sehen sind.
Bleibt das Fantasy Fimfest, Start ist nächsten Dienstag und mit Johnnie To, Miike Takashi sowie Dario Argento sind immerhin schon einmal ein paar Auteurs mit dabei. Bereits gesehen habe ich zwei Schwertkampffilme: An Empress and the Warriors ist ein wunderschönes Oldschool-Wuxia des Veteranen Chin Siu-tung (A Chinese Ghost Story), Three Kingdoms dagegen ein etwas anstrengendes und vor allem hochgradig redundantes Unterfangen.
Wednesday, August 06, 2008
Hiroshi Sugimoto: Conceptual Forms
Eher versteckt selbst in der eigentlich sehr übersichtlichen Retrospektive Hiroshi Sugimoto in der Neuen Nationalgalerie finden sich, wenn ich mich richtig erinnere, drei Exponate der Reihe "Conceptual Forms" (eines davon ist hier zu sehen).
Sugimoto fotografierte zum Lehrexponate der Fachdisziplin Mathematik, die größtenteils dem 19. Jahrhundert entstammen. In diesen Exponaten gerinnt der Inbegriff abstrakten Denkens, die höhere Mathematik, zur materiellen Form. Die Fundamentalnaturwissenschaft möchte ihr Innerstes nach außen wenden und verfängt sich in zahllosen Paradoxien. Denn was hat die mathematische Formel (die in einem Fall Sugimotos Fotografie beigefügt ist) faktisch mit diesem Gebilde zu tun? Was hat eine tünerne Skulptur mit abstraktem Denken zu tun? Repräsentieren im engeren Sinn kann sie es nicht, sie kann höchstens auf etwas verweisen, dem ihre eigene Materialität entgegensteht. Je perfekter sie sich ihrem Referenten annähert, desto mehr muss sie sich selbst zerstören.
Schon im Moment seiner Fertigstellung ist das Exponat in gewisser Weise zu historisch und im Lauf der Zeit wird alle nur noch viel schlimmer. Betrachtet man es als archäologisches Artefakt (und genau so wird es auf der Fotografie präsentiert, im Stil einer antiken Vase), vergrößert sich die Differenz zwischen Exponat und Idee ins Unermessliche: Unebenheiten im Material werden sichtbar, Risse und abgeschliffene Kanten. Dabei erweitert sich nicht nur die grundsätzliche Paradoxie der Materialwerdung des Immateriellen um faktische, mathematische Fehler in der Darstellung selbst unter Ausblendung epistemologischer Probleme (das Exponat auf der verlinkten Fotografie soll einen Körper darstellen, der an jedem Punkt seiner Oberfläche negativ gekrümmt ist; tut es aber nicht, beziehungsweise aufgrund der abgeschliffenen Kanten tut er das noch weniger, als es ein realer Körper theoretisch vermöchte). Zusätzlich injiziert werden Fragen nach dem sozialen Gebrauch, nach der Geschichtlichkeit des Artefakts, jenseits seines fragwürdigen Referenten. Solche Fragen drängen sich in den Vordergrund und lassen das dem Exponat zugrundeliegende Weltbild sanft kollabieren.
Sugimotos Fotografie fügt dem Exponat auf den ersten Blick wenig hinzu (weniger zumindest als das in einigen anderen Serien der Fall ist zumindest, beispielsweise den leuchtenden Leinwänden), auf den zweiten aber sehr viel. Würden die Exponate selbst ausgestellt, folgte daraus zwangsläufig ein herablassender Blick, ein arrogantes und besserwisserisches Lachen über den amoklaufenden Positivismus vergangener Epochen (der sich freilich seiner selbst weit weniger sicher war als der der unseren und sich deshalb kunsthandwerklerisch be(s)tätigen musste; eigentlich ist es genau das, was diese Exponate offenlegen). Die Fotografien jedoch heben, schon durchs technische Verfahren, dann auch durch die konkrete Bildgestaltung, deren Sorgfalt und Symmetrie, den naiven Szientifismus auf in einem höheren, dem der mechanischen Reproduktion. Dieser erscheint in seiner ästhetischen Spielart im Allgemeinen und bei Sugimoto im Besonderen als ein multivariater, zeitlich komplexer Weltbezug, der durch gezielte Auslassungen vielleicht (obwohl wahrscheinlich auch immer nur tendenziell, mehr in der gedachten Fortsetzung des Sichtbaren als in diesem selbst, darin unerwarteterweise doch wieder vergleichbar den Exponaten) genau das erreicht, woran die Wissenschaftsmaterialisierungen vergangener Zeiten und ihre Gegenwartsobsession scheiterten.
Sugimoto fotografierte zum Lehrexponate der Fachdisziplin Mathematik, die größtenteils dem 19. Jahrhundert entstammen. In diesen Exponaten gerinnt der Inbegriff abstrakten Denkens, die höhere Mathematik, zur materiellen Form. Die Fundamentalnaturwissenschaft möchte ihr Innerstes nach außen wenden und verfängt sich in zahllosen Paradoxien. Denn was hat die mathematische Formel (die in einem Fall Sugimotos Fotografie beigefügt ist) faktisch mit diesem Gebilde zu tun? Was hat eine tünerne Skulptur mit abstraktem Denken zu tun? Repräsentieren im engeren Sinn kann sie es nicht, sie kann höchstens auf etwas verweisen, dem ihre eigene Materialität entgegensteht. Je perfekter sie sich ihrem Referenten annähert, desto mehr muss sie sich selbst zerstören.
Schon im Moment seiner Fertigstellung ist das Exponat in gewisser Weise zu historisch und im Lauf der Zeit wird alle nur noch viel schlimmer. Betrachtet man es als archäologisches Artefakt (und genau so wird es auf der Fotografie präsentiert, im Stil einer antiken Vase), vergrößert sich die Differenz zwischen Exponat und Idee ins Unermessliche: Unebenheiten im Material werden sichtbar, Risse und abgeschliffene Kanten. Dabei erweitert sich nicht nur die grundsätzliche Paradoxie der Materialwerdung des Immateriellen um faktische, mathematische Fehler in der Darstellung selbst unter Ausblendung epistemologischer Probleme (das Exponat auf der verlinkten Fotografie soll einen Körper darstellen, der an jedem Punkt seiner Oberfläche negativ gekrümmt ist; tut es aber nicht, beziehungsweise aufgrund der abgeschliffenen Kanten tut er das noch weniger, als es ein realer Körper theoretisch vermöchte). Zusätzlich injiziert werden Fragen nach dem sozialen Gebrauch, nach der Geschichtlichkeit des Artefakts, jenseits seines fragwürdigen Referenten. Solche Fragen drängen sich in den Vordergrund und lassen das dem Exponat zugrundeliegende Weltbild sanft kollabieren.
Sugimotos Fotografie fügt dem Exponat auf den ersten Blick wenig hinzu (weniger zumindest als das in einigen anderen Serien der Fall ist zumindest, beispielsweise den leuchtenden Leinwänden), auf den zweiten aber sehr viel. Würden die Exponate selbst ausgestellt, folgte daraus zwangsläufig ein herablassender Blick, ein arrogantes und besserwisserisches Lachen über den amoklaufenden Positivismus vergangener Epochen (der sich freilich seiner selbst weit weniger sicher war als der der unseren und sich deshalb kunsthandwerklerisch be(s)tätigen musste; eigentlich ist es genau das, was diese Exponate offenlegen). Die Fotografien jedoch heben, schon durchs technische Verfahren, dann auch durch die konkrete Bildgestaltung, deren Sorgfalt und Symmetrie, den naiven Szientifismus auf in einem höheren, dem der mechanischen Reproduktion. Dieser erscheint in seiner ästhetischen Spielart im Allgemeinen und bei Sugimoto im Besonderen als ein multivariater, zeitlich komplexer Weltbezug, der durch gezielte Auslassungen vielleicht (obwohl wahrscheinlich auch immer nur tendenziell, mehr in der gedachten Fortsetzung des Sichtbaren als in diesem selbst, darin unerwarteterweise doch wieder vergleichbar den Exponaten) genau das erreicht, woran die Wissenschaftsmaterialisierungen vergangener Zeiten und ihre Gegenwartsobsession scheiterten.
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