Monday, November 05, 2012

Von Anfang an zentrumslos


Der Einführungsvortrag, den ich am 03.11. im Kino Arsenal zu zwei Filmen Hong Sang-soos gehalten habe:

Guten Abend. Zuerst vielen Dank an Sulgi Lie und das Kino Arsenal für die Einladung für eine kurze Filmeinführung am zweiten Tag der Retrospektive der Filme Hong Sang-soos. Heute sind zwei Filme aus dem Frühwerk Hongs zu sehen. The Power of Kangwon Province von 1998 haben Sie vielleicht gerade gesehen, wenn nicht, kann ich Ihnen nur sehr ans Herz legen, sich die Wiederholung am 14.11. anzusehen; der Film ist, glaube ich, einer der schönsten in der Reihe. Jetzt läuft Virgin Stripped Bare by Her Bachelors aus dem Jahr 2000; ich werde mich in meiner knappen Einführung auf beide Filme beziehen, die auch diejenigen Filme sind, mit denen sich Hong als einer der sichtbarsten Regisseure des südkoreanischen Kinos auf den internationalen Festivals etablierte. Virgin Stripped Bare By Her Bachelors zum Beispiel war sein erster von inzwischen mehreren Filmen, der nach Cannes eingeladen wurde. Beide Filme sind durchaus kompliziert aufgebaute Erzählexperimente. Über den Inhalt möchte ich vorab nicht viel sagen – es geht ohnehin um dieselben Themen, auch um dieselbe Art von Figuren, wie in allen anderen Filmen der Reihe. Auch über die erzählerischen Experimente selbst will ich nicht sprechen, weil ich sonst Gefahr laufen würde, Ihnen den Spaß an diesen außergewöhnlichen Filmen ein wenig zu nehmen. Es lohnt sich jedenfalls, genau hinzusehen.

Es ist ohnehin nicht einfach, über einzelne Filme Hong Sang-soos zu sprechen, ohne sich immer gleich auf alle anderen mitzubeziehen. Es ist schwer zu sagen, ob es etwas gibt, das The Power of Kangwon Province und Virgin Stripped Bare By Her Bachelors einerseits miteinander verbindet, andererseits aber von den anderen Filmen der Reihe absondert. Wenn man doch noch ein Moment bei der Erzählung bleibt, könnte man zum Beispiel feststellen, dass beide Filme in zwei Teile getrennt sind, die sich in einer nicht leicht zu durchschauenden Spiegelstruktur gegenüber stehen – aber dasselbe gilt für eine ganze Reihe anderer Filme, die Sie in den nächsten Wochen hier sehen können. Vielleicht am ehesten fällt in den beiden Filmen des heutigen Abends eine melancholische bis geradezu depressive Grundstimmung auf; zumindest ging es mir beim Wiederansehen so. Die Filme erzählen mit ziemlicher Ausschließlichkeit von scheiternden, beziehungsweise schon gescheiterten Liebesbeziehungen, vor allem der erste Film, The Power of Kangwon Province, macht nichts anderes, als die Nachwirkungen einer Beziehung zu registrieren, die Wunden, die hilflosen Therapieversuche. Vielleicht verbindet die Filme auch eine gewisse formale Strenge, ein Formenspiel, das eher reduktiv-minimalistisch als spielerisch ist: im ersten Film des heutigen abends findet sich zum Beispiel keine einzige Kamerabewegung, der zweite ist in wunderschönem, aber auch hartem schwarz-weiß fotografiert.


Man kann, glaube ich, wenn man sich in den nächsten Wochen die Filme nacheinander ansieht, feststellen, dass einige Motive, oder auch szenische Anordnungen, die in den frühen Filmen noch vorrangig melancholisch flektiert werden, in den späteren eher humoristisch aufgelöst werden. Das heißt nicht, dass sich nicht auch in den Filmen des heutigen Abends in die hoffnungslos verfahrenen Situationen Ironie und Witz einschleichen würden. In Virgin Stripped Bare By Her Bachelors lohnt es sich zum Beispiel, nach Federballspielern Ausschau zu halten, oder darauf zu achten, was in entscheidenden Situationen mit Löffeln und Gabeln passiert.


Eine weitere Gemeinsamkeit: Beide Filme beginnen mit einer Reise. Beziehungsweise: mit einem verhinderten Treffen während einer Reise. In The Power of Kangwong Province verfehlt sich ein Paar in einem Zug, auf dem Weg zu einem Urlaubsort, an dem der Großteil des Films spielt. In Virgin Stripped Bare By Her Bachelors wartet ein Mann in einem Hotel auf seine Geliebte, die es sich anders überlegt zu haben scheint. Der Film entfaltet sich dann über Rückblenden – oder zumindest über Sequenzen, die auf den ersten Blick nach Rückblenden aussehen.


Davon ausgehend eine etwas allgemeinere Überlegung: Das Motiv der Reise, vor allem das Motiv der verhinderten oder missglückten Reise ist vielleicht nicht der schlechteste Einstieg in das Werk Hongs. Vor allem, wenn man sich ansieht, was die Reise sonst im Kino oder auch in der Literatur bedeuten kann. Im Kino kann man da zum Beispiel an zahllose Roadmovies oder an viele Abenteuerfilme denken. Eine Reise in einem Hong-Film aber ist nie: eine Lockerungsübung, nie auch ein genuines adventure, nie geht es um die Konfrontation mit dem Unbekannten, nie auch nur um eine Prüfung, die die Reise dem Reisenden selbst stellt. Nur ein Beispiel: In The Power of Kangwon Province stehen die beiden Protagonisten gelegentlich vor wunderschöner Bergkulisse, in regelrechten Postkartenpanoramen. Und beschäftigen sich dort doch nur mit genau denselben verfahrenen Frauengeschichten, die sie auch zu hause durchleiden. Obwohl in Hong-Filmen viel und gerne gereist wird, sind sie in mancher Hinsicht regelrechte Anti-Roadmovies und Anti-Abenteuerfilme. Es geht bei den Reisen in Hongs Kino aber auch nicht darum, glaube ich zumindest, in der Tradition eines modernistischen Kinos die touristische Distanz als ein Bild für Selbstentfremdung zu nehmen – man könnte bei obiger Beschreibung ja zum Beispiel an Rossellinis Viaggio in Italia denken. Diese modernistischen Reisen mögen den jeweiligen Reisenden keine neuen Erfahrungsformen ermöglichen, aber sie behalten die Fremderfahrung als nach Innen gefaltete bei und sie behalten auch ein Moment der Offenbarung, zumindest für das Publikum. Die spezielle Form der Reise in Hongs Filmen dagegen schließt das Neue, die Fremderfahrung – oder vielleicht überhaupt: Erfahrung - auf viel gründlichere Art aus. Und zwar, weil sich im Reisemotiv, glaube ich, einige Strukturmerkmale der Filme und ihrer Protagonisten artikulieren.


Was es in den Filmen nie gibt, ist der sichere Hafen, von dem der Abenteuerfilm meist seinen Ausgang nimmt und zu dem so manches road movie zumindest untergründig hinzuführen scheint: keine Familien gibt es vor allem, nicht einmal als Handlungshorizont, erst recht gibt es keine Heimat in einem starken Sinne. Insofern setzt sich eine Reise bei Hong nie in einen Gegensatz zum Alltag. Die Reise ist gewissermaßen ein nicht hintergehbarer Grundzustand, aber eben gerade nicht im Sinne eines emphatischen „on the road“, eher im Sinne einer ewig insistierenden „same difference“. Die Welt des Hong-Kinos ist von Anfang an zentrumslos, ihre Bewohner entwurzelt, dabei aber eher slacker als drifter, ihr Bewegungsmodus ist nicht das freie Sichtreibenlassen, sondern die Wiederholung - und der Aufschub.


Aus den neurotischen Kreisläufen der Selbstwiederholung, die eben nicht nur die Filme, sondern auch die Leben der Protagonisten prägen, gibt es keinen Ausweg und schon gar keinen, den man auf einer Landkarte finden könnte. Es geht, vor allem vielleicht für die Männer in den Hong-Filmen, stets um eine manische, narzisstische Serialisierung des eigenen Lebens, als dessen notwendiges Variationsmoment dann mal ein Partnerwechsel herhalten muss, mal ein Ortswechsel. Wenn die Männer verreisen, dann führt Hong sie oft zu Orten, die sie von früher kennen, wie auch die Frauen, die sie kennenlernen wieder und wieder nichts sind als Variationen der Frauen, die sie gerade verlassen haben. Oft aber planen sie auch lediglich, eine Reise anzutreten - der Film kommt ihnen dann dazwischen, als Verzögerung, sozusagen. In Virgin Stripped Bare by Her Bachelors möchte Jae-hun mit Su-jeong unbedingt zur Insel Jeju – ob die beiden an diesem Sehnsuchtsort auch tatsächlich ankommen, das werden Sie gleich herausfinden können. Und damit wünsche ich uns allen eine schöne Projektion. Vielen Dank.

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