Ein One Night Stand auf einem Schiff. Doch als Schiff sehen wir es nur in einer Szene. Kurz bevor es tatsächlich zum Sex kommt, stehen Alice und Thomas gemeinsam an der Reling. Das Wasser, ansonsten höchstens ein, zweimal über die Tonspur erschließbar, ist nur hier wirklich anwesend und bricht die davor immer etwas unwirkliche, artifizielle Stimmung des Films. Hier, und anschließend in Alices Schlafzimmer, gibt der Film seine Distanz auf, lässt sich ganz auf die Körperlichkeit der Schauspieler ein.
Ansonsten sieht das Schiff eher aus wie eine absonderliche Ansammlung besonders geschmackloser Supermärkte und Bars, Hotelzimmer sowie mensaähnlicher Restaurants. Selbst wenn Thomas das Schiff betritt und verlässt, ist es nicht als solches erkennbar, die Gangway erinnert zumindest mich eher an Flughäfen und die Schalterlabyrinthe bei der Passkontrolle sind typische Nicht-Orte (überhaupt hat das ganze Schiff etwas von einem Nicht-Ort und alles was Ort daran ist, ist tendenziell grässlich). In diesem Nicht-Ort nun verbringen Alice und Thomas eine Nacht.
Zu einer Schiffahrt gehören nicht nur Wasser, Wellen und Reling, sondern eben auch all die anderen Orte, an welchen Brève traversée hauptsächlich spielt. Und auch zum Sex gehört mehr, lange Blick- und (manchmal zu) lange Wortwechsel und die gegen-, obwohl hier natürlich eher einseitige Verführung. Ohne dies alles ergäbe nichts einen Sinn in diesem schönen, kleinen und klugen Film, den man vielleicht auch als (vorauseilenden) Gegenfilm zu Claire Denis' ungleich euphorischeren Vendredi soir auffassen kann, in welchem ein Jahr später sogar die Markenschriftzüge der Autos zu tanzen beginnen.
Tuesday, October 30, 2007
Battlestar Galactica - Irgendwo inmitten der unendlichen Weiten der zweiten Staffel
Gestern Nacht gesehen: Die bisher vielleicht allerbeste Folge "Resurrection Ship: Part 2". Halluzinogene Melancholik zwischen Blade Runner und 2001 trifft auf knallharten Spannungsfilm, eine unglaubliche Mischung aus wildem, befreienden, assoziativen Wahnwitz und kühlstem, analytischem Plotting. Zwei Folgen vorher ensteht aus dem Nichts eine völlig neue Dimension des sich ständig erweiternden Battlestar-Universums (und dieses Universum ist hier nicht auf narrative Strukturen beschränkt wie im Falle von Lost, Battlestar Galactica betreibt wirklich world building, aber nicht im Sinne der öden Fantasy-Literatur und ihren beliebigen, austauschbaren Fabelwesen; auch nicht jedoch im Sinne einer allegorischen Parallelwelt, die nur unsere eigene verdoppelt. Im Grunde ist gerade die unklare Situierung dieser Welt das interessanteste an ihr, schwankt sie doch stehts zwischen eskapistischer Fantasie, utopischer Alternative und dystopischer Kritik, ohne sich letztlich für eines der drei zu entscheidend. Vielleicht wird durch diese Verweigerung implizit die zweite Variante bevorzugt). Nach dieser Folge ist zumindest wiederum alles völlig anders und neu, die Serie ändert weniger den Aufbau ihrer Welt, als ihre Perspektive auf dieselbe.
Nicht zuletzt besteht Battlestar Galactica aus einer Reihe großartig durchinszenierter Melodramen, die sich allesamt mit jeder narrativen Wendung des Hauptplots ebenfalls eine Komplexitätsstufe nach oben verlagern. Vor allem die Figur Boomers wurde im Laufe der bisherigen 24 Folgen mit einer fast unglaublichen Anzahl von Schicksalsschlägen und existentiellen Krisen konfrontiert. Dennoch wirkt nichts lächerlich oder überzogen, alles ist folgerichtig und keine kaum einmal wird eine verworrene Beziehung in halbgaren Storytwists wieder gerade gebogen (zugegeben, ab und an passiert das schon, aber äußerst selten).
Die verschiedenen Ebenen finden sich nicht nur über die Staffel verteilt, sondern in jeder einzelnen Folge. Besser erzählt wird im amerikanischen Fernsehen derzeit wohl selten, vom Kino ganz zu schweigen. Battlestar Galactica ist irgendwo ganz oben im amerikanischen Serienhimmel, direkt neben The Wire und Arrested Development und vielleicht sogar noch etwas über The Shield, Lost und Deadwood.
Btw an alle Mitfans: Wie ich gerade erst bemerkt habe, ist zusätzlich zur vierten Staffel noch ein zweistündiger Fernsehfilm in Produktion, der die Vorgeschichte der Pegasus behandeln wird. Nach den letzten drei Staffeln kann ich diesen genauso wenig erwarten wie den Rest der regulären Serie.
Nicht zuletzt besteht Battlestar Galactica aus einer Reihe großartig durchinszenierter Melodramen, die sich allesamt mit jeder narrativen Wendung des Hauptplots ebenfalls eine Komplexitätsstufe nach oben verlagern. Vor allem die Figur Boomers wurde im Laufe der bisherigen 24 Folgen mit einer fast unglaublichen Anzahl von Schicksalsschlägen und existentiellen Krisen konfrontiert. Dennoch wirkt nichts lächerlich oder überzogen, alles ist folgerichtig und keine kaum einmal wird eine verworrene Beziehung in halbgaren Storytwists wieder gerade gebogen (zugegeben, ab und an passiert das schon, aber äußerst selten).
Die verschiedenen Ebenen finden sich nicht nur über die Staffel verteilt, sondern in jeder einzelnen Folge. Besser erzählt wird im amerikanischen Fernsehen derzeit wohl selten, vom Kino ganz zu schweigen. Battlestar Galactica ist irgendwo ganz oben im amerikanischen Serienhimmel, direkt neben The Wire und Arrested Development und vielleicht sogar noch etwas über The Shield, Lost und Deadwood.
Btw an alle Mitfans: Wie ich gerade erst bemerkt habe, ist zusätzlich zur vierten Staffel noch ein zweistündiger Fernsehfilm in Produktion, der die Vorgeschichte der Pegasus behandeln wird. Nach den letzten drei Staffeln kann ich diesen genauso wenig erwarten wie den Rest der regulären Serie.
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Tuesday, October 23, 2007
The Rundown, Peter Berg, 2003
The Rock wird von seinem italienischen Arbeitgeber in den Dschungel geschickt, um dessen missratenen Sohn wieder in die USA zurückzuholen. Dieser Sohn befindet sich im Camp eines Diamantenhändlers der von Christopher Walken gespielt wird und schon recht früh im Film eine Grundsatzrede hält über die Funktionsweise des globalisierten Kapitalismus' und seine ganz spezielle Rolle in diesem System. Verdeutlicht wird diese Rolle durch einen langen Trackingshot über die Diamantenmine, in welcher zahllose dunkelhäutige, ausgemergelte, mit Lumpen bekleidete Kreaturen schuften. Peter Berg unternimmt nicht die geringste Anstrengung, dieses Szenario auch nur halbwegs naturalistisch zu präsentieren. Vielmehr scheint hier ein Haufen geknechteter Hobbits in Mordor Sklavenarbeit für Sauron / Walken zu verrichten beziehungsweise vergeblich in Richtung Sonne zu streben.
Der Dschungel selbst, in dem sich eine trashige Abenteuergeschichte mit comicartig überzeichneten Actionsequenzen und ein noch trashigerer Guerillakriegsfilmplot gegenseitig im Weg herum stehen, wird strukturell ähnlich präsentiert, nämlich als sichtlich fast vollständig mithilfe einschlägiger 3D-Software entwickelter Abenteuerspielplatz ohne Verankerung in irgendeiner physikalischen oder sozialen Realität. Die dominierenden Einstellungen sind elegante, stylishe Pseudo-Helikoptereinstellungen, die die Rechenpower der Grafikengine voll zur Geltung kommen lassen. Smooth gleitet der Blick über digital animierte Höhenkämme, irgendwo tief unten kämpft währenddessen Diamantenhändler Walken gegen Pseudo-Brasilianer unterschiedlicher Größe und Hautfarbe.
Die Art und Weise wie The Rundown sich sein Brasilien (irgendjemand erwähnt einmal, dass die Einheimischen portugiesisch sprechen, das ist aber, wenn ich mich richtig erinnere, auch schon der einzige Hinweis auf die innerdiegetische Situierung des Schauplatzes) zusammenphantasiert, ohne auch nur noch den Anspruch zu erheben, dass diese Situierung auch einem realen Weltbezug entspricht, erinnert an John McTiernans großartiges Rollerball-Remake. Überhaupt sind die Filme auch in manch anderer Hinsicht nicht ganz weit voneinander entfernt, unter anderem wandeln sowohl McTiernan als auch Berg politische Befreiungsbewegungen rückstandlos und rücksichtslos in special effects um.
Freilich ist Rollerball ein um mehrere Klassen besserer Film. Der Unterschied zwischen beiden Werken findet sich vor allem darin, dass McTiernan sein Werk von der ersten bis zur letzten Sekunde ernst nimmt. Bei Berg dagegen ist vieles offenbar von Anfang an als Blödsinn intendiert und zumindest die slapstickartigen Actionszenen sowie der Buddy-Movie-Unfug zwischen The Rock und Seann William Scott können auch gar nicht anders rezipiert werden. Und dennoch geht der Film nicht ganz in dem anvisierten Genre Actionkomödie auf. Dass dem so ist, liegt neben den oben erwähnten Eigenheiten (vor allem der Trackingshot über die Diamantenmine lässt sich beim besten Willen nicht in den Begriffen eines reinen Fun-Movies lesen) auch an der Präsenz Christopher Walkens. Der ist zwar wie so oft vor allem Selbstzitat, doch noch im Selbstzitat verweigert er sich der Instrumentalisierung fürs postmoderne Bullshitkino.
The Rundown ist sicherlich alles andere als ein großer Film. Ein interessanter jedoch allemal und interessanter (unterhaltsamer sowies) als Bergs größtenteils langweiliges, überambitioniertes Nachfolgeprojekt The Kingdom (obwohl auch das nicht ganz ohne Reiz ist, dazu eventuell bald mehr) erst recht.
Der Dschungel selbst, in dem sich eine trashige Abenteuergeschichte mit comicartig überzeichneten Actionsequenzen und ein noch trashigerer Guerillakriegsfilmplot gegenseitig im Weg herum stehen, wird strukturell ähnlich präsentiert, nämlich als sichtlich fast vollständig mithilfe einschlägiger 3D-Software entwickelter Abenteuerspielplatz ohne Verankerung in irgendeiner physikalischen oder sozialen Realität. Die dominierenden Einstellungen sind elegante, stylishe Pseudo-Helikoptereinstellungen, die die Rechenpower der Grafikengine voll zur Geltung kommen lassen. Smooth gleitet der Blick über digital animierte Höhenkämme, irgendwo tief unten kämpft währenddessen Diamantenhändler Walken gegen Pseudo-Brasilianer unterschiedlicher Größe und Hautfarbe.
Die Art und Weise wie The Rundown sich sein Brasilien (irgendjemand erwähnt einmal, dass die Einheimischen portugiesisch sprechen, das ist aber, wenn ich mich richtig erinnere, auch schon der einzige Hinweis auf die innerdiegetische Situierung des Schauplatzes) zusammenphantasiert, ohne auch nur noch den Anspruch zu erheben, dass diese Situierung auch einem realen Weltbezug entspricht, erinnert an John McTiernans großartiges Rollerball-Remake. Überhaupt sind die Filme auch in manch anderer Hinsicht nicht ganz weit voneinander entfernt, unter anderem wandeln sowohl McTiernan als auch Berg politische Befreiungsbewegungen rückstandlos und rücksichtslos in special effects um.
Freilich ist Rollerball ein um mehrere Klassen besserer Film. Der Unterschied zwischen beiden Werken findet sich vor allem darin, dass McTiernan sein Werk von der ersten bis zur letzten Sekunde ernst nimmt. Bei Berg dagegen ist vieles offenbar von Anfang an als Blödsinn intendiert und zumindest die slapstickartigen Actionszenen sowie der Buddy-Movie-Unfug zwischen The Rock und Seann William Scott können auch gar nicht anders rezipiert werden. Und dennoch geht der Film nicht ganz in dem anvisierten Genre Actionkomödie auf. Dass dem so ist, liegt neben den oben erwähnten Eigenheiten (vor allem der Trackingshot über die Diamantenmine lässt sich beim besten Willen nicht in den Begriffen eines reinen Fun-Movies lesen) auch an der Präsenz Christopher Walkens. Der ist zwar wie so oft vor allem Selbstzitat, doch noch im Selbstzitat verweigert er sich der Instrumentalisierung fürs postmoderne Bullshitkino.
The Rundown ist sicherlich alles andere als ein großer Film. Ein interessanter jedoch allemal und interessanter (unterhaltsamer sowies) als Bergs größtenteils langweiliges, überambitioniertes Nachfolgeprojekt The Kingdom (obwohl auch das nicht ganz ohne Reiz ist, dazu eventuell bald mehr) erst recht.
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Still Life, Jia Zhang-Ke, 2006
Jia Zhang-kes Bilder sind in alle Richtungen durchlässig. Der Film erweitert sich konsequent über die ohnehin eher wie mit dem lockeren Pinselstrich der Impressionisten sanft angedeutet, als klar ausformuliert (welches Mädchen auf dem Foto die Tochter der Hauptfigur ist, weiss er, wir aber nicht) ist. Schlammverschmierte Gänse und Hunde laufen ins Bild, ein kleiner Junge stielt eine Zigarette, Schriftzeichen legen sich über die Bilder und sorgen für eine – allerdings wiederum äußerst sanfte – Distanzierung, initiieren Serien fließender Kamerabewegungen, aus dem Fernseher blickt Chow Yun Fat und findet ein Ebenbild in der chinesischen Provinz. Hinter den Hauptfiguren, wenn sie denn tatsächlich einmal das Zentrum des Bildes einnehmen, reißen andere Menschen Löcher in Häuser und Landschaft, unterhalb der dritten Staustufe muss alles weg, bevor das Wasser kommt. Doch noch wohnen zwischen den Mauerresten Menschen und zwar sehr viele. Tritt in Still Life ein Mensch durch eine Maueröffnung, so kann man darauf wetten, dass ihm noch mindestens fünf weitere folgen. Die Mauern, die hier eingerissen werden, werden anderswo, irgendwo oberhalb der dritten Staustufe, wieder aufgebaut werden. Der Titel Still Life ist in zweierlei Hinsicht missverständlich: Weder steht hier irgendetwas still, noch ist Jias Film einer über die letzten Überreste des Lebens vor der großen Flut, die alles mit sich reißen wird. Jeder Hammerschlag ist mehr Transformation als Destruktion und noch im elegischsten Trümmerpanorama findet die Kamera Lebenszeichen, wenn sie nur lange genau darauf wartet.
Möglicherweise könnte man gar diesem wunderbaren Film aus seinem Vitalismus einen Strick drehen, wenn man auf politische Kritik im engeren Sinne aus wäre. In der Tat fand Jias Abkehr vom minimalistischen, düsteren Stil seines Frühwerkes gleichzeitig statt mit dem (vorsichtigen) Friedensschluss des Regisseurs mit der chinesischen Zensur. Seit The World sehen Jias Filme anders aus, offener und heterogener, jedoch eben auch sinnlicher, nicht unbedingt optimistischer, aber irgendwie mondäner und vor allem im Falle von Still Life auch auf konventionellere Weise humanistisch und damit eventuell nicht nur arthauskompatibler, sondern schlicht und einfach weniger radikal.
Doch bleibt es grundsätzlich ein fragwürdiges Phänomen, dass das chinesische Kino hierzulande fast ausschließlich in Bezug auf die (chinesische) Zensur thematisiert wird. Fast scheint es, als solle der chinesische Film das politische Potential ausagieren, welches dem deutschen (wenn nicht dem gesamten europäischen) längst abhanden gekommen zu sein scheint. Wie die Frontstellungen in China tatsächlich aussehen, ist sicherlich weitaus komplizierter als es aus europäischer Perspektiver erscheint. Hier findet sich eine Einführung in die Problematik.
Und überhaupt (auch wenn dies obiges Argument nicht wirklich entkräftet) findet sich unter der slicken, hippen Oberfläche Still Lifes immer noch dasselbe politische Bewusstsein. Deutlich wird dies beispielsweise in den Unterschieden zwischen den beiden Geschichten. Die Klassendifferenz zwischen den jeweiligen Hauptfiguren muss nicht langwierig etabliert werden, sondern ist von Anfang an in ihre unterschiedliche Kleidung eingeschrieben, aber vor allem in dem jeweils verschiedenen Verhältnis zur sie umgebenden Welt. Während Han sich den ihm fremden sozialen Raum sofort zu eigen macht, durch zahlreiche Interaktionen mit Taxifahrern, Bauarbeitern und so weiter, aber auch durch direkte Kontakte mit der sich ständig transformierenden Architektur, bleibt zwischen der (verhältnismäßig) wohlhabenden Shen und ihrer Umgebung stets eine unüberbrückbare Distanz. Ihre Handlungen beziehen sich zwar letztlich auf denselben Raum, benötigen jedoch immer Vermittlungen: Innerdiegetisch nehmen Figuren der Spielfilmhandlung wie der Jia-Regular Wang Hong Wei diese Rolle ein, noch entscheidender sind jedoch im stilistische Verfahren, also Techniken, die als Eingriffe des Regisseurs selbst erkennbar bleiben. Die im engeren Sinne antirealistischen Elemente des Films, insbesondere die vielbeachtete UFO-Sequenz, finden sich allesamt in Shens Episode. Jias Regie isoliert Shen sanft aber bestimmt von ihrer Umgebung und verweigert ihr letztlich den Eintritt in den sozialen Erfahrungsraum.
Still Life sieht aus und fühlt sich an wie das Werk eines Regisseurs, der den Zenit seines Schaffens erreicht hat und sich auf dem Höhenkamm der eigenen Karriere sichtlich wohl fühlt. Zu hoffen bleibt allerdings, dass er den mit den letzten beiden Filmen eingeschlagenen Weg nicht allzu konsequent weiterverfolgt. Denn noch rosaroter, als er es ohnehin schon ist, sollte der Neorealismus Jias nun doch nicht werden. Sonst könnte der Regisseur irgendwann bei Scheußlichkeiten wie De Sicas Miracolo in Milano enden, mit welchem bereits Still Life – ungerechtfertigterweise obwohl meistens in lobender Absicht – hier und da verglichen wurde.
Möglicherweise könnte man gar diesem wunderbaren Film aus seinem Vitalismus einen Strick drehen, wenn man auf politische Kritik im engeren Sinne aus wäre. In der Tat fand Jias Abkehr vom minimalistischen, düsteren Stil seines Frühwerkes gleichzeitig statt mit dem (vorsichtigen) Friedensschluss des Regisseurs mit der chinesischen Zensur. Seit The World sehen Jias Filme anders aus, offener und heterogener, jedoch eben auch sinnlicher, nicht unbedingt optimistischer, aber irgendwie mondäner und vor allem im Falle von Still Life auch auf konventionellere Weise humanistisch und damit eventuell nicht nur arthauskompatibler, sondern schlicht und einfach weniger radikal.
Doch bleibt es grundsätzlich ein fragwürdiges Phänomen, dass das chinesische Kino hierzulande fast ausschließlich in Bezug auf die (chinesische) Zensur thematisiert wird. Fast scheint es, als solle der chinesische Film das politische Potential ausagieren, welches dem deutschen (wenn nicht dem gesamten europäischen) längst abhanden gekommen zu sein scheint. Wie die Frontstellungen in China tatsächlich aussehen, ist sicherlich weitaus komplizierter als es aus europäischer Perspektiver erscheint. Hier findet sich eine Einführung in die Problematik.
Und überhaupt (auch wenn dies obiges Argument nicht wirklich entkräftet) findet sich unter der slicken, hippen Oberfläche Still Lifes immer noch dasselbe politische Bewusstsein. Deutlich wird dies beispielsweise in den Unterschieden zwischen den beiden Geschichten. Die Klassendifferenz zwischen den jeweiligen Hauptfiguren muss nicht langwierig etabliert werden, sondern ist von Anfang an in ihre unterschiedliche Kleidung eingeschrieben, aber vor allem in dem jeweils verschiedenen Verhältnis zur sie umgebenden Welt. Während Han sich den ihm fremden sozialen Raum sofort zu eigen macht, durch zahlreiche Interaktionen mit Taxifahrern, Bauarbeitern und so weiter, aber auch durch direkte Kontakte mit der sich ständig transformierenden Architektur, bleibt zwischen der (verhältnismäßig) wohlhabenden Shen und ihrer Umgebung stets eine unüberbrückbare Distanz. Ihre Handlungen beziehen sich zwar letztlich auf denselben Raum, benötigen jedoch immer Vermittlungen: Innerdiegetisch nehmen Figuren der Spielfilmhandlung wie der Jia-Regular Wang Hong Wei diese Rolle ein, noch entscheidender sind jedoch im stilistische Verfahren, also Techniken, die als Eingriffe des Regisseurs selbst erkennbar bleiben. Die im engeren Sinne antirealistischen Elemente des Films, insbesondere die vielbeachtete UFO-Sequenz, finden sich allesamt in Shens Episode. Jias Regie isoliert Shen sanft aber bestimmt von ihrer Umgebung und verweigert ihr letztlich den Eintritt in den sozialen Erfahrungsraum.
Still Life sieht aus und fühlt sich an wie das Werk eines Regisseurs, der den Zenit seines Schaffens erreicht hat und sich auf dem Höhenkamm der eigenen Karriere sichtlich wohl fühlt. Zu hoffen bleibt allerdings, dass er den mit den letzten beiden Filmen eingeschlagenen Weg nicht allzu konsequent weiterverfolgt. Denn noch rosaroter, als er es ohnehin schon ist, sollte der Neorealismus Jias nun doch nicht werden. Sonst könnte der Regisseur irgendwann bei Scheußlichkeiten wie De Sicas Miracolo in Milano enden, mit welchem bereits Still Life – ungerechtfertigterweise obwohl meistens in lobender Absicht – hier und da verglichen wurde.
BerlinKino Kurzhinweis
Fei Mus Frühling in einer kleinen Stadt läuft heute in der Magical History Tour des Arsenals.
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