Wednesday, December 28, 2016

Fliegen

Flugreisen individuieren die Menschen. Für die Dauer des Fluges werden sie aus Gruppenzusammenhängen, insbesondere aus selbstgewählten, herausgerissen, indem ihnen Sitzplätze zugewiesen werden. Jedem nur einer und dieser eine nur diesem einen. Auch Gruppenzusammenhänge, die noch auf den Wartebänken vor dem Gate unzerstörbar erscheinen, weil sie sich mit identisch bedruckten Gruppen-T-Shirts abdichten (kalfatern), haben keine Chance. Im Flugzeug gilt: eine Person, ein Sitzplatz. Pärchen können die Armlehne hochklappen und Köpfe auf Schultern legen, aber in der speziellen sozialen Situation, die das Flugzeugregime hervorbringt, weisen solche Gesten eher auf das hin, was beide trotz allem voneinander trennt.

Die Individuierung ist wechselseitig und egalitär, weil sie automatisch und mehr oder weniger bruchlos von allen Beteiligten an allen anderen Beteiligten erfahren wird. Es gibt keine Differenzen, höchstens die zwischen erster, mittlerer und letzter Reihe. Aber die sind nebensächlich, da man normalerweise nicht nur einmal fliegt und sich deshalb in die anderen Sitzpositionen einfühlen kann. Außerdem funktioniert die Individuierung kaum über jene körperlichen und modischen Attribute, die bei Begegnungen mit Unbekannten auf der Straße fast zwangsläufig leitend sind. Man sieht schließlich kaum etwas voneinander. Das gilt natürlich nicht für (unbekannte) Nebensitzer, aber die sind dann wieder so nah, dass man (oder jedenfalls: dass ich) ihnen für die Dauer des Flugs einen Sonderstatus in der eigenen Intimsphäre zugestehen muss, der sie gleich wieder (als Intimwesen) auslöscht.

Alle anderen sind zumeist nur Hinterköpfe, oder höchstens vage Umrisse, die sich beim Essen kurz vorbeugen, ein weiteres Getränk verlangen, zur Toilette eilen. Und doch sind das plötzlich alles ganze, autonome Wesen, mehr meinesgleichen als Fremde das für gewöhnlich sind.

Wednesday, December 21, 2016

intellectual counterfeit money (gegen Essayfilme 1)

Was nervt: Essayfilm-Voice-over, die jeden zweiten Satz mit "he wrote", "you say", "I began to notice" oder Vergleichbarem beginnen, damit aber nicht auf die notwendige Nichtobjektivität von Sprache verweisen, sondern lediglich den Versuch unternehmen, mangelnde gedankliche Genauigkeit hinter Gesten billiger, weil faktisch folgenloser Reflexivität verbergen. Immer, wenn man einen derartigen Satz in einem Essayfilm hört, sollte man sich fragen: Was genau wird dem Gedanken durch die Markierung hinzugefügt, dass er von jemand anderem, oder auch von einem selbst geschrieben, gesagt, erarbeitet usw worden ist.

Eine Sprachkritik am Essayfilm könnte von einer ganz besonders ärgerlichen Hohlformel ausgehen, die pseudoreflexive Relativierung mit einer maximal vagen Kausalitätsbehauptung verknüpft: "But I guess that's how it works".

Tuesday, December 06, 2016

Young and Dangerous 4, Andrew Lau, 1997

Hard to see 20 years later why these films had a bad reputation in some quarters. Today they feel as alive, sprawling and stylish as the best of golden age Hongkong cinema. A quirky prolongation rather than the sad end of the heroic bloodshed tradition.

This one isn't as good a genre film as part 2 or 3. It takes at least one step too many in soap opera territory, the plot lacks clear internal motivation, and there isn't a standout action set piece like the street brawl in part 3. But as a pre-takover-paranoia film it is even more interesting than its predecessors. Not only in the openly political allusions in the end during the election, but even more so in the more subtle hints towards cultural division especially during the classroom scenes.

A continuing problem of the series is even more obvious this time: the series doesn't really know what to do with ekin chen's charakter. Here, he basically has nothing to do at all, but because he's the star, he still has to be squeezed into every third scene or so. Which is a shame, because while he isn't a good actor, his borderline queer style adds a shade of masculinity seldom seen in this kind of films.

His sex scene with Michelle Reis is great, though. Her face on a rose-emroidered pillow, her hand slowly extending towards his tattooed back, her eyes veering left and right while he lies upon her, the rather uncanny physicality combined at odds with the pictorial beauty of the scene.

(Andrew Lau's work is really amazing throughout the series, both as director and as cinematographer. I really have to catch up on his vast filmography.)

Friday, November 25, 2016

Das Verschwinden der Schwelle durch das Öffnen der Tür, Heidi Specogna / Thomas Schultz / Petra Heymann, 1986

Ein in den 1980er Jahren an der dffb entstandener, konzentrierter Montage-Interview-Film über das Asylverfahren - das schon vor Drittstaatenregelung und Ähnlichem auf Ausschluss, nicht auf Inklusion angelegt war. Im Film umreißen Vertreter der verschiedenen Institutionen, mit denen ein eingereister Ausländer, der Asyl beantragt, in Kontakt kommt, ihre jeweilige Tätigkeit. Fast alle Gespräche sind isoliert voneinander aufgenommen, höchstwahrscheinlich zumeist in den Räumlichkeiten der einzelnen Institutionen. Es fällt auf, dass insbesondere die Vertreter der Staatsmacht fast genauso viel kommunikative Energie wie auf die Beschreibung ihrer Tätigkeit darauf verwenden, diese spezifische Tätigkeit von anderen Tätigkeiten abzugrenzen. Die Person, die für den ungünstigen Verlauf des Verfahrens tatsächlich zuständig ist, sitzt immer irgendwo anders, im Zweifelsfall in der Politik. Besonders stark ist der Film, wenn er sich systemischen Schnittstellen widmet, die ansonsten selten in den Blick kommen. Zum Beispiel macht eine ganze Serie von Gesprächen zweifelsfrei klar, dass Abschiebungen mit den alltäglichen Prinzipien ziviler Luftfahrt ganz und gar nicht vereinbar sind; aber trotzdem weiterhin in sie eingebettet bleiben.

Die Leitdifferenz, die in fast allen Gesprächen auf die eine oder andere Art aufgerufen wird - und an dieser Stelle scheint er sehr seiner Zeit verbunden zu sein; ich kann mir kaum vorstellen, dass ein aktueller Film zum selben Thema ähnlich vorgehen würde - ist die zwischen formalem Recht und den Handlungsoptionen der Individuen innerhalb dieses Rechts. Das heißt zum einen: Aus dem tagtäglichen Missbrauch des formalen Rechts folgt die Forderung nach Transparenz, nicht die nach Rechtsbruch. Und zum anderen, auf einer allgemeineren Ebene: Der Film geht davon aus, dass alle dieselbe Sprache sprechen, dass die diversen Vertreter der Ordnungshüter und die Unterstützer der Flüchtenden (die selbst nicht zu Wort kommen, was man problematisch finden kann, im Konzept des Films aber Sinn ergibt) eben in der Rechtsordnung etwas Gemeinsames vorfinden, von dem aus Kommunikation möglich ist. Tatsächlich ist der Film zwar im Großen linear entlang eines (erfolglosen) Asylverfahrens montiert, im Kleinen schneidet er aber immer wieder "auf Argument", indem er einen Interviewten auf einen anderen "antworten" lässt.

Wednesday, November 23, 2016

in passing: dffb (2)

Manoeuvres d'Élégance, Jose van der Schoot, 1992

Zwei Frauen in einer Wohnung, die vor allem aus einem Ballettübungsraum zu bestehen scheint, aber auch ein Badezimmer und eine tolle Treppe enthält. Die Frauen ziehen sich selbst und sich gegenseitig an und um, schminken sich, duschen sich und reden über ihr Aussehen. Die Dialoge gleiten immer wieder ab ins Allgemeine, suchen nach Prinzipien, die das Verhältnis zum eigenen Körper regeln könnten. Aber die gibt es offensichtlich nicht. Eleganz kann nur als Manöver realisiert werden, nur für den Moment, und nur im Blick einer gedachten oder tatsächlichen Anderen; und die Differenz zwischen der gedachten und der tatsächlichen Anderen muss auch noch mitbedacht werden. Jedes Kleid bleibt fremd (eine der Frauen trägt für eine Weile einen fat suit), aber es ist auch nicht so, dass unter den Kleidern etwas echtes liegen würde, das von den Kleidern nur überdeckt würde. Man kann den Kleidern so wenig entfliehen wie der Sprache. Gesprochen wird französisch, nur einmal kurz deutsch. Das ist einer dieser scheiternden Fluchtversuche. Irgenwann wird es Nacht, dann kommen die Männer dazu und machen alles nur noch komplizierter.

Mise-en-scene, Jose van der Schoot, 1991

Der Schauspieler soll auf die Schauspielerin einreden und im Reden gleichzeitig um die Spüle herumgehen, an der sie sich zu schaffen macht. So will es der Regisseur, der das Dispositiv von Anfang an so sehr unter Druck setzt, dass es sich erst gar nicht richtig etablieren kann. Er funkt so lange von außen in die Szene hinein, bis er irgendwann in ihr drin ist, und sowieso ist nie ganz klar, ob es noch um eine Probe, schon um den Dreh oder überhaupt um etwas drittes geht. Nebenan ist grundsätzlich immer Lärm, aber es muss weiter gehen, immer weiter, immer noch ein take, noch eine Kulisse; wenn etwas nicht passt, wird einfach ein weiterer Liebhaber ins Drehbuch geschrieben, aber das Drehbuch hat eh keine allzu große Durchschlagskraft, wenn die Darstellerin das falsche Kleid anzieht, ist es auch schon wieder passé.

Wie alle Filme von van der Schoot, die ich bisher gesehen habe, könnte das ewig weitergehen, es gibt keine natürlichen Grenzen, keine Fluchtpunkte in ihrem Kino, nur Kommunikationspattern, die sich in ewiger Transformation gleich bleiben. Umso überraschender, dass sich am Ende doch eine Tür öffnet, aus der ewigen Kulissenschieberei heraus ins Freie. Der Regisseur steht an der falschen Tür, und das Klackern der Pferdehufe hört sich verdächtig nach Kokosnüssen an.

Monday, November 21, 2016

in passing: dffb

A la orilla del rio, Ricardo Iscar, 1990

Eine behelfsmäßige Roma-Siedlung am Rand einer spanischen Stadt. Zelte, Wellblech, Frauen bei der Hausarbeit, spielende Kinder, Männer, die manchmal in Richtung der Brücke gehen, hinter der die Stadt liegt. Ein schwarz-weiß-Film in rohem, aber glasklaren 16mm. Ein Film, der seine eigenartige Kraft aus der Subtraktion gewinnt. Fast aller Klang ist der Situation entzogen, was doch noch hörbar ist, verweist auf das Elementare an der Lebenssituation. Das Wasser des Flusses, der in der Nähe vorbeifließt, der Wind, der die Kleider trocknet. Das Brodeln im Kochtopf bei der Essenszubereitung. Am Ende zwei Versuche, doch noch etwas hinzu zu addieren. Brüchig-minimalistische Gitarrenklänge zu einer abendlichen Tanzszene, nach dem letzten Titel dann ein Klagegesang, der unnötigerweise versucht, den Affekten, die die Bilder unweigerlich aufrufen, eine Form zu geben; der diesem wunderbaren Film aber nicht viel anhaben kann.

Bäume, Ricardo Iscar, Jose van der Schoot, 1990

Ein Film über Bäume im Zustand ihrer Umzingelung. Architektonisch umzingelt von der Stadt, in die sie eingepflanzt sind, instrumentell umzingelt von Bewässerungsanalagen, die diesen eigentümlichen Film ziemlich genial rhythmisieren, semantisch umzingelt von narrativen Miniaturen: jemand huscht in Tarnuniform durch den Wald, eventuell gehen Geister um. Dennoch kein Spiel-, aber auch kein Dokumentar- und auch kein Essayfilm. Vielleicht eine Art Lexikoneintrag, verfasst von Aliens, deren Interesse an unserem Planeten uns fremd ist. Ein Film ohne Platz im System der bewegten Bilder, und deshalb genau die Art von Film, für die es sich lohnt, Filmschulen zu gründen.

Eine Schürze aus Speck, Ed Herzog, 1994

Der Spießbürger trägt seine Nacktheit wie eine Uniform. Eine wunderbare Saunaminiatur, lange Zeit dominiert vom fast terroristischen Quietschen der Badeschlappen, mit der Bernhard Marsch sich durch den Wasserdampf bewegt.

Gute Referenzen, Jose van der Schoot, 1994

Ein Bewerbungsgespräch, das ständig aus dem Ruder läuft, aber das deshalb nicht scheitert. Denn genau das ist sein Punkt: Es geht nicht darum, eine einzelne Person auf ihre Tauglichkeit für eine einzige Position hin zu überprüfen, sondern darum, ein allumfassendes, permanentes Dispositiv des Überprüfens, des Fähigkeitenabgleichs zu etablieren. Es geht nicht darum, dass Leute ein Gespräch über Themen führen, sondern um eine Gesprächssituation, oder besser um eine geschäftig-kommunikativer Grundzustand, die Leute und Themen rekrutiert, nach Belieben über sie verfügt. Ein neoliberaler Horrorfilm, gefilmt in einer Turnhalle.

Monday, November 14, 2016

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Elle a passé tant d'heures sous les sunlights..., Philippe Garrel, 1985

Shadows of shadows of shadows. This time, the autobiographic fragments that return again and again in Garrel's work never crystallize into at least somehow self-identical bodies (like they do in later films, and even in the previous L'ENFANT SECRET), but float around freely, as if they're up for grabs. He makes one of his most beautiful films by letting go of form, focus, fixed identities, body tension, and sometimes even texture - although I once again got the feeling, that it's just not possible to film a window in Paris without the result being beyond beautiful (of course, that feeling changes at once when leaving Garrel's world...). Every shot in this is at the same time part of an impenetrable illusory maze and completely transparent towards the moment of shooting.
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Garrel asking Doillon for advice on how best to film his son is the sweetest thing.

Monpti, Helmut Käutner, 1957

dubious plotting not only elevated, but thorougly blown up (not like a bomb, but like fireworks) by käutner's almost manic sense of mise en scene, buchholtz's elastic acting and schneider's hidden sadness. the result might at first be a bit annoying, because everyone involved seems to give in to his / her most baroque instincts, but in the end it turns out to be, i think, a bona fide meta-escapism masterpiece. artifice trumps artifice.

Nocturnal Animals, Tom Ford, 2016

Tom Ford has a knack for ass match cuts, but, unlike someone like Refn, he never commits to his own obscenity. Nor to his own sadism. Behind the meta fiction smoke-screen, the lifeless stylisation and the extremely stupid oppositions all boiling down to cruel nature vs rotten civilisation, this is all about setting up elaborate traps for the characters and then congratulating oneself (with another match cut) when they're taken in.

Gyllenhaal's decent performance adds some weight that feels completely unearned. All the other characters are so badly written, they're beyond saving anyway, so one can't really blame the actors for not even trying. Amy Adams especially has the most ungrateful leading lady role in recent memory - she spends most of the film being punished by a book. For being "not creative". Or for living in LA, who knows, who cares.

The Last Dragon, Michael Schultz, 1985

A very energetic popcultural curiosity that seems to switch between different levels of knowingness almost scene by scene. Michael Schultz's direction is always competent - and borders on genius when it comes to the Bruce-Lee-inserts - although the set-up is clearly too much out there (and too much entrenched in Motown's hit factory) for his down-to-earth approach to character and dialogue. Especially the central romance would've worked better with at least some groundings in reality. The weird supporting characters on the other hand are always way more fun than they have any right to be. My favorites are the three asian guys "guarding" the fortune cookie factory - there's not one bit of justification for their presence in the film, and still every time time they appear the screen lights up.

Also btw: In some ways, this might be the perfect counter-Trump movie, if released right now.

Ator l'invincibile, Joe d'Amato, 1982

in honor of the straub / huillet / ford series at austrian film museum 2004 i propose a supplement: straub / huillet / d'amato. this one would play beautifully alongside MOSES AND ARON.

Wednesday, November 09, 2016

Zwischen Betäubung und Euphorie

Vanessa, Hubert Frank, 1976

Mitte der 1970er setzen sich Hardcore-Pornos im Kino langsam durch, in den USA und auch in einigen europäischen Ländern. Der nicht-explizite Sexfilm, der das kommerzielle Kinoprogramm seit Mitte des vorherigen Jahrzehnts dominiert, überlebt noch eine Weile, u.a. indem er extravaganter wird. Nackte Brüste auf der Alm reichen nicht mehr aus, auch die scheinheilig erhobenen Zeigefinger der Reportfilme verlieren langsam ihren Reiz. Stattdessen werden Hochglanz- und Exotiksexfilme produziert, manchmal beides in einem. Geprägt sind diese Filme von Weichzeichner, von Sex der nicht nach Sex aussieht (soll heißen: der noch einmal weniger nach Sex aussieht wie in anderen Filmen). Oft spielen sie im High-Society oder Showbiz-Setting, sehen aber gleichzeitig ziemlich billig aus.

Diese Filme laufen in den 1990er Jahren besonders häufig, häufiger jedenfalls als die Alm- und Reportfilme, im Nachtprogramm der Privatsender, insbesondere am Wochenende auf Kabel 1 und VOX. In meiner Generation waren das prägende Sendeplätze. Besonders beliebt war auch da ein Subgenre des Sexfilms, das man vielleicht als kinematografischen Sextourismus beschreiben kann: Filme, die an fernen Sandstränden oder in fernen Urwäldern spielen, die “exotische” Sexualität als Attraktion ausstellen, und darin auch eine Nähe zum Mondofilm aufweisen.

Das Schema eines Großteils dieser Filme ist simpel: Eine junge Frau reist zumeist alleine in ein fernes Land - die Gründe für die Reise sind egal oder jedenfalls austauschbar -, um dort erotische Abenteuer teils selbst zu erleben, teils zu bestaunen. Oft geht es dabei darum, dass die weibliche Hauptfigur angesichts der tropischen Sinnlichkeit lernt, ihre europäischen Hemmungen abzulegen. Auf Vanessa trifft das allerdings nicht wirklich zu, das ist vielleicht bereits ein Hinweis darauf, was an dem Film besonders ist.

Am Anfang der Welle steht ein anderer Titel: Emmanuelle, eine französische Produktion, 1974 mit Sylvia Kristel in der Haupt- udn Titelrolle realisiert, basierend auf einem Buch von Emmanuelle Arsan. In dem Fall ist die Hauptfigur eine Diplomatengattin, die nach Thailand fliegt. Die amerikanische Tagline zeigt, worum es geht: “Emmanuelle let's you feel good without feeling bad”. Gediegene Wohlfühlerotik steht auf dem Programm, befreit von allem Dreck und Schmutz, für ein bürgerliches Publikum, vielleicht für Pärchen, die nach dem Kino noch ein gutes Glas Wein trinken gehen, bevor sie selbst höchstens ein klein wenig enthemmt unter die Bettdecke schlüpfen.

Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob der außerordentliche Erfolg von Emmanuelle tatsächlich auf solche softpornografischen Gentrifizierungsmaßnamen zurückzuführen ist. Mir kommt es ganz im Gegenteil so vor, als mache der Versuch, die Filme mit vermeintlich hochklassigen, manchmal sogar hochkulturellen - es entstehen im Genre auch Literaturadaptionen wie Lady Chatterley’s Lover - Attraktionen aufzuwerten, machen sie freilich nur noch schmieriger. Man denke da zum Beispiel an den fauligen Edelschmier von italienischen Filme wie Desiderando Giulia; der jedenfalls ist verkommener als jeder Report-Film.

Der riesige Erfolg von Emmanuelle löste eine Schwemme von Sequeln und Nachahmern aus. Was “Django” in den späten 1960er Jahren für den Italowestern ist, ist “Emmanuelle” ein Jahrzehnt später für den Hochglanz-Softsexfilm. Soll heißen: Es entstehen wie am Fließband Sequels und Knock-offs, die allesamt die in einem weiblichen Vornamen geronnene Marke für sich nutzbar zu machen versuchen.

In den Folgejahren entstehen unter anderem:

Emmanuelle - Garten der Liebe

Emmanuelle - Amazone des Dschungels

Emanuelle und Lolita

Emmanuelle geht nach Cannes

Emmanuelle in Soho

Seoul Emmanuelle

Emmanuelle Tropical

Mach’ weiter, Emmanuelle

Wilde Emanuelle im Paradies der Lust

Emanuelle in Oberbayern
(Alternativtitel von Nackt und keß am Königssee)

Ein Spezialfall ist die Black Emanuelle-Serie mit Laura Gemser, einer Darstellerin, die das Original bald an Popularität überbietet; und die unter anderem in folgenden Werken auftaucht:

Black Emanuelle - Stunden wilder Lust

Emanuelle im Sexrausch

Skandalöse Emanuelle - Die Lust am Zuschauen.


Spätestens diese Filme haben auch nichts mehr mit Wohlfühlerotik zu tun, das ist dann wieder Bahnhofskino pur.

Auf dem Videomarkt und im amerikanischen Privatfernsehen war der Emmanuelle-Serie ein noch einmal deutlich längeres Nachleben vergönnt. Noch bis in dieses Jahrtausend entstanden dort Filme wie:

Eine ganze Serie von Emmanuelle in Space-Filmen

Emmanuelle the Private Collection: Emmanuelle vs. Dracula

Emmanuelle Through Time: Sex, Chocolate & Emmanuelle


Selbstverständlich fanden die Produzenten schnell heraus, dass der Trick auch mit anderen Frauenvornamen funktioniert:

Emanuela - Dein wilder Erdbeermund

Nea - Ein Mädchen entdeckt die Liebe

Felicity - Sündige Versuchung

Annie Belle - zur Liebe geboren


Sowie, vielleicht der beste Titel der Filmgeschichte:

Joy - 1 ½ Stunden wilder Lust

Vanessa kommt freilich ganz ohne Zusatz aus, der Name ist sich offensichtlich selbst genug. Die zugehörige Tagline: "Vanessa fängt da an, wo Emmanuelle aufhört".

Eine weitere Besonderheit: Die Emmanuelle-Welle war zwar ein weltweites Phänomen, und brachte unter anderem auch philippinische und brasilianische Genrebeiträge hervor; die meisten Filme stammen jedoch aus Frankreich und Italien. Deutschland war eher wenig vertreten. Die schwüle, etwas träge, zerdehnte Erotik der Filme im Fahrwasser von Emmanuelle hat es im deutschen Sexfilm eher schwer, genau wie die barocke visuelle Opulenz, die zumindest die ambitionierteren Beiträge auszeichnet. Im deutschen Sexfilm geht es meistens rustikaler zu, ein Kontrastprogramm wäre zum Beispiel Drei Schwedinnen in Oberbayern.

Es gibt aber auch mindestens einen deutschen Meister der Emmanuellesploitation: Hubert Frank. Frank drehte zwischen 1960er und 1980er um die 20 Filme, fast nur Sexfilme, in den unterschiedlichsten Tonarten. Seine größten Erfolg Ende der 1970er, Anfang 1980er mit exotischen Softpornos, die meisten mit festem Team:

Produzent Karl Spiehs

Kamera Franz X. Lederle

Und ganz wichtig:

Musik: Gerhard Heinz, der König des Pornofunk.

Auch Franks Filme haben hervorragende Titel: Teufelscamp der verlorenen Frauen, Die Insel der 1000 Freuden, Taifun der Zärtlichkeit, und eben, als erster in dieser Serie: Vanessa.

Das erste Mal gesehen habe ich den Film 2014 auf dem 13. Hofbauerkongress im Nürnberger Filmhauskino. Als wir da nach dem Film zusammenstanden, war das eine eigenartige Stimmung, irgendwo zwischen wohliger Betäubung und Euphorie. Vor allem ist uns das Titellied nicht aus dem Kopf gegangen. In meinem Fall hat das bis heute nachgewirkt:

„Vanessa / You are the girl of my dreams / Vanessa / you’re haunting all my reveries“

Vor allem aber immer wieder ein Wort: Vanessa. Der Film ist regelrecht besessen von dem Namen und von dem Mensch, der ihn trägt.

“Vanessa” - das ist ein Lockruf, ein Zauberspruch, eine Beschwörung. Beschworen, regelrecht angebetet wird natürlich die Hauptfigur, Vanessa, gespielt von Olivia Pascal, die von Hubert Frank und Spiehs für Vanessa entdeckt wurde, bald darauf allerdings im öffentlich-rechtlichen Fernsehen landete.

Die Hauptfiguren in Filmen dieser Art sind meist kaum mehr als ausgezogene Schaufensterpuppen. Das ist in Vanessa anders, würde ich behaupten. Auch Vanessa ist nicht im geringsten eine psychologisch nachvollziehbare Figur. Aber man hat doch das Gefühl, dass der Film wirklich neugierig auf sie ist. Gleichzeitig bleibt sie sonderbar opak. Anders als die meisten Emmanuelles hat sie tatsächlich ein Geheimnis. Allerdings behält sie es für sich.

Tatsächlich ist das eine eigenartige Rolle, gerade für einen Softporno: Vanessa kommt nach Hongkong, um da eine Erbschaft anzutreten, sie wird von mehreren Männern bedrängt, driftet durch ein Rotlichtviertel, eigentlich dreht sich alles was sie macht um Sex, aber gleichzeitig hat man das Gefühl, dass sie das alles gar nichts angeht.

Sylvia Szymanski hat das so beschrieben: “Sex geht durch ihre Augen und die Seele, ohne ihren Körper zu berühren.”

Weiter schreibt sie über den Film:

“Wie in den schönsten erotischen Heftchenromanen, so zersetzen auch hier die Tropen das Gemüt der weißen Frauen. Sie lassen sich auf Dinge ein, an die zuhause nicht zu denken wäre. Die Hitze öffnet ihre Schenkel – das sagt der Film sogar zweimal. Lernen sie sich jetzt erst richtig kennen? Gehen sie sich selbst verloren? Es ist so schwindlig, schwer, so schwül und rauschgiftsüchtig.”

Tuesday, November 01, 2016

"Ich glaube wir gehen auch in diese Screenings, weil wir den Mumien der Leinwand gerne beim Sterben zusehen. Dem Kino, was wir noch gerade so erahnten, als es begann zu sterben. Der Übergang, den wir nicht wahrhaben wollen. Etwas, das wir noch verstehen, erfahren wollen bevor es zu spät ist." Das sehe ich auch so - einerseits. Andererseits würde ich sagen, dass "wir" da etwas am analogen Kino entdecken, das immer schon zu ihm gehört hat, das nur früher nicht so sichtbar war, weil es die den Tod verleugnenden digitalen Bilder noch nicht als allgegenwärtigen Vergleich gab: die ihm inhärente Morbidität. Kino war immer schon Schwund, Verschleiß, hatte immer schon einen Hang zum Verrotten und Vermodern. War außerdem immer schon eine Kopie von einer Kopie, das jungfräuliche Kameranegativ lag immer schon irgendwo im safe. Das hat nie jemanden gestört, wogegen es heute den Drang gibt, die "Rohdaten" möglichst 1:1 auf die Leinwand zu bringen. Film beginnt im Moment seiner Belichtung auch schon wieder zu zerfallen - Filme zeigen bedeutet sie zu zerstören, so radikal gibt es das bei keiner anderen Kunstform. Ich denke, das ästhetische Potential dieser eigentlich banalen Erkenntnis war außerhalb einiger kleiner Avantgardekreise bis vor kurzem völlig unbekannt; langsam beginnt sich das zu ändern.

Monday, October 31, 2016

Heimatfilme 1: Höllische Liebe, Geza von Cziffra, 1949

https://www.youtube.com/watch?v=goCjudyRO8U

Ein tracking shot in die Hölle hinein: Mehrere ornamentale Eisengitter öffnen sich vor der Kamera, es blitzt und dampft und glitzert, aber diese Version der Unterwelt ist doch nur "ein riesiger Maschinenraum mit Schalttafeln und Hebeln", bewohnt von "Ingenieursteufeln". Das Produktionsdesign ruft von ferne die fantasmatischen Apparaturen des Weimarer Kino auf, aber offensichtlich hat man in diesem Studio  höchstens die Hobbykellerversion von Metropolis und Mabuse zusammengepappt. Das schadet dem Film nicht, eher macht es sogar einen Teil seines Reizes aus.

Wenig später eine Musiknummer, in der der Film dann tatsächlich für ein paar Minuten ganz ins Weimarer Kino zurückzukippen scheint: Elfie Mayerhofer steht, vampisch aufgemacht, auf einem Globus, führt eine ganze Horde Männer an der Leine vor sich: "Die Welt ist rund / es lockt mein Mund".

Inmitten der Nachkriegshölle thront allerdings doch nur ein Schreibtisch, drumrum befinden sich, brav und übersichtlich nebeneinander aufgereiht, eine Handvoll mechanische Attraktionen, eine davon präfiguriert das Fernsehen, mit einer anderen kann man, erfährt man später, den Gefühlszustand von Frauen manipulieren: Wenn die Flüssigkeit in zwei Glasröhren höher steigt, werden die Auserwählten empfänglicher für Musik und Komplimente. Das funktioniert aber nicht bei jeder, es bedarf "einer gewissen psychischen Prädisposition". Die zum Glück bei allen Beteiligten vorausgesetzt werden kann. Insbesondere beim heimlichen Star der Show, der Teufelin Lukretia (Vera Molnar, mit deren dramatischen Gesicht der Film viel anzufangen weiß).

Ein paar ausgesucht harmlosen Scherzen über Staatsbürgerschaftsentzug und minderbelastete Mitläufer zum Trotz ist Höllische Liebe ein reines fluff piece; die Szenen, die auf der Erde - bzw fast ausschließlich in mondänen Nachtclubs und Luxushotels - spielen, dürften mit der sozialen Wirklichkeit im Nachkriegsösterreich noch weniger zu tun gehabt haben als die Großraumbürohölle. Erstaunlich ist dagegen, wie schnell, flüssig und über weite Strecken beschwingt Höllische Liebe sich anfühlt. Wie es dem Film gelingt, in seine fein und lebendig gewirkten Komödienroutinen nicht nur jede Menge wunderbar naive Special Effects (der schönste: ein Sänger gibt seine Gabe an einen anderen weiter, indem er ihm Noten in den Mund pustet), sondern auch einen Hauch von Hellzapoppin' zu integrieren.

Wednesday, October 26, 2016

Jagd auf den Silberreiher in Afrika, Alfred Machin, 1911

Ein Film, der einen Produktionszusammenhang denkt, und trotzdem jedem Glied in der Produktionskette sein eigenes Recht lässt, jedes Element der Wertschöpfungskette autonom werden lässt, als gebe es keine anderen:

-Den Reihern vor der Jagd, wie sie neben-, hinter- und übereinander in einem ausladenden Busch sitzen, wie sie gemeinsam aufflattern, dabei eine durchlässige wogende Form bilden, halb Welle, halb Wolke.

-Der Jagd auf die Reiher, die angepriesen wird mit dem Zwischentitel "einige gute Schüsse" und die zeigt wie ein weißer Jäger, dem zwei schwarze Helfer zur Seite stehen, Schüsse auf die Vögel abfeuert. mindestens ein Treffer ist im Bild erkennbar. Interessant, dass einige Vögel auch nach dem dritten Schuss den Busch noch nicht verlassen.

-Den erlegten Reihern unmittelbar nach der Jagd, der Präsentation und dem Transport der erlegten Reiher, beides im kolonialen Setting der Bilder den schwarzen Trägern überlassen; einer der beiden legt die Vögel nacheinander der Kamera vor, bis sie die ganze Breite der Leinwand füllen.

-Dem Moment, in dem hinter der Abenteuerlust der Jagd eine ökonomische Motivation sichtbar wird. Genauer gesagt: sichtbar gemacht wird, und zwar direkt an den erlegten Vögeln: Nicht sie als Ganze sind für den Markt interessant, noch nicht einmal ihr Fleisch, sondern lediglich ihr eleganter Federkranz. Wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, wählt der Film für den Moment, in dem der Federkranz vom restlichen Vogel isoliert wird, keinen naturalistischen, sondern einen abstrakt schwarzen Hintergrund, der die Umwandlung von Beute in Produkt unterstreicht.

-Dem fertigen Produkt: Die Federn werden als Schmuck für Frauenhüte verwendet. An dieser Stelle ereignet sich der entscheidende Stimmungsumschwung des Films: Wo vorher die Jagd- und Produktionsgeschichte als eine Erfolgsgeschichte entworfen wurde, ist jetzt in einem Zwischentitel von den "edlen Vögeln" (oder so ähnlich) die Rede, die einem allzu profanen Zweck geopfert würden. Zumindest sinngemäß, so deutlich formuliert er das, glaube ich, nicht. Das letzte Bild zeigt eine Frau in Großaufnahme, die einen federgeschmückten Hut trägt. Die Einstellung wird lange gehalten, sie wendet ihren Kopf mehrmals zur Kamera und dreht ihn wieder weg.

Wednesday, October 19, 2016

Dying of the Light, Paul Schrader, 2014

A slow zoom in on Cage, sardonically raising the corner of his mouth: "It's in his blood". Like the protagonist, the whole film is fascinated by sickness, not so much by its outer appearance, but by its secret inner workings: Cage's nemesis has an islamist disease of the blood, he himself has a neocon disease of the brain. The diseases are drawn towards each other, but the men carrying them are absolutely helpless when they're finally meeting face to face. "How will you kill me?" - "I have no idea."

After all the things I'd read about this, I was really surprised by how consistent and dense this is - until the last ten minutes, which are terrible beyond help and feel completely detached from the rest. Otherwise, there's a lot to love, not least the uneasy buddy movie stuff between Cage and Yelchin (shades of AUTO FOCUS, Schrader's most underrated film).

Sunday, October 16, 2016

saved from letterboxd

San Andreas, Brad Peyton, 2015

The ultimative positivist disaster movie: the reconstruction of the family unit not only goes along with, but directly and perfectly correlates with the destruction of everyone and everything else. When the world collapses, we just negate the negation, and afterwards, like the last line says: "rebuild". This has a singlemindedness which is downright frightening and which probably needed the hand of an anti-auteur like Peyton. A cynic like Bay or a hippie like Emmerich could never have made this.

Joy, David O. Russell, 2015

Not an ideal project for Russell I guess - not enough wiggle room, too many bad montage sequences with awkward musical cues - he just isn't anything close to the next Scorsese. If most of the payoff scenes somehow work despite all that, then because of the amazing, unconditional trust Russell once again places in his ensemble - he films Lawrence, Cooper, de Niro (and to a lesser degree everyone else) with a sense of absolute assuredness, as if he has access to a powerful, organic star system no one else knows about (any more). Of course, this one is mostly a Lawrence show, but when Cooper appears for the first time, the film literally stands still for a few minutes, just deavouring his face.

Salt and Fire, Werner Herzog, 2016

there's no crazy like herzog crazy.
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"this is the mother of all diarrhea" [creepy bernal heading for the toilet, never to be seen again]
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if all herzog films are also meta herzog films, this might be the first time the meta herzog film devours everything else completely.

Bad for Each Other, Irving Rapper, 1953

The best thing about this is Heston's weird, energetic performance. He enters the film as a constantly grinning, arrogant schmuck only to find into a more relaxed, ironic vibe after a while - especially his extremities are way too expressive and effusive for this rather narrowminded movie. Because apart from Heston BAD FOR EACH OTHER is a dull, moralist medical drama rather unconvincingly haunted by film noir tropes. Lizabeth Scott is avertised several times by other characters as a femme fatale. Her scenes are extremely bland, though, she's completely wasted on her role and never truly enters the film in any meaningful way. Rapper's solid direction adds a few nice touches here and there (the camera movements during the party scenes), but he never really rises above the very bad script.

Thursday, October 13, 2016

in passing

Vor zwei oder drei Tagen hat jemand auf dem Plexiglasdach einer Bushaltestelle am Kottbusser Tor eine leere Flasche Berliner Pilsener abgestellt; und ist dabei sorgfältig vorgegangen: Das Dach ist gewölbt und dank der Witterung glitschig, trotzdem steht sie noch. In den letzten 24 Stunden hat jemand (anderes?) etwas grünen Salat dazu gelegt. Drei Spatzen haben sich auf dem Dach, neben dem durch den Regen inzwischen wieder halbvollen Bier, niedergelassen und picken an den Blättern herum.

(Zwei-, dreimal im Jahr ärgere ich mich darüber, kein Smartphone zu besitzen. Zum Beispiel heute, wo ich diese Szene beobachte, durchs Fenster eines Frühstückscafes und dank ein paar Treppenstufen ziemlich genau auf Höhe der Spatzen. Ich hätte das gerne fotografiert, als Andenken an Berlin.)

Monday, October 10, 2016

Scattered Clouds, Mikio Naruse, 1967

Naruses letzter, unfassbar grandioser Film beginnt Ton in Ton: Beige, Weiß, Hellbraun, Grau, das matte, eigehegte Grün von Stadtbepflanzung. Dazwischen hier und da ein paar Tupfer Rot und Rosa. Zum Beispiel die Blumen auf dem Tisch zwischen der weiblichen Hauptfigur, Yoko Tsukasa und ihrem Mann. Der bald danach bei einem Verkehrsunfall stirbt. Yuzo Kayama spielt den Schuldigen, einen Angestellten, der im Auftrag seines Firma gehandelt hat und vor Gericht freigesprochen wird. Unerbittlich sind bei Naruse selten die formalen Institutionen, dafür aber immer die informellen Institutionen, die Ökonomien des Familiären: Die Familie ihres toten Mannes macht sich in Windeseile daran, sie aus dem Familienregister streichen zu lassen.

Tsukasa und Kayama begegnen sich zum ersten Mal auf der Beerdigung. Der Blickwechsel bindet die beiden unausweichlich aneinander. Immer wieder tritt er in ihr Sichtfeld, selten gelingt es ihr, das Gesicht abzuwenden. Beide sind füreinander eine Überforderung.

Der Tod zerstört nicht nur ihre in den ersten Minuten mit fast sturer Insistenz etablierte Hoffnung auf ein Familienleben, sondern auch seine. Seine Trennung von der hübschen Verlobten im blassblauen Kleid vollzieht sich in einer in Schnitt, Lichtsetzung und Bewegungsdramaturgie exakt durchkalibrierten Szene, die einem Ritual gleicht: er schaut aus dem Fenster, legt die Arme aufs Fensterbrett, zieht sich dann zurück, die Vorhänge werden zu- und wieder aufgezogen, ihr Kopf senkt sich nach dem Wiederaufziehen leicht, sie greift sich ihre weiße Handtasche, verlässt seine Wohnung. (Nach wie vor kann ich da nicht alle Zeichen lesen: Es ist dem Film wichtig, klarzumachen, dass die beiden miteinander schlafen, obwohl sie nicht verheiratet sind; aber ist auch in dieser Szene das Zuziehen der Vorhänge ein Zeichen für Sex? Oder heißt das rasche Wiederaufziehen gerade, dass er sie zurückweist?)

Scattered Clouds ist die einzige Zusammenarbeit Naruses mit Toru Takemitsu. Dessen elegische, modernistisch kalte Streicherkompositionen verleihen dem Film eine sehr eigene Textur, harsch und unversöhnlich, dabei trotzdem fließend. Die Musik hebt die Geschichte deutlicher aus dem allgemeinen Fluss der Zeit heraus, sie setzt einen eigenen Fluss in Gang. Eher als bei anderen Filmen Naruses hat man das Gefühl, dass etwas Schritt für Schritt durchgearbeitet wird. Die Gesten sind in gewisser Weise irreversibel, es gibt keinen Rückfluss mehr in einen geteilten Alltag.

Der entscheidende Umschlagpunkt kommt, wenn sie mit dem Bus aufs Land fährt, und er ihr bald folgt. Da gibt es ein anderes Grün, eines, das alle anderen Farben und Tonalitäten langsam aber sicher aus dem Film verdrängt, das die beiden umfängt, sie fast verschlingt, und doch nicht zum Medium ihrer Liebe, sondern lediglich zum Medium der Unmöglichkeit ihrer Liebe wird. Und das, obwohl sie in einer besonders grünen Szene seine Küsse regelrecht zu trinken scheint (mit ihrem ungemein rezeptiven, immer nur alles aufnehmenden Gesicht). Am Ende singt er ein Lied für sie, weil er nicht bei ihr bleiben kann. Dann ist der Film zu Ende, und auch Naruses Kino.

Thursday, October 06, 2016

La naissance de l'amour, Philippe Garrel, 1993

Ich hatte den Film schon einmal gesehen, vor zehn Jahren. Im Gedächtnis geblieben war mir in erster Linie eine Düsternis und eine Schwere, die ihn von den anderen Garrel-Filmen in meiner Erinnerung unterscheidet. Beim Wiedersehen war mir sofort, bei seinem ersten Auftauchen, klar, dass das vor allem anderen an Lou Castel liegt. Der hat eine massive körperliche Präsenz, die alles um ihn herum zu verschlingen droht. Seine Neurosen und seinen Narzissmus, auch die passiv-aggressive Verschlossenheit seines Blicks kenne ich von anderen Garrelmännern; aber diese anderen haben gleichzeitig noch etwas Filigranes, Jungshaftes, Verträumtes. Castel ist dagegen eine einzige entformte Wucht aus Missmut, Misanthropie und monströser Sexualität.

Der Sex ist sicherlich das Irritierendste dabei. Da ist ein Mann, der alles hasst, der seine innere Eintrübung auf die Welt projiziert (zum Beispiel auch auf den Irakkrieg), der ansatzlos losbrüllt und gerade die wenigen Menschen, zu denen er eine innere Bindung hat, wieder und wieder zur Sau macht. Aber derselbe Mann hat echten Spaß am Sex, und er kann das auch den Frauen vermitteln, er hat sogar in gewisser Weise interesselosen Spaß am Sex, er ist kein "Raubtier", sondern wird spielerisch, sanft, großzügig, wenn er bei Frauen ist, mit denen er schlafen will. Du bist anders als die anderen Männer, du leckst mich nicht nur, damit ich feucht werde, meint Johanna ter Steege in ihrem wunderbaren Rumpelfranzösisch - Garrel filmt sie da in einer Großaufnahme, die ihren Gesichtszügen etwas Brüchiges gibt. Das ist einer der Momente, die ich von der ersten Vorführung erinnert hatte, fast fotografisch genau. (Ein anderer solcher Moment: Die Reise nach Italien, die absolute Seelenfinsternis, die sich während der Autofahrt zwischen Castel und Leaud aufspannt, der utopische Umschnitt auf die flirrende Schönheit des Tages, der Natur, des Schnees am Grenzübergang.)

Vielleicht steckt in Castel etwas von Garrels Blick auf seinen Vater, auch wenn er diesem körperlich kein bisschen ähnelt. Mir scheint, dass es in Naissance um einen nach wie vor angsterfüllten Blick aus einer kindlichen Perspektive auf eine Vaterfigur geht, um den Blick auf die dunkle Sexualität des Vaters (die der Sohn in sich selbst wiedererkennt, aber nur als ein kaum noch wirkmächtiges Echo, so wie in Naissance Leaud wie ein fernes, fast schon lächerliches Echo auf Castel wirkt). Gleichzeitig geht es darum, diesem Körper beizukommen, ihn vorzuführen als das, was aus ihm geworden ist über die Jahre, zum Beispiel in der Szene, in der Castel sich gemeinsam mit Johanna ter Steege auszieht.

Vielleicht ist das der depressive Zwillingsfilm zum lichten Les baisers de secours, dachte ich beim Wiedersehen. Er wäre dann gleichzeitig eine Art antibiografisches Zerrbild. Die Rollen, die im älteren Film Garrel selbst, sein Vater, seine Frau, sein Sohn spielen, werden in einer nur leicht verschobenen Konstellation von anderen, fremden, dabei zum Teil hochgradig ikonischen, fast mythischen Schauspielerkörper übernommen. Die Perspektive wechselt, nicht mehr der jüngere Mann und dessen halbwegs harmonische Kleinfamilie stehen im Zentrum, sondern der ältere Mann und dessen destruktives Liebesleben. Es geht nicht länger darum, mit der Kamera den Blick der geliebten Frau zu suchen (selbst in der Cunnilingus-Szene ist entscheidend, dass der Kamerablick nicht mit dem von Castel in eins fällt); sondern darum, dass ein geisterhaft schwebender tracking shot einer Blondine auf ihrem Weg zum Meer hin auf eine Weise folgt, als sei diese entkörperlichte, aber vor Begehren vibrierende Bewegung das wichtigste auf der Welt.

Friday, September 30, 2016

Technik, die uns zum Ausdruck bringt
































(Funny Ha Ha, Andrew Bujalski, 2002)

Wednesday, September 28, 2016

Into the Storm, Steven Quale, 2014

People stretching their arms skywards in order to point their cameras at a huge cgi tornado devoring everything in its way. A man who has built a kind of "media tank", fortified in order to take images right inside the eye of the storm. A woman who calculates storm routes on a complex computer setup (although obviously just watching the weather report on local television would have the exact same result) in order to place herself consciously in harms way while talking to her daughter on the phone.

The found footage concept feels even lazier than usual, and still it makes visible some unpleasant undercurrents of modern image culture. Clearly, not just the storm hunters, but also the teenage boys documenting their lives for their future selfs ("Hey self, what is it, twenty five years in the future") long for the perfect storm in order to add emotional intensity to their video diaries.

On some level, INTO THE STORM is a rather pure, and sometimes even touching rendering of the death drive at the core of popular culture. This is especially evident when, in a pre credit scene, the two stupidest characters in a film full of stupid characters are shown to have survived against all probabilities - like the eternal victims of classic cartoon series these "twista chasers" will forever continue to jump into the abyss while live-streaming images of senseless, hysteric doom from their cellphone cameras.

Unfortunately, on most other levels (including, unfortunately, casting), it's just a rather uninspired mainstream film.

Saturday, September 24, 2016

Fremde Stadt, Rudolf Thome, 1972

Laut Rudolf Thome war Fremde Stadt ein Versuch, einen "echten B-Film" zu drehen, so billig wie möglich, und im Gegensatz zu seinen ersten drei Filmen in schwarz-weiß. Das fügt sich in das Werk der Thome / Lemke / Zihlmann-Gruppe, weil es offensichtlich wieder um angewandte Cinephilie geht, diesmal um den Versuch, einen Poverty-Row-Cheapie in München zu inszenieren. Und weil man schnell merkt, dass es dabei weniger um den von Zihlmann allerdings nur bis kurz vor Schluss nach allen Regeln des Pulpkinoerzählens entworfene Genreplot um die Folgen eines Bankraubs geht, als um filmische Gesten.

Fremde Stadt ist ein Film darüber, wie Roger Fritz tänzelnd einem Hund ausweicht. Über die ausnehmend elegante Art der überhaupt äußerst lässigen Karin Thome, eine Süßspeise zu verzehren. Ein Film, der sich immer wieder von großartigen Nebendarstellern ablenken lässt, in der die Kamera den für die Handlung nebensächlichen Hotelangestellten, Sprechstundenhilfen und Untermietern ganz selbstverständlich genauso viel Aufmerksamkeit schenkt wie den Hauptfiguren. Ein Film, dem Roger Fritz’ schwarze Handschuhe lange Zeit wichtiger sind als der Koffer voller Banknoten, der in seinem Hotelzimmer liegt.

Fremde Stadt ruft noch einmal liebevoll, allerdings auch ein wenig melancholisch, einige Eckpunkte des Schwabing-Kosmos auf, am schönsten vielleicht im von Christian Friedel gespielten Untermieter Schrott, der von einem blauen Diskusfisch am Amazonas träumt, während um ihn herum bereits alle damit beschäftigt sind, ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen. Fremde Stadt beginnt wie Rote Sonne mit einem Mann, der alleine in München ankommt, und der dort eine Ex wiedertrifft, die er noch immer liebt. Aber was der zwei Jahre später entstandene Film aus dieser Ausgangssituation macht, ist etwas völlig anderes. Roger Fritz und Karin Thome sind zwar durchaus so etwas wie das ultimative Glamour-Paar der Schwabinger Gruppe, aber wenn Martin Schäfer die beiden mit ihrem gemeinsamen Sohn beim Frühstück filmt, dann könnte das bereits fast eine Szene aus einem Thome Film der 1980er oder 1990er Jahre sein. Der Fluchtpunkt von Fremde Stadt ist offensichtlich nicht mehr, wie noch in Rote Sonne, die Kommune, in der Leben, Kunst und Arbeit auf oft blutige Art ineinander übergehen. Sondern eine eigenwillige Form bürgerlicher Autonomie, deren Schönheiten, Ironien und Utopien Thome sein Werk ab den 1980er Jahren verschreibt.

Damit einher geht ein neuer, entspannterer Zeithorizont. Es geht nicht mehr darum, sich in jedem Moment, mit jedem Film neu zu erfinden, sondern darum, das eigene Werk als etwas Kontinuierliches zu betrachten, als etwas, das man pflegt wie einen Garten.

Friday, September 09, 2016

Battle Hymn, Douglas Sirk, 1957

Better than expected, but Sirk can't quite transcend the obscenities inherent in the material this time - especially the way the story reformulates the ethics of war as an economy of orphans: kill 37 in the first war, save a few hundred in the next one. Also the way it contrasts Rock Hudson's functionalist, unsensual American note-quite-family with his bizarrly kitchy, hyper-fertile Korean uber-family. (Still, he doesn't succumb to Anna Kashfi, who's all desire even in her death scene. Maybe the film's really about two different ways of not having sex, one very protestant, the other quasi-catholic.)

That being said, BATTLE HYMN looks and sounds absolutely gorgeous. Both Russell Metty and Frank Skinner are on top of their game, the second-unit work in the flight scenes is marvellous and Hudson sure knows how to wear a uniform.

Thursday, September 08, 2016

Demain on déménage, Chantal Akerman, 2004

Menschen und Dinge und Töne konstelliert der Film erst in einer Wohnung, dann in zwei. Die erste Wohnung ist viel zu voll, zugestellt mit Möbeln, Teppichen, Kram, außerdem hängt ständig Rauch in der Luft, abgesondert vom Ofen, von der Mikrowelle, von Zigaretten; der Staubsauger macht sowieso alles noch viel schlimmer. Mit Erinnerungen vollgestopft ist sie obendrein. Die andere Wohnung, die neu Dazukommende, ist zunächst komplett leer, aber dafür riecht es in ihr schlecht, und die Badewanne sollte man sich lieber auch nicht allzu genau anschauen. Viel wird sich nicht ändern, wenn man umzieht, aber vielleicht sollte man es trotzdem tun.

Ähnliches gilt für die Menschen in den Wohnungen: Auch wenn eine Frau nicht mehr mit einem Mann, sondern mit einer anderen Frau zusammen lebt, wird sich nicht alles ändern. Vielleicht sollte sie es trotzdem tun. Aber wie? In der einen Wohnung wohnen zwei miteinander verwandte Frauen gleichzeitig. In der anderen wohnen zwei nicht miteinander verwandte Frauen phasenverschoben. Am Ende findet sich eine Balance, indem noch ein Drittes hinzuaddiert wird: Zwei nicht miteinander verwandte Frauen und ein Baby. Das passt, vorerst.

Ein vollgestellter, verrauchter Film, in dem außerdem andauernd der Plattenspieler oder ein Musikinstrument in Betrieb genommen wird. Wer sagt, dass er sich nach Stille sehnt, verstärkt doch nur den Lärm. Das Lustige am Film ist, dass die Figuren das nicht begreifen. Das Schöne am Film ist, dass er ihnen das nicht-Begreifen nicht zum Vorwurf macht. Weil er sich selbst gar nicht nach Stille, Ordnung, frischer Luft sehnt, weil er Dinge, Lärm und Schmutz nicht unter dem Aspekt der Entfremdung, sondern unter dem der Ermöglichung von Kommunikation betrachtet. Der Rauch (oder das Rauchen) der Einen lässt die Andere husten. Die Dinge und die Töne und der Schmutz in der Luft verbinden erst die Menschen untereinander (unter der Grundbedingung der Heimatlosigkeit freilich). Und sie verbinden nicht nur Anwende mit Anwesenden, sondern auch Anwesende mit Abwesenden, Lebende mit Toten. Ein Koffer steht erst ein für einen Toten, dann für eine Abwesende.

Wenn man nicht nur die Menschen, sondern auch die Dinge, die Töne und den Schmutz in Betracht zieht, verwandelt sich Erotik in Komik.

Saturday, September 03, 2016

The First Legion, Douglas Sirk, 1951

One of Sirk's most abstract works. A film in which everyone is locked into his/her private world, and in which change doesn't come easily, if at all, because everyone fortifies him/herself against his/her surroundings. The one thing everyone shares is the obsession with "miracles" - a term which only in the beginning can be defined as an absolute outside stepping in to solve all problems. In the end, the spell is broken by a breakthrough towards intersubjectivity - although the happy end seems a bit forced, if only because of Lyle Bettger's rather weird acting (the only real problem of the film, imo).

The inner tensions of the protagonists are as pronounced as in Sirk's best films, but this time the cinematic means of releasing/transforming/externalizing them - if by way of melodrama or by way of comedy - are for the most part missing. It seems that Sirk is at the same time constricted and inspired by a triple bind of location shooting, a probably rather tight budget, and celibacy - a strange and rather sexist narrative economy: the self-imposed abstinence of the priests somehow being mirrored in Barbara Rush's confinement to a wheelchair.

Shooting this almost completely in and around a real-life Californian monastery lends the film a beautifully somber, porticoed atmosphere (especially nice are a few scenes set in front of the outer walls of the heavy, ancient looking stone building, the dark, heavy chambers suddenly opening up to the california sun). However, it also clearly slows down the dynamics of Sirk's mise-en-scene. The scene of the faux miracle occuring during a film screening could've been a bravura sequence similar to the backstage sequences in IMITATION OF LIFE or TAKE ME TO TOWN, but it feels more like something out of an 30s horror film. Which isn't necessarily a bad thing, of course.

Sunday, August 28, 2016

Keine Feier ohne Meyer, Carl Boese, 1931

Ein Geschäftshaus. Rechts befinden sich die Räumlichkeiten einer Heiratsvermittlung, die mit der Herstellung von Gefühlen befasst ist. Das schlicht MEYER betitelte Unternehmen besteht aus Meyer (Siegfried Arno) und einer Sekretärin. Zwischen MEYER und Meyer besteht kein Unterschied, der Mann verkörpert das Unternehmen, das deshalb ganz selbstverständlich auch die Interessen des Mannes vertritt: Meyer will heiraten. Und weil Meyer / MEYER versteht, dass sich sozial relevante Gefühle nicht im Innern von Personen befinden, sondern zwischenmenschlich realisiert werden (wie Geschäfte), ist das Objekt seines Heiratwunsches ihm weit weniger wichtig als der potentielle Schwiegervater, der allein die Macht hat, ein Gedankenspiel in Liebe zu verwandeln.

Die Tochter (Dina Gralle) liebt allerdings einen anderen. Andere, uninteressantere Filme würden das Ganze so auflösen, dass MEYER wieder auf Meyer reduziert wird, dass Geschäftliches wieder von Höchstpersönlichem geschieden, beziehungsweise auf dieses reduziert wird. In Keine Feier ohne Meyer allerdings lässt sich die Tochter ihrerseits auf ein Geschäft ein, und entledigt sich mithilfe von MEYER (und jeder Menge Drehtürfun) dem ungeliebten Meyer.

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Links im Geschäftshaus befinden sich die Büros einer Stahlfabrik. Ein schwerfäliges Unternehmen alter Schule ist das; wo bei MEYER Menschen und Funktionen geschmeidig solange aufeinander abgestimmt werden, bis alle halbwegs ihren Spaß haben, werden in der Stahlfabrik Menschen statisch auf Funktionen festgelegt. In einer umwerfenden Sequenz bringt Meyer diese Ordnung durcheinander, indem er einen Besucher durch die Büroräumlichkeiten führt und sich selbst den verdutzten Mitarbeitern als Funktionsträger zu erkennen gibt - ohne freilich eine konkrete Funktion zu benennen. Der Stahl ist nicht stählern genug, weiß Meyer einen Mitarbeiter zurecht, der auf seinen Schreibtisch stolz einen Stahlzylinder gelegt hat.

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Der von Anfang an eigentümlichen Rhythmus des Films (der sich weigert, sich in ein stählern-kulturindustrielles Zeitregime zu fügen) kippt endgültig ins Synkopische, wenn im letzten Drittel Lucie Englisch auftaucht, als eine schluffige Stenotypistin, die stur in den Kulissen stehen bleibt (und in einer rührenden Szene von einer resoluten Putzfrau umarmt wird), obwohl im Handlungsgefüge kein Platz für sie vorgesehen scheint. Bis schließlich klar wird: Natürlich braucht es sie, wer sonst könnte es hinbekommen, Sex mit Kartoffelsalat zu verwechseln.

Friday, August 26, 2016

in passing: The TV Set, Jake Kasdan, 2006

So before turning into a director of interesting if rather laboured broad mainstream comedies Jake Kasdan made a terrible indie film about a terrible looking indie-style tv dramedy being turned into an also terrible looking broad mainstream sitcom. No punchline in sight.

It's a shame, because Kasdan does try to depict the ecology of network television rather meticulously. But the very existence of something like 30 ROCK makes whiny reflexivity like this utterly redundant.

(The Fran Kranz character could be interesting - in a completely different movie.)

Tuesday, August 23, 2016

Daughters, Wifes and a Mother / A Woman's Place, Mikio Naruse, 1960/62

Naruse's first reflex when dealing with the widescreen format seems to be: to cram in ever more siblings. "Daughters, Wives and a Mother", a sprawling family tale from 1960, had five, "A Woman's Place", a sprawling family tale from 1962, has seven (at least). But despite that, the latter film doesn't feel like an intensification, but like an relaxation. "Daughters...", almost completely set indoors, and composed in often extremley flat tableus, is an extremely dense film. The constraints of cinemascope function as a pressure cooker. The excess of lateral space doesn't result in breathing room, but transforms itself in an airless enclosure embracing all characters. Naruse's cinema heating up to boiling point... The result isn't an explosion, though, but a prolonged, gruesome third act of intensified negotiations that finally completely verbalice the power relations implicit in almost all Naruse films. Silent glances of passive defeat isn't an option any more, everything must be acted out. Of course, this actually doesn't help anyone.

In "A Woman's Place" the spell is broken, the family system in a state of decay - and the scope framing suddenly feels much more organic (at times even elegant - I especially liked a couple of scenes structured around a serving hatch). Especially the younger siblings don't really care any more, they're taking off to Brazil and Europe, a son in law even talks about travelling to the moon. Chishu Ryu as the nominal patriarch is a bumbling fool, Haruko Sugimura tries to hold things together, but this time she's lost control over the frame, is constricted to terrorize an extremely passive Hideko Takamine - who imo manages to articulate the very unnaturalness of her position much more poignant than Setsuko Hara in "Daughters,...". The ironies of her by now largely self-imposed servitude are at times truly maddening - especially in a bitter, layered confrontation with another daughter who accuses her of stealing her would-be lover. (She didn't do it, but clearly wishes she had.) And in the final scene, the small but still irresolvable distance between Sugimura and Takamine is nothing but heartbreaking.

Wednesday, August 17, 2016

The Purple Rose of Cairo, Woody Allen, 1984

Usually Allen is best when he has a main character he's really interested in. Which is obviously the case here. And Farrow's magnificent performance alone should've made this one of his best films. Indeed, it manages to gloss over the lazy Way Allen once again sets up his own romantic / meta-filmic premise. The diner scene early in the film (mostly done in a single long take) with Farrow and her colleague maneuvering in the tight space behind the counter while talking about life, work and cinema is a small masterpiece of economical filmmaking in its own right.

On the other hand, the period setting brings out the very worst in Allen. He's obviously not at all interested in the textures of history - which wouldn't be a problem if the film wouldn't insist so bluntly on Farrow being a "victim of her time". For Allen, "history" is nothing more than functionalist shorthand, which allows him to not even bother with the complexities of communication and affect. The result is a sadist streak undercutting all playfulness. The scenes with Farrow and her husband at home are especially disgusting, as they are obviously just there to properly set her up - literally: to beat her into submission - for all that romantic escapism.

Tuesday, August 16, 2016

13 Hours, Michael Bay, 2016

If not for the final action scene that drops the procedural tightness in favour of lurid nightmare visions which are interesting in their own right but completely break the rather meticulously established mood of desperate professionalism, this would probably be my favorite Bay film. For almost two hours, military geek Bay keeps music video Bay covered, confining him to providing a lot of impressionistic detail and an astonishing lighting scheme. Otherwise this is really all about the interplay of topography, weaponry, and cinematopgraphy, the purest war movie I've seen in a while. (In at least two scenes, the american tough guys point out to each other, more puzzled than enthusiastic, that their enemies really don't understand the concept of night vision.)

13 HOURS isn't as good as THE HURT LOCKER or ZERO DARK THIRTY, maybe also not as good as AMERICAN SNIPER, but still Bay's quite suitable for a journalistic approach like this, because it allows him to use bodies and to a limited degree even psychology in the same functionalist and spectacular way he uses rifles and grenade launchers.

(Hard to judge its politics from outside the us, as this is obviously tailor made to play into right wing talking points. Aside from that I don't see why this should be more problematic than most other recent American mainstream films set in the arab world.)

Monday, August 15, 2016

Locarno International Film Festival 2016: Mädchen in Uniform, Leontine Sagan / Geza von Radvanyi, 1931 / 1958

Sonderbar, wie welterschütternd unterschiedlich sich die beiden Filme anfühlen. Dabei liegt lediglich eine Generation zwischen ihnen (eine Generation Soldatenmütter allerdings...), und in den Dialogen, in der Szenenfolge, teils auch in Bildideen liegen sie sehr nah beieinander. Die einzige dramaturgisch schwerwiegende Differenz dürfte darin bestehen, dass Radvanyi die lesbische Liebesgeschichte zu einem Eifersuchtsdreieck ausbaut, was wunderbar funktioniert, insbesondere in der ersten klimaktischen Szene bei und nach der Theaterpremiere - die, eine weitere kleine Intervention, nicht mehr Don Karlos, sondern Romeo and Julia zur Aufführung bringt, auch das ist eine gute Idee, glaube ich.

Was sich allerdings komplett verändert hat: die Bildpolitik. Das Verhältnis von Bildraum und Körper, von On zu Off, von Individuum zu Gruppe. Komplett verschwunden ist in der 58er-Version alles dokumentarnah Beobachtende, insbesondere gibt es nicht mehr die das wilde, drängende, der gepredigten Zucht und Ordnung gegenüber exzessive Miteinander der Mädels eher aufzeichnenden als konstruierenden Totalen (sowie diese langsamen Schwenks, die einen in ihrer gefräßigen Bewegung neugierig machen auf die Attraktionen, die noch nicht, aber gleich in ganzer Pracht Bild werden). Anders herum gibt es auch nicht mehr die Mannigfaltigkeit des Details. Keine Großaufnahmen mehr, die entschlossen und immer etwas willkürlich eine unter vielen Attraktionen isolieren, und die das chaotisch blühende Leben im verschmierten, glücklichen Gesicht eines schokoladeessenden Mädchens aufscheinen lassen.

Statt dessen dominieren 1958 im Dekor und in der Bildsprache klare Linien, größtmögliche Klarheit und Reduktion. Man kann glaube ich Szene für Szene durchgehen und zeigen, wie Radnayi fünf, sechs Ideen von Sagan in jeweils einer einzigen, isolierten filmischen Geste verdichtet. Plansequenzen und travellings konturieren den Schauplatz - als, so der Dialog: Zitadelle (ein Wort, das im ersten Film nicht fällt). Deren Schrecken allerdings wenig mit Waffengewalt zu tun hat als mit Abstraktion. Das Treppenhaus ist kein plötzlich gähnender Höllenschlund mehr wie 1931, sondern eine geometrisch präzise Mausefalle, die der Hauptfigur schon früh im Film "gestellt" wird (und das beschreibt auch gut die Differenz im Verhältnis der beiden Manuelas zu ihrer jeweiligen Libido). Das 1931 wild in den Bildraum hinein sprudelnde Leben zieht sich 1958 ganz in das freilich außerordentlich artikulierte Seelenleben der Mädchen und Frauen zurück.

Das betrifft selbst und erst recht Körperlichkeit. Bei Sagan schwärmen die Mädels von Hans Albers' Sex Appeal und erfreuen sich an ihren "dollen Körpern" so sehr, dass sie sich einmal sogar gegenseitig die Blusen platzen lassen. Bei Radvanyi geht alles Leibliche in Bewegungspattern und Blickwechseln auf.

Noch sonderbarer, dass ich zwar beide Versionen liebe, mir die von 1958 aber doch etwas besser gefallen hat. Ich glaube schon, dass ich anhand der Filme zeigen könnte, warum. Die absolute Kontrolle über den Bildraum hat bei Radvanyi nichts mit Sadismus zu tun, sondern mit Einfühlung und Neugierde, es geht nicht um die formale Verdopplung von Klaustrophobie, sondern um psychologische Verstricktheiten.

Aber es wird auch etwas damit zu tun haben, dass ich mich schon eine ganze Weile nicht mehr einfach nur zur urwüchsigen Klassik, sondern noch mehr zum Klassizismus, zur Herrschaft der Mise-en-scne hingezogen fühle. Viva il calligrafismo!

Wednesday, July 20, 2016

Große Versöhnung

Noch einmal zu Toni Erdmann, weil ich hier nicht so recht erklären konnte, warum mir die versöhnliche Schlagseite von Mared Ades Film nicht geheuer ist; und auch nicht, warum mir die Filme von Franz Müller um soviel besser gefallen.

Vielleicht kann man eine Unterscheidung treffen zwischen einem Kino der kleinen Versöhnung und einem Kino der großen Versöhnung. Die Filme von Franz Müller wären auf der Seite der kleinen Versöhnung; sie scheinen mir von der basalen, mir grundsympathischen Annahme auszugehen, dass man zwei wildfremde Menschen, die sich zufällig auf der Straße begegnen, schon irgendwie miteinander in ein Gespräch, in eine Geschichte bekommen würde, wenn man nur offenherzig und neugierig genug an die Sache herangeht.

Das Kino der großen Versöhnung stellt weitergehende Ansprüche. Miteinander versöhnt werden sollen nicht Individuen, sondern Typen, und im Vollzug auch die Gesellschaft (mit sich selbst). Oft genug, und ansatzweise auch in Toni Erdmann, folgen daraus Konstruktionen, die den Individuen (in diesen Fall einigen Nebenfiguren) alle Luft zum Atmen nehmen, weil sie zu Funktionen stets gleichzeitig der Erzählung und eines Milieus degradiert werden. (Die Kritik begnügt sich oft damit, zu überprüfen, ob die Figuren "denunziert" werden oder nicht; ich denke, es ist auch möglich, sie in Liebe, oder in "Widersprüchlichkeiten" zu ersticken).

Mein Problem ist nicht so sehr die große Versöhnung an sich, auch da gibt es genug Filme, die mir gefallen. Aber das sind dann meist solche, die alles offen modellhaft durchspielen (manche Screwballkomödien z.B,), oder die wenigstens einen euphorischen Überschuss produzieren. In Toni Erdmann dagegen wird die Versöhnung in zumindest manchmal kalkuliert anmutenden Ambivalenzen stillgestellt.

Sunday, July 17, 2016

Zu neuen Ufern, Douglas Sirk, 1937

Männer blicken Frauen an. Die Männer bleiben in einer amorphen, ständig bewegten Gruppe, die Frauen dagegen reihen sich auf, treten dabei auseinander; sie individuieren sich, allerdings nur so, wie sich im Kapitalismus ein Produkt von den anderen individuiert. Wenn sie sich den Männern präsentieren, eine nach der anderen, laufen sie an den Webstühlen vorbei, die sie im Gefängnisalltag bedienen müssen. Die Balken der Geräte einerseits und Sirks Lichtsetzung andererseits sind so konzipiert, dass ein vielleicht zwei Meter langes Licht- und Sichtfenster entsteht, das sie durchschreiten. Sie treten aus der Verschattung für einige Schritte in einen von einem Balken begrenzten Lichtraum, nach dem nächsten Balken fallen sie in den Schatten zurück. Offensichtlich ist das ein Kinodispositiv...

...in dem sich Begehren und Arbeit auf sonderbare Art verschränken. Die Männer kommen ins Frauengefängnis, um Gattinnen zu finden - da in Australien Frauenmangel herrscht, kommen dafür auch weibliche Strafgefangene in Frage. Freilich sehen die Männer in den Frauen mindestens ebenso sehr eine zusätzliche Arbeitskraft wie eine Bettgefährtin, bzw die Mutter ihrer künftigen Kinder. Brautschau und Sklavenmarkt sind ununterscheidbar. Statt einer dünnen Frau könnte er auch gleich einen Chinesen nehmen, meint einer der Männer. Tatsächlich sind die Frauen durch den Webstuhl "von Arbeit geframet"; und doch gerade im Moment des Angeblicktwerdens von Arbeit, und überhaupt von jedem sozialen Zusammenhang, freigestellt.

Wednesday, July 13, 2016

Il Cinema Ritrovato 2016 - in passing

Girl Seeks Father, Lev Golub, 1959

Even among the many beautiful prints in the "Cinema of the Thaw"-series, the print of this often fairytale-like children partisan film stood out as especially gorgeous. The long scene in which the red-dressed girl seeking her father and her slightly older companion are chased through marshlands by bloodhounds might've been the most intense five (ten? felt more like fifteen, actually) minutes of my festival. The film somehow manages to stay true both to the child's eye view and to the very real horrors of the war depicted. Maybe one reason of its success is that the (magnificent) main actress is so young, that all her actions are almost automatically attributed to base impulses, not at all tainted by the kind of sentimentalized, precucious subjectivity one so often finds in film children. (Like, for example, in Mario Soldati's disappointing La mano dello straniero).

Miles of Fire, Samson Samsonov, 1957

If Girl Seeks Father is all affect, Miles of Fire is all action. Pure movement images, structured in line with the guns mounted on the back of the two horse carriages in which the protagonists travel. The guns aim backwards, so the posse (the revolution) has to constantly stay ahead of its adversaries in order just to stay alive.

The Last Warning, Paul Leni, 1929

Paul Leni's last film before his untimely death starts out as a rather pedestrian whodunit, but thankfully changes gear completely after about 15 minutes. The rest of the film is a madcap horror (or rather: "backstage horror") comedy littered with - among many many other attractions - plastic spiders, dusty female ghosts, animated intertitles, antropomorphic houses, trapdoors that hide even more trapdoors, stylish montage sequences, bizarre deep-focus framings. Joyfull, in its own way honest funhouse filmmaking only hampered by an unsightly digital print.

Camp of Gouda, anonym, 1916

One of the most beautiful shots of the festival: girl refugees from Belgium, interned in the Netherlands during the first World War, jumping up and down in front of the camera, eerily rhythmic, animating the whole screen.

Merry-Go-Round / Afraid to Talk, Edward L. Cahn, 1932

The only film in the Laemmle series that had a programmer feel to it - but only in the best of ways. The schematic plotting is fueled by a news ticker running along the front of a skyscraper; the bare-bones sets hardly maintain the illusion of a continuous fictional world; and the happy ending is happily (but without any hint of irony) written over by the acknowledgment of systemic evil. Louis Calhern is a magnificent precode bastard.

Monday, July 11, 2016

Il Cinema Ritrovato 2016 - The Kiss Before the Mirror, James Whale, 1933

The first few shots are a magnificent showcase of highly stylized studio filmmaking. A woman descending through a forest of delicate plastic (?) trees set against a blazing painted backdrop. A man strolling around in his airy, decadent mansion, starting to absorb and then hum along a the sumptous stringband melody on the soundtrack. After a while, a piano also joins in. An when the man finally walks into the room next door, the woman from the first shot is seen sitting in front of a grandiose grand piano. The whole scene is revealed to be a musical prefiguring of the affair the man and the woman are having. Both of them have just a few minutes of stylish intimacy (acted out through a handful of intricate, flower-framed tableaus) left, until the woman is killed by her husband (and her lover's never seen nor heard from again for the rest of the film).

The space of adultery is a space of artifice. When the space of "pure adultery" is closed of, the film settles into a less extravagant, but still not at all "normal" audiovisual register. The rest of the film isn't set inside the space of adultery, but always in its vicinity. Or maybe rather: it's all about the discursivation of adultery. At times more of an intellectual game than a psychologically grounded fiction film, The Kiss Before the Mirror proposes: There's a script for adultery, and there's a script for jealousy. Because the second one ends with murder, it has to be changed, through judicial negotiations, and through the bodily eruptions of the great Frank Morgan. And then there's a wonderfully sardonic Jean Dixon, as a lesbian lawyer, suggesting the possibility of life outside the script.

Sunday, July 10, 2016

Immer schon eine Erfindung

Zu den drei Regisseuren der deutschen Exil-Filmgeschichte, deren Werk das Zeughauskino in den letzten Jahren präsentiert hat - Max Ophüls, Fritz Lang und Robert Siodmak -, steht Sirk in vieler Hinsicht quer. Sirk hat Deutschland deutlich später verlassen als diese drei und auch als die meisten anderen Exilanten. Seine Filmkarriere hat er nicht in der Weimarer Republik begonnnen, sondern in der NS-Zeit. Tatsächlich muss man davon ausgehen, dass er inbesondere bei seinem Einstieg ins Filmgeschäft 1934 direkt von der nationalsozialitischen Filmpolitik profitiert hat; schließlich hatte die UFA, die ihn unter Vertrag nahm, bereits im Frühjahr 1933 ihre jüdischen Angestellten entlassen. Und schließlich hat er das Land seines Exils, die USA, zwar ebenfalls wieder verlassen, aber er hat nach seiner Rückkehr nach Europa seine Filmkarriere nicht fortgesetzt.

Vielleicht nicht zufällig ist Sirk auch der einzige der vier, der in den USA seinen Namen wechselte. Und auch weil der geborene Hans Detlef Sierck selbst gerne und ausführlich über die Titel seiner Filme nachdachte, kann man einen Moment bei diesem Namenswechsel bleiben. Gleich dazu gesagt: Das beruht jetzt nicht auf ernsthafter historischer Recherche, sondern ist lediglich ein Gedankenspiel, die Filmhistoriker unter Ihnen mögen mir das Nachsehen. Aber gerade was den Vornamen betrifft, scheint mir der Namenswechsel nicht uninteressant. Sirks Gebutsname Detlef bedeutet ethymologisch “Sohn des Volkes”, oder “der im Volke lebende”, sein erwählter Name Douglas stammt zwar ursprünglich aus dem Gälischen, ist aber vor allem mit einer schottischen Adelsfamilie assoziiert. Insofern wäre seine Namensänderung gleichzeitig ein Akt der Entwurzelung und ein Hinweis auf die aristokratischen Sehnsüchte eines Bürgersohns.

Jedenfalls war Sirk stärker als Lang, Siodmak, Ophüls, selbst Lubitsch darum bemüht, sich in Amerika neu zu erfinden. Tatsächlich scheint der Regisseur ein grundsätzlich anderes Verhältnis zu den USA gehabt zu haben als die meisten anderen Exilanten, denen Sirk in Interviews vorgeworfen hat, sich gar nicht wirklich auf ihr Gastland einzulassen. Das ist zwar auch wieder unfair, aber es gibt da glaube ich tatsächlich einen Unterschied. Der zeigt sich schon darin, dass Sirk sich, gezwungenermaßen, in den ersten Jahren seines amerikanischen Exils nicht, wie die anderen Exilanten, in Los Angeles niederließ, sondern im San Fernando Valley und in Pomona als Farmer arbeitete, Hühner züchtete, Luzerne anbaute. Seine erste filmische Arbeit in Amerika war eine leider verschollene Dokumentation über Weinanbau in einer kalifornischen Abtei. Und auch der Film des heutigen Abends offenbart Sirks besonderes Interesse am ländlichen Amerika.

Meet Me at the Fair ist nicht der nächstliegende Film, um eine Sirk-Retrospektive zu eröffnen. Einer der Gründe, warum wir ihn dennoch ausgewählt haben, ist die außergewöhnlich schöne Technicolor-Kopie, die uns Universal zur Verfügung gestellt hat. Ein anderer ist, dass wir Sirk in dieser Reihe gerade nicht als den Schöpfer einer Handvoll Meisterwerke vorstellen wollen, sondern als einen Kino-professional, der in zwei unterschiedlichen Studiosystemen reüssierte. Meet Me at the Fair stammt aus Sirks produktivster Phase Anfang der 1950er, als er für Universal jedes Jahr bis zu vier meist eher niedrig büdgetierte Filme abdrehte.

Ein dritter Grund ist der Film selbst. Meet Me at the Fair ist nicht nur ein reflexives komödiantisches Musical, das besonders in seiner zentralen, bezaubernden Song-and-dance-Nummer, im Grunde aber von Anfang an ein fluides Verhältnis zwischen Fiktion und Leben, zwischen Bühne und Welt etabliert. Sondern auch ein Stück americana. Also eine nostalgisch gefärbte Erzählung über die Lebensart des kleinstädtischen Amerikas, die der Film gleichzeitig amüsiert beobachtet, durchaus detailverliebt rekonstruiert und mit jener sanften Ironie kritisiert, die in intensivierter Form auch seine späteren, weitaus berühmteren Melodramen prägt.

Wenn es Sirk in Meet Me at the Fair darum geht, in das ländliche Herz der USA vorzudringen, dann findet er da allerdings gerade keine Essenz zum Beispiel des Völkischen, sondern eine populäre Kultur, die hybrid und in sich widersprüchlich ist. Das Amerika, das Sirk interessiert, ist nicht mit sich selbst identisch, sondern immer schon eine Erfindung, und die Sympathien des Films gehören, scheint mir, durchweg den Figuren, die genau das auch anerkennen. Das betrifft insbesondere die Hauptfigur Doc, die Richard Brody im New Yorker recht nachvollziehbar als ein alter ego des Regisseurs beschrieben hat. Brody bezieht sich dabei auf die hochkulturelle Prägung, die in der Figur bisweilen durchscheint, ich würde hinzufügen, dass eine vielleicht noch wichtigere Ähnlichkeit im kreativen Umgang mit eigenen und fremden Identitäten besteht. Nicht umsonst greift Sirks Regie Docs Angebereien gleich mehrmals spielerisch auf.

Das betrifft aber zum Beispiel auch Enoch Jones, einen Schwarzen, der mit Doc gemeinsam durchs Land zieht (gespielt von Scatman Crothers, später der Koch in The Shining). Auf den ersten Blick ist das ein geradezu prototypischer black sidekick, der sich dann auch noch ausgerechnet vor Geistern fürchten muss. Der sich aber nicht nur schnell von solchen rassistischen Stereotypen emanzipiert, sondern sie in einer denkwürdigen Gesangsnummer sogar umzudrehen und strategisch einzusetzen versteht.