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Monday, August 27, 2018

Konfetti 15: Spiritual

Kino als Konfetti, oder auch als Steinbruch. Ich möchte mir die Filmgeschichte nicht als eine vorsortierte und deshalb endliche Sammlung wohlgeformter Meisterwerke vorstellen, sondern als ein Dickicht, in dem eine unendliche Anzahl glitzernder Sensationen verborgen sind. Vielleicht deshalb übt das Kino der 1930er Jahre einen besonderen Reiz auf mich aus. Die Filme dieses Jahrzehnts, und insbesondere die der frühen Tonfilmzeit, haben etwas Unberechenbares an sich, wie als hätte der neu entdeckte Ton die Bilder brüchig gemacht, durchlässig für Impulse und Abweichungen, die vorher und vor allem nachher nicht zugelassen waren.

In dieser Hinsicht bin ich auf dem diesjährigen Internationalen Filmefestival Locarno voll auf meine Kosten gekommen: Die Retrospektive war Leo McCarey gewidmet, einem der quintessentiellen Regisseure des amerikanischen 1930er-Kinos. In jedem McCarey-Film sind glitzernde Sensationen ganz unterschiedlicher Art verborgen. Oft an unerwarteten Stellen.

Eine besondere, erstaunlich düster, abgründig glänzende Perle findet sich in Belle of the Nineties, einem McCarey-Film, der für gewöhnlich nicht in einem Atemzug mit Duck Soup, The Awful Truth und anderen Großtaten des Regisseurs genannt wird. Durchaus zurecht, denn die Hauptdarstellerin Mae West ist mit dem im Produktionsjahr 1934 erstmals streng durchgesetzten Production Code, mit dem sich die Filmindustrie bis in die 1960er Jahre selbst regulierte, nicht kompatibel. Installiert wurde der Code, um Schlüpfigkeiten aller Art aus den Filmen der Studios zu vertreiben. Und Mae West ist nun einmal die Schlüpfrigkeit in Person.

Eigenartig depressiv, fast resigniert fühlt sich Belle of the Nineties an - nominell ein Lustspiel über die Hochzeit der Burlesque-Kultur, tatsächlich jedoch eher eine Gangstergroteske, in der jeder jeden nach Strich und Faden ausbeutet. Mich interessiert allerdings eine Szene, die ganz anders funktioniert; tatsächlich hat sie mit der sie umgebenden Handlung so wenig zu tun, dass man meinen könnte, sie sei ursprünglich für einen ganz anderen Film geschrieben und erst im letzten Moment in Belle of the Nineties eingefügt worden (meines Wissens war das nicht der Fall; es würde mich, angesichts der Produktionswirklichkeit der 1930er, aber auch nicht überraschen, wenn es doch so wäre).

Es handelt sich um eine Musicalnummer, die zwei erst einmal komplett disparate Elemente vereint: Den glamourösen Filmstar Mae West und die Performance eines “Negro Spiritual”, also eine Grundform der schwarzen amerikanischen Musik, die bereits zu Zeiten der Sklaverei entstanden war - und die die Bedingungen der Sklaverei sehr direkt musikalisch verarbeitet. Aufgeführt wird das Spiritual in Belle of the Nineties als Gottesdienst unter freiem Himmel: Ein schwarzer Priester versammelt seine Gemeinde um sich. Es entspinnt sich ein Wechselgesang (“Who`s the cause of all sickness?” - “The Devil” - “Who`s the cause of all the poor crops?” - “The devil”), in dessen Verlauf die Gläubigen Schritt für Schritt in eine religiös-musikalische Ekstase hineingleiten.

Das ist spektakulär genug - aber nur die eine Hälfte der Szene. Die andere besteht aus Mae West, die, in einer spektakulären, pailettenbesetzten Garderobe, von einem Balkon aus die Performance betrachtet - und selbst mit einstimmt. Ihre eigenen Strophen interagieren mit dem Spiritual: “They say that I’m one of the devil’s daughters / they look at me with scorn / I'll never hear that horn / I'll be underneath the water judgement morning”. Ihren Höhepunkt findet die Szene in einer Überblendung: Die singende und wie entfesselt tanzende schwarze Gemeinde legt sich im filmischen Bild direkt über eine Grossaufnahme von Mae Wests Gesicht. Mitten in einem Hollywoodmainstreamfilm kommen für einen Moment zwei Formen der sozialen und kulturellen Aussenseiterschaft zur Deckung.

Die Textreihe "Konfetti" entsteht im Rahmen des Siegfied-Kracauer-Stipendiums. Mehr Informationen hier.

Friday, February 24, 2017

Mambo Girl, Yi Wen, 1957

Ein Film, in dem ein Mädchen, um ihre Schwester aufzuheitern, erst eine Katze, dann eine Ente, und dann auch noch ein Hundewelpen nachahmt, kann kaum etwas anderes sein als ein Meisterwerk. Mambo Girl ist zweifellos ein solches. Ein Film über einen dance craze, ein Film als dance craze. Die Tanzszenen dauern meist viele Minuten, meist sieht man da ein gutes Dutzend junger Leute elektrisiert im Takt wippen, nicht wirklich enthemmt, eher so, als würden sie an sich selbst eine Fähigkeit entdecken, die sie vorher noch nicht kannten, und von der sie deshalb nicht genug bekommen können. Wieder und wieder: let's mambo. In der letzten Tanzszene beginnt der Film zu delirieren, aber auch das auf rührend vorsichtige Art: Einige der Mädchen ziehen Spielzeugartikel (mechanische Hunde, Bauchrednerpuppen etc) aus ihren Taschen und lassen diese ebenfalls mittanzen, ein Mädchen gibt ihrem boyfriend im Takt Ohrfeigen, ein Junge macht einer Puppe im Matrosenkleid Avancen.
Abseits des Tanzes geht es in Mambo Girl um eine junge Frau (Grace Chang!), die erfährt, dass sie als Kind adoptiert wurde. Das daraus resultierende Melodram führt zu familiären und schulischen Konflikten und eröffnet außerdem ein soziales Panorama, aber im Kern entfaltet es sich im Innern der Hauptfigur, der auf einen Schlag alle Selbstverständlichkeiten abhanden gekommen sind. Toll eine Nachtszene, in der sie ihr Elternhaus, das nicht mehr wirklich Elternhaus ist, durchwandert, verloren, ziellos, von Schatten umfangen, und doch mit einer sturen Grazie, der man die Tänzerin ansieht. Sie steigt dann nach oben aufs Hochhausdach, wo ein wunderschöner metaphysischer Moment auf sie wartet.

Saturday, February 04, 2017

West Chamber, Yueh Feng, 1965

Ein Film, der es sich nur ganz selten erlaubt, aus der Fassung zu geraten - einmal passiert das, wenn ein Kriegsherr vor dem Tor steht und eine Kamerafahrt gleich Dutzende wuselnde Statisten überfliegt, ein andermal, wenn eine der Hauptfiguren über eine Mauer zu klettern versucht; solch eine physikalische Überschreitung ist nicht vorgesehen in West Chamber.

Ein Film, der sich selbst fast durchweg in einen Innenhof einschließt. Dort jagen zu Beginn ein Gelehrter und eine Hofdame (beide gemäß der Huangmei-Tradition von Frauen verkörpert) tänzelnd Schmetterlingen hinterher, doch schon bald muss sich der Gelehrte in die Westliche Kammer zurückziehen, die Hofdame wohnt nebenan - nah genug, dass sie ihm etwas vorsingen kann, und doch unerreichbar. Dafür sorgt die Mutter der Dame, die dem Gelehrten ihre Tochter nicht zur Frau geben möchte, obwohl er eine Heldentat vollbringt. Stattdessen erklärt sie die beiden Liebenden kurzerhand zu Geschwistern. Sie hat die Definitionsmacht. Also zergehen beide bis kurz vor Schluss in unerfüllter Sehnsucht, gehen immer dieselben Schritte in immer denselben Räumen (nachvollzogen von immer denselben Kamerabewegungen), singen nich immer dieselben, aber auch nie so recht voneinander verschiedene Lieder. Und wenn nicht sie singen, singt ein Chor auf der Tonspur. Mindestens einmal greift eine der Figuren ein Lied des Chors auf, die Melodien sind allgegenwärtig, aber allgegenwärtig eben als Medium der Einschließung. Zum Medium der Liebe und letztlich der Befreiung werden einerseits Briefe, andererseits eine Dienerin, die wendig zwischen ihnen hin und her eilt, dabei nicht nur Briefe verteilt, sondern auch in ihrer körperlichen, mimischen wie gestischen Flexibilität die Liebeskommunikation aufspeichert, in Schwung hält.

Wednesday, January 11, 2017

The Wild, Wild Rose, Wong Tin-Lam, 1960

Sijia hat niemand auf der Welt, deshalb ist sie frei. Einen hatte sie doch einmal, lernt man später: Einen schrecklichen Ex namens Cyclops, der sich den Zuschauern in Horrorfilmmanier mit unters Gesicht gehaltener Taschenlampe vorstellt... Wenn man sich einmal von jemand wie Cyclops befreit hat, will man nie wieder in die Gefangenschaft zurück. Ihr Geld verdient Sijie, indem sie singend Nachtclub-Gästen den Kopf verdreht. Am liebsten singt sie Lieder aus europäischen Opern. Ihre Stimme steigert sich in geradezu fanatische Ekstasen, gleich während dem ersten Song, der Habanera aus Carmen, schlägt die laszive Melodie an zwei Stellen tatsächlich in ein wölfisches Growlen um. Aber wichtiger noch ist die Art, wie sie über ihre Extremitäten verfügt, die Arme über sich wirft, mit den Füßen stampft.

Hanhua ist der brave Junge, der ihr verfällt. Bevor er den Nachtclub betritt, verspricht er seiner braven, statuarischen Verlobten, dass er sich vor den schönen, aber bösen Frauen, die man dort antrifft, zu schützen weiß: "Keine Angst, ich habe ein Amulett". Das nützt ihm wenig. Zehn Tage gibt sich Sijia Zeit, ihn zu verführen, nach neun ist er hinüber.

Die Geschichte, die sich in der Folge zwischen beiden entspinnt, orientiert sich ebenfalls an Carmen - allerdings gibt es eine ziemlich dominante Mutterrolle, die versucht, die romantische Räuberpistole in konfuzianistische Pflichtethik umzubiegen: Junge, das kannst Du doch nicht machen, denk an Deine Familie.

Hanhua ist, das spürt man schnell, schon der Art, wie Sijia lässig einen Apfel in die Hand nimmt und ihn nach ein paar Bissen lässig hinter sich (aus dem Film) wirft, nicht gewachsen. Das Ungleichgewicht zwischen beiden rührt nicht von ihrer Verführung und seiner Verführtheit her, sondern von der Freiheit ihrer Bewegungen, mit der er nicht mithalten kann. Immer mehr krampft er sich zusammen, irgendwann fängt er an zu trinken, aber auch das hilft nichts, er fällt einfach nur in sich zusammen. Sein Kollaps freilich ist lebensgefährlich.

Monday, October 31, 2016

Heimatfilme 1: Höllische Liebe, Geza von Cziffra, 1949

https://www.youtube.com/watch?v=goCjudyRO8U

Ein tracking shot in die Hölle hinein: Mehrere ornamentale Eisengitter öffnen sich vor der Kamera, es blitzt und dampft und glitzert, aber diese Version der Unterwelt ist doch nur "ein riesiger Maschinenraum mit Schalttafeln und Hebeln", bewohnt von "Ingenieursteufeln". Das Produktionsdesign ruft von ferne die fantasmatischen Apparaturen des Weimarer Kino auf, aber offensichtlich hat man in diesem Studio  höchstens die Hobbykellerversion von Metropolis und Mabuse zusammengepappt. Das schadet dem Film nicht, eher macht es sogar einen Teil seines Reizes aus.

Wenig später eine Musiknummer, in der der Film dann tatsächlich für ein paar Minuten ganz ins Weimarer Kino zurückzukippen scheint: Elfie Mayerhofer steht, vampisch aufgemacht, auf einem Globus, führt eine ganze Horde Männer an der Leine vor sich: "Die Welt ist rund / es lockt mein Mund".

Inmitten der Nachkriegshölle thront allerdings doch nur ein Schreibtisch, drumrum befinden sich, brav und übersichtlich nebeneinander aufgereiht, eine Handvoll mechanische Attraktionen, eine davon präfiguriert das Fernsehen, mit einer anderen kann man, erfährt man später, den Gefühlszustand von Frauen manipulieren: Wenn die Flüssigkeit in zwei Glasröhren höher steigt, werden die Auserwählten empfänglicher für Musik und Komplimente. Das funktioniert aber nicht bei jeder, es bedarf "einer gewissen psychischen Prädisposition". Die zum Glück bei allen Beteiligten vorausgesetzt werden kann. Insbesondere beim heimlichen Star der Show, der Teufelin Lukretia (Vera Molnar, mit deren dramatischen Gesicht der Film viel anzufangen weiß).

Ein paar ausgesucht harmlosen Scherzen über Staatsbürgerschaftsentzug und minderbelastete Mitläufer zum Trotz ist Höllische Liebe ein reines fluff piece; die Szenen, die auf der Erde - bzw fast ausschließlich in mondänen Nachtclubs und Luxushotels - spielen, dürften mit der sozialen Wirklichkeit im Nachkriegsösterreich noch weniger zu tun gehabt haben als die Großraumbürohölle. Erstaunlich ist dagegen, wie schnell, flüssig und über weite Strecken beschwingt Höllische Liebe sich anfühlt. Wie es dem Film gelingt, in seine fein und lebendig gewirkten Komödienroutinen nicht nur jede Menge wunderbar naive Special Effects (der schönste: ein Sänger gibt seine Gabe an einen anderen weiter, indem er ihm Noten in den Mund pustet), sondern auch einen Hauch von Hellzapoppin' zu integrieren.

Monday, March 21, 2016

Moritz macht sein Glück, Jaap Speyer, 1931

Kaum eine Spur, die über reine Stabsangaben herausgehen würde, findet sich im Netz von Moritz macht sein Glück, einem der bescheidensten, unaufdringlichsten und schönsten Filme der durchweg umwerfenden Filmreihe zur frühen deutschen Tonfilmkomödie, die derzeit im Zeughauskino zu sehen ist. Keine Texte finden sich abgesehen von einem kleinen Übersichtsvermerk bei Cinefest, keine Filmausschnitte, von den vielen wunderbaren Liedern nicht einmal die Texte, schon gar nicht die Partituren - das wäre einmal eine Idee: Eine Website, die Partituren von Liedern aus vergessenen Filmen sammelt oder erstellt, zum Nachspielen und -singen; da gäbe es tatsächlich eine Möglichkeit, etwas an den alten Filmen präsent zu machen, zu verlebendigen.

So bleiben nur die auf der Cinefest-Seite verzeichneten Songtitel: Zum Beispiel "Du bist mir wie nach Maß gemacht", das ist, glaube ich, eines von mehreren bezaubernden Duetten. "Bin ich vielleicht verliebt" ist ein anderes, sehr zart, fast hingehaucht. "Darf ich Sie einmal wiedersehen" singt, glaube ich, Irene Ambrus, die in ihrer vorlauten, quicklebendigen Art die nominelle Hauptdarstellerin Annie Ann locker aussticht. "Schwere Zeiten" wird dagegen von Viktor Schwannecke und Willy Prager im gut eingespielten Wechselgesang vorgetragen, von zwei kleinen, rundlichen Kleiderladenbesitzern, die nur im Doppelpack auftreten, die beide Meier heißen, die nicht voneinander loskommen, auch und gerade dann, wenn sie dem jeweils anderen ein Schnippchen zu schlagen hoffen.

Der Star des Films, Siegfried Arno, singt kaum einmal, und wenn er es doch einmal ein wenig versucht, hört sich das kaum anders an als sein Sprechen. Aber seine Sprachmelodie, sein halb vor-sich-hin-, halb in-sich-hinein-Sprechen ist ohnehin unnachahmlich. Das ist wie ein andauernder Monolog, der autonom neben dem Rest des Films herläuft und der niemand wirklich adressiert - auch das Publikum nicht, oder wenigstens nicht als Kollektiv, eher in der Art einer unverbindlichen und trotzdem intimen Ansprache. Das setzt schon ein Einverstandensein voraus, aber eines, das auf einem vorgängigen, gelassenen, nicht-verbiesterten Nichteinverstandensein basiert: Der Takt der Welt ist nicht der unsere, aber was soll's.

Arno spielt einen niederen Angestellten des Kleiderladens. Seine Vergütung scheint sich auf einen Eimer Spinat täglich zu beschränken, den er mit "der Lisa" teilt, die ebenfalls irgendwie im Laden angestellt ist, ohne dass man zunächst so recht sagen könnte, für was. Als ein Model das Weite sucht, weil sie ihren "modernen Körper" nicht mit altmodischem Kram vollhängen soll, findet Arno eine Beschäftigung für die Lisa. Und sorgt wenig später dafür, dass sie einen Modelwettbewerb gewinnt, welcher sie dann freilich fast in die Hände eines halbseidenen Amerikaners treibt. Wobei nichts gegen Amerika: Da finden am Ende alle ihr Glück, dank einer jener millionenschweren Erbschaften, die im Kino der 1930er Jahre noch mit vollen Händen verteilt wurden.

Der zentrale Schauplatz des Films ist jedoch der Kleiderladen. Auf den ersten Blick ist das ein altmodisches, etwas verkramtes Kleinunternehmen, das sich eher schlecht als recht über Wasser hält. Auf den zweiten ein Labor, in dem neue Menschen hergestellt werden. Das Modell für diese neuen Menschen ist die Schaufensterpuppe. In einer Szene schraubt Arno einer weiblichen Puppe zwei Arme ab, um sie neu und attraktiver einzukleiden. Wenig später sind die Beine einer anderen Puppe so drapiert, dass man sie für die Beine einer Frau aus Fleisch und Blut hält, bevor Arno die beiden Schenkel aufnimmt und mit ihnen in einer Weise herumzuspielen beginnt, bei der man nicht weiß, ob sie jetzt linkisch oder obszön ist. Vielleicht: auf linkische Art obszön.

Auch eine männliche Puppe steht im Geschäft, in einer Szene verliert sie eine Hand. Überhaupt ist Moritz macht sein Glück fast schon ein Cyborg-Film: Es geht um "moderne Körper", die man nicht nur aus- und anziehen, sondern auch zerlegen kann. Oder auch: anmalen. Wenn Arno sich schwarz schminkt und mit einem Plattenspieler auf dem Rücken auf die Bühne stellt, dann ist das zwar innerdiegetisch eine Al-Jolson-Referenz, hat aber mit der historischen Praxis des blackfacing weniger zu tun als mit der Idee, dass alle Identitätsmerkmale verfügbar geworden sind. Nicht umsonst wird darauf hingewiesen, dass die Farbe "echt" sei, und Moritz sein wahres Glück vielleicht in Afrika machen solle. Natürlich ist das, wie so vieles in dem Film, drei Szenen später wieder vergessen.

(Noch etwas zeigt diese Szene: In Moritz macht sein Glück macht die Stimme den Körper nicht ganz, sondern sie hybridisiert ihn; ähnliches kann man in vielen Filmen der Reihe beobachten, am Schönsten vielleicht in Litvaks Das Lied einer Nacht.)

Weiterhin ergibt es sich im Laufe des Films, dass alle, oder wenigstens fast alle moderne Körper denselben Namen tragen. Nämlich: Meier. Und außerdem haben sie, wie sich am Ende in Amerika herausstellt, als Kind alle exakt gleich ausgesehen, oder behaupten das jedenfalls. Das ist natürlich beides erst einmal nur krude Komödienplotkonstruktion, passt aber zur grundlegenden Verfasstheit aller Figuren des Films. Auf der Cinefest-Seite findet sich dazu ein Zitat aus einer historischen Kritik: "Ansonsten sind die Personen des Spiels von gewichtigen Gefühlen keineswegs belastet; sie wechseln Liebschaften, Verlobungen und Sympathien mit bemerkenswerter Schnelligkeit." Niemand hat einen stabilen Persönlichkeitskern - außer Arno vielleicht, aber auch bei ihm ist das Stabile eher die außerfilmische Persona als die Rolle. Bei ihm gibt es allerdings durchaus eine grundschluffige Gutherzigkeit, die nicht in Frage gestellt werden kann. Ansonsten sind die Motivationslagen denkbar instabil, der eine verlässt in einem Moment fluchend den Kleiderladen, im nächsten kauft er ihn halb leer, eine andere (die Ambrus, natürlich) springt einfach aus dem Fenster, wenn ihr etwas nicht passt. Alle Beziehungen bis hin zu Ehen ergeben sich situativ.

Das alles ohne jede Kunstanstrengung. Die Szenen werden einfach so hingestellt, locker um ein, zwei Ideen herum gebaut. Gelegentlich auch um gar keine, aber das macht gar nichts. Dass solche Filme in Deutschland einmal möglich waren, und zwar in der Mitte der Produktion...

Friday, March 11, 2016

Wien, Du Stadt der Lieder, Richard Oswald, 1930

Zwei Herren in Frack und Zylinder sagen gemeinsam, einander andauernd ins Wort fallen, den Film an. In ihrer feisten Eitelkeit und in ihrer eher kleingeistigen als weltläufigen Schlagfertigkeit geben sie den Ton vor für den Film. Freilich zeigt Wien, Du Stadt der Liebe gerade, wie man aus eitlem Gockeltum und charmanten Nicklichkeiten große Kunst machen kann. Nämlich: indem man beides absolut setzt, ausdifferenziert und eskalieren lässt.

In erster Linie ist das eine entspannt an einer Handvoll Ohrwurmmelodien entlangkomponierte Nummernrevue. Auf eine lange Kaffeehausszene folgt eine noch längere Heurigenszene. Und auf die eine (ganz besonders großartige) After-Hour-Barszene. Die Kamera macht es sich dabei stets bequem, rührt sich oft minutenlang nicht vom Fleck. Im Heurigen filmt sie vom Kopfende aus eine Tafel, an der sich fast der gesamte, zu weiten Teilen aus der Berliner Kabarett-Szene importierte Filmcast niedergelassen hat, die eine Hälfte links, die andere rechts. Wer etwas sagen will, steht auf, damit man ihn auch gut sieht. Gelegentlich prügelt man sich, öfter stimmt man in ein Lied ein, das irgendwer anderes gerade singt, das aber keinen wirklichen Ursprung hat, sondern, eben, immer schon in der Luft liegt.

Das bisschen Handlung, das die Nummernrevue zusammenhält, ist das Produkt von, siehe oben, kleingeistiger Eitelkeit. Der Zeitungssetzer Grün vertauscht, weil ihn die anderen etwas zu sehr aufgezogen haben, in einer Zeitungsausgabe zwei Ziffern der Lottogewinnzahl. Die falsche Zahl führt zu allseitiger Euphorie, die alten Möbel werden rausgeworfen, ein neues Auto angeschafft, auch einige verfahrene, oder vielleicht eher ein wenig heruntergewirtschaftete Liebesangelegenheiten erhalten neuen Schwung.

Von Anfang an ein Nullsummenspiel. Demzufolge öffnet sich auch am Ende nichts, es stellt sich einfach wieder der Normalzustand her. Nicht raus in die Welt, sondern zuhause einsumpfen, aber eben auf eine ziemlich euphorische, zum Mitschunkeln einladende Art. Wien, Du Stadt der Liebe ist ein Film der straff über die stolz vorgewölbte Bauchdecke spannenden Westen (Max Hansen als Burgstaller); und gleichzeitig auch einer der schlaff an der hageren Gestalt herunterschlotternden Kellner-, oder besser noch, Oberkellneruniformen (Siegfried Arno als Ferdinand). Die Kleider sind entweder etwas zu eng oder etwas zu weit für die Körper... und sowieso nie glänzend genug fürs Ego.

Hansens Burgstaller ist unter den vielen Attraktionen des Films die erstaunlichste. Ein feister Fleischermeister, der bei jeder Gelegenheit ein süßliches Lied (und zwar wirklich fast immer dasselbe) anstimmt, und der eine ihm selbst wohl kaum halbbewusste Vorliebe für Hackebeile aller Art hat. Der sich, sobald ein Lottogewinn in Aussicht steht, nur noch als "Burgstaller, Millionär" vorstellt. Ein Mann der großen Gesten und der kleinen Moral; der seine ihm aus unerfindlichen Gründen romantisch zugeneigte Mitarbeiterin erst schroff abweist, nur um sie dann, als die Steffi, zu dem es ihn eigentlich hinzieht, nicht verfügbar ist, doch sofort zu umarmen. Natürlich mit einem Lied auf den Lippen, und zwar mit demselben, das er ein paar Minuten vorher noch der anderen zugeeignet hatte. Der Burgstaller singt einfach über alle Widersprüche, über alle Verlegenheiten, all die kleinen und größeren Grausamkeiten, die er anderen und die andere ihm antun, nicht zuletzt auch über die innere Melancholie, die andauernd aus ihm heraus zu brechen droht, mit voller, dröhnender Inbrunst hinweg.

Friday, March 04, 2016

Das Lied einer Nacht, Anatole Litvak, 1932

Der Startenor Jan Kiepura spielt den Startenor Enrico Ferraro, der Wagner immer nur auf Englisch singt, aber auch ein deutschsprachiges Lied drauf hat: "Heute Nacht oder nie". Er sitzt erst mit seiner Managerin unwillig im Zug auf dem Weg zu einem Termin, erspäht dann auf dem Nachbargleis einen anderen Zug, der ins Tessin fährt, steigt kurzerhand dort ein und winkt der Managerin freundlich zu, als er davonbraust. Die Managerin ist einen Schnitt später so spurlos aus dem Film verschwunden ist, als habe es sie nie gegeben. Der Tenor ist zwei Schnitte später im Tessin.

Der Startenor möchte inkognito entspannen im von Litvaks stets einfallsreicher Regie folkloristisch und postkartentouristisch 1A aufgearbeiteten Tennis und tauscht dafür sogar mit einem freundlichen Trickbetrüger die Identität, aber er kann doch nicht aufhören, zu singen. Manisch fast singt er: "Heute Nacht oder nie", Wagner auf Italienisch, dann wieder "Heute Nacht oder nie". Bei jeder Gelegenheit. Gerade noch hat er sich als Assistent des Opernsängers vorgestellt, dann eilt er schon nach oben, in ein anderes Zimmer und beginnt, Opern zu singen. Auf die verdutzte Nachfrage der restlichen Gesellschaft meint er: Das war nicht ich, sondern eine Schallplatte des Sängers! Hört selbst! Und er geht gleich nochmals ins Nebenzimmer und tut, als wäre er eine Schallplatte, mitsamt Sprung.

Die Gesangsmanie ist ansteckend. Nicht nur er, auch alle um ihn herum sind besessen von Gesang. Von Gesang und von reproduziertem Gesang. Von dem Unterschied zwischen beidem. Von dem Zusammenhang zwischen Gesang und Identität, zwischen Gesang und dem Körper des Singenden (der sich im Akt des Singens entblößt, wie beim Zahnarzt, das hat Litvaks Montage gut erkannt). Oder sogar auch: Von dem Zusammenhang zwischen Zuhören und Identität. Magda Schneider baut hinter ihrem Vorhang eine Attrappe auf, die an ihrer Statt als Schattensilhouette zuhört, während sie sich selbst aus dem Haus schleicht. Nicht nur: Kann sich die Stimme von der Identität lösen? Sondern auch: Was macht die Stimme, ob nun original oder reproduziert, mit den Identitäten der Zuhörer? Als der Startenor dann endlich wieder auf der Bühne auftritt, soll er eigentlich ausgepfiffen werden von einer Gruppe Verschwörerinnen. Aber gebannt von der Stimme fallen den Frauen die Pfeifen aus der Hand.

Am Ende muss das Gericht über die Frage nach dem Zusammenhang von Gesang und Identität entscheiden. Aber ausgerechnet da dreht der vorher schon sich fröhlich jeder Laune und niemals irgendeiner Drehbuchstringenz unterwerfende Film endgültig frei. Der örtliche Chor wird vorgeladen, und außerdem eine ziemlich unfassbare Musiksachverständige, die nach eigener Aussage alles kann (zumindest einmal: Opern singen und einem Klavier Streicherklänge entlocken), das allseitig freudige Musizieren erwärmt dem vorher noch kleingeistigen Otto Wallburg und auch allen anderen sofort das Herz.

Thursday, March 03, 2016

Her Majesty, Love, William Dieterle, 1931

The dialogue is translated almost verbatim and not always in a smart way from the original, Paul May's IHRE MAJESTÄT, DIE LIEBE (which happens to be one of my favorite german films). Also, Dieterle repeats and sometimes even improves on a lot of May's sight gags. He even steals at least a few shots directly from the earlier film.

Still, Dieterle's version feels completely different. I'll never love this one half as much as the original, but it sure isn't "watered down" or something like that. In fact, it feels quite a bit more permissive than IHRE MAJESTÄT, thanks to both Marilyn Miller's sensual and natural acting (I actually prefer her to Käthy von Nagy... she should've been a huge star...) and Dieterle's maybe equally natural sleaziness, which is evident in most of his precode work and manifests itself in an obsession with his actresses legs, especially.

Also, it is a full half hour shorter despite only eliminating one small subplot and changing/shortening the ending (probably in order to not having to leave the studio). Everything's tied up quite a bit, and still nothing feels rushed - Dieterle's comic book style and First National's economic imperatives work (for the most part) in harmony.

For me, the most important change is the casting of W.C. Fields. His character and especially its showbiz background have a stronger presence in the plot than S.Z. Szakall's in the original, and his perfectly timed and just a little bit showy comedy routines (his proud display of his juggling mastery, especially) strongly alter the tone of the film, eliminating almost all remnances of ethnic humour and transforming it into a meticulously packaged piece of musical comedy.

Friday, April 11, 2014

Überhang

Guys and Dolls, Joseph L. Mankiewicz, 1955
The Raid 2: Berandal, Gareth Evans, 2014

Zufällig kurz hintereinander im Kino gesehen: Zweieinhalb Stunden hochreflexives 50s-Musicalkino, das Spektaktel komplett intellektuell gebunden, (fast) ohne jeden utopischen Überhang; und zweieinhalb Stunden indonesisches Knochenbrecherkino, das Spektakel komplett in den akkumulierten Schauwerten gebunden, (fast) ohne jeden mythopoetischen Überhang.

Bei Guys and Dolls habe ich mich irgendwann, so nach eineinhalb Stunden, gefragt, ob irgendwann einmal ein Stück Himmel gezeigt wurde, den ich übersehen hatte, und sei es nur ein gemalter. Erst im Anschluss an diese Frage ist mir ein wohl ziemlich zentrales Element der New-York-Kulisse aufgefallen: wo sie nicht komplett mit Zeug zugestellt ist, sich doch perspektivisch in die Tiefe öffnet, lösen sich die Häuserfronten selbst schnell auf, was bleibt, sind isoliert im Bild hängende Leuchtreklamen und Hinweisschilder, die jeden Gedanken an einen dem hustle der Welt entgegengesetzt ewig blau und unerreichbar leuchtenden Himmel verunmöglichen. Es gibt nichts als den hustle, in New York natürlich sowieso nicht, aber auch nicht in Kuba, wo die Männer ganz besonders aufdringlich den Frauen am Busen hängen.

In The Raid 2 ist die Welt ebenfalls vom hustle her gedacht. Allerdings ist dieser hustle bei Evans keine allumfassende Grundbewegung, kein flow, der der Welt vorgängig ist. Sondern eher ein Potential, das sich nur verwirklichen kann, wenn man nachhilft. Um den Film in Schwung zu bekommen, muss erst einmal ein Gangsterfilmplot in Gang gesetzt werden; vor allem aber müssen Räume definiert werden. Ausnahmslos alle sets sind auf ihre Brauchbarkeit für Prügelorgien hin entworfen, es muss immer schon mitbedacht werden, wie das alles blutverschmiert aussieht. Gleich die Gefängnisszene fast zu Beginn setzt Zeichen: Der Matsch, in dem die Sträflinge und Wächter kämpfen, hat eine sonderbar cremige Konsistenz, wirft tolle Falten, im Hintergrund wabert die rote Mauer. Überhaupt: wenn schon color grading, dann bitte so wie hier. Nicht nur Farben der Welt abziehen, sondern ihr auch wieder welche hinzufügen. Mit kräftigen Pinselstrichen. Das digitale Rot in Evans Film zumindest ist fast schon wieder bei der Technicolor-Fülle angekommen.

Wenig ist geblieben von der sozialen und materiellen Beengung des ersten Teils. Überhaupt ist wenig geblieben, natürlich abgesehen von den Prügelszenen (die schon sehr gut gemacht sind, denen der Film aber diesmal doch nicht immer genug zu trauen scheint, und sie deshalb gelegentlich mit Zeitlupen- und Großaufnahmenblödsinn unterfüttert). Nur in einer weiteren Hinsicht schließt der zweite Teil direkt an den ersten an: In beiden Filmen gibt es kurze Szenen, die Rama, den Protagonisten, mit seiner Frau zeigen, wie ihr, die ein Leben in ziemlicher Isolation zu führen scheint, verspricht: Nur noch einmal raus in die Schlacht, dann komme ich für immer zu Dir, nur noch ein wenig Geduld. Und in beiden Filmen bleibt die Frau dann im Folgenden das Unerreichbare Außen, das Andere der maskulinen Gewaltorgie. Im neuen Film gibt es mehrmals Andeutungen, dass der Gangsterfilmplot irgendwann auch diese Sphäre erreichen könnte (was narrativ äußerst naheliegend wäre), aber das passiert nie, es gibt nur immer weitere Unterscheidungen innerhalb der Männerwelt, die mit immer mehr Knochen- und Schädelbrüchen einhergehen. Zum emotionalen Anker (und zu einem wichtigen Grund dafür, dass mir dieser durchaus anstrengede Film am Ende doch gefallen hat) wurde die abwesende Frau für mich gerade aufgrund der absoluten Unerreichbarkeit des Glücksversprechens, für das sie einsteht.

Und warum hat mir Guys and Dolls gefallen (wenn auch lange nicht so sehr wie zB Cukors verwandter Les Girls)? Und zwar nicht nur als Akkumulation von "Brillanz auf allen Ebenen" (und vor allem auch: als Akkumulation toller Nebendarsteller, inbesondere Johnny Silver, der seinen Mund selbst beim Singen ganz großartig hardboiledmäßig verzieht)? Und auch nicht nur als intellektuelles Spiel der sich vervielfältigenden Lügen, die am Ende doch wieder eine Wahrheit ergeben, aber eben nur eine gefühlte, als filmische Ausformulierung der tollen Dialogzeile "fight fire with fire"? Wahrscheinlich doch vor allem wegen Frank Sinatra, dem Unterton der Resignation und Melancholie, die seine Präsenz dem gesamten Film beigibt (Brando ist da ein schwierigerer Fall: gegen seine Gesangskünste ist gar nicht so viel einzuwenden, mich stört an ihm in Guys and Dolls eher sein Vitalismus; am stärksten ist er in den intimen Szenen). Das Spiel, das der Film ist, kann nur aufgehen, wenn es Reaktion auf und Durcharbeitung von vorgängigen Niederlagen ist. Erst aus dieser Perspektive wird das Uneigentliche, auf dessen Seite sich der Film mit Haut und Haaren schlägt, als ein bewusst gewähltes Möglichkeitsfenster lesbar, in dem sich Freiheit artikuliert, am schönsten im besten Lied des Films: "Taking a chance on love".

Tuesday, November 08, 2011

in passing: Alfilm 2011

City of Life, Ali F. Mostafa, 2009

Ein network narrativ aus Dubai. Alexandra Maria Lara ist mit dabei, sie spielt eine bulgarische ehemalige Ballerina, die jetzt als Stewardess arbeitet und sich in einen abscheulichen Engländer verliebt. Ein indischer Taxifahrer sieht aus wie ein Bollywoodstar und will daraus ein Geschäftsmodell machen. Und ein Sohn steinreicher Eltern gerät mit seinem besten Freund in eine abenteuerliche Gangsterfamilie. Die Absicht, ein inklusives Panorama der verschiedenen Ethnien und sozialen Klassen Dubais zu zeichnen ist im fertigen Film zwar noch erkennbar; aber wenn man näher an der Bildebene bleibt, ist City of Life doch von Anfang bis Ende in Geld getränkt. Luxusgütermontagesequenzen sehen einfach besser aus als Kitchensinkmontagesequenzen und teure Autos machen auch beim Ineinanderkrachen mehr aus als billige (stimmt nicht), dazwischen Hochglanzarthauspicturebookshots der Skyline (mit dem höchsten Hochhaus der Welt etc). Das muss alles nicht gegen den Film sprechen, wenn City of Life vom angepeilten sozialen Panorama immer wieder ziemlich systematisch in Richtung Vogue und Sportwagen abgleitet, hat das vermutlich auch einigen diagnostischen Wert.

Ghazal al-banat / Flirtation of Girls, Anwar Wagdi, 1949

Eine charmante musical comedy um eine umworbene junge Frau und ihren Arabischlehrer. Komödien sind immer kulturspezifischer als andere Filmgenres und hier geht es im ersten Filmabschnitt auch noch direkt um Sprache, die Untertitel sind da vermutlich noch hilfloser als sie es ohnehin zwangsläufig sein müssen. Vielleicht ist der Film, wenn man ihn mit mehr kulturellem und sprachlichen Wissen sieht denn auch stringenter, als ich ihn wahrgenommen habe. Mir kam er wie eine sehr locker gestrickte Nummernrevue vor: ausgedehnte comedy-Routinen, die man so ähnlich, gerade in ihrer "freizügigen Verklemmtheit", auch in amerikanischen Klamotten finden könnte (der platonische Freund, der sich gleichwohl unter der Bettdecke verstecken muss usw), unterbrochen von nur lose mit der ohnehin eher nachlässig skizzierten Handlung zusammenhängenden Liedern. Die Musikeinlagen sind sehr schön; sie sind nur sparsam choreografiert, bestehen hauptsächlich aus Großaufnahmen der singenden Stars, kein überbordendes Spektakel wie im indischen Kino (wo die Liebe scheinbar immer gleich der ganzen Stadt mitgeteilt werden muss), sondern eher intime Gefühlsexpressionen (oft in Form von Duetten / Dialogen).

Wednesday, May 04, 2011

Step Up 3D, Jon Chu, 2010

"You're a filmmaker!" sagt Natali zu Luke, als sie sieht, wie der an seinem Laptop Tanzvideoclips mithilfe stylischer Videoschnittechnik ineinander schraubt. Und natürlich hat sie recht. Jon Chu (Step Up 2: The Streets, Step Up 3D, Justin Bieber: Never Say Never) ist ein "filmmaker", warum also soll nicht auch der "Tänzer" Luke einer werden. Ein wenig später gelingt ihr der endgültige Beweis: Ein Flyer des UCLA-Filmprogramms ziert ein schicker Jungregisseur mit Kamera im Anschlag. "Look at that, he looks almost like You!". Damit ist alles klar; Luke verlässt die drecken Straßen New Yorks und bricht am Ende des Films auf in Richtung LA, wird filmmaker. Because they all look alike, anyway.
Dass die Karriereplanung durch die Ähnlichkeit mit einem Werbefoto determiniert und dann nicht mehr hinterfragbar ist, passt sehr gut in diesen Film. Die zweite Hauptfigur neben Luke ist ein College-Freshman namens, auch das denke ich mir nicht aus: Moose. Moose ist auf der Welt, um ihre bunteren Betandteile awesome zu finden, er gerät auf dem ersten Gang über das Campus in ein dance battle (awesome) und bleibt darin einen Film lang stecken. Die Jugendfreundin, die er darüber vernachlässigt, kann ihm dies schon deshalb nicht übel nehmen, weil selbst sie erkennen kann, dass da keine Innerlichkeit ist, die es zu teilen gäbe.
Gesehen habe ich den Film als 3D-Blu-Ray. In diesem Modus wird der Film endgültig zum antihumanistischen Pamphlet. Die "Tanzszenen" möchte man so schon nicht mehr wirklich nennen, es sind halt choreografierte Bewegungen im Raum, aber bereits zu der Musik, die ihr unterlegt ist, haben sie nicht das geringste Verhältnis, schon gar nicht zu irgendeiner Idee von innerem Ausdruck, körperlicher Kommunikation oder Erotik. Die 3D Technik wird auf den Körper losgelassen und entmenschlicht ihn, absurd lange Gliedmaße recken sich Richtung Kamera und Zuschauer, Köpfe bouncen vom Körper weg, aus dem Fernseher heraus. Eher unbeholfen wirkt zwischendurch eine Hommage ans klassische Musical (genauer gesagt: an die Müllkorbdeckelnummer aus It's Always Fair Weather), viel wohler fühlt sich der Film bei seinen underground street battles; da beobachtet er eine Spezies, die ganz eine des Kinos ist.
Es lohnt sich doch immer wieder, ganz tief ins postmoderne Popkino hinein zu gehen, dahin, wo sich hinter den smarten, opportunistischen Hippster- und Nerdfilmen wieder naive Autorenpositionen formulieren (siehe auch: Resident Evil: Afterlife und Ninja Assassin). Jon Chu wird man im Auge behalten müssen, der Mann weiß, was er will und er findet sogar Raum für eine "filmtheoretische" Szene, in der er seinen Begriff von Kino vergegenständlicht. Ein romantisches Date auf einem Hausdach mit Blick über den East River auf New York. Beide stehen über einem Schacht, der heiße Luft nach oben bläst. Sie haben jeweils ein farbstoffgesättigtes Zuckergetränk in der hand und lassen die Flüssigkeit in die Höhe entschwinden. Da fließt dann pure Farbe aus Strohalmen, verharrt ein paar Augenblicke in der Schwebe und schwirrt dann in Richtung Himmel. Moose findet's awesome (oder war es Luke? Aber das ist nun wirklich völlig egal).

Wednesday, June 28, 2006

Dong / The Hole, Tsai Ming-liang, 1998

Das unglaublich schöne, in charmantester Weise campige Musical The Hole ist die logische Weiterentwicklung Tsai Ming-liangs vorheriger Filme. Waren Wasser und andere Flüssigkeiten in Vive L'Amour noch sparsam und gezielt eingesetzt, dass eine allegorisch bzw. symbolische Lesart möglich schien - obwohl eine genaue Analyse wohl bereits hier die Schwierigkeiten eines solchen Ansatzes offenlegen würde - zeigte bereits The River, dass Tsais Wasserobsession mit Formeln wie "bedeutet" oder "steht für" nicht mehr beizukommen sein wird; Zu deutlich rückt das flüssige Element in den Mittelpunkt aller Beziehungen und der filmischen Mise-en-scene. The Hole schließlich macht endgültig alles nass. Bereits anfangs regnet es immer und überall, das Wasser denkt gar nicht daran, vor Wänden oder Decken halt zu machen, dringt in jede Pore des Hauses, in dem die beiden Hauptfiguren ihre absonderliche Beziehung pflegen und alsbald auch in jeden Bildkader. Das Wasser erobert immer mehr Raum, dringt schließlich auch in die zuerst hermetisch von der Handlung abgeriegelten - und deshalb trockenen - Musicalsequenzen und erobert innerhalb der Diegese Zimmer um Zimmer.
Keine Allegorien, keine Metaphern, sondern Funktionen. Kuei Mei-yang sitzt auf der Toilette und fängt gleichzeitig in einer Wanne, die sie über ihrem Kopf festhält, das Wasser, welches durch die Decke tropft. Kang Sheng-lee erweitert das Loch zwischen seiner und Kueis Wohnung mithilfe iner Konstruktion, die einem Buster Keaton Film entsprungen zu sein scheint. Wundersame Transaktionen zwischen Flüssigkeiten, Körpern und Löchern allenthalben. Symbole braucht hier wirklich keiner mehr.
Stattdessen verwandelt sich das gesamte Arrangement im Laufe der Zeit in eine Art abstrakten Porno. Die meisten der Filme Tsai Ming-liangs finden ihren Höhepunkt in einer Sexszene. The Hole ist ein einziger Geschlechtsakt. Das einzige, was man daran aussetzen kann, ist, dass die Frau die ganze Zeit unten liegt. 95 Minuten Missionarstellung. Ganz am Ende wird jedoch auch für dieses Problem eine Lösung gefunden.

Monday, October 31, 2005

Tommy, Ken Russell, 1975

Ein 111minütiges Musikvideo zu drehen, das im großen und ganzen über die ganze Zeit funktioniert ist sicher nicht einfach aber Russell schafft dies mühelos. Entstanden ist das Ganze 1975, also einige Jahre vor Mtv, was auch zeigt, dass die Beziehung zwischen Musikfernsehen und Kino keine so einseitige war, wie oft behauptet wird. Zumindest Russell hatte es nicht nötig, sich bei irgendwelchen Clipregisseuren etwas abzuschauen, im Gegenteil, im Vergleich zu Tommy wirkt fast das gesamte Mtviva selbst heute noch bieder, ganz zu schweigen von den hölzernen Anfängen.
Dass der Film trotzdem nicht der ganz große Wurf geworden ist, liegt vor allem an der musikalischen Vorlage. Letzten Ende ist The Whos Tommy doch nicht mehr als nur ein weiteres überambitioniertes Konzeptalbum und der Entwicklungsroman, den es erzählt, nicht nur naiv sondern oft einfach blöd. Auch Russells Umsetzung kann nicht immer überzeugen, einige Szenen nerven aufgrund ihrer schlechten Komposition und vor allem ihrer Penetranz (vor allem Marilyn mit Davidsstern). Seltsam ist auch, dass der Regisseur sich gerade in dem Film, in welchem er ganz und gar freie Bahn hatte, auf der Bildebene fast vollständig von narrativen Zwängen befreit seine Visionen zu verwirklichen, in Zurückhaltung übt, was transgressive Bildinhalte angeht. Etwas mehr Russell-Ikonographie und etwas weniger camp Mise en Scene hätte dem Werk sicherlich gut getan.
Dennoch natürlich wunderbar. Überhaupt versöhnt mich die kleine Russell Reihe im Lichtblick derzeit wieder etwas mit dem Kino, welches mir in letzter Zeit mit viel halbgares (Dear Wendy) oder schlichtweg enttäuschendes (A History of Violence) präsentierte (von so manchem Scheiss, den ich mir aus semiprofessionellen Gründen ansehe, ganz zu schweigen).