Friday, October 25, 2013

Der subjektive Faktor, Helke Sander, 1981

Eine fast zweieinhalbstündige Bewegung durch linke, bundesdeutsche, westberliner Befindlichkeiten, SDS-interne Grabenkämpfe, gender politics. Mäandernd ist die Bewegung, ohne klare Agenda, gezeichnet von Brüchen, wechselnden Koalitionen, und doch nicht ohne innere, stets auf explizite und implizite Sexismuserfahrungen perspektivierte Konsequenz. Ein eindrücklicher, berührender Film über beengte Freiheit. (Ich kannte von Sander vorher nur die früheren, kürzeren, im engeren Sinne agitatorischen Filme Brecht die Macht der Manipulateure und Eine Prämie für Irene; tolle Dokumente ihrer Zeit, aber in ihren didaktischen Schließungen doch weit entfernt von der flüssigen Offenheit von Der subjektive Faktor. Schon die Sprache in dem späteren Film ist ganz anders, viel schöner, hat ein Ohr und viel Liebe für persönliche Eigenheiten des Sprechens, für Verschleppungen und Unsicherheiten, auch für Dialekte.)

Fast zur Gänze spielt der Film in einer Berliner Altbauwohnung; lange, tastende, halbsubjektive, ungeschittene Bewegungen durch die Räume, eine Kamera, die sich oft, aber nicht systematisch von den Figuren löst, teilautonom wird. Mehrmals gibt es Szenen, in denen die Wohnung renoviert wird, ein beständiger Neuanfang, keine Stabilitäten. Ich vermute, dass tatsächlich in jener Wohnung gedreht wurde, in der sich viele der nachgestellten Situationen (gedreht wurde 1980, Zeit der Handlung ist ungefähr 1967 bis 1970) zugetragen haben. Eng gebunden scheint mir der Film an die Erinnerung an, beziehungsweise vielleicht die fortgesetzte Präsenz, die "gelebte Historisierung" einzelne(r) Bestandteile dieser Wohnung: der Küchentisch, der ein wenig düstere Flur, der kleine Verschlag am Ende des Flurs über einer Tür. Auch: einzelne Poster, Parolen, Mahlzeiten, Begegnungen - vor allem die eine Begegnung in der Küche: die beiden Frauen die sich in der Küche begegnen, während nebenan die Revolution ohne sie geplant wird, die Großaufnahmen (in einem sonst fast großaufnahmelosen Film), in denen sie sich gegenüber treten.

Der Film besteht aus zwei Elementen: Die neu und in Farbe, auf 16mm gedrehten Szenen, die eben fast zur Gänze im Innern derselben Wohnung (oder zumindest sehr ähnlicher Wohnungen) spielen (es gibt eine Einstellung, die aussieht, als wäre sie vom Balkon oder dem Fenster der Wohnung aus gefilmt worden, in der sich zwei Frauen unterhaken und ein Lied singend die Straße entlang springen; am Ende gibt es eine Friedhofsszene, aber das Ende ist eh ein Rätsel für sich); und Archivmaterial aus der Zeit selbst, in schwarz-weiß: Bilder von Demos, Protestaktionen, Berliner Straßen. Es gibt Scharniere zwischen beiden Elementen (das zentrale vermutlich eine Rede, die Sander selbst 1968 auf einer SDS-Veranstaltung gehalten hat), aber sie bleiben sich doch gegenseitig fremd, gehen nicht ineinander auf. Der subjektive Faktor sträubt sich gegen den objektiven, dokumentarischen Blick. Deren vermeintliche Souveränität, aber auch zum Beispiel das Deklamatorische der Reden, die auf diesen Demos gehalten wurden, kollidiert mit der Intimität der Spielszenen, dem leise gesprochenen Voice Over, der Kamerabewegung, die sich an die Maße der menschlichen Alltagswahrnehmung hält; mit einem subjektiven Faktor, der weit weniger schematisch gedacht ist, als man bei einer solch scharfen binären Opposition vielleicht vermuten könnte.

Toll ist, dass der Film bei aller eingestandenen Subjektivität, bei aller Nähe zum Autobiografischen und zur eigenen Erinnerung, nichts Denunziatorisches, nichts von einer persönlichen Abrechnung hat. Wozu auch, der Sexismus, der große Teile des SDS geprägt haben muss, tritt in einer der dokumentarischen Szenen, die Antworten auf die Forderungen der Frauen zeigen, ganz unverstellt hervor, als eine Selbstverständlichkeit, gegen die es erst einmal ein Problembewusststein zu etablieren galt. In den Spielszenen hat man den Eindruck eines beständigen Driften des Personals, der Männer wie der Frauen, mit der Hauptfigur Anni als einziger Konstante (allerdings ist Anni eben nicht der "Anker im Bild", um den herum alles andere organisiert wird, man hat den Eindruck, dass sie selbst einerseits ständig um ihren Platz im eigenen Film kämpfen muss, andererseits aber auch neugierig auf ihre Umgebung ist und schon deshalb den Blick freigibt). Was es vor allem nicht gibt sind herausgearbeitete Gegenspieler, die dann, sozusagen pars pro toto, besiegt werden müssen; es gibt zwar in der WG / Kommune schon einige eher unangenehme Typen, die immer wieder auftauchen und sich ungebührlich ausbreiten, aber auch das sind Männer, mit denen die Frauen gleichzeitig immer zusammenleben müssen, mit denen sie manchmal auch schlafen ("in jedem Mann auch den Liebhaber sehen" müssen; davon spricht der Voice Over glaube ich einmal, ich weiß nicht mehr genau, in welchem Zusammenhang). Wenn sich etwas ändert, dann aufgrund der Akkumulation von Alltag (auf engem Raum) und aufgrund der vielen kleinen Erkenntnisse, die dabei abfallen.

(Es gibt, eher in politischer denn in ästhetischer Hinsicht, ein paar Sachen, die mich gestört haben an dem Film: Einmal das allzu schelle in-eins-Setzen von Frau-sein und Mutter-sein - das scheint sich durch Sanders Filme, vor allem durch einige der späteren, die ich noch nicht kenne, zu ziehen. Dann auch einen antitheoretischen Affekt, der an manchen Stellen über den berechtigten Zorn über die ihrerseits gedankenlose Besserwisserei und Marx-Zitiererei der Männer hinaus zu gehen scheint, der wenig Raum lässt für Abstraktion, Abstandnahme.)

Was auch toll ist an dem Film: Dass er Figuren zulässt, die sich von den zentralen Konflikten schon deshalb absentieren, weil ihnen die Souveränität fehlt, die nötig ist, um im Feld des Politischen zu reüssieren, weil sie erst recht quer stehen zu den disziplinarischen, lustfeindlichen Tendenzen der organisierten Linken. Besonders nahe gegangen ist mir "Jango", ein (ich glaube familienloser) Herumtreiber, der sich eine Weile in der Kommune der Frauen einquartiert, die sich zwar gelegentlich über ihn lustig machen, ihn aber bedingungslos zulassen. Viele andere Rückzugsorte wären ihm vermutlich nicht zur Verfügung gestanden in der Welt, die in Der subjektive Faktor draußen vor den Fenstern ihren Lauf nimmt.

Thursday, October 24, 2013

Haut bas fragile, Jacques Rivette, 1995

Ekkehard Knörer hatte in seiner Einführung brilliant ausgeführt und aufgefaltet, was für eine Freude man an dem Film haben kann, wenn man das Spiel Rivettes mitspielt. Ich habe dann leider zumeist nur die Frustration zu spüren bekommen, die sich einstellt, wenn man das Spiel nicht mitspielen möchte, weil einem der Spielleiter von Anfang an suspekt ist und irgendwann regelrecht unsympathisch wird.

Das kann einem erst einmal bei jedem Film passieren. Das besondere an Haut bas fragile scheint mir aber, dass der Film auf eine recht totalitäre Art ganz und gar ein Spiel ist. Oder vielleicht eher: dass er behauptet, ganz und gar Spiel zu sein und deshalb kein rechtes Verhältnis zu dem Außen des Spiels findet. (Es steckt in meinem Unbehagen vermutlich auch eine Vorannahme, die manche wohl nicht teilen werden: dass ein Film, durchaus auch ein wenig qua Technik, nie ganz und gar ein Spiel und als solches unter der Kontrolle des Regisseurs sein kann, dass das Interessante am Kino oft genug genau das ist, was über das Spiel hinaus reicht, beziehungweise das, was vom Spiel nebenbei mitbezeichnet wird.)

Mein Unbehagen kristallisierte sich gerade an jenen Szenen, die vielen anderen Zuschauern im Arsenal (meiner Wahrnehmung nach) besonders gut gefallen zu haben scheinen: die Momente, in denen die Schauspieler aus heiterem Himmel (bzw nicht ganz aus heiterem Himmel; Ekkehard hatte darauf hingewiesen, dass alle Bewegungen im Film etwas Tänzerisches haben) in song-and-dance-Routinen verfallen. Der Wechsel vollzieht sich ansatzlos, oft aus einer einzigen Bewegung heraus, technisch ist das natürlich beeindruckend. Ich habe mich allerdings gefragt, was diese Musicalnummern dem Film hinzufügen (spektakuläre Attraktionen eigenen Rechts? Klar, schon irgendwie, aber eigentlich sind sie dafür wieder zu gehemmt), was genau sie mit den Figuren anstellen (da es offensichtlich nicht darum geht, im geläufigen Sinne etwas zu artikulieren, anzustreben, zu begehren). Ich glaube, das einzige, was sie mit ihnen anstellen, ist, dass sich Nathalie Richard (unerträglich Schmetterlingsgleich in diesem Film; sie alleine erklärt vermutlich schon den Löwenanteil meiner Aversion), Marianne Denicourt und die anderen noch ein wenig perfekter, noch ein wenig eleganter bewegen, zueinander, für sich selbst, zur Kamera. Die Musicalnummern sind nichts anderes als Steigerung von Brillianz,  fast schon streberhafte Ausstellung von Könnerschaft und in letzter Instanz vor allem der Nachweis, dass die Spielteilnehmer dass Spiel beherrschen.

Die Geheimgesellschaft, die sich irgendwann einmal im Film formiert und ein mysteriöses Kartenspiel ausagiert, steht nicht nur insofern metonymisch für den Film, weil sie jene Logik eines Spiels, das sich selbst seine Regeln setzt, szenisch nachstellt, die Ekkehard in seiner Einführung entworfen hatte; sondern auch, weil sie die Frage nach der Zulassung zum Spiel ausklammert / gar nicht erst zulässt. M. legte mir nach dem Film nahe, dass mein Problem mit dem Film damit zu tun haben könnte, dass Rivette zwei Verträge schließt: zum einen einen Vertrag mit den Hauptdarstellern, den Teilnehmern an seinem Spiel, das eigentlich eher auf eine Performance heraus will, als auf eine Geschichte - und diesen Hauptdarstellern lässt er dann auch große, tatsächlich im Falle Richards viel zu große Freiheiten. Zum anderen ist Haut bas fragile dann eben doch Erzählkino, schließt als solches einen zweiten, narrativen Vertrag, der nicht zuletzt dafür sorgt, dass eine ganze Reihe von Nebenfiguren gewissermaßen im Regen stehen gelassen werden; dass zum Beispiel die Würstchenverkäuferin nie mittanzen werden darf, ist von Anfang an klar. Nun wäre ein sozialdemokratisch durchproporzionalisiertes Kino natürlich erst recht langweilig. Aber mir scheint doch, dass es Formen von Erzählkino gibt, die jene Ausschließungen, die das Erzählen von Geschichten stets mit sich bringt, reflektieren oder jedenfalls auf ihre Vorbedingungen hin durchsichtig machen. Haut bas fragile macht sie maximal undurchsichtig und ist auch noch stolz darauf.

Zuletzt zum Spiel selbst. Dass es in Rivettes Filmen keine Individuen im starken Sinne mehr gibt, keinen Subjektkern, deshalb auch keine Sicherheiten; dass es statt dessen nur noch Selbstperformanz gibt, Fabulierung, Wahlverwandtschaften: All das finde ich prinzipiell ja auch super (ob sich meine Abneigung auch auf jene Rivette-Filme erstreckt, die ich früher geliebt habe, muss ich irgendwann einmal überprüfen - momentan habe ich wenig Lust, mich dieser hermetischen Welt noch einmal auszusetzen). Was mich aber an den Figuren in Haut bas fragile stört, ist, dass sie diese ihre Situation, dieses Fehlen von Sicherheiten, Traditionen, Ankern so uneingeschränkt meistern; dass sie sich von Anfang an ganz unbedingt und ausgestellt wohl fühlen im Spiel (auch dann, wenn der Spielleiter zB Liebeskummer vorschreibt; dann haben sie eben auf besonders kunstvoll elegische Art und Weise Liebeskummer), dass sie sich dann immer wohler fühlen, bis sie eben irgendwann anfangen zu tanzen. Ich habe die letzten Jahre viele Sitcoms gesehen; in einigen der besten dieser Serien - Seinfeld, Cheers, Frasier, Wings - geht es um sehr ähnliche Konzepte von Selbstperformanz und fortgesetzter spielerischer Neuerfindung von Identitäten. Der zentrale Unterschied besteht für mich darin, dass für Sitcomfiguren diese Freiheiten und Offenheiten nicht nur Lust, sondern auch Last sind. Ein Spiel, das den Spielenden nicht auch manchmal zum Hals heraus hängt, ist mir verdächtig. Und die ideale Antwort auf die risiko- (und natürlich auch körper-)losen, neoaristokratischen Geplänkel (vielleicht kein Zufall, dass Rivette oft in Schlössern und Burgen gefilmt hat) von Haut bas fragile wäre die Seinfeld-Episode "The Comeback", in der George sich einem Sprachspiel mit Haut und Haaren verschreibt - und ihm gleichzeitig zum Opfer fällt.

Friday, October 18, 2013

Fussballmanager (Erinnerte Computerspiele 3)

Zu den Spielen, die ich am intensivsten gespielt habe, gehören mindestens zwei Fußball-Managersimulationen: Bundesliga Manager Hattrick (BMH) und Anstoss 2 (oder 1, da bin ich mir nicht mehr sicher; ich weiß nur noch, dass ich Teil 3 dann schon fürchterlich fand). BMH hatte mich schon wegen des Menüaufbaus begeistert: lauter kleine Quadrate, die man frei auf dem Bildschirm verteilen konnte, und das Ganze sollte dann ein Büro darstellen.

Besonders seltsam an den Spielen (die man ansonsten sehr schnell durchschauen und "beherrschen" konnte) sind im Rückblick die "Spielszenen". In den beiden Versionen, die ich am häufigsten gespielt habe, waren diese noch nicht in Echtzeit berechnet (was mich bei ein, zwei späteren, kurzen Begegnungen mit dem Genre schwer irritierte), sondern bestehen vor allem aus einer abstrakten Stadiongrafik, einer Uhr, die die Minuten herunterzählt und vorberechneten "cut scenes", die Chancen, Tore, schwere Fouls und Ähnliches zeigen. In Anstoss (dem ohnehin schon unsympatischeren, weil ironieverseuchteren der beiden Spiele) wurden diese Szenen von einem bedauernswerten Sportreporter kommentiert, was erst recht die Unterlegenheit der damaligen Technik gegenüber ihrem offensichtlichen Vorbild, der Fernsehübertragung, herausstellte.

Mir scheint, dass diese Spielszenen einen ganz eigenen Bildtyp darstellen: Einerseits waren sie Produkt meiner Arbeit, meiner Einkaufs- und Trainingsstrategie, meiner taktischen Anweisungen (In Anstoss konnte man jeden einzelnen Spieler millimetergenau auf einem schematischen Spielfeld platzieren), andererseits wurde mir die Kontrolle mit Anpfiff weitgehend entzogen. Man kann (was mir immer inkonsequent vorkam) zwar Auswechslungen und Taktikänderungen vornehmen, bleibt aber doch hilflos den Algorithmen ausgeliefert. Und ein Sklave der Wiederholung: Es gibt eine begrenzte Anzahl von Szenen, die man schon nach fünf, sechs Spielen in- und auswendig kennt; in manche sind, zumindest in Anstoss, regelrechte Suspense-Techniken eingebaut: Zweimal wird die absolut, pixelgenau identische Flanke in den Strafraum geschlagen, der anschließende Kopfball trifft bei der ersten das Tor, ein anderes Mal nicht. Die paar Dutzend Animationen aus Bundesliga Manager Hattrick dürften tatsächlich die Bewegungsbilder sein, die ich in meinem Leben am häufigsten gesehen habe.

Monday, October 14, 2013

Hofbauerkongress #11: ratings

***** Barbara - Wild wie das Meer, Frank Wisbar, 1961
***** Roulette d'Amour / Baron Pornos nächtliche Freuden, Frits Fronz, 1969
***** Eugenie (Historia de una perversion) / Lolita am Scheideweg, Jess Franco, 1980
***** Where the Boys Are, Henry Levin, 1960

Jede Nacht schlafen die Mädchen, jede Nacht schlafen mehr Mädchen in dem kleinen Motelzimmer in Fort Lauderdale, immer dichter aneinander gedrängt; da, wo in den Semesterferien die Jungs sind (sehnsüchtige Blicke aus dem Fenster, immer wieder; sie gelten nicht nur einfach dem anderen Geschlecht, eher einem anderen Leben). In das Zimmer kommen sie allerdings nicht rein, die Jungs, sie bleiben draußen, am Strand, in der "Bierschwemme"; die Mädchen und der Film beobachten sie wie wilde Tiere in ihrem natürlichen Habitat: Manche spielen philosophischen Jazz und springen in Aquarien, andere fahren mit allzu gediegen eingerichteten Motorbooten vor der Küste auf und ab, wieder andere schmieden finstere Pläne. Und wenn den erotischen Anbandlungen auch zumeist noch rechtzeitig eine altmodische Spielfilmhandlung in die Quere kommt: Nichts als die pure Neugier auf diesen Ort wo die Jungs sind treibt den Film an, von der ersten bis zur letzten Minute.

**** Kinjirareta tekunikku / Unersättliche Triebe, Kan Mukai, 1966

Eine kleine Welt: Der Boxring, ein paar Schlafzimmer, ein paar Frauengesichter, das eine bringt für ein paar kurze Momente Glück, die anderen von Anfang bis Ende nur Pech. Ein Leben eingesperrt in klaustrophobischen Rückblenden. Beengend.

**** I Lived As Eve, Zygmunt Sulistrowski, 1963

Kein zweiter Tanja, aber auch Sulistrowski ist ein Mann mit einer Mission. Die albern keusche Fleischbeschau ist Vorwand für poetische Eigeninteressen; diesmal ethnografischer Natur. Das zeigt schon der recht ausführliche Kulturfilm über südamerikanische Indianer, der den nordamerikanischen Nudisten vorgeführt wird (und wohl aus einem anderen Projekt stammen muss). Erst recht zeigen das die Gegenschnitte während der Vorführung auf die Nudisten; die Frage, die dieser Schnitt sich stellt: was bedeutet, was impliziert Nacktheit?

Der Film gibt sich dann ziemlich viel Mühe, um die Nudisten dahin zu bekommen, wo er sie haben will: auf eine südamerikanische Insel, auf der sie leben sollen "wie die Wilden"; nur wenn sie beweisen können, dass sie sich auf die wilde Nacktheit verstehen, wird ihnen die nicht mehr wilde Nudisten-Nacktheit auf Dauer gewährt werden.

Ein komplexes, gewisse reality-tv-Formate vorwegnehmendes Regelwerk, zwei verschiedene Voice Over. Auf der Insel kollabiert die vorher in der Montage aufgerufene Differenz zwischen Wildheit und Zivilisation endgültig. Es geht nicht darum, sich in den Naturzustand zurückfallen zu lassen. Im Gegenteil: "Wie müssen aufpassen, dass wir nicht gegenseitig unsere Gefühle verletzen" sagt der Voice-Over. Zum Beispiel darf man sich nicht zu sehr über den einen Nudisten lustig machen, dem wirklich gar nichts gelingen will: Die Hütte, die er baut, stürzt ein, seine Fischfangversuche scheitern kläglich, nicht einmal den improvisierten Kalender führ er ordentlich. Bezeichnend für die dem Film inhärente Zärtlichkeit ist ein Kommentar wie nebenbei, zu einer Einstellung, die, wenn ich mich richtig erinnere, zwei sich aneinander schmiegende Vögel zeigt: "Schaut her", heißt es da, "so sorgsam gehen die Tiere miteinander um, so sorgsam müssen auch wir uns zur Natur verhalten." Fische werden zwar weiterhin getötet, aber die Ziege, die gegen Ende auftaucht, wird umsorgt wie das Erstgeborene einer Adelsfamilie.

*** Venusberg, Rolf Thiele, 1963

Schön an diesem Film, der sich für meinen Geschmack auf die Dauer seiner Schönheit etwas zu bewusst war (meine Müdigkeit tat dann ihr Übriges),  war insbesondere der Anfang: Die Frau, die aus dem U-Bahn-Schacht / aus der Körnung des Filmmaterials zu uns emporstieg, noch bevor sich der Vorhang ganz beiseite geschoben hatte.

*** Der Todesschrei des gelben Panthers, Joe Velasco, 1973
*** Das liebestolle Internat, Jürgen Enz, 1982
*** Menschen von Morgen, Kees Brusse, 1965
** Les avaleuses, Jess Franco, 1973
* Sonne, Meer und nackte Menschen, Alexander Swiagenin, 1964
* Business with Pleasure, Vernon Whitten, 1960
* Die Sexspelunke von Bangkok, Erwin C. Dietrich, 1974

Friday, October 04, 2013

No Turning Back (American Eighties 33)

Talk on Hollywood Eighties Cinema, 02.10., Cinemateque Luxembourg. Thanks again, Marc Scheffen... and of course, Nikolaus Perneczky, who I hope will find himself in some of the following!

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Good evening and thank you very much for the invitation.

I’ll beginn with a short warning: I will not, today, talk about the film you are about to see afterwards, Bruce Beresford’s Tender Mercies, but I’ll rather concentrate on some other films, that will be shown over the next few months.

But first, some general remarks about my interest in the 1980s. The project that finally became the film series “The Real Eighties” at Austrian film museum, and which has afterwards, in turn, inspired other film series in Zurich, Berlin, and now, of course, Luxembourg, must have started about four or five years ago. I don’t remember exactly, what brought up our idea to revisit - or maybe rather: to really discover for the first time - the Hollywood cinema of the 1980s. If my memory serves me right, one of the first revelations was a comedy film produced by John Hughes, rediscovered by my colleague Nikolaus Perneczky: Some Kind of Wonderful, a coming of age film and a love story driven by class consciousness. Suddenly, we found, in the very middle of pop cinema, a fascinating kernel of social realism. Some Kind of Wonderful isn’t part of the series playing here… but I think, that its opening segment nevertheless is a perfect start for this short journey through some of the decade’s most interesting films.


Mary Stuart Masterson on the Drums, Eric Stolz on the wrong side of the tracks, walking almost head-on into a moving train on the way towards a social and erotic fantasy he will ultimately reject. When seeing this intro and the film that followed it, we started to realise something that now, several years and about 500 films from the American Eighties later, feels like an almost banal truism to us: that the dynamics and vitality evident in so much Eighties Hollywood Cinema isn’t just surface glittering, or capital talking to itself; on the contrary, it is on the one hand deeply connected with the tradition of american genre cinema - in this case both the romantic comedy and the coming of age film, and on the other hand, it must be seen as a working through of the social tensions of the USA in the Reagan era.

Nikolaus Perneczky and I, the two main curators of the viennese series, are part of a group of Berlin based curators. With this group, we had previously worked on several film series concerned with political cinema, especially from non-western countries. But this is not the only reason why the American Eighties took us by surprise. The main reason may be a generational one. Both Nikolaus und I were born in the 1980s - but we are not really “children of the eighties”: we were a few years too young to really experience firsthand the popular culture - and especially the cinema - of the decade. When we discovered cinema and film history in the 1990s (or, in my case, for the most part even later), Hollywood cinema of the 1980s wasn’t exactly terra incognita for us; but it never became a prime focus for our cinephilia: of course, we knew there were some interesting directors like John Carpenter, Walter Hill, there were Blade Runner and Blue Velvet; but besides that? We always suspected, that there had to be more to it than just a huge wasteland of Spielbergian blockbusters... But it wasn’t really the first place to look for unknown pleasures. We were always much more fascinated with the films of New Hollywood, or with the classical Genre cinema, of the 30ies, 40ies and 50ies, or with the Underground and Independent film movements. And that’s just american cinema…

Once again: this is not to say, that the Hollywood Cinema of the Eighties is some kind of unknown wonderland no one has ever heard of. On the contrary: the problem might be, that many people think that there has been already everything said about this decade. The dominant cinephile history, that many people might still take for granted, goes like this: the late sixties and early seventies were a period of bliss for american cinema, were filmmakers enjoyed an unparalleled degree of freedom to break away from narrative and formal traditions in order to experiment with more personal ways of filmmaking. Already in the late seventies and with full force in the Eighties, the Empire stroke back, with the Hollywood Industry establishing a new paradigm of blockbuster filmmaking that destroyed or marginalised to the point of invisibility everything that stood in its way. For some critics, this development mirrored the social change in the era of the so-called reagonomics, which replaced the somewhat social-democratic policies of the New Deal with a stronger emphasis on the free market and resulted in the destruction of large parts of the public infrastructure.

While this line of arguing might not be completely wrong, it is certainly not sufficent when thinking about film history and its complex relationship with political history and social change. Here’s neither the time nor the place to try to esablish a fully fledged defense of American Eighties cinema - anyways, the best possible defense is the rediscovery of the films themselves; which is the main aim of the program here at the Cinemateque that you are invited to follow over the next few months. Here I want to focus on iconic scenes from three of these upcoming movies and on some thoughts on the topic of outsiderness.

But first, let me get back once more to a moment from the opening of Some Kind of Wonderful: When the train passes Eric Stoltz, there’s a moment when he, and with him the camera, turns back towards the leaving machine. A short, almost invisible window of opportunity is opening up: Eric’s charakter might just jump on the train and leave his rather miserable existence as a working-class misfit in a snobbish middle-to-upper-class environment. One might even imagine, that he would have done just that, if he had lived a few decades earlier: leave everything behind, go out into the world, start afresh. But this is no longer possible in the cinema of the 1980s. The cinema of the 1980s that we discovered while working on this project is a cinema of outsiders in a world without an outside.

So let’s move on to another outsider: Kurt Russel as Snake Plissken in John Carpenter’s science fiction classic Escape from New York.

[my clip was much longer...]

In this scene, Snake Plissken flies his plane not out of, but into New York. He has some 21 hours time to find the president who has been abducted by radicals; otherwise both he and probably the whole world will cease to exist.

Escape from New York shows, how uncompromising and bleak commercial cinema could look like in the early 1980s. The New York Carpenter envisions is an urban wasteland, populated by outcasts and gangsters, most of them easily recognizable as perverted remnants of the social movements of earlier decades: badly aged hippies, paranoid radicals, a Black Power movement that has turned into a fascist organisation. Carpenter’s New York is also a prison, walled in but not yet completely controlled by mainstream society. Utopia has, over the course of a few short years, turned into nightmare. Plissken embodies the new type of hero this new world order demands: cynical, self-sufficent, pragmatic. Isolated and iluminated he descents on this garish city from above, guided by the electronic imaging techniques which became ubiquitous in the 1980s. Perfectly detached from his environment, Plissken is neither an angel of death nor an angel of mercy - nothing but a professional doing his job. Nothing to gain but the possibility to live another day.

The next scene is from Walter Hill’s Southern Comfort, a film which is generally thought to be a metaphor for the Vietnam War, but which is set in the swamps of Louisiana. The scene takes place near the end of the film, but I think it doesn’t give anything important away. The two members of the Louisiana National guard, who arrive at the village at the beginning of the scene already went through hell, after a routine training mission turned into a desperate fight for their lives, when they and their colleges enraged some mysterious locals by steeling their canoos and killing one of them. Afterwards, these city boys, who wanted nothing but a weekend away from their stressful and over-complicated everyday life, were hunted down by enemies, who are nearly invisible - at first. Out in the swamps, the local cajun seemed almost animalistic, like creatures from another, uncivilized, earlier time. The upcoming scene represents a fascinating break, turning these earlier projections and fears on its head: Suddenly, the two survivors are confronted with a real communit. - filmed by Hill in an almost ethnografic manner, with an emphasis on social rituals and the details of material existence.


While Snake Plissken flies into a decaying metropolis thoroughly destroyed by modernity, the protagonists of Southern Comfort are being confronted with a vision of a civil society untouched by the alienation and the loss of social cohesion that comes with modernity. But at the same time, the scene isn’t nostalgic at all. The protagonists keep their distance from their surroundings - with a very good reason: they soon realize, that they didn’t discover some hidden paradise in which one can retreat from the menacing outside world. Instead, the whole scene is infused with a sense of thread, which creeps in very subtle, by way of some sideway glances and the ever-repeating banjo-music. So, it becomes a very ambivalent, hard to read scene: on the one hand, it represents an surprisingly honest and open-minded confrontation with the hidden other, that lurks not somewhere far away in South-East Asia but is situated right inside the vast and multi-faced american motherland. On the other hand, it rejects all idealization of this other, hidden America and ultimately reaches once again the conclusion: there is no outside, and their is especially no turning back towards the good old days.

I’ll finish this presentation with a clip, that, on first glance, feels completely different, almost like a renewal of the very same social contract, the films of Carpenter and Hill rejected. It is from Michael Mann’s Thief.

[again, my clip was longer...]

This might look like the end of the film, but of course, it isn’t. Frank, the professional safebreaker at the center of the film, has, for one single, fleeting moment realized his ambition, formulated earlier very clearly: he no longer wants to be an outsider, a drifter, a loner - in short: he no longer wants to be someone out of a New Hollywood film. But rather a respected member of society, complete with house, car, wife and kids. Even while the camera tilts upwards, towards the horizon, we realise, that this isn’t going to happen. The realization of the American Dream, in its freshly updated version of the early 1980s, remains out of reach for Frank. Not only because of the rules of the genre, the gangster film, which insists on punishing its heros again and again for the very same thing, it celebrates them for: the reposession, and maybe even more important, the destruction of private property. But also, I think, because of the actor playing Frank.

James Caan, with his characteristic, but not in any conventional way handsome face and his massiv, everything but elegant frame, just isn’t a “body of the eighties”. Not surprisingly, Thief remained his only relevant film of the decade. The male action stars of the 1980s, from Arnold Schwarzenegger to Dolph Lundgren, are hyper-masculinist, but in a rather surreal, comic-book-like way. Caan represents an older concept of masculinity: less flashy and exuberant, but still connected to personal, biografical pain and to hard bodily labor. Indeed, in Thief, criminals are highly specialised professionals - and the break-in scene especially evokes just those heavy industries, that shut down more or less completely in the US over the course of the 1970s and 1980s. The strange mismatch between Caan and Frank's proletarian work ethos on the one hand, and the highly stylized surfaces of Michael Mann’s visual style on the other hand might be the most important driving force behind the film. In the end, Frank remains what he was at the beginning: just another outsider in a world without an outside.


What you’ll see now - Bruce Beresford’s country music melodrama Tender Mercies - might be a pretty steep change of pace after these clips. But I think, it develops, in a much more somber and relaxed way, some very similar ideas about both the impossibility and the necessity of outsiderness, this time before the beautiful backdrop of rural Texas. It features Robert Duvall in one of the great performances of the decade as an aging country singer and recovering alcoholic; another outsider, another body of the Seventies, confronted with the sober truth of the Eighties. It is also my personal favorite in the selection. And with this, I wish you a good projection.


Tuesday, October 01, 2013

Hofbauerkongress: Poesie

Roulette d'amour / Baron Pornos nächtliche Freuden, Frits Fronz, 1969
Das liebestolle Internat, Jürgen Enz, 1982

Durch Wien wanken - von oben strahlen die Leuchtreklamen statt der Sterne, die es in dieser Welt nicht mehr gibt, unter den Leuchtreklamen die Schaufenster mit ihren sorgsam aber stets etwas trüb und einfältig ausgeleuchteten Auslagen: einzelne Gegenstände, Einwortgegenstände ("Schuh", "Blume") in Primärfarben, hier ist noch nichts gentrifiziert, ausdifferenziert, spezialisiert, hier darf der Kapitalismus seine Subjekte noch ganz stumpf Verblenden, ihnen mit voller Wucht einen mit dem Holzhammer verpassen. Durch Wien wanken - als alter Mann, ganz Bart und Trübsal, eine Musik, die vielleicht im eigenen Kopf läuft, aufgreifen und mitsummen, wie um sich selbst im ewig repetitiven Singsang noch einmal, ein letztes Mal zu aktivieren.

Man müsste noch einmal nachlesen, was es genau auf sich hat mit dem Benjamin'schen Flaneur, dessen vermutlich durchgeknallteste Schwund- und Schrumpelstufe sich am Ende von Frits Fronz' Roulette d'Amour mit einem schäbigen Hund verbrüdert und gen Unschärfe bzw Zelluloidzersetzung entschwindet. Wenn es im Spaziergang durch die Stadt der Moderne einmal einen Erfahrungsreichtum gegeben hat, ist der bei Fronz radikalmöglichst zusammengeschrumpft: eine Melodie, ein melancholisches Gedicht, ein Gesichtsausdruck, ein Haufen Leuchtreklamen, ein Haufen hässlicher Schaufensterauslagen, die mittels perfekter match cuts einen Haufen schäbiger Erinnerungen triggern.

Im ersten (? - der Film zersetzt alle Erinnerungen, erst recht die seiner Zuschauer) Erinnerungsclip "vergnügt" (die Anführungszeichen stehen für nichts als meine Hilflosigkeit vor diesem Film) sich der noch weit weniger bärtige, noch nicht allzu trübselige Baron Porno mit vier Frauen, von denen jeweils zwei rechts und zwei links sitzen (man bleibt an seinem, frau an ihrem Platz in dem Film, Veränderungen gibt es wenige, die wenigen, die es gibt, sind zäh und enden schlimm) in einem Nachtclub und schaut sich eine bizarre Strip-Nummer an, die wie der Rest des Films funktioniert: wieder und wieder wechseln zwei Musiknummer einander ab, sie passen kein bisschen zusammen und werden doch stur wiederholt - und die arme Stripperin gibt sich beiden Nummern gleichermaßen frenetisch hin.

Ganz langsam nur schleicht sich eine Geschichte in die Rückblenden; immer wieder findet sich eine neue Möglichkeit der frenetischen Stillstellung: im Vortrag eines hübsch debilen Schlagers zum Beispiel, in am Tresen versandenden Dialogschleifen, am schönsten in der hinreißenden Performance eines Orgelspielers. Da schmolzen unsere Gehirne, mehr als vier Jahrzehnte und vermutlich mehrere Planeten vom Wien des Frits Fronz entfernt, endgültig dahin.

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Silvia meinte nach dem Film irgendwann, dass Fronz, der in seinem Film den Baron gleich selbst spielt, sicher ein ganz anderer Typ (gewesen) sein müsse, als Jürgen Enz, den ich mir immer körper- und gesichtslos vorstelle, obwohl er laut imdb ebenfalls in mindestens vier seiner Filme auch vor der Kamera stand - und außerdem in Heiße Bräute auf der Schulbank einen Hausmeister spielt. Wo Fronz sich in seine eigenen Obsessionen stürzt, beobachtet Enz seine eigenen Welten aus interessierter Distanz, wie ein übereifriger Insektenforscher, der seinen Forschungsgegenstand von Anfang an zwar gründlich missverstanden hat, aber trotzdem nicht aufgibt, der die Menschen in immer neue kahle Schlafzimmer sperrt, wie Ameisen in Streichholzschachteln und sich dann darüber wundert, wie sie übereinander krabbeln.

Das liebestollte Internat ist leider ein eher gemäßigter Enz-Film, eine eher stromlinienförmige Version des im selben Jahr entstandenen Waidmannsheil im Spitzenhöschen - Christa Abel zum Beispiel spielt in beiden dieselbe pfundige Rolle, es fehlen leider die durchgeknallten Verzichter und bad guys, die sich in einigen anderen Enz-Filmen herumtreiben. Toll ist der Anfang, die kleinbürgerliche Libertinage auf dem hässlichen Sofa (gut natürlich, dass wir die Softcore-Version erwischt hatten), toll sind später einzelne Numern mit Gartenschlauch und vor allem einer Hecke, um die herum sich das eben gerade nicht wilde Treiben organisiert.

Dazwischen wird's fad, aber Enz auf 35mm ist trotzdem großartig, da vibriert die Leere in den Bildern.