Wednesday, November 30, 2005

Doris Wishman Double Feature

Diary of a Nudist (1961)

Ein Auto fährt vor ein Tor, eine Frau steigt aus, öffnet das Tor, das Auto fährt weiter, hält vor dem nächsten Tor, die Frau steigt wieder aus, öffnet wieder das Tor, ein anderes Auto fährt vor das erste Tor, eine andere Frau steigt aus, öffnet das erste Tor, das andere Auto fährt weiter, hält vor dem nächsten Tor, die andere Frau steigt wieder aus, öffnet das nächste Tor.
Auch wenn diese Schnittfolge vielleicht nicht dieselbe ist wie im Film: das ist Diary of a Nudist, die totale Redundanz, die daraus entsteht, dass der Film nichts zu erzählen hat, aber auch das, worauf es eigentlich ankommt, nicht zeigen darf. Das Resultat ist ein Film über das buchstäbliche Nichts, hypnotisch in seiner offenkundigen Sinnlosigkeit. Das offenkundig streng gehandhabte Schamhaarverbot erweist sich als Geniestreich und resultiert in einer Parade tableaux vivants von grotesker Künstlichkeit, dargestellt von fast baywatchtauglicher "Nudisten" (dass die wahre Klientel dieser Camps nicht im Film auftaucht, ist natürlich ein großer Vorteil), deren Absurdität durch die hirnerweichend debile Easy-Listening Musik noch unterstützt wird. Die Nudistencamps der 60er müssen, soviel zumindest macht Diary of a Nudist klar, eine besonders perfide Version der Hölle auf Erden gewesen sein.

A Night to Dismember

22 Jahre und viele wunderbare Filme später ist der retardierte Stil von Diary of a Nudist, dessen Jumpcuts wahrscheinlich darauf zurückzuführen sind, dass die Palette mit den Trickblenden aus Versehen im Papierkorb gelandet ist, einem komplett derangierten, in keiner Weise systematisierbarem Idiolekt gewichen. Tatsächlich scheint in diesem Film, der doch eigentlich immerhin eindeutig dem narrativen Kino zugerechnet werden darf, (stellt er doch einen allerdings schon in der ersten Minute schiefgelaufenen Versuch, sich an die Slasherwelle der Vorjahre anzuschliessen, dar) teilweise jede Einstellung einen neuen Weg, bzw. eine neue Vision, vorschlagen zu wollen. Splattersequenzen, deren Herschell Gordon Lewis sich nicht geschämt hätte, treffen auf den debilste Off-Erzähler der Filmgeschichte, der die Handlung nicht nur nicht erklärt sondern im Gegenteil eine weitere Ebene der Verwirrung in ein Werk einschreibt, das spielend mit den ganz großen Trashfilmen mithalten kann. Highlights sind zwei Traumsequenzen, deren erste vage an Ken Russell erinnert, während die zweite sich tatsächlich jeder Beschreibung widersetzt.

Monday, November 28, 2005

L'Enfant, Jean-Pierre / Luc Dardenne, 2005

Ein Film für Rotweintrinker. Die Bougeoisie träumt sich eine Unterschicht zusammen, die perfekt in ihr Weltbild passt, da die Probleme nie systemimanent sind, sondern stets auf persönliches Versagen zurückgeführt werden. Das wäre noch nicht mal so schlimm, aber die Dardennes übertreiben dies bis ins Groteske. Oder landen die Menschen tatsächlich deshalb beim Sozialamt, weil sie sich dauernd zu teure Lederjacken kaufen? Wer weiss...
Schrecklich auch der Stil, reduziert auf das Allerbanalste, Nichtssagenste. L'Enfant nimmt mal wieder Zuflucht bei der klassischen Schauspielkunst, was darin resultiert, dass noch weniger funktioniert als im ohnehin dämlichen Drehbuch angelegt ist. Unsere beiden Edelclochards weinen, tanzen, lachen in allernervigster Schauspielschuleerstsemestermanier, dass es eine Art hat.
L'Enfant zeigt das Europäische Kino von seiner doofsten Seite, auf Zielgruppentauglichkeit totgefördert und stilistisch bankrott, opportunistisch sowohl auf die Champagnertrinkern in Cannes als auch auf die Rotweintrinker in den Arthauskinos zugeschnitten.
Eine Rechnung die leider wieder einmal voll aufgegangen ist. Denn nicht nur die goldene Palme wurde abgeräumt, auch das Fsk Kino, in dem ich mir diesen Schmarrn angesehen habe, war randvoll. Mit der entsprechenden Klientel natürlich. Und ich mittendrin. Hm.
Nachtrag Jahre später: noch so eine Altlast. Einiges sehe ich allerdings immer noch so...

Monday, November 21, 2005

Secret defense, Jacques Rivette, 1998

Die Transfers zwischen den Handlungsorten sind ebenso wichtig wie diese selbst. Und so sehen wir Sandrine Bonnaire minutenlang in der S-Bahn, dem TGV oder im Auto. Vor dem Fenster zieht Paris vorbei, oder ein bisschen grünes Frankreich. Doch immer trennt uns - neben allem übrigen, kinotypischen - eine Glasscheibe von dieser "echten Welt", die vor dem Fenster vorbeizieht und die weder Sandrine noch wir wirklich erreichen können. Konsequenterweise findet das entscheidende Gespräch am Ende des Films auch während einer Zugfahrt statt, begleitet von den im Hintergrund vorbeiziehenden Feldern und Wiesen eines Landes, dessen Verhältniss zu sienen Bewohnern stets unklar bleibt. Auch andere Stellen des Films bieten eine ähnliche, leicht anästhetisierende Wirkung, die den Film als immer ganz knapp neben der Wirklichkeit positioniert erscheinen lassen. Mal sind es die Telefongespräche, in welchen wir beide Gesprächspartner mit identischer Lautstärke und vollkommen unverzerrt vernehmen, manchmal seltsame Geräusche, die immer genau dann zu enden scheinen, wenn man sie bemerkt hat.
Secret defense, lose an Hitchcocks Vertigo angelehnt, zeigt Rivette auf der Höhe seines Könnens, auch wenn der Film insgesamt nicht sein komplexester sein mag. Kaum merklich variiert er das Tempo, die Motive, die Figurenkonstellationen, spielt mit seinem Material und erschafft dabei wieder einmal eine Welt, die, wie sehr sie auch in unserer Gegenwart verankert zu sein scheint, sich ihrem Zugriff doch immer wieder entzieht.

Don't Go in the House, Joseph Ellison, 1980

Nach Halloween aber vor der von Friday the 13th ausgelösten großen Slasherwelle entstand dieser kleine, ziehmlich mieße Film, der sich relativ schamlos bei Hitchcocks Meisterwerk Psycho bedient.
In diesem findet sich am Ende eine viel kritisierte Szene, in welcher ein Psychiater die Taten des Norman Bates tiefenpsychologisch deutet. Don't Go in the House rechtfertigt diese Sequenz rückwirkend zu 100%, denn Ellisons Film zeigt eindrucksvoll, was passieren kann, wenn man versucht, eine solche Motivierung in den Film selbst einzubauen (in diesem Fall mit Hilfe bescheuerter Traumbilder, Rückblenden und "Stimmen im Kopf"). Ein ärgerlicherer Fall von Küchenpsychologie ist mir wahrscheinlich noch nie untergekommen.
Andererseits macht Don't Go in the House an vielen Stellen natürlich nur das manifest, was in Hitchcocks Film (wie in vielen anderen klassischen Thrilern) noch latent war, die misogynen Tendenzen des Genres werden zumindest in einer widerlichen, an die Abgründe des amerikanischen Sexploitation Kinos erinnernde Szene so deutlich, wie sie nur deutlich werden können.
Allerdings wird auch klar, dass mit Freudschem Vokabular diesem Film (und dem Vergleich) letztlich nicht beizukommen ist. Denn die figurierte Vermittlung der Inhalte ist in beiden Filmen zu unterschiedlich. Und das diese eine große Rolle spielt, macht Don't Go in the House eindrucksvoll deutlich.

Monday, November 14, 2005

Staroye i novoye, Sergej Eisenstein, 1929

Sein vierter Langfilm zeigt Eisenstein auf der Höhe seines Könnens, alle Hebel werden zur rechten Zeit umgelegt, jede einzelne Einstellung definiert sich einzig aus dem Zusammenhang des ganzen Films. Die Brillanz und Geschmeidigkeit, mit welcher der Regisseur hier zu Werke geht, ist wirklich unglaublich. Das Bildrepertoire, welches er benutzt ist im Vergleich zu seinen vorhergehenden Werken noch ausgebaut und vor allem feingeschliffen worden.
Besonders anzumerken ist, dass an Eisenstein ein großer Tierfilmer verloren gegangen ist. in Staroye i novoye dient seine Beschäftigung mit Kühen, Lämmern etc natürlich einem ideologischen Zweck (Vertilgung der letzten Rückstände des idealistischen Humanismus: das tierische Antlitz eignet sich zur emotionalen Bearbeitung des Publikums mindestens genauso gut wie das menschliche), eindrucksvoll ist sie allemal (auch wenn eine Sequenz fast die Grenze zum Tierporno überschreitet). Die Kreatur ist aus ihrem Objektdasein befreit und kommt - zumindest ansatzweise - zu ihrem eigenen Recht. Um so irritierender wirkt dann die Schlachthausszene.
Und spätestens hier liegt der Grund dafür, dass Eisenstein letzten Endes auf ganzer Linie gescheitert ist. Die nach industriellen Prinzipien organisierte Farm ähnelt aus heutiger Perspektive einem mechanistischen Alptraum, die an Franjus Schlachthaus gemahnende Szene verdeutlicht dies nur noch einmal. Wie schade, dass Eisenstein sein Genie an ein unwürdiges System und an platt vor sich hin predigende Filme verschenkt hat. Immer wieder scheint, hier wie in seinen anderen Werken, die Möglichkeit auf, aus dem rigiden Korsett des orthodoxen Marxismus auszubrechen, scheint der Weg frei zu werden für Filme, die eine offenere und ehrlichere Beziehung zu den Dingen und Menschen vor der Kamera, doch andauernd greift er in endlosen, ständig in sich selbst zurückfallenden Montagesequenzen auf seine eigene Theorie zurück, schafft es nicht, dem selbst angelegten Kerker zu entkommen.
Nachtrag Jahre später: auch das hier ist nicht unbedingt superreflektiert. Aber ein nettes Museumsstück

Friday, November 11, 2005

Hotel, Heinz Emigholz, 1967

Zwei Menschen vor einer Häuserfassade, ganz langsam verschieben sich die Konturen zueinander, vielleicht durch Figuren- vielleicht durch Kamerabewegung.
Später dann eine Frühstücksszene, die fast unmerklich dekonstruiert wird. Doch zuerst einmal entdeckt man den Ton im Kino neu. Plötzlich bringen die Dinge auf ganz natürliche Art Geräusche hervor, jede Bewegung erhält einen Widerhall. Vor allem dadurch erhalten die Gegenstände in Hotel eine beispiellose Materialität, bevor sie sich in reine Spielfiguren verwandeln. Denn schon bald zeigt sich, dass Ton in Emigholz Händen nur ein weiteres Element ist im Spiel des Films, der Rhythmus der Geräusche legt sich über den des Schnitts, die Autos vor dem Fenster beginnen mit einem seltsamen Tanz, dem sich die Frühstücksutensilien und die Frühstückenden anzuschliessen scheinen.
Wenn am Ende noch einaml die beiden Menschen vor der Häuserwand gezeigt werden, ist die Dekonstruktion längst vollendet, man befindet sich wieder im freien Spiel der Formen, im Emigholzschen Bewusstseinsexperiment.
Hotel zeigt die Möglichkeiten des radikalen, strukturellen Experimentalfilms, die hier fast grenzenlos erscheinen. Die Welt in 24 Bildern pro Sekunde zu erleben, ohne dass die Regeln vorher feststehen, dass Ergebniss vorweggenommen ist, wunderschön und - letztlich - unbeschreibbar.

Thursday, November 03, 2005

Gonin 2, Takashi Ishii, 1996

Insgesamt ist Gonin 2 leider nicht mehr als ein mit erkennbar niedrigem Budget schnell heruntergedrehtes Sequel. Schon der Vorgänger gehörte, trotz aller optischer Brillanz, nicht zu den besten Werken des Regisseurs (hervorzuheben ist m.E. vor allem Original Sin, ein unglaublich eleganter, geschmeidiger Thriller), der zwar Takeshi Kitano in einer seiner coolsten Rollen aufbieten konnte, sonst aber ncht allzu viel. Der Nachfolger versucht gleich einen doppelten Twist. Einerseits sind die titelgebenden fünf Menschen, welche wieder Mal Stress mit Yakuzas haben, diesmal weiblich, zum anderen wird die Haupthandlung durch eine konventionellere Revenge-Story gespiegelt und ergänzt: ein alternder Geschäftsmann rächt sich auf brachiale Art an den Männern, die seine Frau vergewaltigten und töteten. Auch die Fünf Amazonen haben allen Grund, die Männerwelt aufzumischen.
Leider weiss Ishii nie so recht, was er mit dieser eigentlich vielversprechenden Ausgangslage anfangen soll. Die unterschiedlichen Rollenmodelle, für die die beiden Handlungsstränge stehen, werden weder konkret ausgespielt, noch bewertet. Die klassische Lösung bleibt am Ende zwar erfolglos, wird jedoch überhöht und romantisiert, die sozialrevolutionäre Frauenrevolte glückt, hinterlässt aber einen unschönen Nachgeschmack aufgrund einiger unnötigen Albernheiten, vor denen wohl auch japanische Actionheldinnen nicht gefeit sind (glücklicherweise geht Ishii, auch was den T&A Faktor angeht, nie so weit wie Charlies Angels oder ähnlicher Blödsinn).
Trotz eines grundsätzlich interessanten Skripts und einigen wunderschönen Aufnahmen (vor allem die Poolszene ist umwerfend), die man von dem Regisseur gewohnt ist, bleibt nicht viel mehr übrig als eine Fingerübung, die allerdings schon auf den vier Jahre später entstandenen Freezer verweist, in welchem Ishii ein ähnliches, jedoch viel reduzierteres Sujet mit ungleich mehr Sorgfalt behandelt.