Thursday, October 30, 2008

Berlin Kino, 30.10.-4.11.2008

Die Lav-Diaz-Retrospektive im Arsenal ist noch nicht ganz vorbei und allen, die sich bislang nicht dazu entschließen konnten, sei deshalb nachdrücklich Heremias empfohlen. Der ist am Samstag zwischen 15 Uhr und Mitternacht im dffb-Kino bei freiem Eintritt zu sehen. Heremias war meine erste Begegnung mit Diaz und hat mich seither nicht mehr losgelassen.

Neu im Kino startet Willkommen bei den Sch’tis, eine Provinzposse, die in Frankreich alle Kassenrekorde gebrochen hat, die man aber wohl eher weiträumig umfahren sollte. Außerdem Alexandre Ajas eventuell minimal interessanterer Horrorfilm Mirrors.

De Arsenal-Relaunch hat bislang ein wirres Programmheft hervorgebracht sowie die Aussicht auf eine leider extrem unambitioniert programmierte Clint-Eastwood-Reihe. Ansonsten bleibt wohl das meiste beim alten.

Im Zeughauskino startet eine umfangreiche Reihe von Filmen über den ersten Weltkrieg. Gleich am ersten Wochenende laufen Werke von u.a. Frankenstein-Regisseur James Whale und Ernst Lubitsch.

Wednesday, October 29, 2008

Death in the Land of the Encantos, Lav Diaz, 2007

Von den vier großen Lav-Diaz-Filmen, die ich bislang gesehen habe, hat mich Death... wahrscheinlich am tiefsten beeindruckt und sicherlich am nachhaltigsten verstört. So sehr verstört, dass mir hier nichts anderes möglich ist, als eine sehr vorsichtige Annäherungen an dieses Monstrum von einem Film.
Death... nimmt die Verwüstungen des Taifuns Durian zu Füßen des Vulkans Mayon als Ausgangspunkt. Nur eine Woche nach der Katastrophe begann Diaz dort zu filmen, die Zerstörung prägt den Film in jeder Hinsicht, eingestürzte Wellblechhütten, Trümmer, Kleidungsfetzen aber auch umgestürzte Bäume, Flüsse, die sich neue Wege gebahnt haben, Schlamm, Dreck. Kultur und Natur sind gleichermaßen am Boden.
Der Film ist dann eine einzige, delirierende und dennoch konsequente Öffnung hin auf dieses zerstörte Land. Death... wählt, ganz im Gegensatz zu den streng strukturierten, exakt konstruierten übrigen Filmen (inbesonder im Gegensatz zum unmittelbaren Vorgänger und zum unmittelbaren Nachfolger, zu Heremias und Melancholia, die sich über die einstündigen Segmente der Videotapes strukturieren), dafür eine fast völlig offene Form. Ausgehend von immer wiederkehrenden Trümmerbildern in grobpixeligem Schwarz-Weiß und dem in ihnen platzierten diaztypischen Antihelden Benjamin, einem Dichter und politischen Aktivisten, der aus dem russischen Exil in die Philippinen zurückgekehrt ist, unternimmt der Film Reisen in die unterschiedlichsten Richtungen und entfernt sich doch nie von seinem Anliegen. Mal bewegt sich Diaz ins Dokumentarische und Selbstreflexive (einmal sogar zurück zu Heremias), mal dialogreich in die politische Geschichte und Gegenwart der Philippinen, mal nach Russland (oder besser: in die Projektion eines Russlands als "country built against the sky"), mal nach Zagreb und Manila, hin zu einer anderen, von Vertikalen dominierte Raumorganisation, mal in philosophische und kunsthistorische Diskursfelder und immer wieder hin zu den zahlreichen Frauenfiguren des Films, zu den Frauen, die teilweise ineinander verschwimmen und deren ontologischer Status nicht in allen Fällen gesichert ist.
Vor allem diese in sich jeweils sehr unterschiedlichen Bewegungen hin zu den Frauen sind beeindruckend. Der Film scheint den Versuch zu unternehmen, so viel wie möglich auf diese Frauen zu projizieren, ohne, dass dabei freilich irgendwie ungebührlich Macht über sie ausgeübt würde. Gleich zu Beginn schneidet Diaz von einer langen Einstellung, die sich unsicher tastend über die verwüstete Landschaft bewegt, auf eine nackte Frau im Bett. Die Kamera schwebt dann mit genau derselben Unsicherheit und Vorsicht über diese Frau, minutenlang schreibt sie das Elend auf deren seinerseits makellosen Körper um. Später tauchen andere Frauen auf, Benjamins Mutter, eine Russin, eine tote Schwester, die Ex-Freundin Catalina etc und irgendwie scheint der mythische, brutale, wunderschöne Vulkan Mayon auch mit diesen Frauen, oder zumindest mit einer der vielen Ideen von Weiblichkeit, die der Film entwirft, zu tun zu haben. (Es gibt durchaus, und bei weitem nicht nur pro forma, auch femministische Diskurse in diesem Film und wie auch in anderen Diaz-Filmen ist die einzige Figur, die einen zumindest teilweise produktiven Weltbezug errreicht, eine Frau, nämlich Catalina, verkörpert von Angeli Bayani, die ein Jahr später in Melancholia eine sehr ähnliche Rolle übernehmen wird.)
Die ersten Stunden bewegt sich der Film frei durch Zeit und Raum, umkreist auf immer neuen Bahnen die reale Verwüstung, an der er sich entzündet. Doch je länger er dauert, desto mehr verlagert er seine ganze brutale Dynamik auf Benjamin, dem im letzten Drittel dann ein Martyrium bereitet wird, das in der Filmgeschichte seinesgleichen sucht. Der eigentliche Beginn dieses Martyriums ist, nach einer längeren Passage, in der er ganz aus dem Film verschwindet, eine unglaublich intensive Szene in Manila.
Zunächst führt der Film die Stadt als einen Ort der bedrohlichen, grausamen Vertikalität ein, die erste Einstellung in Manila zeigt eine Straße, die an drei Seiten von finster glänzenden Hochhäusern umgeben ist, die jegliches Leben, jede Bewegung im Keim und in ihren Schatten ersticken. Nach einer kurzen Passage mit bewegter, desorientierter Kamera durch diesen vertikalen Alptraum findet der Film Benjamin in einem Cafe, im Hintergrund vorbeifahrende Autos, auf der Tonspur Straßenlärm. Benjamin sitzt und liest, irgendwann setzt sich ein weiterer Mann zu ihm, der sich als ein Mitarbeiter der Geheimpolizei und ehemaliger Folterer Benjamins entpuppt. Es folgt ein verbitterter und unerbittlicher Schlagabtausch, Benjamin wirft seinem Peiniger seine ganze Verzweiflung und den letzten Rest an Hoffnung, der ihm noch geblieben ist, entgegen, doch alles vergeblich. Als der Geheimpolizist verschwindet, haben sich die Lichtverhältnisse geändert. Benjamin ist nur noch eine schwarze Silhouette vor dem Hintergrund des hell erleuchteten Fensters, weiße Lichtreflektionen schimmern gespenstisch und überstrahlen die Silhouette. Im Grunde stirbt Benjamin bereits in dieser Einstellung, durch den restlichen Film bewegt er sich wie ein Geist.
Endgültig zum Gespenst wird er später (bei Lav Diaz muss so etwas immer gelesen werden als: Stunden später) in Catalinas Haus, im Wohnzimmer. Nach einem weiteren verstörenden Gespräch bewegt er sich zum Fenster, über sein Gesicht legt sich ein weißer, kalter Lichtstreifen wie eine Totenmaske.
Noch ein letztes Aufraffen ist ihm gegönnt, in seltsam aufrechter Körperhaltung unterhält er sich mit seinem Jugendfreund und ewigen Kontahenten Teodoro und breitet vor diesem sein ganzes Martyrium aus. Am Schluss dieses Gesprächs ist nicht nur Benjamin am Ende, sondern auch Teodoro, der sich bis dahin in Indifferenz geflüchtet und sich dabei gut gehalten hatte, der aber in dieser Szene zu einem zweiten Benjamin wird und nach dessen Tod sein Erbe antreten kann und muss.
Nun ist Benjamin bereit, ganz und gar und in jeder Hinsicht zu sterben. Der Film figuriert diesen Tod multiperspektivisch und multimodal. Eine längere Passage, in der Catalina und Teodoro Benjamin gegenüber einem zynischen Reporter verteidigen, verhindert ein Abgleiten in Fatalismus, unendlich bitter und verheerend sind diese letzten Stunden dennoch. Und erst recht die allerletzte Szene, eine schreckenerregende Miniatur irgendwo zwischen ins durch und durch Finstere gewendeter homoerotischer S/M-Fantasie (die Frauen sind sehr radikal abwesend in dieser letzten Szene) und klinisch reiner Grausamkeit (der Yuppie-Wandspiegel). Tiefschwarz und wie der gesamte Film sowohl physisch wie auch psychisch weit jenseits der Schmerzgrenze.

Wednesday, October 22, 2008

In passing

Geomen tangyi sonyeo oi / With the Girl of Black Soil, Jeon Soo-il, 2007

Zwei Kinder in einem koreanischen Bergdorf. Der Vater ist Minenarbeiter, im eindrücklichen Prolog wird seine Arbeitswelt präsentiert, düstere Stollen voller Dunkelheit, harter Stein, viel Staub. Staub ist auch in seiner Lunge, er bekommt eine Abfindung und will Fische verkaufen, beginnt aber vor allem, exzessiv zu trinken. Der Abstieg ist unaufhaltsam, die Talsohle eigentlich bereits nach der ersten Filmhälfte erreicht. Die zweite Hälfte erkundet dann in elegischen Bildern, wie das Leben in der Talsohle auschaut. Die Tochter passt währenddessen auf ihren Bruder auf, der zwar älter ist als sie, aber geistig zurückgeblieben. Die Szenen der allein gelassenen Geschwister erinnern bisweilen an Kore-edas Nobody Knows. Freilich übernimmt der Film im Gegensatz zu diesem nie ganz die Perspektive der Kinder. Diese Perspektive hätte dem Film manchmal gutgetan.

With the Girl of Black Soil ist hervorragend fotografiert, das vage wassertropfenförmige Bergdorf gewinnt durch die Plastizität der Bilder eine eindrückliche Präsenz. Deutlich schließt With the Girl of Black Soil an das aktuelle world cinema an, an dessen politischen Flügel vor allem. Nicht zufällig war Abderrahmane Sissako als Produzent beteiligt. Immer wieder schneidet With the Girl of Black Soil auch nach der Entlassung des Vaters auf die Maschinerie des Bergwerks, auf die schweren Eisenkolosse, die sich durch den Schlamm wälzen und Erde schichten, auf den dunklen Rauch der Schornsteine. Langsam aber unaufhaltsam, Einstellung für Einstellung, zerstört diese anachronistische Technik das Leben derer, die sie bedienen.

Die Tochter, das kleine Mädchen in seinem roten Wollpullover, wehrt sich vergeblich gegen diese Dynamik. Wie sie dann am Ende mit ausdruckslosem Gesicht an der Bushaltestelle steht, das ist dann vielleicht ein world-cinema-Klischee zu viel und in der Rückschau auf den gesamten Film muss man dann doch feststellen, dass With the Girl of Black Soil die portraitierte sozioökonomische Realität etwas zu widerstandslos in die world-cinema-Filmgrammatik übersetzt.

Flower in the Pocket, Liew Seng Tat, 2007

Noch ein Film über Kinder, diesmal aus Malaysia. Liew Seng Tat führt Regie, andere Schlüsselfiguren der malaysischen neuen Welle sind als Produzenten (Tan Chui Mui) oder Schauspieler (James Lee) mit von der Partie. Letzterer spielt einen allein erziehenden Vater, der sich wenig um seine beiden Söhne kümmert, weil er sich lieber mit Schaufensterpuppen (noch genauer: einzelnen Körperpartien dieser Puppen) umgibt als mit Menschen aus Fleisch und Blut. Sein Söhne spielen derweil mit toten Ratten, nehmen streunende Hunde auf, Freunden sich mit einer vorlauten Mitschülerin an und machen auch sonst nur Ärger. Sie gehören der chinesischen Minderheit Malaysias an, der kleinere der beiden spricht noch nicht malaysisch und ist in der Schule auf die Übersetzungsleistung der Klassenstrebenrin angewiesen.

Alles sieht so einfach aus und fügt sich doch zu einem durchaus komplexen Ganzen. Die Männergemeinschft, chronisch chaotisch und definiert über asynchrone Rhythmen (der Vater kommt spät in der Nacht nach hause, wenn seine Söhne bereits schlafen und schläft seinerseits tief und fest, wenn diese zur Schule gehen; Das Essen, das sich die beiden Generationen gegenseitig zubereiten, Abendbrot für den Vater, Schulbrot für die Kinder, wird von der jeweils anderen in die Mülltonne gekippt) spiegelt sich in der rein weiblichen Wohngemeinschaft der neuen Freundin der Söhne. Diese (sie gehört der muslimischen Mehrheit des Landes an) lebt mit Mutter und Großmutter in einer gepflegten, gut funktionierenden Wohnung.

Flower in the Pocket ist, wie viele andere Filme dieses neuen malaysischen Kinos (die große Ausnahme stellen die durch und durch politischen Essayfilme Amir Muhammads dar), ein Film über das Private, Alltägliche. Freilich verhandelt Liew Seng Tat die Spezifitäten des realen Malaysias direkter als Lee oder Tan Chui Mui über die vielfältigen Übersetzungsproblematiken, über das Sprachwirrwar (Englisch, Malaysisch, Mandarin), über kleine aber entscheidende Differenzen im Habitus zwischen Chinesen,Muslimen und Indern. Ein erstaunlicher, kleiner Film ist Flower in the Pocket trotz manchen Passagen, die durchaus auch auf die Nerven gehen können und trotz einer Tendenz zur harm- und sinnlosen Alltagslyrik, die die größte Gefahr dieses Kinos darstellt. Ein kleiner, erstaunlicher Film aus einer erstaunlichen Kinematografie, die aus den neuen Möglichkeiten der digitalen Technik entstanden ist und sich in rapider Geschwindigkeit jenseits (oder vielleicht besser: neben) dem klassischen europäischen Autorenfilmkonglomerat institutionalisiert. Nicht die neuen Schulen des (freilich oft grandiosen) Hollywoodspektakel sondern diese neuen Kinematografien in Südostasien sind anderswo werden eines Tages das Haupterbe der digitalen Revolution sein.

Bastards of the Party, Cle Sloan, 2008

Cle Sloan, früher selbst Mitglied der „Athens Park Bloods“ erzählt mithilfe von HBO und Antoine Fuqua die Geschichte der schwarzen Jugendgangs LAS seit den frühen Sechziger Jahren. Der historische Abschnitt des Films, der zwei Drittel bis drei Viertel der Laufzeit einnimmt, orientiert sich stark an der Argumentationslinie an City of Quarz, der stadtsoziologischen Studie des im Film auch immer wieder präsenten Mike Davis: Von den frühen Gangs als Schutzorganisationen gegen den Ku-Klux-Klan und seine Helfer über die Politisierung der Black Panther-Bewegung bis zu den Crips und Bloods als deren illegitimen Erben, den „Bastards of the Party“ des Titels. Einzig eine manchmal etwas sehr paranoid anmutende Lesart der Crackschwemme der Achtziger weist über Davis hinaus, vielleicht nicht ganz in die richtige Richtung.

Nach einem nervigen Beginn mit viel Flashs, Trickblenden und anderem Videoschnittprogrammsblödsinn wechselt die Dokumentation in soliden HBO-Modus. Den größten Mehrwert als Davis-Lektüreergänzung (mehr ist Bastards of the Party nicht, will es aber auch gar nicht sein, Davis‘ Buchcover wird gleich mehrmals eingeblendet) stellen sicherlich die Interviews mit ehemaligen Gangmitgliedern und anderen Beteiligten dar, den Interviewten sind die teilweise schon über vier Jahrzehnte identity politics auf sehr interessante Art und Weise in Gesicht und Habitus eingeschrieben.

Hickey & Boggs, Ropert Culp, 1971

Ein durch und durch seltsamer und durch und durch großartiger Neo-Noir aus New Hollywood. Robet Culp (auch Regie) und Bill Cosby (!) stolpern als Privatdetektive durch Los Angeles und geraten in einen Fall, in dem alle Beteiligten bereits nach kurzer Zeit komplett den Überblick verlieren. Es geht – nach einem Drebuch Walter Hills – um einen Haufen Geld, das eine, passenderweise von Rosalind Cash verkörperte Nicht-ganz-Femme-Fatale einer kriminellen Organisation, der sie einst selbst angehörte, entwendet hat.

Das Wesen dieser Organisation wird nicht genauer spezifiziert, sie institutionalisiert sich allerdings in ganz ähnlicher Weise wie dies auch eine gewöhnliche Versicherung tun würde, in geschmacklos eingerichteten Büros und fetten Autos. Auch die Bosse sehen aus wie bessere Gebrauchtwagenhändler, lediglich ein paar fieße Visagen in den Reihen der Handlanger (einige davon kamen mir außerordentlich bekannt vor, ohne dass ich sie hätte identifizieren können) hätten bei der Hamburg-Mannheimer schlechte Karten. Doch weder diese Organisation, noch die (deutlich schlechter organisierte) Polizei kann die Situation unter ihre Kontrolle bekommen. Und auch die Strukturen des Genres, auf das Hickey und Boggs zielt, ohne freilich je ganz Teil desselben zu sein, werden der Lage nicht Herr. Sowohl Culp als auch Cosby versuchen sich in Hard-Boiled-Manierismen, die aber ins Leere laufen, weil sie nicht länger die Rückseite handelnder, zielstrebiger und letzten Endes erfolgreicher Subjekte sind. Culps Alkoholproblem ist abwechselnd lächerlich und pathologisch, Cosby kann seine zerbrochene Ehe nicht mehr für sich selbst dynamisch wenden. Im Ergebnis wirkt Hickey & Boggs dann manchmal trashig, doch genau in diesen trashigen Momenten öffnet sich die ganze Komlexität des Films.

Hickey & Boggs (an der anhaltenden Obskurität des Films ist sein dämlicher Name vermutlich nicht unschuldig) spielt nicht im Dunkeln, nicht in dunklen Orten und nicht zu dunklen Zeiten, sondern fast immer im strahlenden Sonnenschein, meist auf der Straße, in der Mittagshitze. Im öffentlichen Raum, der freilich ein ambivalentes Terrain darstellt für die beiden Detektive. Einerseits bewegen sie sich in ihm souveräner als ihre Gegenspieler, setzen Parkuhren und andere Kontrollmechanismen außer Kraft, andererseits laufen sie sich in ihm fest und verlieren den Kontakt zu ihren eigenen, privaten Räumen.

Die herausragende Charakteristik des öffentlichen Raums in Hickey & Boggs ist seine Unbelebtheit, die Abweseneheit von Menschen. Die beiden Höhepunkte des Films (der freilich auch außerhalb derselben großartig ist, inszeniert in der fragmentarisierten Filmsprache New Hollywoods, die hier ausnahmsweise einmal ganz und gar Sinn macht, weil eine solche Geschichte gar nicht anders erzählt werden könnte) finden dann konsequenterweise in Orten der gesteigerten, weil emphatischen Öffentlichkeit statt (der erste im Footballstadtion, der zweite am öffentlichen Badestrand), die noch und ganz emphatisch menschenleerer sind. Im Footballstadion inszeniert Culp im Anschluss an eine erfolglose Kofferübergabe eine gnadenlose Maschinengewehrschlacht, die sich später am Strand noch einmal wiederholt und endgültig in den Exzess kippt. In Abwesenheit von Menschen werden diese öffentlichen Räume auch grafisch zu den abstrakten Räumen, die sie als soziale nach Lefebvres Terminologie ohnehin schon sind. Und so ist Hickey & Boggs neben allem anderen eben auch ganz direkt ein Film über die Desintegration sozialer Räume im Nachkriegsamerika.

Vieles verweist in diesen Szenen auf die Paranoiafilme, die später im selben Jahrzehnt entstehen sollten. Und eigentlich ist auch Hickey & Boggs genau das: ein Paranoiafilm. Allerdings verteilt sich die Paranoia gleichäßig über alle Beteiligte, über alle Orte und alle Geschehnisse, über jede einzelne Einstellung und wird gerade deshalb (weil ein Einnsatzpunkt fehlt, von dem aus die Paranoia als solche erkannt werden könnte, die Existenz eines paranoiden Systems setzt ja eigentlich voraus, dass es irgendwo anders ein zumindest etwas weniger paranoides gibt) nicht figurier- oder verhandelbar. Hickey & Boggs ist ein Paranoiafilm, der noch auf keiner Ebene weiß, dass er einer ist.

Gwai muk / Home Sweet Home, Cheang Pou Soi, 2005

Schon während der ersten Fahrstuhlfahrt im Hochhaus in Richtung neuer Wohnung rappelt es hinter der Wandverkleidung, ein Augenpaar blitzt zwischen den Ritzen und bald ist der Sohn verschwunden. Der Vater ist bald auch außer Gefecht gesetzt, die Mutter stürzt sich in das Gewirr von Lüftungs- und Aufzugsschächten, in denen ein überraschend reales Wesen seinem Tagwerk nachgeht.

Home Sweet Home ist zwar sehr straight und verschwendet nicht viel Zeit mit Expositionen, ist aber dennoch ein unreiner Horrorfilm und deshalb sicher nicht jedermanns Fall. Das Familienmelodram, das noch in fast jedem asiatischen Horrorfilm zu finden ist, expandiert weit über seine Funktionalität für die Genredynamik hinaus und wird zusätzlich mit einer Prise faux-Sozialkritik aufgeladen. Die Spannung zwischen beiden Elementen ist nicht immer eine produktive, gegen Ende wirken die Bemühungen, dem längst vollständig ins Melodram gekippten Plot noch ein wenig Grusel abzugewinnen, allzu bemüht. Das Melodram selbst steigert sich aber dermaßen in den Exzess, dass man an ihm alleine auch seinen Spaß haben kann.

Davor ist Home Sweet Home ohnehin ausgezeichnet Geisterbahn. Wunderschöne, rasante Kamerafahrten zerlegen die gigantischen Hochhäuser, deren tatsächliche Größe der Film erst ganz am Ende preisgibt, in immer neue Stahl / Beton / Glas-Arrangements. Agilität ist, wie in allen guten Hongkongfilmen, wichtiger als Folgerichtigkeit.

La frontiere de l’aube, Philippe Garrel, 2008

Louis Garrel stolpert schon in der ersten Einstellung die Straße mehr schlecht als recht herunter und den aufrechten Gang wird er in diesem Film, über den er nicht den Hauch von Kontrolle hat (bisweilen kommt es einem so vor, als ob auch Philippe Garrel die Kontrolle über das verliert, was er da in die Welt gesetzt hat), nicht lernen.

Zwei aufeinanderfolgende Liebesgeschichten erzählt La frontiere de l’aube, zweimal l’amour fou, einmal sogar bis über den Tod hinaus. Laura Smet als „Filmstar“ (ja, sicher) Carole ist die erste Gespielin, Louis‘ Francois fetischisiert sie und ihre durch und durch unmotivierten selbstzerstörerischen Exzesse genauso wie die Kamera seines Vaters. Immer wieder filmt letztere ihren gesamten Körper im Bett, wie sie ausgestreckt, mit audruckslosem Gesicht, Dinge sagt und tut, die man ihr nicht abnehmen kann und wahrscheinlich auch nicht soll. Ihr finaler Drogen+Alkoholexzess ist kein Kontrollverlust, ein solcher würde vorher vorhandene Kontrolle voraussetzen und also eine Instanz, die eine solche Kontrolle ausüben hätte können, nicht unbedingt gleich ein Subjekt, aber doch wenigstens ein Selbstkonzept und so etwas besitzt Garrels Carole zu keinem Zeitpunkt. In diesem letzten Hotelzimmer gleichen sich einfach nur die motorischen Fähigkeiten dem Geisteszustand an, mehr ist da nicht.

Die zweite Frau ist Clementine Poidatz‘ Eve und La frontiere de l’aube wird mit ihrem Auftauchen weniger abstrakt und dafür in gleichem Maße schrecklich blöde, platt, naiv und großartig. Eve ist Standardbourgeoisie mit dümmlichem Lächeln im Gesicht, readymade-Hausfrauenmentalität sowie öden Frauenproblemen und sie verbürgerlicht Francoise in Windeseile, lässt sich von ihm ein Kind machen, will ihn heiraten und bald unterhält er sich auf der Straße mit alten Kumpanen übers Windelwechseln (wobei Louis Garrel auch bei diesen Gesprächen so ganz grundlegend verwirrt in die Welt blickt, wie nur er es kann – und wohl auch nur in den Filmen seines Vaters, in Les Chansons d’amour hat’s letztens nicht so recht klappen wollen trotz sichtlichem Bemühen). Eve besitzt zwar ebenfalls keine Subjektivität jenseits von Mutterinstinkt und ähnlichem (der Witz an der Sache ist allerdings, dass auch Francoise selber zwar eine hat, aber nur in sehr begrenzten Maße über sie verfügen kann und dass sie den Film nur in sehr problemtaischer Weise bestimmt), macht aber eben auch nichts, wofür sie so etwas gebrauchen könnte.

Nun ja, und dann taucht irgendwann Caroles Geist erst im Wald, dann im Spiegel auf, um Francoise vor dem Spießertum seiner Neuen zu retten. Nicht ein bisschen distanziert sich Garrel von dem grandiosen Unfug, den er da anstellt, sondern schwelgt in wunderschönen neoromantischen Miniaturen, die nicht selten mit altmodischen Irisblenden begonnen oder beendet werden: Francoise vor dem Spiegel, Francoise im Bett, Francoise verwirrt auf der Straße, mal mit, mal ohne Frau, kaum eine dieser Szenen, denen es nicht um Entwicklungen, sondern um das kurze Aufscheinen von Fetischbildern geht, dauert länger als eine Minute, fieberhaft eilt der Film von Bild zu Bild, und das Handlunsganze ist dann zwar manchmal schon (und manchmal auf die falsche Art) folgerichtig, aber diese punktuelle Folgerichtigkeit ist nie das, worauf es ankommt. Zumindest hoffe ich das. Tatsächlich hoffe ich (und glaube ich), dass es gerade aufs Nicht-Folgerichtige ankommt in diesem dann doch vor allem anderen großartigen Film.

Manila sa mga pangil ng dilim / Manila in the Fangs of Darkness, Khavn de la Cruz, 2008

Bembol Roco läuft als Kontra Madiaga durch Manila und schaut dabei denkbar finster drein. Im grünlichen Licht, in das Khavn seine Großaufnahmen taucht, sieht Kontra, glatzköpfig, muskulös und vernarbt, fast aus wie Hulk. In einem multimodalen Monolog aus Schrifteinblendungen und verschiedenen Voice-Over-Kommentaren lässt sich Roco über das Elend der Welt aus und erzählt von einem Rachefeldzug, den er gegen die Welt im allgemeinen und Manila im besonderen zu führen hat und dessen Durchführung der Film dem Zuschauer nicht vorenthält. Rohe Gewalteinbüche, jede Menge spritzendes Blut in billigster Videotrashoptik.

Freilich lässt Manila in the Fans of Darkness offen, in welchem Verhältnis Kontras Gewaltexzesse zu den Spaziergängen durch Manila stehen. Sie gehören nicht auf dieselbe Realitätsebene, sind aber auch keine einfachen psychischen Projektionen. Ebensowenig stellen die Filmausschnitte aus Lino Brockas Manila in the Claws of Light und anderen Roco-Streifen, die Khavn in seinen Film montiert, Erinnerungen und / oder Rückblenden dar. Manila in the Claws of Light ist ein durch und durch synthetischer Film, der seine unterschiedlichen textuellen Ebenen nicht hierarchisch ordnet, sondern immer wieder neu durcheinander wirft.

Manila in the Claws of Light, Brockas Film aus dem Jahr 1975 (den ich leider nicht kenne), dient als Ausgangspunkt. Dort verfolgte derselbe Schauspieler in derselben Rolle seine Geliebte Ligaya auf einer romantisch-blutigen Odyssee durch die philippinische Gegenwart. Auch der neue Kontra verfolgt eine Ligaya (die freilich nicht von derselben Schauspielerin verkörpert wird wie die alte), obsessiv und hoffnungslos hängt er sich an ein Mädchen im weißen Kleid, das ebenfalls scheinbar ziellos durch Manila irrt.

Khavns Film inszeniert zwanghafte Wiederholungen mittels assoziativer Montagen. Immer wieder wechselt der Film von der vermeintlichen Erzählgegenwart (im aktuellen Manila mit dem Hulk-Kontra) in die Filmgeschichte, vermittelt durch filmgrammatische Anschlüsse: Der Gegenwartskontra öffnet eine Tür, die vom filmhistorischen Kontra wieder geschlossen wird, Brockas Kontra entzündet ein Streichholz, Khavns Kontra entfacht damit ein Lagerfeuer. Die Geschichte der Gewalt und der Demütigung pflanzt sich quasi von selbst fort und schaltet sich selbst kurz, ohne, dass irgendeiner der von ihr Betroffenen sich dagegen zu wehren vermag.

Manila in the Fangs of Darkness schichtet defizitäre Bilder. Die (nennen wir sie der Einfachheit halber auch weiterhin so) Gegenwart gehört der billigen digitalen Handkamera, absurde Licht / Schattenwechsel vertreiben noch den letzten Rest der klassischen Kinoillusion. Manchmal beobachtet diese Kamera den laufenden Kontra von der gegenüberliegenden Straßenseite aus, schwankend, verunsichert und verunsichernd, sehr ähnlich wie in der unglaublichen, fast vierzigminütigen zweiten Einstellung von Raya Martins Autohystoria (ein Film, der überhaupt einiges gemeinsam hat mit Manila in the Fangs of Darkness). Ziellose, fast mechanische Bewegung durch den postkolonialen urbanen Raum, der sich durch diese nicht erschließen lässt, aber in dem Bewegung die einzige mögliche Existenzform ist. Die Filmklassiker sind offensichtlich von alten, abgewirtschafteten Videotapes abgefilmt, Digital- und Videoartefakte überlagern sich gegenseitig, zusätzlich wird die Originaltonspur durch elektronische Rhythmen ersetzt. Geschichte entsteht in diesem Kino direkt aus solchen Defiziten, wird geborgen aus den Fehlern, aus Rauschen und Knacken, aus Flirren und falschen Farbwerten, aus ungenauen Anschlüssen und korrupten Parallelmontagen.

Monday, October 13, 2008

In passing

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Cuba, une odyssée africaine, Jihan El-Tahri, 2007

Knapp drei Jahrzehnte post/neokoloniale Verwicklungen in Japan bereitet die Ägypterin Jihan El-Tahri auf und nutzt dabei als Fokus das kubanische Engagement auf dem Kontinent, von Ches unglücklichem Kongoausflug zwecks Unterstützung Kabilas über die logistische Hilfen für Amilcar Cabral in Guinnea-Bissau bis zur massiven militärischen Präsenz im Angola der Achtziger Jahre. Produziert con unter anderem BBC und Arte entwickelt die Regisseurin ihr Material als größtenteils lineares Narrativ, durchzogen von kleinere und größeren Spannungsbögen. Geschichte ist auch in Cuba, une odyssée africaine die Geschichte großer Männer. Aber die Tatsache, dass in diesem Fall die meisten dieser großen Männer keine weißen Männer sind, ist beileibe nicht zu vernachlässigen. Cuba, une odyssée africaine mag kein besonders avanciertes Verständnis von Geschichtsschreibung zugrunde liegen (angesichts der beteiligten Produzenten verwundert das nicht), doch in diesem Fall rechtfertigt das Anliegen die Mittel - unzulässig manipulativ ist der Film ohnehin nicht, technisch bleibt alles dezent, der Voice-Over-Kommentar beschränkt sich aufs Faktische, die Interviewaussagen werden weder eindeutig be-, noch widerlegt.

Die Interviews sind es denn auch, die, neben raren Archivaufnahmen, den besonderen Reiz des Films ausmachen. Zahlreiche Überlebende beider (oder besser: aller denn bei aller Linearität taucht der Film doch tief ein ins Dickicht der postkolonialen Akronyme) Seiten erzählen erstaunlich freimütig über die Vergangenheit, ein ehemaliger CIA-Agent, der zu Zeiten Lumumbas / Mobutus im Kongo stationiert war, äußert sich, per Plastikschlauch mit Sauerstoff versorgt, ganz besonders freimütig.

Am Ende wird von verschiedenen Zeitzeugen und schließlich auch vom Voice-Over-Kommentar gefordert, das kubanische Engagement in Afrika neu zu bewerten, in seinen proklamierten Zielen ernst zu nehmen und gemäß seiner beachtlichen Erfolge zu würdigen. Angesichts der enormen Fülle an solide aufbereitetem Material, das El-Tahri präsentiert, dürfte ein Einspruch gegen diese Forderung schwierig werden.

Le sourire du serpent, Mama Keita, 2007

Fast der ganze Film spielt innerhalb einer Nacht und an einer Bushaltestelle in der industriellen Wüste irgendwo in der französischen Provinz. Dort muss sich die osteuropäische Prostituierte Marion mit dem illegalen afrikanischen Einwanderer Adama zusammentun, um die Nacht zu überstehen. Bald beginnen beide zu ahnen, dass sie nicht alleine sind.

Lange bleiben sie im Ungewissen und auch der Film lässt bis kurz vor Schluss offen, was Wahnvorstellung der drogensüchtigen Marion ist und was nicht. Tolle Einbrüche des Fantastischen in den Low-Budget-Handkamerarealismus des restlichen Flms sind das, wilde Kamerafahrten unterlegt mit effektiven Synthesizerklängen. An dem Film gefällt gerade diese Ambiguität: Einerseits ist Le sourire du serpent durchaus ein Horrorfilm, andererseits verweigert er sich der Dynamik des Genres und funktioniert, trotz Beschränkung von erzählter Zeit und Handlungsraum, eher anekdotisch.

Immer wieder neue Konstellationen entwirft Mama Keita zwischen Marion und Adama, immer wieder neue Bilder gewinnt er der Bushaltestelle und den paar sie umgebenden Straßen ab. Wie sich zwei Ausgestoßene in einer denbar feindseligen Umgebung zueinander verhalten können und was die Klischees des Horrorfilms (unter anderem eine schwarze Katze) dem hinzuzufügen haben, das erprobt der Film in verschiedenen Variationen. Es macht Freude, ihm dabei zuzusehen.

Misterios de ultratumba, Fernando Mendez, 1959

Ein klassischer Horrorfilm aus Mexiko mit einem wilden Plot, dessen Einzelheiten hier nichts zur Sache tun. Es geht um Spiritismus und verrückte Wissenschaftler hauptsächlich. Wichtiger ist der Schauplatz: Misterios de ultratumba spielt über weite Strecken in einer psychiatrischen Klinik.

Diese wird durchzogen von seltsamen Gestalten und wogenden Schatten. Eine Patientin hat einen hysterischen Anfall nach dem nächsten und kann nur beruhigt werden mithilfe einer Spieluhr. Sobald diese erklingt, fängt sie an, selig zu Lächeln und folgt dem Gerät blind und glücklich. Wenn die Spieluhr verstummt, schlägt sie alles kurz und klein.

Die Psychiatrie ist ein Laboratorium aus exaltierten Tönen und exaltierten Schatten. Misterios de ultratumba orientiert sich optisch am expressionistischen deutschen Stummfilm und zwar so deutlich, wie ich es ansonsten noch bei fast keinem Tonfilm gesehen habe (direkte Hommagen a la Guy Maddin ausgenommen). In der mexikanischen Psychiatrie wird jede Szene neu zusammengesetzt aus wilden Tönen und Bildern, die oft miteinander konfligieren und nicht einmal mehr im Ansatz eine vorgängige Welt voraus setzen. Alles wird expressiv, alles hat Bedeutung, jede Motivierung ist möglich (die psychologische, die narrative, die metaphysische) außer der realistischen.

Thursday, October 09, 2008

Berlin Kino, 9.-15.10.2008

Le Silence de Lorna heißt der neue Film der Dardenne-Brüder und es ist ein sehr schöner geworden. Hier mehr von mir, hier von Ekkehard, der außerdem über die wohl zu vernachlässigende Komödie House Bunny schreibt. Nicht wirklich empfehlen möchte ich Tage und Wolken / Giorni e nuvole ein italienisches Sozialdrama, das wenig falsch aber auch wenig richtig macht und am Ende folgerichtig mit sehr wenig dasteht. Ansonsten: Eagle Eye, ein neuer Thriller des Disturbia-Teams (Shia LaBeuf / D.J. Caruso), U-900, eine Blödeslkomödie mit ausgerechnet Atze Schröder (dass es den überhaupt noch gibt...) und zuletzt Krabat vom designierten Fassbinderfilmfilmer Kreuzpaintner.

Im Haus der Kulturen der Welt startet morgen (Eröffnung ist heute) die von Manthia Diawara sehr ambitioniert programmierte Filmreihe AFRICAN SCREENS. Zu sehen ist neben sporadischen Ausflügen in dei Vergangenheit afrikanisches Gegenwartskino in beeindruckender Breite von Daratt bis Nollywood. Morgen geht's los mit Drum, einer ambitionierten, aber nicht wirklich runden afrikanisch-amerikansichen Coproduktion. Gleich danach läuft ein Film, der um einiges interessanter zu sein verspricht: Les saignantes, ein "Science-Fiction Polithriller" aus Kamerun. Am Wochenende folgen weitere Filme.

Im Arsenal läuft heute abend Chantal Ackermans 200-minütiges Meisterwerk Jeanne Dielman, 23, Quai du Commerce, 1080 Bruxelles. Kurzentschlossene Masochisten wissen, was sie zu tun haben. Mittwochs dann gleich ein zweites, vielleicht noch größeres Meisterwerk: Sürü von Zeki Ökten / Yilmaz Güney. Außerdem startet eine Reihe zu Hanns Eisler mit Fritz Langs schönem Hangmen Also Die. Schließlich findet morgen, leider parallel zu den afrikanischen Filmen, die erste Veranstaltung des Projektes Kunst der Vermittlung statt, das den "filmvermittelnden Film" länder- und epochenübergreifend aufzuarbeiten sich vorgenommen hat. Mehr hier.

Eigentlich lohnt es nicht mehr, auf das Babylon zu verweisen. Dort werden inzwischen selbst weite Teile einer Almodovar Retro (nun wirklich nicht das ambitionierteste, was es gibt) per DVD bestritten und auch Cormans The Terror läuft nicht auf Film. Wärmstens empfehlen möchte ich dennoch Autostop rosso sangue / Wenn du krepierst - lebe ich, ein extrem intensiver italienischer Psychothriller mit Franco Nero und einem unglaublichen David Hess, der bei den Freunden des schrägen Films läuft (die natürlich von jedem Babylon-Bashing ausgenommen bleiben).

Im Zeughauskino läuft wahrscheinlich sehr schönes französisches Kino leider in deutschen Synchronfassungen.

Wednesday, October 08, 2008

Ticketinformation

Die Viennale bietet ermäßigte Ticketpreise für

- Ö1 Club Mitglieder
- DER STANDARD Abovorteil Clubmitglieder
- erstsemestrige Studierende
- Kunden und Mitarbeiter der ERSTE Bank.

Tuesday, October 07, 2008

Shoot 'Em Up, Michael Davis, 2007

Mit Shoot 'Em Up, der mancherorts sehr wohlwollend aufgenommen wurde, kann ich nur wenig anfangen. Zwar ist die eine oder andere Actionsequenz (inszeniert im Stil des Hongkongkinos, also mithilfe kontinuierlicher Motivketten, nicht im chaotischen Hollywoodstil) ganz gelungen und die Fallschirmszene sogar richtig groß, aber insgesamt ist das ästhetische Vorbild leider tatsächlich eher das Computerspiel (siehe Filmtitel) als der Hongkongfilm. Klar, auch letzterer verzichtet auf Charaktertiefe zugunsten von Bewegungskaskaden, aber er hat doch auch immer so etwas wie einen sense of place und damit zumindest eine abgeleitete soziale Dimension. Shoot 'Em Up ist ganz emphatisch (das wiederum kann man eventuell gut finden, mir ist das nicht gelungen) nur Klischee und kommt im Oneliner ganz zu sich selbst, sei er verbal ("Talk about shooting Your load" " Nothing like a good hand-job" "Eat Your vegetables") oder visuell (Scheisse im Gesicht, Karotte im Auge, Blutfontaine aus dem Schritt).
Gender- und sonstwelche Diskurse sind natürlich vorhanden, stehen aber im luftleeren Raum, weit abseits jedes echten Menschen und sind somit egal. Die einzige Szene, die mich an dem Film doch überrascht hat, ist die (Spoiler), in der Smith den korrupten, aber eigentlich reumütigen Politiker eiskalt abknallt. Da schleicht sich, postmodernes Spaßkino hin oder her, doch die neue Härte der zeitgenössischen Film- und vor allem Fernsehproduktion in Shoot 'Em Up ein. Denn selbst unter verschärften Pomobedingungen wäre ein so knallhart utilitaristisches Menschenopfer (das gerechtfertigt wird durch ein "höheres Ziel", nämlich den Kampf gegen die Waffenlobby) glaube ich vor einem Jahrzehnt noch nicht möglich gewesen. The Shield und 24 waren da wohl tatsächlich nur die Vorreiter, inzwischen dürfen auch Kinohelden nach Herzenslust asozial sein, wenn das Wohl der Nation in Gefahr gerät. Verbunden wird die moralphilosophische Härte mit der physischen, hier repräsentiert durch eine allerdings doch eher harmlose Folterszene.
Ach ja, seit gestern überlege ich fieberhaft, aus welchem Film das Ende mit den beiden kaputten Händen entnommen ist, aber ich komme nicht drauf, obwohl mir die entsprechende Szene fast vor den Augen schwebt. Weiß das jemand?

Monday, October 06, 2008

Oumarou Ganda: Zwei Filme

Le wazzou polygame, 1971

Cabascabo, 1969

In beiden Fällen hat ein Heimkehrer schuld: Der muslimische Geistliche, der von der Wallfahrt nach Mekka zurückkehrt, nimmt einem armen Dorfbewohner in Le wazzou polygame die Braut weg und macht sie zu seiner Nebenfrau. In Cabascabo kehrt ein Veteran des Indochinakrieges mit zahlreichen Schätzen beladen in die Heimatstadt zurück und wird von allen hemmungslos abgezogen, solange, bis ihm nichts mehr übrig bleibt als die Rückkehr aufs Land, die Spitzhacke in der Hand.
Mit zwei weit entfernten Orte, mit Mekka und mit Indochina, werden die Gemeinschaften konfrontiert, in beiden Fällen geht das schief. Doch es geht schief auf jeweils sehr unterschiedliche Art und Weise.
In Le wazzou polygame wird das Problem ausgelöst durch den Heimkehrer, in Cabascabo durch die zuhause gebliebenen. Was nicht heißen soll, das jeweils eine Partie Schuld trägt und die andere nicht. Alles personalisierbare ist den Filmen fremd. Der Wazzou des ersten Films kehrt in eine noch größtenteils kohärent funktionierende Dorfgemeinschaft zurück, die sich freilich nicht zuletzt über Aussschließungsmechanismen definiert. Die Rückkehr löst eine fast mechanische Kettenreaktion aus, an deren Ende sowohl der Nebenbuhler als auch die Braut aus der Dorfgemeinschaft ausgestoßen werden. Gandas Film bezieht die Brautwerbung, die Hochzeit und deren Nachbeben konsequent auf die Dorfgemeinschaft als Ganzes. Verhandlungen, Klatsch und Zeremonien stehen im Mittelpunkt (einmal wird eine Gruppe spielender Kinder gezeigt, die sich darauf vorbereitet, sozialer Akteur in gruppenbasierten Prozessen zu werden). Charakterdrama findet nicht statt, die nominellen Hauptfiguren sind oft genug gar nicht im Bild anwesend. Die entschiedenden Informationen werden in genau einer Einstellung vermittelt, Schuss / Gegenschuss setzt Ganda nur in äußerst wenigen Szenen ein und wenn doch, dann in solchen, die die Hilflosigkeit der Liebenden in den Mittelpunkt stellen.
Le wazzou polygame zeigt die Dorfgemeinschaft als organisches, deshalb aber noch lange nicht gesundes, System. Ein faules Element genügt, um zwei gesunde Elemente zu verderben. Zur Frage der Religion verhält sich Ganda dabei weniger aggressiv als Sembenes Ceddo. Der afrikanische Islam ist nicht mehr aus dem System herauszupräparieren und stellt deshalb auch nicht dessen Schwachstelle dar. Die religiös verbrämte Polygamie fügt sich harmonisch in andere, nichtislamische UNterdrückungs- und Machtmechanismen ein.
Fluchtpunkt ist nicht, wie in Cabascabo, das Land, sondern die Stadt. Die Disco, in der sich die enttäuschte Braut schließlich prostituieren muss, stellt eine neue, chaotische räumliche Ordnung dar, deren Hierarchien weit weniger historisch sind.
Cabascabo ist auf den ersten Blick deutlich personalisierter, die Hauptfigur, der Kriegsheimkehrer, steht in fast allenm Szenen im Mittelpunkt. Freilich spielt der Film auch nicht auf dem Land, sondern in der Stadt. Hier richten sich die Gruppierungen nicht an Traditionen, sondern an Besitzverhältnissen aus. Und um den vermögenden Heimkehrer bildet sich automatisch eine Menschentraube. Freilich geht es dem Film nicht, wie amerikanischen oder europäischen Kriegsheimkehrerfilmen, um Traumabewältigung. Der Heimkehrer scheitert nicht an seinen Psychosen, sondern an der realen Gier seiner Landsleute sowie am Fehlen jedes Auffangnetzes vor der Spitzhacke. Aus der Stadt wird er nicht herausgedrängt aus einer bestehenden Struktur, weil seine Planstelle von einem anderen besetzt wird wie es den Hauptfiguren in Le wazzou polygame in dem Dorf ergeht, er fällt einfach durch eine amorphe Sozialstruktur hindurch, von oben nach unten.

Thursday, October 02, 2008

Berlin Kino, 2.-8.10.2008

Der neue Film der Coens hat mir viel Spaß gemacht hat, obwohl / auch weil er nicht unbedingt wahnsinnig ambitioniert ist. Eher solides Handwerk mit ein paar Spitzen in alle möglichen Richtungen. Hier mehr, auch wenn mir nicht wahnsinnig viel zu Burn After Reading eingefallen ist. Auf der verlinkten Seite schreibe ich auch über Mike Myers The Love Guru, der wahrscheinlich nicht viel schlechter ist als die Austin Powers-Filme, aber deren Begrenzungen nie hinter sich lassen kann, trotz großer Anstrengung und zahlloser Cameoauftritte. Sonst: Berlin Calling, ein Film, bei dem mir schon der Trailer reicht (und wegen dem ich mich schäme, in Berlin zu wohnen), Uwe Bolls Far Cry mit Til Schweiger, der in Richtung 80ies-Action tendieren soll und schließlich der in den Feuilletons dieses Landes viel beachtete Heimatkunde, der sicherlich ganz nett ist, wahrscheinlich aber auch nicht viel mehr.

Im Haus der Kulturen der Welt beginnt nächste Woche eine sehr ambitionierte Reihe zum afrikanischen Kino. Als Vorgeschmack wird bereits in dieser Woche zum einen Lothar Lamberts sehr schöner 1 Berlin - Harlem, zum anderen ein sonderbares, wohl irgendwie postkolonial gemeintes Casablanca-Screening zu sehen sein.

Das Babylon will anscheinend immer weniger Kino sein, neben Fellinis Satyricon läuft aber immerhin noch die Mexiko-Reihe der Freunde des schrägen Films. Nach dem eher schwachen Auftakt gestern verspricht die nächste Woche klassisches Horrorkino: Der Tote kehrt zurück.

Im Arsenal laufen Filme von Nina Menkes (???, keine Ahnung, ob sich das lohnt), außerdem Paradjanovs Sajat Nova.

Im Zeughauskino schließlich Viscontis mir noch unbekannter Ludwig 2..