Friday, August 31, 2012

Blaxploitation im Arsenal auf 35mm

Die Blaxploitationreihe im Arsenal war sicher nicht die beste Retrospektive, die ich im letzten Jahr gesehen habe, aber es war die Reihe, die mir mehr als jede andere die Schönheit des 35mm-Films mitgeteilt hat. Noch vor wenigen Monaten waren mir die Puristen nicht wirklich geheuer (und ihre Diktion geht mir gelegentlich noch immer auf die Nerven), inzwischen bin ich selbst einer geworden, fürchte ich. Schuld daran waren screenings in Bologna, in Locarno (die Preminger-Retro) und eben vier Blaxploitationfilme im Arsenal.

Warum besonders die Blaxploitationfilme, von denen mir dann auch nur zwei (Hell Comes to Harlem und Black Caesar) wirklich gefallen haben? Vielleicht, weil die Filme ein besonderes Verhältnis zur eigenen Materialität haben: nicht nur die warmen Farben, auch der antreibende, rollende Funk. Und die Autos der Siebzigerjahre wären dann das dritte, zum Beispiel in Slaughter (Jack Starrett), einem lange eher langweiligen Film, der sich dann am Ende umso eindringlicher in Bewegung setzt. Das warme rot-braun, das in den Bildern mitschwingt, ohne sie zur Gänze zu dominieren (es gibt in den Filmen immer ein Aufatmen, wenn man aus geschlossenen Räumen ins Freie tritt, in neuen Filmen erlebe ich das nicht mehr), die nachgiebigen Beats, die weich eingestellten Federungen: All das sind irgendwie reflexive Weltverhältnisse, all das insistiert auf einem gemeinsamen Erfahrungsraum, darauf, dass die Dinge der Welt mich wirklich angehen, eine Resonanz hervorrufen wollen. Und genau das vermittelt vielleicht auch der Zelluloid-Film.

Vielleicht sind wir heute sogar in einer privilegierten Position: Vielleicht kann man die Schönheit des analogen Filmmaterials nur erfühlen, wenn es nicht mehr alternativlos, keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Wenn die Brüchigkeit, die Vergänglichkeit, die Historizität von Zelluloid nicht mehr hinter der Souveränität der Apparatur verschwindet, sondern bei jedem screening implizit mitläuft, weil bald möglicherweise der Projektor selbst ausgedient hat. Wenn mit jedem Meter Film auch tatsächlich etwas verloren geht, weil man Angst haben muss, dass dieser Meter Film nie wieder durch einen Projektor laufen wird. Das mag eine egoistische Perspektive sein, aber es genügt nicht, finde ich, nur auf materialgebundene Werktreue, archivarische Standarts und ähnlicheSelbstverständlichkeiten zu pochen, man muss auch auf die analogen Erfahrungsformen hinweisen (=sie kommunizieren, über sie schreiben), die unwiderbringlich verloren zu gehen drohen, wenn selbst Kinematheken nichts dabei finden, gelegentlich DVDs zu projizieren, oder androhen, selbst ihr eigenes archiviertes Filmmaterial nur noch in Form von DigiBeta-Surrogaten (faktisch ebenfalls als DVD) zugänglich zu halten.

Thursday, August 30, 2012

Jack Reacher 1-10 ranked

(Anlässlich der Veröffentlichung von Band 17 - ein wenig Spielraum habe ich noch)

1. Die Trying

Jack-Reacher-Bewegungsbild

2. Persuader

Die grandiose Einstiegsmontage: erst eine atemlose Actionsequenz dann ihr making of. Der epische Kampf gegen Paulie, smart muscle vs dumb muscle. Einer der exzessivsten Bände, Reacher im Kampf gegen die Elemente, im Strudel, der Wahnwitz als Rückseite, als logische Konsequenz einer durch und durch analytischen Weltsicht. Mistakes, coming back to haunt you.

3. Echo Burning

Der Texas-Band, noch mehr als die anderen angetrieben von Neugier auf die USA, dieses komische, rießige Land. Ungerichtet wirkende Szenen in Diners, Interaktionen mit Kindern, Unübersichtliche Zusammenhänge, die dann aber doch wieder ganz klassisch finalisiert werden, Fasern, die glattgebügelt werden. Im Finale umkreist Reacher seine Gegner, das ist ziemlich komplex, da hätte ich gerne eine Karte gehabt (wie mir überhaupt Karten gelegentlich fehlen, aber ich verstehe natürlich, warum es sie nicht gibt, nicht geben kann).

4. Tripwire

Der erste New-York-Band (der Anfang allerdings in Miami, Reacher trainiert, indem er Pools aushebt und sieht aus wie ein "glänzendes Kondom") ist einerseits großartig montiert. Andererseits brechen viele Szenen doch wieder aus der Montage aus: Eine tolle Actionszene auf der Straße in Slo-mo. Die Rückblende nach Vietnam. Das Hochhaus mit der geheimen Etage. Der Schuss in die Brust. Nur die Sexszenen... das zieht sich durch die Bände, vielleicht ist Lee Child auch einfach nur ein wenig prüde.

5. The Hard Way

Der beste Anfang bisher: Reacher rutscht in die Geschichte hinein, weil er an zwei Tagen hintereinander dasselbe Cafe besucht. Sehr flüssig, sehr routiniert (trotz einiger Hakler in der Plotkonstruktion), der zweite New-York-Band; ich habe ihn schneller gelesen als alle anderen. Das Investigative rückt noch mehr in den Vordergrund, im Grunde gibt es nur noch eine einzige Actionszene, am Ende in England. Die sexy professional, mit der Reacher diesmal schläft, ist zur Abwechslung einmal älter als er. Die Sprache wird immer souveräner, Sätze sind nicht nur funktionsgebundene Bausteine in einer Erzählung, sondern erhalten einen Eigenwert, können (ohne indirekte Rede etc) wiederaufgenommen werden.

6. The Enemy

Das prequel. Reacher und die Tücken der Weltpolitik. Reacher ist zwar noch im Militär, aber einen Institutionenroman hat Lee Child trotzdem nicht geschrieben. Wieder ein "investigativer" Band, vielleicht der erste, der wirklich funktioniert. Keine Angst vor Kitsch in den Frankreichszenen, dafür ist das Finale (Reacher vs Panzerbataillon) so ziemlich das Durchgeknallteste, was die gesamte Serie zu bieten hat. Eine staubtrockene Exekution als coda. Einige der wenigen guten Sexszenen: das zweite Mal ist oft das beste, man freut sich darauf, aber es ist noch nicht langweilig.

7. Running Blind

Der konfuseste Band. Reacher prügelt sich mit Kneipenschlägern, Reacher erbt, schläft immer noch mit der gleichen Frau, gerät dann in eine Geschichte aus seiner Vergangenheit, deren Auflösung mir doch ein wenig wie ein cop out vorgekommen ist. Aber viele schöne Details, zB ein Polizist, der Kaffee trinkt und danach keine Möglichkeit zu pissen hat.

8. One Shot

Ein weiterer Investigations-Band. Formal sehr geschlossen (bis auf einen narrativen Trick am Anfang, der an Persuader erinnert), Reacher kommt in eine Stadt und verlässt sie nicht mehr, bis alle finsteren Gestalten hinüber sind. Als Americana-Erzählung leider lange nicht so gelungen wie Echo Burning. Viel Beschattung und Verfolgung, vielleicht deswegen doch nicht die schlechteste Wahl für die Verfilmung. Der bad guy allerdings wirkt wie ein schlechter Abklatsch des bad guys aus Tripwire.

9. The Killing Floor

Den ersten Band muss ich vielleicht bald noch einmal lesen. Im Vergleich mit den beiden Nachfolgern schien mir der nicht so ganz rund, aber es ist doch schon viel enthalten, was insbesondere die etwas späteren Bücher auszeichnet: Auch der Gedankliche Nachvollzug von Verschwörungen kann schon für sich selbst ein Thrill sein und die finale Bewegungsexplosion vorprägen. Und ja, das Finale in der Scheune ist tatsächlich super.

10. Without Fail

Eigentlich komisch, dass mir ausgerechnet der Sniper-Band am wenigsten gefallen hat, es gibt da durchaus Ansätze für den ultimativen Waffenfetischisten-Roman. Vielleicht liegt es daran, dass das Investigative zum ersten Mal eindeutig in den Vordergrund rückt und weil diese Investigation doch etwas zäh voran schreitet.

Friday, August 10, 2012

Preminger und Montage

Situative Zusammenhänge, die in einer Einstellung dargestellt werden können, werden auch in einer Einstellung dargestellt. Toll sind die erkundenden Kamerabewegungen, die von Element zu Element springen, sich mal an Figurenbewegungen heften, sich dann aber auch wieder von ihnen lösen, wenn sie "auserzählt" sind, nichts mehr erschließen. Toll aber auch die einfachen Schwenks entlang einer Figurenbewegung, die zeigen, woher jemand kommt und wohin er geht: in dieser einen Bewegung steckt schon der ganze Ethos Premingers, der auf der Befragung der Figuren beruht und der nicht nachgibt, bis er an eine natürliche Grenze (den Tod, zB, aber auch das Ritual, in The Cardinal, oder die Exilierung, in Hurry Sundown) stößt.

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Schnitte dagegen sind eigentlich nur zu rechtfertigen, wenn sie zwei distinkte Situationen verbinden. Schnitte innerhalb einer Situation sind Gewaltakte; das trifft manchmal sogar auf generische Schuss / Gegenschussverfahren zu: wenn John Wayne in In Harm's Way zum ersten Mal seinem Sohn gegenüber tritt, sind beide kein einziges Mal im selben Bild zu sehen. Der Sohn muss sich den Zutritt zum Bildraum des Vaters erst verdienen. Vor allem aber isolierte Großaufnahmen und point-of-view-Einstellungen verweisen auf Brüche, auf Gewalt, auf Trennung: Die Großaufnahme von Kirk Douglas, bevor er in In Harm's Way Jill Haworth vergewaltigt ist das härteste, das extremste Beispiel. Die Kälte und Isolation im letzten Film The Human Factor ist nicht zu trennen von einer extrem analytischen Montage, die die früheren, optimistischeren Filme vermeiden.

Normalerweise bleiben Blicksubjekt und Blickobjekt im selben Bildraum vereint. Großartig ist in dieser Hinsicht die letzte Sequenz von Bunny Lake is Missing, wo eine Frau einen Mann minutenlang beobachtet: Preminger schneidet nicht zwischen dem beobachtenden Gesicht und dem Objekt der Beobachtung hin und her, sondern konstruiert zweiwertige Bilder, wählt durchweg Perspektiven, die beide gleichzeitig zeigen. Die räumliche Kontinuität, die Darstellung von Zusammenhängen im Modus der Gleichzeitigkeit macht die Welt nicht zu einem sichereren Ort; ganz im Gegenteil trägt sie schier unerträgliche Spannungen in sie ein.

Eine der schönsten Sequenzen im Werk, soweit ich es kenne: die erste Wien-Sequenz in The Cardinal. Es gibt da zwei Szenen, in denen der Bruch zwischen dem zweifelnden Kirchenmann und der säkularen Welt ausagiert wird: zum einen eine Ballszene, mit einer Großaufnahme seines Gesichts und einem anschließenden point of view der tanzenden Menge. Für einen Moment noch kann er ihr Teil werden, aber sein Schicksal ist schon mit diesem Schnitt, mit dieser Trennung, besiegelt. Wenig später schaut Romy Schneider, die Frau, in die er sich verliebt hat und die auch ihn liebt, durch ein Fenster auf ihn, der wieder seine kirchliche Uniform angelegt hat. Diesmal bekommt sie die Großaufnahme, dann folgt aber nicht der point of view, sondern eine Einstellung, die die faktische Trennung der beiden (durch die Fensterscheibe) im Bild registriert. Die beiden Schnitte alleine widerlegen die gesamte suture-Theorie: eine Montage, die sich am Blick orientiert, vernäht nichts, sie trennt, reißt auf, zerstört, balsamiert ein; zumindest tut sie das, wenn sie Respekt vor der Komplexität des Blicks hat. Und ein guter Film hat immer mehr Respekt vor dem Blick als schlechte Theorie.

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Gerade nachgelesen: Stefan Ripplinger in cargo 01 über Chris Fujiwaras Premingerbuch, das ich mir demnächst besorgen werde (Fujiwara war in Locarno und hat sehr interessant über In Harm's Way gesprochen):

Für Chris Fujiwara liegt das Grundprinzip von Preminger in einem Wechsel von Zu- und Abwendung, der sich nicht selten in Zu- und Abwendung der Kamera ausdrückt. Niemals nimmt sie den Blick eines anderen ein, sie betrachtet und bestaunt die Personen. Aber in keiner Einstellung wird sie so pychologisch wie bei Hitchcock. Premingers Kamera bleibt eine dritte Person, sie ist keine Besserwisserin, sie ist keine Beteiligte, aber doch immer diskret anwesend. Sie ist die Frage eines Skeptikers.

Thursday, August 09, 2012

Festival del film Locarno 2012 ranking


*****In Harm's Way, Otto Preminger, 1965
*****Hurry Sundown, Otto Preminger, 1967
*****The Human Factor, Otto Preminger, 1979
*****Bunny Lake Is Missing, Otto Preminger, 1965
*****Wend Kuuni, Gaston Traore, 1982
*****The Cardinal, Otto Preminger, 1963
*****Forever Amber, Otto Preminger 1947
*****La madre, Jean-Marie Straub, 2012
*****Chiri, Naomi Kawase, 2012
*****Centennial Summer, Otto Preminger, 1946
****The Creation As We Saw It, Ben Rivers, 2012
****Under Your Spell, Otto Preminger, 1936
****Margin for Error, Otto Preminger, 1943
****Ape, Joel Potrykus, 2012
****Carmen Jones, Otto Preminger, 1954
****When Night Falls, Ying Liang, 2012
****Danger: Love at Work, Otto Preminger, 1937
****Light in the Yellow Breathing Space, Vimukthi Jayasundara, 2012
****Samba Traore, Idrissa Ouedraogo, 1992
****A Ultima Vez Que Vi Macao, Joao Pedro Rodrigues / Joao Rui Guerra da Mata, 2012
****Vakansi yang janggal dan penyakit lainnya, Yosep Anggi Noen, 2012
***No, Pablo Larrain, 2012
***The 13th Letter, Otto Preminger, 1951
***The Great Cinema Party, Raya Martin, 2012
***Bachelorette, Leslye Headland, 2012
**Far From Afghanistan, John Gianvito / Jon Jost, / Yoo Soon-mi / travis Wilkerson / Minda Martin, 2012
**Compliance, Craig Zobel, 2012
*Capitaine Thomas Sankara, Christophe Cupelin, 2012