Tuesday, September 22, 2009

Eine Stadt wird erpresst, Dominik Graf, 2006

Den Lobeshymnen (auch hier) kann ich mich nur voll und ganz anschließen: was für ein Film!
Land erpresst Stadt, Vergangenheit erpresst Gegenwart. Ganz abgesehen vom handwerklichen Glanz, von den schlüssigen, souveränen Italothrillerallusionen vor allem im ersten Teil, in Leipzig, die Zooms, die Härte auf den Straßen, ganz abgesehen auch vom Gestischen, von der Körpersprache, die mit dem wahnwitzigen Tempo des Schnitts mühelos mithält, abgesehen auch von kleinen Meisterstücken wie der Verfolgungsjagd im Wald oder dem Fußballspiel am Ende: Wo hätte sich das deutsche Kino der letzten Jahre so für die Texturen, für die Materialität Deutschlands interessiert? Graf präpariert nicht vorgefundene Texturen, er rekonstruiert sie, generiert immer neue Muster, Szene für Szene, Einstellung für Einstellung. Dass auch diese Methode einem sozialen Inhalt dienen kann: Das muss man mir an dieser Stelle einfach glauben. So gut kenne ich mich bei Graf noch nicht aus; für mich ist die naheliegendste Spur sein Deutschland 09-Beitrag Der Weg, den wir nicht zusammen gehen: Bausubstanz und ihre Hilflosigkeit gegen die Geschichte:



Wenn der Thrillerplot sich aufs Land verlagert, die großartige Helikopterkamerafahrt vom Tagebau über die Dächer des Dorfes. Die Tagebaugrube, die im Finale noch einmal auftauchen wird:



Nach der Schießübung (ein weiteres kleines Meisterstück) ein delirierender Schwenk über die Kulturlandschaft, kaltes, klares Licht, matte Farben:



Im Hotel (Julia Blankenburg im Hotelzimmer, sie greift einen Haufen Geldscheine, probiert aus, wie es sich anfühlt, sie in die Luft zu werfen), die wiederum kalte, klare Tiefe des Hotelflurs:



Das großartigste Bild des Films, isoliert, in gewisser Weise, obwohl narrativ motiviert, ein unerklärtes Bild, nicht ganz einholbar durch die Narration: ein Pferd vor Windrädern, eine völlig verquere, durchgeknallte Form von Idylle (man achte auf den Regenbogenansatz), im Film machen die im echten Leben stets bloß landschaftsverschandelnden Windräder plötzlich ganz und gar Sinn:

Thursday, September 17, 2009

The Shield: Leverage

Noch einmal The Shield.
Müsste ich die sieben Staffeln auf einen Begriff bringen, wäre das "leverage". Ein englisches Wort, das ich vorher kaum kannte und dessen exakte Bedeutung ich bestenfalls aus dem Zusammenhang des jeweiligen Satzes erschließen konnte. In The Shield taucht das Wort andauernd auf, gefühlt nicht nur in jeder Folge, sondern alle fünf Minuten. Ein online-Wörterbuch listet "leverage" als:

Einfluss
Druckmittel
Hebelanordnung

In The Shield ist die zweite Bedeutung zentral: Druckmittel. Will man in LA Farmington irgend etwas erreichen, so benötigt man Druckmittel. Nicht ein einzelnes, sondern ein ganzes System aus Druckmitteln. Die Serie und die Welt, die sie erschafft, wird von diesen Druckmitteln, vom "leverage", strukturiert. "Leverage" funktioniert in der Logik der Serie wie eine Art Universalwährung: Alles kann "leverage" werden, alles ist aber auch fürs Individuum (zumindest für das, das in der Serie bestehen will) perfekt und rückstandfrei auf "leverage" reduzierbar. "Leverage kann sein: Echtes Geld genauso wie Sex oder Liebe, nackte Gewalt, genauso wie belastende Dokumente oder Wissen. Utilitarismus in Reinform, wer mehr "leverage" hat, gewinnt, ale anderen Kategorien, selbst im amerikanischen Film- und Fernsehschaffen so zentrale wie die Familie, verwandeln sich Schritt für Schritt, Folge für Folge, Staffel für Staffel, in Spielmaterial - und in potentielles "leverage".

Tuesday, September 15, 2009

The Shield 7.1

"...we must avoid the idea that Los Angeles is ultimately just the mirror of Narcissus, or a huge disturbance in the Maxwellian ether. Beyond its myriad rhetorics and mirages, it can be presumed, that the city actually exists." (Mike Davis)

In The Shield war die Existenz der Stadt Los Angeles sieben Staffeln lang akut bedroht. Freilich geht es der Serie weniger um die "LA Freeways" oder um das Schwinden der Distanz im Bonaventure Hotel, eher aktualisiert und radikalisiert sie ältere Metaphern wie die vom Großstadtdschungel. Gefilmt wird vor Ort, auf der Straße, doch die Unmittelbarkeit der Handkamera verbirgt die Stadt eher, als dass sie sie erschließt. Ein wilder, rein synthetischer Bilderbogen aus Gangsterrapvideoklischees.
Ganz unerwartet am Ende der ersten Episode der siebten Staffel dann doch noch ein establishing shot, ein Versuch, die Totalität der Stadt Los Angeles einzufangen:



Ein unförmiges, zentral vage angeschwollenes Lichtermeer, vor dem das Strike Team, beziehungsweise dessen Überreste, einen Pakt erneuert, von dem man bereits lange weiß, dass er nicht mehr zu retten ist. Ein paranoides Netz spannt die Serie über dieses Lichtermeer, in den letzten beiden Staffeln entwickelt sie eine Verschwörungstheorie, nach der lateinamerikanische Drogenkartelle drauf und dran sind, dieses Lichtermeer mit Haut und Haaren zu übernehmen.
Die siebte Staffel bleibt atemberaubend gut geschrieben, freilich kann sie nicht ganz Niveau und Tempo der beiden vorherigen halten. Vor allem aber konnte ich immer weniger über die inzwischen nicht nur paranoide, sondern auch offen reaktionäre und streckenweise kaum noch verbrämt rassistische Schlagseite der Unternehmung hinweg sehen. Irgendwie doch gut, dass diese Serie, die in mancher Hinsicht tatsächlich ausschaut wie ein Relikt der Bush-Ära, zu ende gegangen ist.

Monday, September 14, 2009

Räume, Orte

Im amerikanischen Kino sind die Räume in mancher Hinsicht unspezifisch, das stimmt schon. Sie abstrahieren von der Geografie, sowohl im großen Ganzen, wie auch im innerstädtischen Detail. Andererseits sind die Orte, die das amerikanische Kino entwift, in sozialer Hinsicht höchst spezifisch: Das Diner, die High School mit ihrer intern aufgesplitteten Raumlogik, die Suburb usw. All diese Orte sind soziologisch, nicht geografisch definiert. Soziologisch aber sehr exakt. Selbst auf der Landkarte einwandfrei nachweisbares wie "Las Vegas" gerinnt eher zum soziologischen als zum geografischen Klischee. Sowohl soziologisch als auch geografisch definierte Räume werden nur in absoluten Ausnahmefällen, mit ungeheurer Kraftsanstrengung entworfen: The Wire, Route One USA.
Vielleicht lässt sich, allen Widerständen gegen solche Verallgemeinerungen zum Trotz, eine Reihung der Nationalkinematografien aufstellen. Einbezogen habe ich nur Länder, aus denen ich ausreichend (soll heißen: mehrere hundert) Filme gesehen habe.

(klassisches) japanisches Kino: die japanische Architektur als der unspezifische Ort par excellence. Keine Fixpunkte. Schiebetüren und Wandschirme dienen sich jedem Raum, jedem Milieu an. Jeder Raum ist provisorisch, bleibt Bühne.

europäische Kinematografien (Frankreich, Deutschland, eventuell Italien, GB): Raum ist geografisch spezifisch (Paris / Provinz, Tatort, Dialekt), soziologisch unspezifisch, Fetischisierung des Lokalen als autarker Mikrokosmos, aber auch: Fetischisierung des profilmischen Raums in cinema verite und Gefolge.

amerikanisches Kino: geografisch unspezifisch, soziologisch spezifisch.

(Mögliche weitere Positionen: Third Cinema, Hongkong, beide überwinden den Gegensatz eventuell auf unterschiedliche Weise)