Selbstreflexivität verweist nicht auf Film, sondern auf Bühne. "I'm the Villain of this piece" Animationsfilm mit Theaterlogik? Travelogue, Nummernrevue, präsentierendes Voice Over: Erweiterung eines theatralen Dispositivs.
Sexuelles Verhältnis zur Welt (zuerst zur Welt, erst dann zu Objekten in der Welt): Körper prägt sich in Welt ein (bleibt aber immer von ihr unterscheidbar), hinterlässt Spuren (Profilabdruck in Straßenschildern). Verwandt: die Schlange, manchmal antikapitalistisch (antisemitisch?), mal auch nur ein Schiff, das sich an der Küste entlang schlängelt (u.a. Land of the Midnight Fun).
Wednesday, March 31, 2010
Tuesday, March 23, 2010
Fame Is the Spur, Roy Boulting, 1947
Britische Großproduktion aus der unmittelbaren Nachkriegszeit, ein kritisches Politikerportrait aus links-sozialdemokratischer bis sozialistischer Perspektive, ein Dokument auch der im Nachkriegsengland aufscheinenden Möglichkeit, Parlamentarismus und Sozialrevolution zu verbinden.
Ein Arbeiterkind, das schon in seiner Kindheit nicht das richtige Verhältnis findet zum Rattenverkäufer, dem kapitalistischen Selm-made-man, der später erst sein Chef wird und dann sein Gönner. Fast schon expressionistische Schattenmalereien im Arbeiter-Ghetto. Dann der Eintritt in die Politik, an der Seite des unbeholfenen, ehrlichen Arbeiterführers, seine Reden im messianischen Stil, seine Verachtung für die späteren Weggefährten, die Klassenfeinde. Bald ist es ein schön ausgeleuchtetes Leben, aber das eigene Verhältnis zur Arbeiterschaft ist schnell nur noch als ein strikt hierarchisches denkbar. Und es ist durchaus die Frage, ob der Film als Ganzes da so viel anders denkt oder ob er sich nicht doch nur nach einem charakterlich integereren Anführer sehnt.
Ein großer Entwurf, ausgebreitet über mehrere Jahrzehnte. Die im feudalen Denken gefangenen Tories des 19. Jahrhunderts, Frauenrechtsbewegung in der eigenen Familie, erster Weltkrieg, Krankheit, Psychopathologien der Gesellschaft projiziert auf Psychopathologien des Individuums. Ein cautionary tale, gemünzt wohl vor allem auf Ramsay MacDonald, einen Labour-Präsidenten der Zwischenkriegszeit. Ob da außerhalb der MacDonald'schen Psyche noch etwas anderes falsch gelaufen sein könnte, danach wagt der Film dann doch nicht mehr so richtig zu fragen. Kein unproblematischer Film, aber einer voller Ideen und einer nicht immer zielgerichteten, nicht immer ökonomisch eingesetzten dramaturgischen Wucht. Und wenn am Ende die Geister der Vergangenheit ins herrschaftliche Anwesen eindringen, das hat schon was. Die Boultings sind, nach den vier Filmen, die ich von ihnen gesehen habe, zu urteilen, zu den herausragenden Protagonisten eines klassischen europäischen, am politischen Tagesdiskurs aktiv partizipierenden Qualitätskins zu zählen, das von der Filmgeschichte zu Unrecht und leider immer noch ziemlich nachhaltig diskreditiert wurde.
Ein Arbeiterkind, das schon in seiner Kindheit nicht das richtige Verhältnis findet zum Rattenverkäufer, dem kapitalistischen Selm-made-man, der später erst sein Chef wird und dann sein Gönner. Fast schon expressionistische Schattenmalereien im Arbeiter-Ghetto. Dann der Eintritt in die Politik, an der Seite des unbeholfenen, ehrlichen Arbeiterführers, seine Reden im messianischen Stil, seine Verachtung für die späteren Weggefährten, die Klassenfeinde. Bald ist es ein schön ausgeleuchtetes Leben, aber das eigene Verhältnis zur Arbeiterschaft ist schnell nur noch als ein strikt hierarchisches denkbar. Und es ist durchaus die Frage, ob der Film als Ganzes da so viel anders denkt oder ob er sich nicht doch nur nach einem charakterlich integereren Anführer sehnt.
Ein großer Entwurf, ausgebreitet über mehrere Jahrzehnte. Die im feudalen Denken gefangenen Tories des 19. Jahrhunderts, Frauenrechtsbewegung in der eigenen Familie, erster Weltkrieg, Krankheit, Psychopathologien der Gesellschaft projiziert auf Psychopathologien des Individuums. Ein cautionary tale, gemünzt wohl vor allem auf Ramsay MacDonald, einen Labour-Präsidenten der Zwischenkriegszeit. Ob da außerhalb der MacDonald'schen Psyche noch etwas anderes falsch gelaufen sein könnte, danach wagt der Film dann doch nicht mehr so richtig zu fragen. Kein unproblematischer Film, aber einer voller Ideen und einer nicht immer zielgerichteten, nicht immer ökonomisch eingesetzten dramaturgischen Wucht. Und wenn am Ende die Geister der Vergangenheit ins herrschaftliche Anwesen eindringen, das hat schon was. Die Boultings sind, nach den vier Filmen, die ich von ihnen gesehen habe, zu urteilen, zu den herausragenden Protagonisten eines klassischen europäischen, am politischen Tagesdiskurs aktiv partizipierenden Qualitätskins zu zählen, das von der Filmgeschichte zu Unrecht und leider immer noch ziemlich nachhaltig diskreditiert wurde.
Tuesday, March 16, 2010
The Aimless Bullet, Yoo Hyung-mok, 1961
Koreanischer Neorealismus aus den Sechziger Jahren: Kriegsheimkehrer, Veteranen des Koreakriegs, die von der Gesellschaft nicht gerade mit offenen Armen empfangen werden, wanken ziellos durch Seoul und ihr eigenes Leben. Die Hauptfigur Chul-ho hat immerhin Arbeit gefunden. Er verdient dabei allerdings so wenig, dass er sich nicht einmal einen Zahnarztbesuch leisten kann. Beziehungsweise leisten will, denn außer der Geldfrage spielen da noch andere Motive eine Rolle: Seine Selbstinszenierung als aufrechter Märtyrer in einer Welt voller Ganoven etwa, oder auch eine gehörige Portion Masochismus. Seine Frau ist schwanger, sein Bruder - ebenfalls ein ehemaliger Soldat - hängt am Rande der Kriminalität rum, beginnt eine Affäre mit einer alten Bekannten, die kurz darauf von einem eifersüchtigen Nachbarn umgebracht wird und versucht sich schließlich an einem Banküberfall. Ein Verbrecher aus verlorener Ehre und auf verlorenem Posten. Dann gibt es noch die Schwester, die sich als Prostituierte durchschlägt und einen anderen Kriegsveteranen an sich zu binden versucht. Derweil liegt die demente Mutter in einem Eck des Hauses und ruft am laufenden Band "Rettet Euch! Verschwindet von hier!". Sehr düster geht es zu in The Aimless Bullet, die meisten Szenen spielen nachts, es geht dem Regisseur Yoo Hyung-mok weniger um kohärente Handlungszusammenhänge denn um atmosphärische, melancholische, manchmal auch gewalttätige Momentaufnahmen einer Gesellschaft, die die Wunden der Geschichte noch lange nicht angemessen versorgt hat. Yoos Film gilt als eines der großen Meisterwerke des klassischen koreanischen Kinos und ist einer der ganz wenigen seiner Zeit, die auch außerhalb seines Heimatlandes ein wenig von sich reden gemacht haben. Allerdings eben nur in den Sechziger Jahren, da lief der Film in San Francisco. Ansonsten nimmt man in Europa und Asien nach wie vor asiatische Kinematografien erst ab ihrer offiziellen Entdeckung durch den Festivalbetrieb war. Das heißt im Fall von Südkorea: Vor Kim Ki-duk war nichts, oder höchstens im Kwon-taek. Das darf natürlich nicht sein... Dieser sehr energetisch inszenierte Film, dessen expressive Beleuchtung teilweise fast an deutsches Stummfilmkino erinnert, hat seinen guten Ruf jedenfalls verdient. Leider ist die einzige überlebende Kopie, von der auch die DVD gezogen wurde, in keinem guten Zustand. Oft kann man nur erahnen, wie großartig Yoos Film einmal ausgesehen hat. Aber man gewöhnt sich dran, wirklich schlimm erwischt hat es nur einige wenige Szenen und wenn man es wirklich ernst meint mit World Cinema und ähnlichem, dann muss man diesen Film halt so oder so ansehen. Die DVD steht im Videodrom.
Thursday, March 11, 2010
La piovra, Season 2, 1985
Die zweite Staffel hat mich nicht im selben Maße begeistert wie die erste. Sicherlich liegt das unter anderem daran, dass Damiano Damiani nicht mehr Regie führt und die Bilder nach seinem Abschied oft ein, zwei Nummern kleiner aussehen und nicht mehr auf dieselbe Art in der Geschichte des italienischen Kinos verankert sind (die Szenen in Cattranis Domizil erinnern streckenweise tatsächlich an Viscontis beste Arbeiten). Vielleicht aber auch, weil sie den Mechanismen der Verschwörung selbst mehr Raum lässt. Großartig gelöst war das in der ersten Staffel: Wie die Entführung der Tochter Cattanis genau in Auftrag gegeben und durchgeführt wurde, war der Serie gar nicht so wichtig - und Cattani selbst irgendwann auch nicht mehr. Im Grunde war vollkommen klar, wer daran beteiligt war und gerade die stumpfe Einfachheit der Entführung machte sie so effektiv und grauenvoll. Die Entführer konnten fast unverschlüsselt über das Fernsehen mit Cattani kommunizieren, sie befanden sich in einer absolut privilegierten Position, in jeder Hinsicht. Die komplexen Minutiae des Verbrechens hätten zwangsläufig von dessen gesellschaftlicher Funktion abgelenkt.
Ebenso zwangsläufig nehmen diese Minutiae in der zweiten Staffel mehr Raum ein. Es geht nicht mehr um den einfachen Gewaltzusammenhang in der sizilianischen Kleinstadt, sondern um die Art und Weise, wie dieser mit nationalen und internationalen kriminellen Strukturen interagiert. Die Serie verlagert ihr Zentrum nach Rom und Cattani ist nicht mehr ihr alleiniges Zentrum. Statt dessen sitzen des öfteren alte, böse Männer in herrschaftlichen Anwesen und schmieden perfide Pläne.
Zu Beginn der Staffel hatte mich das doch etwas enttäuscht, dann gewinnt die Serie aber wieder an Schwung und hat großartige Passagen. In einer Episode bewegen sich der Anti-Mafia-Kämpfer Ettore Ferretti und sein Verbündeter Cattani fast eine ganze Stunde lang erst voneinander weg, um Indizien gegen die Verschwörer zu sammeln, dann wieder aufeinander zu, um die Indizien zusammen zu fügen und der Staatsanwaltschaft zukommen zu lassen, all das in einer großartigen Parallelmontage, die Dynamik noch in der statischen Situation des Wartenden gewinnt. Die Kneifzangenbewegung scheitert, wie man es die gesamte Zeit über befürchtet hatte, kurz vor Schluss. An anderer Stelle wird ein Verschwörungstreffen auf sonderbare Weise dezentriert: Durch den Schnitt auf die Großaufnahme eines Frauengesichts. Professore Laudeos Tochter war vorher nur in zwei, drei Szenen kurz präsent gewesen und ist bei der Unterredung selbstverständlich nicht anwesend, in den letzten beiden Folgen wird sie überraschend das (a-)moralische Zentrum der Erzählung: eine junge Frau, die die komplette, eigennützige Realitätsverleugnung zu ihrer einzigen Lebensgrundlage gemacht hat.
Sehr gefallen hat mir auch Dottore Maurilli, ein korrupter Journalist mit kaputten Zähnen und schiefem Grinsen, dem sein schlussendliches Schicksal eigentlich schon bei seinem ersten Auftritt zur Staffelmitte auf die Stirn gebrannt scheint: so ein nervöser, schmieriger Amateur hat in den Reihen der souveränen, schmierigen Profis keine Chance. Über Maurilli findet die Serie wieder Anschluss an die prollige, in jeder Hinsicht widerwärtige Brutalität des Verbrechens, die von dessen gediegenerem, zur Abstraktion tendierendem Überbau nicht zu trennen ist. Dieser Überbau fühlt sich in Gegenwart seiner notwendigen Ergänzung Maurilli sichtlich unwohl.
Ebenso zwangsläufig nehmen diese Minutiae in der zweiten Staffel mehr Raum ein. Es geht nicht mehr um den einfachen Gewaltzusammenhang in der sizilianischen Kleinstadt, sondern um die Art und Weise, wie dieser mit nationalen und internationalen kriminellen Strukturen interagiert. Die Serie verlagert ihr Zentrum nach Rom und Cattani ist nicht mehr ihr alleiniges Zentrum. Statt dessen sitzen des öfteren alte, böse Männer in herrschaftlichen Anwesen und schmieden perfide Pläne.
Zu Beginn der Staffel hatte mich das doch etwas enttäuscht, dann gewinnt die Serie aber wieder an Schwung und hat großartige Passagen. In einer Episode bewegen sich der Anti-Mafia-Kämpfer Ettore Ferretti und sein Verbündeter Cattani fast eine ganze Stunde lang erst voneinander weg, um Indizien gegen die Verschwörer zu sammeln, dann wieder aufeinander zu, um die Indizien zusammen zu fügen und der Staatsanwaltschaft zukommen zu lassen, all das in einer großartigen Parallelmontage, die Dynamik noch in der statischen Situation des Wartenden gewinnt. Die Kneifzangenbewegung scheitert, wie man es die gesamte Zeit über befürchtet hatte, kurz vor Schluss. An anderer Stelle wird ein Verschwörungstreffen auf sonderbare Weise dezentriert: Durch den Schnitt auf die Großaufnahme eines Frauengesichts. Professore Laudeos Tochter war vorher nur in zwei, drei Szenen kurz präsent gewesen und ist bei der Unterredung selbstverständlich nicht anwesend, in den letzten beiden Folgen wird sie überraschend das (a-)moralische Zentrum der Erzählung: eine junge Frau, die die komplette, eigennützige Realitätsverleugnung zu ihrer einzigen Lebensgrundlage gemacht hat.
Sehr gefallen hat mir auch Dottore Maurilli, ein korrupter Journalist mit kaputten Zähnen und schiefem Grinsen, dem sein schlussendliches Schicksal eigentlich schon bei seinem ersten Auftritt zur Staffelmitte auf die Stirn gebrannt scheint: so ein nervöser, schmieriger Amateur hat in den Reihen der souveränen, schmierigen Profis keine Chance. Über Maurilli findet die Serie wieder Anschluss an die prollige, in jeder Hinsicht widerwärtige Brutalität des Verbrechens, die von dessen gediegenerem, zur Abstraktion tendierendem Überbau nicht zu trennen ist. Dieser Überbau fühlt sich in Gegenwart seiner notwendigen Ergänzung Maurilli sichtlich unwohl.
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Tuesday, March 09, 2010
Assembly, Feng Xiaogang, 2007
Ein kompetent gemachter Kriegsfilm über den chinesischen Bürgerkrieg ist Feng Xiaogangs Assembly in der ersten Hälfte. In der Anfangsszene dringt ein Battaillon kommunistischer Kämpfer in eine von Nationalisten besetzte Stadt ein. Die Aufklärung der Angreifer wird attackiert, bei der Gelegeneheit springt die Perspektive plötzlich um, im harten, blutigen Gefecht, das darauf folgt, macht sich die Kamera immer wieder gemein nicht mit einer Kriegspartei oder einzelnen Individuen, sondern mit den Waffen beider Seiten. Ich kann mich an keinen Kriegsfilm erinnern, der in seinen Kampfszenen so sehr vom Rhythmus und der Perspektive der Schusswaffen selbst - und nicht deren Auswirkungen auf die Soldaten - bestimmt ist. Lieblingsperspektive: direkt neben der Kamera, Lieblingsmontage: feuernde Waffe / Kugeleinschlag.
Dabei bleibt der Film in seiner ersten Hälfte durchaus nah an amerikanischen Vorbildern. Ein klassisches combat-Film-Setting eigentlich: Eine kleine, schon stark dezimierte Einheit muss eine Kohlemine gegen die anstürmenden, zahlenmäßig deutlich überlegenen Nationalisten verteidigen. Die Einheit wird immer kleiner, ihre einzelnen Mitglieder vom Film immer deutlicher individualisiert. Selbst die Kampfszenen funktionieren im Lauf des Films subjektzentrierter, eine Szene übernimmt eins zu eins den Hörsturz aus Saving Private Ryan.
Das überraschende an der Sache ist allerdings, dass der (sicherlich in mancher Hinsicht äußerst ideologiegesättigte - ich kenne mich mit der chinesischen Geschichte noch zu wenig aus, um das angemessen beurteilen zu können) Film nach der Hälfte seiner Laufzeit noch einmal von neuem beginnt. Die gesamte zweite Hälfte greift eine Szene auf, deren Bedeutung zunächst nicht erahnbar ist: Auf dem Weg in die Mine und den fast sicheren Tod blickt Gu Zidi, der Anführer der Kompanie, zurück, in Richtung Kamera. Ein Gegenschuss bleibt aus, entscheidend ist die Geste des Innehaltens. Der zweite Filmabschnitt ist dann eine Prolongation dieser Geste, die mit dem Geist des chinesischen Bürgerkriegs, der in seiner Hast keinen Platz fürs Opfergedenken ließ, eigentlich unvereinbar ist.
Nur dieser Anführer der Kompanie, Gu Zidi, hat, so erfährt man, den Kampf überlebt und auch nur, weil er sich mit einer gegnerischen Uniform tarnte. Seine ihm anvertrauten Soldaten wurden nicht nur von feindlichen Kugeln entindividualisiert und unter den Trümmern der Mine verschüttet, außerdem ist seine ganze Kompanie in der chaotischen Buchführung des Heeres verschwunden. Zunächst glaubt man ihm weder seinen Namen, noch die Geschichte seines Kampfes.
Den restlichen Film über wird Gu damit beschäftigt sein, Erinnerungspolitik zu leisten. Und Erinnerungspolitik heißt an einer Stelle ganz buchstäblich: im Kohlestaub nach Leichen graben. Die Geschichte hat den Soldaten ihre Subjektivität, ihre Namen (einmal steht Gu auf einem riesigen Friedhof voller unbeschrifteter Gräber), ihre persönliche Geschichte bereits Tage nach ihrem Tod komplett entrissen, Gu stemmt sich gegen diese Geschichte. Dem klassischen amerikanischen Kriegsfilm genügt eine Individuisierung: die in der Logik des Genres selbst enthaltene, die aus uniformierten Befehlsempfängern im Laufe von zwei Stunden psychologisch runde Charaktere formt. Die amerikanischen Opfer amerikanischer Kriege sind katalogisiert, namentlich erfasst, frei verfügbar für die Erinnerungspolitik. Die Toten des chinesischen Bürgerkriegs sind nicht unmittelbar verfügbar, es existieren keine Register, nur versprengte Familienerinnerungen, die mit dem Tod der Angehörigen auf immer verschwinden. Die einfache Individualisierung in einer Genrelogik reicht deshalb nicht nur nicht aus, sie wäre sogar eine Lüge (die durch die Evidenz des Maschinengewehrs in den Kampfszenen enttarnt wird). Statt dessen muss die Erinnerungspolitik selbst als Geste des Umwendens (gegen den Lauf der Geschichte) im Film figuriert werden.
Dabei bleibt der Film in seiner ersten Hälfte durchaus nah an amerikanischen Vorbildern. Ein klassisches combat-Film-Setting eigentlich: Eine kleine, schon stark dezimierte Einheit muss eine Kohlemine gegen die anstürmenden, zahlenmäßig deutlich überlegenen Nationalisten verteidigen. Die Einheit wird immer kleiner, ihre einzelnen Mitglieder vom Film immer deutlicher individualisiert. Selbst die Kampfszenen funktionieren im Lauf des Films subjektzentrierter, eine Szene übernimmt eins zu eins den Hörsturz aus Saving Private Ryan.
Das überraschende an der Sache ist allerdings, dass der (sicherlich in mancher Hinsicht äußerst ideologiegesättigte - ich kenne mich mit der chinesischen Geschichte noch zu wenig aus, um das angemessen beurteilen zu können) Film nach der Hälfte seiner Laufzeit noch einmal von neuem beginnt. Die gesamte zweite Hälfte greift eine Szene auf, deren Bedeutung zunächst nicht erahnbar ist: Auf dem Weg in die Mine und den fast sicheren Tod blickt Gu Zidi, der Anführer der Kompanie, zurück, in Richtung Kamera. Ein Gegenschuss bleibt aus, entscheidend ist die Geste des Innehaltens. Der zweite Filmabschnitt ist dann eine Prolongation dieser Geste, die mit dem Geist des chinesischen Bürgerkriegs, der in seiner Hast keinen Platz fürs Opfergedenken ließ, eigentlich unvereinbar ist.
Nur dieser Anführer der Kompanie, Gu Zidi, hat, so erfährt man, den Kampf überlebt und auch nur, weil er sich mit einer gegnerischen Uniform tarnte. Seine ihm anvertrauten Soldaten wurden nicht nur von feindlichen Kugeln entindividualisiert und unter den Trümmern der Mine verschüttet, außerdem ist seine ganze Kompanie in der chaotischen Buchführung des Heeres verschwunden. Zunächst glaubt man ihm weder seinen Namen, noch die Geschichte seines Kampfes.
Den restlichen Film über wird Gu damit beschäftigt sein, Erinnerungspolitik zu leisten. Und Erinnerungspolitik heißt an einer Stelle ganz buchstäblich: im Kohlestaub nach Leichen graben. Die Geschichte hat den Soldaten ihre Subjektivität, ihre Namen (einmal steht Gu auf einem riesigen Friedhof voller unbeschrifteter Gräber), ihre persönliche Geschichte bereits Tage nach ihrem Tod komplett entrissen, Gu stemmt sich gegen diese Geschichte. Dem klassischen amerikanischen Kriegsfilm genügt eine Individuisierung: die in der Logik des Genres selbst enthaltene, die aus uniformierten Befehlsempfängern im Laufe von zwei Stunden psychologisch runde Charaktere formt. Die amerikanischen Opfer amerikanischer Kriege sind katalogisiert, namentlich erfasst, frei verfügbar für die Erinnerungspolitik. Die Toten des chinesischen Bürgerkriegs sind nicht unmittelbar verfügbar, es existieren keine Register, nur versprengte Familienerinnerungen, die mit dem Tod der Angehörigen auf immer verschwinden. Die einfache Individualisierung in einer Genrelogik reicht deshalb nicht nur nicht aus, sie wäre sogar eine Lüge (die durch die Evidenz des Maschinengewehrs in den Kampfszenen enttarnt wird). Statt dessen muss die Erinnerungspolitik selbst als Geste des Umwendens (gegen den Lauf der Geschichte) im Film figuriert werden.
Wednesday, March 03, 2010
Engkwentro, Pepe Diokno, 2009
Glaubt man der imdb-Trivia (und das sollte man natürlich nicht unbedingt), ist der Film das Resultat einer logistischen Meisterleistung: 2000 Quadratmeter artifizielle Slums sind in unmittelbarer Nähe zu den realen Slums einer philippinischen Metropole errichtet worden - bei einem Budget von 10000 $. Das artifizielle Armenviertel durfte nicht nur Fassade sein, sondern musste eine gewisse räumliche Kontinuität aufweisen, da der Film aus wenigen, kaum mehr als vier oder fünf, sehr langen tracking shots besteht, die in der digitalen post production zu einer einzigen scheinbar ungeschnittenen Einstellung amalgamisiert wurden. Tatsächlich springt die Kamera mit den Figuren über Dächer, dringt in Häuser ein, jagt durch Straßenzug um Straßenzug, ohne, dass ein Außen der Welt in den Blick käme. Allerdings auch fast nie ein Horizont; über ihre kulissenhaftigkeit können die engen Gassen und schäbigen Hütten in Pepe Dioknos Debutlangfilm Engkwentro auch in ihrer beeindruckenden Weitläufigkeit und morphologischer Vielfalt nicht hinwegtäuschen.
Das gereicht dem Film nicht unbedingt zum Nachteil. Die alptraumhafte Konsequenz, mit der Diokno sein politisch-ästhetisches Konzept durchexerziert (der Film hat tatsächlich etwas von einer (Para-)Militärunternehmung, ein Film aus der Kaserne, aber aus einer, in der der richtige Coup gegen die richtigen Leute geplant wird), verdankt sich nicht zuletzt der gesteigerten Klaustrophobie in den immer etwas zu engen Gassen, die von immer etwas zu sorglos zusammengeklopft wirkenden Baracken umgeben sind. Letzteren fehlt die (immer auch ein wenig affirmative) Patina des Alltagslebens, sie bleiben anklagende Elemente / Argumente eines medial erweiterten Agitprop-Theaters. Auf ähnliche Weise synthetisch kontinuierlich wie der Bilderfluss ist auf der Tonspur die Radioansprache eines Politikers. Der erzählt, kaum verdeckt, über den Nutzen der Death Squads, die auf den Philippinen jährlich Hunderte Todesopfer fordern und deren (mindestens) Duldung durch Zentral- und Provinzregierungen ein offenes Geheimnis ist.
Dioknos Film ist nicht, wie das auf den ersten Blick nicht ganz unähnliche Neo-Slum-Kino Mendozas, ein Versuch, soziale Wirklichkeit in ihren (kunstvoll arrangierten) Versatzstücken erfahrbar zu machen. Statt dessen funktioniert Engkwentro von Anfang an im Modus der Abstraktion von dieser sozialen Wirklichkeit (die ganz buchstäblich das Außen des Sets ist und als solche, bzw. allgemeiner als strukturierende Abwesenheit, den Film dann wiederum doch durch und durch prägt), exerziert generalstabsmäßig Genreformeln durch, deren emotionaler impact punktgenau berechnet ist, aber ganz im Dienst der aufklärerischen Idee steht.
Wenn das neue philippinische Kino sich, wie ich, gemeinsam mit Nikolaus Perneczky, hier argumentiert habe, immer wieder zur Unmöglichkeit verhält, Lino Brockas Erbe antreten zu können, so wird die Differenz zu eben diesem Lino Brocka gerade bei Diokno am greifbarsten (und das, obwohl der gerade mal 21-jährige Regisseur das politische Potential des Kinos um einiges höher einzuschätzen scheint als zB Raya Martin oder Khavn de la Cruz). Denn verloren gegangen scheint genau der Glaube daran zu sein, dass politisches Kino im Brocka'schen Sinne ohne 2000 Quadrameter artifizielle Slums und ähnliche Hilfskonstruktionen funktionieren kann.
Das gereicht dem Film nicht unbedingt zum Nachteil. Die alptraumhafte Konsequenz, mit der Diokno sein politisch-ästhetisches Konzept durchexerziert (der Film hat tatsächlich etwas von einer (Para-)Militärunternehmung, ein Film aus der Kaserne, aber aus einer, in der der richtige Coup gegen die richtigen Leute geplant wird), verdankt sich nicht zuletzt der gesteigerten Klaustrophobie in den immer etwas zu engen Gassen, die von immer etwas zu sorglos zusammengeklopft wirkenden Baracken umgeben sind. Letzteren fehlt die (immer auch ein wenig affirmative) Patina des Alltagslebens, sie bleiben anklagende Elemente / Argumente eines medial erweiterten Agitprop-Theaters. Auf ähnliche Weise synthetisch kontinuierlich wie der Bilderfluss ist auf der Tonspur die Radioansprache eines Politikers. Der erzählt, kaum verdeckt, über den Nutzen der Death Squads, die auf den Philippinen jährlich Hunderte Todesopfer fordern und deren (mindestens) Duldung durch Zentral- und Provinzregierungen ein offenes Geheimnis ist.
Dioknos Film ist nicht, wie das auf den ersten Blick nicht ganz unähnliche Neo-Slum-Kino Mendozas, ein Versuch, soziale Wirklichkeit in ihren (kunstvoll arrangierten) Versatzstücken erfahrbar zu machen. Statt dessen funktioniert Engkwentro von Anfang an im Modus der Abstraktion von dieser sozialen Wirklichkeit (die ganz buchstäblich das Außen des Sets ist und als solche, bzw. allgemeiner als strukturierende Abwesenheit, den Film dann wiederum doch durch und durch prägt), exerziert generalstabsmäßig Genreformeln durch, deren emotionaler impact punktgenau berechnet ist, aber ganz im Dienst der aufklärerischen Idee steht.
Wenn das neue philippinische Kino sich, wie ich, gemeinsam mit Nikolaus Perneczky, hier argumentiert habe, immer wieder zur Unmöglichkeit verhält, Lino Brockas Erbe antreten zu können, so wird die Differenz zu eben diesem Lino Brocka gerade bei Diokno am greifbarsten (und das, obwohl der gerade mal 21-jährige Regisseur das politische Potential des Kinos um einiges höher einzuschätzen scheint als zB Raya Martin oder Khavn de la Cruz). Denn verloren gegangen scheint genau der Glaube daran zu sein, dass politisches Kino im Brocka'schen Sinne ohne 2000 Quadrameter artifizielle Slums und ähnliche Hilfskonstruktionen funktionieren kann.
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