Wednesday, March 03, 2010

Engkwentro, Pepe Diokno, 2009

Glaubt man der imdb-Trivia (und das sollte man natürlich nicht unbedingt), ist der Film das Resultat einer logistischen Meisterleistung: 2000 Quadratmeter artifizielle Slums sind in unmittelbarer Nähe zu den realen Slums einer philippinischen Metropole errichtet worden - bei einem Budget von 10000 $. Das artifizielle Armenviertel durfte nicht nur Fassade sein, sondern musste eine gewisse räumliche Kontinuität aufweisen, da der Film aus wenigen, kaum mehr als vier oder fünf, sehr langen tracking shots besteht, die in der digitalen post production zu einer einzigen scheinbar ungeschnittenen Einstellung amalgamisiert wurden. Tatsächlich springt die Kamera mit den Figuren über Dächer, dringt in Häuser ein, jagt durch Straßenzug um Straßenzug, ohne, dass ein Außen der Welt in den Blick käme. Allerdings auch fast nie ein Horizont; über ihre kulissenhaftigkeit können die engen Gassen und schäbigen Hütten in Pepe Dioknos Debutlangfilm Engkwentro auch in ihrer beeindruckenden Weitläufigkeit und morphologischer Vielfalt nicht hinwegtäuschen.
Das gereicht dem Film nicht unbedingt zum Nachteil. Die alptraumhafte Konsequenz, mit der Diokno sein politisch-ästhetisches Konzept durchexerziert (der Film hat tatsächlich etwas von einer (Para-)Militärunternehmung, ein Film aus der Kaserne, aber aus einer, in der der richtige Coup gegen die richtigen Leute geplant wird), verdankt sich nicht zuletzt der gesteigerten Klaustrophobie in den immer etwas zu engen Gassen, die von immer etwas zu sorglos zusammengeklopft wirkenden Baracken umgeben sind. Letzteren fehlt die (immer auch ein wenig affirmative) Patina des Alltagslebens, sie bleiben anklagende Elemente / Argumente eines medial erweiterten Agitprop-Theaters. Auf ähnliche Weise synthetisch kontinuierlich wie der Bilderfluss ist auf der Tonspur die Radioansprache eines Politikers. Der erzählt, kaum verdeckt, über den Nutzen der Death Squads, die auf den Philippinen jährlich Hunderte Todesopfer fordern und deren (mindestens) Duldung durch Zentral- und Provinzregierungen ein offenes Geheimnis ist.
Dioknos Film ist nicht, wie das auf den ersten Blick nicht ganz unähnliche Neo-Slum-Kino Mendozas, ein Versuch, soziale Wirklichkeit in ihren (kunstvoll arrangierten) Versatzstücken erfahrbar zu machen. Statt dessen funktioniert Engkwentro von Anfang an im Modus der Abstraktion von dieser sozialen Wirklichkeit (die ganz buchstäblich das Außen des Sets ist und als solche, bzw. allgemeiner als strukturierende Abwesenheit, den Film dann wiederum doch durch und durch prägt), exerziert generalstabsmäßig Genreformeln durch, deren emotionaler impact punktgenau berechnet ist, aber ganz im Dienst der aufklärerischen Idee steht.
Wenn das neue philippinische Kino sich, wie ich, gemeinsam mit Nikolaus Perneczky, hier argumentiert habe, immer wieder zur Unmöglichkeit verhält, Lino Brockas Erbe antreten zu können, so wird die Differenz zu eben diesem Lino Brocka gerade bei Diokno am greifbarsten (und das, obwohl der gerade mal 21-jährige Regisseur das politische Potential des Kinos um einiges höher einzuschätzen scheint als zB Raya Martin oder Khavn de la Cruz). Denn verloren gegangen scheint genau der Glaube daran zu sein, dass politisches Kino im Brocka'schen Sinne ohne 2000 Quadrameter artifizielle Slums und ähnliche Hilfskonstruktionen funktionieren kann.

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