Friday, February 28, 2014

The Black Rose, Henry Hathaway, 1950

Der durchgeknallteste, wahnwitzigste, tollste Hathaway-Film, den ich in Paris gesehen habe: Tyrone Powers, erst mit seitlich ausrasierter Frisur in England vor einer Festungstür stehend, verloren, ohne Zugehörigkeit, ohne Begeisterungsfähigkeit, selbst nach einem kleinen Sieg gegen die verhassten, neuen, französischstämmigen Herrscher (Gelächter im Salle Georges Franju). Der Entschluss: Weg von hier, soweit wie möglich, und: Nie wieder möchte ich auf der Verliererseite stehen. Begleitet wird er, selbst ganz zerquälte Innerlichkeit, von Jack Hawkins als einem im Englischen solide verwurzelten Aktionsmenschen.

Es verschlägt die beiden in einen nicht allzu genau spezifizierten Orient, Powers' Gesicht wird einmal von einem Kamelmaul geframet; sein (gleichwohl nicht still zu stellendes) Streben bleibt erst eine ganze Weile ziellos, heftet sich dann an das eines orientalischen Despoten sondergleichen. Der wird dargestellt von einem Orson Welles in brownface, die Maske zügelt Welles' Spiel nicht, sondern scheint es ganz im Gegenteil von allen Hemmungen zu befreien; er stellt dabei nicht etwa Wildheit aus, sondern einen ungebändigten Rationalismus, der sich die noch naiv irrational organisierte Welt um ihn herum spielend untertan machen kann. Powers verfällt Welles mit Haut und Haaren; höchstens ein bisschen wird der erotische Anteil dieser Beziehung auf Maryam umgelenkt, eine weiße Frau, die von Cecile Aubry mit einer irritierenden Kindlichkeit und Hypernaivität versehen wird.

(Ganz besonders schräg zu allem, was ich sonst aus Abenteuerfilmen kenne, auch die politics of whiteness: Welles zelebriert seine dunkle Einfärbung, nicht nur als Schauwert und Maskierung, unter der er selbst sichtbar bleibt, sondern auch gerade als eine Differenzmarkierung gegenüber den der Tradition verhafteten Europäern; Aubry dagegen schimpft, wenn sie sich als Einheimische verkleiden muss, über den "ugly stain", als den sie die Abweichung von der Norm nur verstehen kann; narratologisch ist der Film auf ihrer Seite, in jeder anderen Hinsicht auf der von Welles.)

Immer durchgeknallter wird das; während Welles mit Powers im Anhang gegen China marschiert, steht plötzlich die Idee im Raum, dass er vielleicht auch in die andere Richtung marschieren könnte, wider Powers' britische Heimat. Klar wurde mir da zweierlei: Zum einen spielt der Film in einer diskontinuierlichen Welt, in der die Raumordnungen der Geografie nicht greifen (dazu passend ist der einzige Transitraum, der vorkommt, die Wüste, seinerseits markierungslos, und vermutlich auf keiner Landkarte dieser Welt lokalisierbar). Zum anderen hat diese sehr grundsätzliche Zerrüttung der Weltarchitektur ihren Ursprung wohl eher im zur Produktionszeit des Films noch kaum verwundenen zweiten Weltkrieg, als in der diegetischen Zeit des Mittelalters (mit seinen unvollständigen Weltkarten...): Welles verwandelt sich in einen Hitler-Widergänger. Den der Film dann aber, kaum ist diese Assoziation gesetzt, auch schon wieder aus den Augen verliert. Der Film wechselt nach China, wo der Rationalismus schon wieder etwas weiter ist, nämlich ausformuliert und in Buchform gebunden, gebändigt. Diese Bücher müssen dann zurück gebracht werden nach England, das ist die kaum noch narrativ einzufangende Pointe des Ganzen.

(Vorgeführt wurde der Film als 16mm-Reduktionskopie; die eigentlich ganz gut aussah, aber von Anfang an etwas Brüchiges hatte, fast, als ob das Filmmaterial selbst die Welt der Fiktion nicht ganz in den Griff bekommt, nicht ganz durchzuformen in der Lage ist. Und tatsächlich reißt der Film, erst kurz vor Schluss, dann aber mehrfach, immer wieder lange Minuten des Wartens, dann wieder ein paar Sekunden Film, dazwischen fehlen ganze Szenen, dann geht irgendwann gar nichts mehr. Die Vorstellung bleibt unvollendet, das passt zu diesem grundsätzlich unabschließbaren, weil in alle Richtungen über sich selbst hinauswachsenden Ding)


Wednesday, February 26, 2014

Berlinale 2014: Tokyo on eiyu / A Hero of Tokyo, Hiroshi Shimizu, 1935

Am Anfang eine Gruppe von Kindern, spielend vor einem Bahngleis und vor einigen jener großen Rohre mit ein, zwei, drei Metern Durchmesser, die in alten japanischen Filmen oft in der Gegend herumliegen (die in Ozus Tokyo no yado sind mir besonders deutlich in Erinnerung). Der Rahmen der Einstellung bleibt stehen, die Kinder verschwinden nach und nach aus ihr, durch Jump-Cuts. Ein Kind bleibt, weil es (wenn ich mich richtig erinnere), den ankommenden Zug in Empfang nehmen will. Schon zu Beginn gibt es eine sonderbare Spannung zwischen der offenen, ungerichteten Zeit der Spiele der Kinder und der formalen Serialisierung durch die kinderfressende Montage.

Es gründet sich dann eine neue Familie: Der Junge und dessen Vater, ein Witwer, dessen neue Frau, ebenfalls eine Witwe und deren Kinder aus der ersten Ehe, ein Junge und ein Mädchen. Der Vater haut dann bald ab, der Junge ist ab sofort der älteste Mann in der Familie. Die (neue) Mutter arbeitet in einer Bar; sagt sie, aber sie sagt es auf eine Art, die klar macht (aber nicht ihren Kindern; und offensichtlich auch nicht der Berlinale-Inhaltsangabe), dass sie eigentlich Prostituierte ist. Nur aus wenigen Räumen besteht die Welt des Films bis hier: Die Familienwohnung, die Schule, auch schon einmal die Bar, glaube ich (eine zentralperspektivisch zentrierte Einstellung, ausgerichtet auf die Theke, an der Seite hochgestellte Stühle). Formal ist der Film hochkontrolliert: die Szenen fügen sich in "metrische" Montagen, die Figuren ersetzen sich nach Umschnitten nicht selten exakt im Bild. Oder sie ersetzen sich ganz ohne Schnitt, in einer Einstellung: Eine tritt aus dem Bild, eine andere tritt auf ihren Platz, die Leinwand läßt Freiräume, die besetzt werden wollen, oder eben auch nicht. Die Kinder freilich füllen den filmischen Raum gleichzeitig auf eine vollkommen natürliche Art aus, mit ihrer Gestensprache (den beim Weinen vors Gesicht behobenen Händen etc). Aus der formalen Kontrolle folgt kein kontrollierender Zugriff auf die soziale Welt, eher scheint es darum zu gehen, den Mustern des Lebens nachzuspüren. Freilich: Wenn man das tut, kann man nur zu leicht auf die Idee kommen, der Musterbildung ein klein wenig nachzuhelfen.

Erst nach dem Zeitsprung, der die Kinder erwachsen werden lässt, zeigt sich ein Problem des (trotzdem faszinierenden und schon auch bezaubernden) Films: Die formalen Schließungen finden ihre Entsprechung in narrativen Schließungen. Als die Kinder schließlich doch erfahren, womit die Mutter ihre Erziehung bezahlt hat, geraten die beiden Jüngeren (also ihre eigenen) auf die schiefe Bahn: Der Sohn wird Gangster, die Tochter (eine verwegene, tolle Schauspielerin), weil die Familie ihres Bräutigams sie verstößt, wird ebenfalls Prostituierte; der Film setzt sich fort in neue, andere Räume, die mit derselben Souveränität erschlossen werden. Kanichi dagegen ergibt sich nicht dem drift, sondern ruft den restlichen Film zur Ordnung: die Mutter, die Geschwister, sogar den Vater (der in imperialistisch-kapitalistische Schweinereien verwickelt ist).

Am Ende hat der Held aus Tokyo gesiegt. Die letzte Szene ist die mit Abstand bizarrste des Films. steht wieder in seinem Kinderzimmer, mit dem Rücken zur Kamera. An die Wand hängt er eine (vorher schon irgendwann einmal eingeführte) Kinderzeichnung, ich nehme an, sie soll seinen Vater darstellen, zeigt aber tatsächlich nur eine mit unbeholfenen Linien skizziertes Strichmännchen. Die Kontrolle, die er seiner Familie und dem Film auferlegt hat, entpuppt sich mit einem Mal als Funktion einer dritten, einer narzisstisch-psychotischen Schließung im Innern der Hauptfigur. Dann stellt er sich vors Fenster und blickt nach Draußen. Die letzte Einstellung übernimmt seinen Blick; auch sie bleibt ambivalent. In ihm entkommt der Film doch noch einmal dem Familienroman und endet mit einer Alltagsszene: Ein Junge verteilt Zeitungen; allerdings setzen auch hier gleich wieder die Jump Cuts vom Anfang ein, der Junge wird von Haus zu Haus gebeamt, er wirft, zack zack, eine Zeitung nach der anderen, der Fluss des Lebens gleich wieder segmentiert, ökonomisiert.

Tuesday, February 25, 2014

Shoot Out, Henry Hathaway, 1971

Sein Kalkül trägt der Film offen vor sich her: Produzent Hal B. Wallis und Regisseur Hathaway wollen den Erfolg von True Grit wiederholen. Wieder wird ein alternder Star der klassischen Studioära, diesmal Gregory Peck anstatt John Wayne, in eine Western-Scope-Kulisse gepackt... und dann wird er sogar wieder von einem vorlauten Mädchen begleitet. Dass dieses Mädchen in Shoot Out allerdings gar keine Funktion für die Erzählung hat, dass sie tatsächlich nur Anhang ist, nur dazu gebraucht wird, der Peck-Figur, einem gerade aus dem Knast entlassenen gunman, ein wenig Menschlichkeit angedeihen zu lassen, verweist schon auf die Differenz zwischen beiden Filmen: Es geht zwar jeweils darum, eine filmische Form, die historisch eigentlich schon ausgedient hat, in einem halbironischen, halbmelancholischen Gestus noch einmal aufleben zu lassen; aber wo True Grit den alten Vitalismus noch halbwegs glaubwürdig zu simulieren in der Lage ist, gelingt die Charade in Shoot Out nicht mehr - was statt dessen an die Oberfläche drängt, ist der blanke Schrecken darüber, dass die Westernmythen keinerlei Geltungsanspruch mehr haben, dass sie völlig durchsichtig geworden sind auf sadistische (und sexistische) Gewaltausübung, auf Gewalt ohne jeglichen Sinninhalt.

Eine besondere Dissonanz in diesem - fasznierenden, großartigen - Film ist die Besetzung der Hauptrolle: Wohl kein alternder Westernhaudegen wäre in einem so gründlich durchbrutalisierten Film, wie Shoot Out einer ist, deplatzierter als Gregory Peck (schon "Haudegen" will man ihn kaum nennen; er will aber unbedingt so genannt werden, das merkt man jeder Szene an). Der nachdenkliche, leere Blick aus dem Zugfenster, den er in einer frühen Szene des Films wirft, noch bevor er in jenem Nest ankommt, von dem der Film seinen Ausgang nimmt, bringt das eigentlich schon auf den Punkt: Peck ist in einem solchen Film eigentlich höchstens ein Tourist, er steht dem, was um ihn herum angerichtet wird, völlig hilflos gegenüber, es bleibt ihm alles fremd, er verfügt aber eben auch nicht über Selbstschutzmechanismen, die ihm das Unheil und die eigene Verstrickung ins Unheil vom Hals halten könnten.

Physische Gewalt war von Anfang an ein zentraler Bestandteil von Hathaways Kino. Für gewöhnlich wird sie jedoch ökonomisch eingesetzt, als Mittel zum Zweck, in zweifacher Hinsicht: Die Helden kommen irgendwann an einen Punkt, an dem sie etwas klarstellen müssen, und Hathaways Filme konstruieren Schockeffekte, die of taufwändig vorbereitet und gerahmt, sind, die gleichzeitig lange nachhallen; zum Beispiel der Lattenschlag mitten ins Gesicht, den John Wayne einem bad guy in The Sons of Katie Elder versetzt. Das Grundmodell für Gewalt bei Hathaway, vielleicht das Grundmodell des Hathaway-Kinos überhaupt, ist dabei der Zweikampf - nicht das ritualisierte Pistolenduell, sondern Faust/Nahkämpfe, in denen der ganze Körper eingebracht werden muss, in der auch gewissermaßen die ganze materielle Welt des Films auf dem Spiel steht; einige dieser Zweikämpfe, insbesondere der am Ende von Prince Valiant, erinnern mich eher an die finalen fights im Hongkong-Kino, als an andere Kampfszenen im amerikanischen Kino.

In Shoot Out ist die Gewalt dagegen ein Dauerzustand, entlädt sich nicht in dynamischen, alle Zurückhaltung aufgebenden Aktionsbildern, sondern verstetigt sich in sadistischen Konstellationen. Nichts mehr wird bezweckt mit der Gewalt, sie ist nur noch dazu da, um zu demütigen; vor allem, um Frauen zu demütigen. Besonders irritierend ist, wie der Film, wie vor allem auch Gregory Peck, mit Alma (Susan Tyrell) umgeht, einer Prostituierten, die von den drei bad guys, die Jagd auf Peck machen, schon vor Anbruch dieser Jagd brutal mißhandelt wird, und die sie dann begleiten muss. Gleich zweimal überlässt Peck Alma ihren Peinigern, in Situationen, in denen völlig klar ist, dass sie gleich geprügelt und vergewaltigt wird. Ihr Leid verschwindet in der Montage, aber nicht vollständig, es manifestiert sich über den Film hinweg in immer weiter ausufernden blauen Flecken auf ihrem Gesicht, dringt durch die Poren der zwar noch formal, aber eben: nur noch formal geschlossenen Western-Oberfläche.

Weder Peck, noch der Film wissen, wie mit diesem Leid, wie überhaupt mit dieser Figur, wie vielleicht auch nur mit der Geschlechterdifferenz, mit dem Sex, der jetzt nicht mehr umspielt werden kann, sondern bezeichnet werden muss, umzugehen ist; am eindrücklichsten wird das in einer bizarren Szene, in der ihr empfohlen wird, die blauen Flecken mithilfe von Blutegeln zu kurieren, mithilfe dieser phallusartigen Kreaturen. (Dass der Film sie trotzdem bis zu ihrem bitteren Ende mitschleppt, ihr aber gleichzeitig ebenfalls keinerlei Funktion für den Fortgang der Erzählung zuweist, macht Shoot Out gerade erst zu einem solch widerspenstigen und dann auch wieder sehr rührenden Film.)

Ein Held, dem seine eigenen (Un-)Taten fremd bleiben, Frauen- und Mädchenfiguren, die nicht als Charaktere, sondern als Probleme im Film herumstehen; dazu noch die drei schon erwähnten bad guys. Deren Gewaltexzesse kippen fast ins comichaft überdrehte, werden von Hathaways nüchterner Inszenierung aber doch wieder geerdet. Wodurch ihre Sinnlosigkeit nur noch deutlicher hervor bricht. Nominell sind ihre Aktionen durchaus auf ein (Drehbuch-)Ziel ausgerichtet: Sie sind Handlanger von Pecks altem Gangsterkollegen, der ihn schließlich hinterrücks verraten (bzw eben tatsächlich: in den Rücken geschossen - die entprechende Rückblende bricht als hyperstilisierter Peckinpah-ismus über den sonst gespenstisch souveränen, klassisch geframten Film herein) und ins Gefängnis gebracht wird. Aber die einzelnen Gewaltakte der drei sind noch nicht einmal vorderhand auf diese Funktion hin perspektiviert, sie haben etwas Fahriges, Improvisiertes an sich, sie finden auch nicht mehr zu sich im Zweikampf, im die Verhältnisse klärenden Bewegungsbild, sondern vollziehen eher eine langsame Expansionsbewegung: Immer mehr Menschen (nicht nur, aber doch vor allem heißt das: immer mehr Frauen) müssen eingespannt werden in das Gewaltdispositiv, das nichts mehr klärt, sondern nur darauf angelegt ist, eine beschädigte Welt noch ein bisschen mehr zu beschädigen.

Und das alles irritierenderweise vor wunderschöner Kulisse, gefilmt on location, natürliche, ein wenig herbstlich-aquarellen ausgebleicht wirkende Farben, keine Italowestern-Großaufnahmeexzesse, keine Peckinpah-Zeitlupenstilisierung (mit einer Ausnahme, siehe oben), sondern eine klassische Souveränität, die die Figuren fest im Raum, den Raum fest in der Welt verortet; einer Welt, deren physische Schönheit und Stabilität umso schmerzvoller den Verlust ihrer Sinndimension mitbezichnen. Gesehen habe ich diesen vielleicht radikalsten aller Spätwestern, in diesem Sinne auch wieder passenderweise, als wunderschöne, nahezu perfekt erhaltene 35mm-Cinemascope-Technicolor-Kopie.

Sunday, February 23, 2014

Berlinale 2014: Chiisai ouchi / The Little House von Yoji Yamada

Wie schon 2013 war auch 2014 der letzte aktuelle Film, den ich auf der Berlinale gesehen habe, ein neues Werk des japanischen Klassizisten Yoji Yamada. Anders als Tokyo Family ist The Little House nicht unbedingt ein Meisterwerk; aber doch ein schöner, kluger Erinnerungsfilm. Die Rahmungen (die am Ende auf interessante Art überhand nehmen), bezeichnen die inzwischen auseinandergebrochenen Familienbanden (eindrücklich vorgeführt in Tokyo Family) sehr beiläufig, ganz eigentlich erst im Kontrast mit der noch eng verbundenen Hausgemeinschaft der Rückblende.

Der Schließung der Hausgemeinschaft, um die es geht - eine junge Frau, die sich in ihrer Ehe unwohl fühlt, eine Affäre mit einem Kollegen ihres Mannes beginnt; der Mann, der nichts ahnend sich ausgerechnet für die Verheiratung des Liebhabers seiner Frau zuständig fühlt; schließlich die Erzählerin der Geschichte, die Großtante, die bei dem Ehepaar als Hausmädchen angestellt ist - entspricht die Schließung der melodramatischen Form. (Und demenstprechend laufen die in der Gegenwart angesiedelten Rahmungen ins Offene aus...) Die Erzählführung ist hochökonomisch; die Jugendzeit der Großtante im Norden Japans wird durch eine einzige Einstellung im meterhohen Schnee repräsentiert, fast unmittelbar danach wechselt der Film in das "kleine Haus", das er dann kaum noch einmal verlässt.

Nostalgisch ist wenig an der Rückblende, die sich als Erinnerung der uralten Großtante entfaltet, die allerdings, auch da sind die schachtelartigen Rahmungen sehr klug gewählt, gleichzeitig den ganzen Film über schon tot ist - fast scheint mir, dass alle Nostalgie auf den etwas außerweltlichen knallroten Glanz der Dachziegel des Hausdachs verschoben ist. Die Rückblende setzt ein während der frühen Phasen des Pazifikkriegs und endet (zumindest fast) mit der Bombardierung Tokyos, die wiederum in einer einzigen Einstellung repräsentiert wird; in einer ziemlich sonderbaren Einstellung, genauer gesagt, in der dieser sonst ganz besonders deutlich (nämlich durchaus im Sinn eines Aufrufens von klassischen Frauenmelodramen; zum Beispiel der Filme Mikio Naruses) am klassischen japanischen Erzählkino orientierte Film plötzlich für einen kurzen Moment in ein modernistisches Register zu wechseln scheint.

Nostalgisch ist wenig an dem Film, weil die Großtante in ihrer Erinnerung nicht die Vergangenheit (und damit den Militarismus) verklärt, sondern ihre höchstpersönlichen Erfahrungen gegen die Geschichte setzt. Der Großneffe, der der innerdiegetische Adressat der Erzählung (aber vielleicht der Co-Autor der Rückblende?) ist, wirft ihr genau das einmal vor: Du kannst nicht über Deine Jugend als eine glückliche Zeit sprechen, wenn parallel dazu die Gesellschaft faschistisch wurde und brutale Vernichtungskriege in China geführt wurden. Die Rückblende allerdings ist klüger, sowohl als die Nostalgie der Großtante, als auch als der Vorwurf des Großneffen: In ihr werden die Rituale und Alltagskonventionen des japanischen Faschismus, die "Banzai!"-Rufe, das Japanfahnenschwenken, das Marschliedergegröhle nicht etwa verborgen; sie nehmen im Gegenteil viel Platz ein im Film, werden aber konfrontiert mit Gesten der Intimität, die mit ihnen absolut unvereinbar sind - weil sie sich jeder Verallgemeinerung und Vergemeinschaftung entziehen: ein Kniff in den Oberarm, ein verstohlener Blick, eine gestreifte Berührung im Vorbeigehen. Und im Zentrum ein Begehren, das noch nicht einmal in solchen Gesten sich entäußern kann, weil es sich selbst nicht erkennt.

Come On, Marines!, Henry Hathaway, 1934

Der Film beginnt an Bord eines Schiffes. Die Marines unterhalten sich, kurz bevor sie Landgang haben, über Frauen. Die den ganzen Film über "dames" genannt werden. Ein Soldat besitzt ein Notizbuch, in dem Telefonnummern der "dames" notiert sind. Es wird ihm abgenommen, herumgereicht, belacht, durch eine Luke aus dem Mannschaftsraum an Deck geworfen. Die Dinge werden in Bewegung gebracht.

Der Soldat, mit Namen Lucky, schwört in der Hängematte den dames ab, bei einer will er aber eine Ausnahme machen, er betrachtet die Fotografie eine Blondine, von der aus in die eindrücklichste Einstellung des Films überblendet wird: Dieselbe Blondine tanzt in einem Nachtclub, sie trägt ein enges, an den Seiten halb offenes, halb kompliziert verschnürtes Kleid. Der Tanz ist in durchaus aggressiver Manier auf die Kamera ausgerichtet und dauert ziemlich lange - in einem Film, in dem ansonsten nichts besonders lange dauert. Grace Bradley, die die Tänzerin spielt, war vor ihrer Hollywoodkarriere tatsächlich Nachtclubtänzerin; in Come On, Marines! scheint die Transformation von Bühnenattraktion zu Filmstar noch nicht ganz gelungen zu sein. Oder vielleicht sind die Avancen, die sie der Kamera macht, einfach nur ganz normale precode madness.

Nach dem Tanz taucht sie nur noch in einer weiteren Szene auf: Während einer Taxifahrt, gemeinsam mit Lucky. In das Gespräch der beiden mischt sich immer wieder der Fahrer ein: Spud McGurke, gespielt von Roscoe Karns (der 150 imdb-credits hat, unter anderem war er in His Girl Friday; ich erinnerte mich jedoch auf Anhieb nur an eine schöne, kleine Rollen in Dwans The Inside Story), nominell second fiddle to Lucky, eigentlich das Zentrum des Films. Wo Lucky den dames eigentlich schon abgeschwört hat, springt Spud auf alle Attraktionen an, am liebsten mit einem dummen Spruch. Freundliche Toleranz für Leute, die für alles einen dummen Spruch parat haben: Das gehört mindestens so sehr zum precode-Kino wie die erotischen Freiheiten. Spud lässt sich von Lucky überreden, ebenfalls bei den Marines anzuheuern, und entwickelt sich da sofort, ohne, dass der Film das irgendwie plausibilisieren müsste, zum "besten Mann der Einheit" (Lucky selber hatte, glaube ich mich zu erinnern, zwischendurch irgendwelche Probleme mit Vorgesetzten; in vielen Details wird diese Nacherzählung sowieso fehlgehen).

Ohne, dass der Film ums bisher Geschehene (genauer gesagt: um die Tänzerin) viel Aufhebens macht, wechselt der Film auf die Philippinen, wo die Marines eine Gruppe von Kindern vor Banditenhorden zu beschützen haben. (Tatsächlich hat Hathaway also zwei Filme über die ansonsten kaum einmal im Kino verhandelten amerikanischen Kolonialkriege auf den Philippinen gedreht; der zweite, sehr viel ernster gemeinte, ist The Real Glory von 1939). Es gibt eine schöne Totale vom Camp der Truppe, in dem Soldatisches und Zivililes ununterscheidbar ist - weil alles von Schlamm überzogen wird und einen grundsätzlich improvisierten Eindruck macht.

Es stellt sich dann bald heraus, dass es sich bei den Kindern nicht um Kinder, sondern um junge Frauen handelt, um Töchter reicher Eltern genauer gesagt (eine eigene Untersuchung wert: die aristokratische Schlagseite des Hathaway-Kinos), die das Ganze eher als ein Ferienlager zu begreifen scheinen. Viel Zeit nimmt der Film sich erst für eine Totale des Badesees, in dem die Frauen schwimmen, dann für die Soldaten, die staunend am Rand stehen, nicht an sich halten können und, noch uniformiert, ins Wasser springen, die kichernden Mädchen bedrängend. Zwar gibt es dann auch Sprünge in Nahaufnahmen, aber grundsätzlich bleibt das ein Panorama, ein Wimmelbild: Lagune, Mädchen in Unterwäsche, horny Soldaten. Lucky spielt sich dann allerdings erstmals als Aufpasser auf, ruft zur Ordnung.

Im Verlauf dieser ausgedehnten Szene hat Ida Lupino ihren Auftritt. Als schließlich alle anderen, aufgrund drohender Gefahr, das Wasser verlassen haben, bleibt sie stur zurück, und ist ab sofort Luckys girl. Erst nur widerspenstig natürlich, später wird sie zum Hilfssheriff, hilft ihm, die nicht still zu stellenden Marines von den alles andere als unwilligen Frauen fern zu halten. Verglichen mit der robusten Tänzerin wirkt Ida fragil, puppenartig, dazu passen ihre allzu gerade aufgemalten Augenbrauen. Bald ist auch Ida evakuiert, es gibt dann eine schöne Szene im Innern eines Hauses, in der es vor allem darum geht, dass sich die Frauen anziehen und sich über die Männer unterhalten. Bis auf Ida bleiben sie allerdings alle Stichwortgeberinnen, unterschieden sich vor allem in ihren Frisuren.

Im Weiteren geht es um den Kampf gegen die Banditen. In dessen Verlauf gibt es eine wunderbare Szene, in der die Soldaten, um die Feinde zu narren, die Kleider der Frauen anlegen (Spud trägt ein dunkles Kleid, fühlt sich darin sichtlich wohl); und die Frauen schlüpfen währenddessen in Männerkleidung. Noch schöner ist die Szene, in der beide Gruppen wieder in ihre alten Rollen zurückkehren: Gefilmt ist das in einer Totalen, in der Mitte der Leinwand trennt eine Art Mauer die Geschlechter, die Männer und Frauen werfen sich gegenseitig ihre Kleidung über diese Mauer hinweg zu.

Sehr nebenbei erledigt sich das Banditenproblem, Lucky und Ida heiraten, Spud fährt wieder das Taxi, im identischen Framing wie in der früheren Filmszene. Das Paar will zur Kirche, Spud möchte sie lieber zum Standesamt kutschieren, da er sich (wie ebenfalls in der vorherigen Szene) andauernd von der Straße abwendet, baut er fast einen Unfall, der Wagen kommt, in einer der rumpligeren Pointen dieses wundervollen Films, direkt auf einer Kirchentreppe zu stehen.

Saturday, February 22, 2014

Berlinale 2014: A Dream of Iron von Kelvin Kyung Kun Park

Ein Film, mit dem ich erst nicht allzu viel anfangen konnte, der aber seither nicht so recht Ruhe geben will in meinem Gedächtnis. Von Kelvin Kyung Kun Park hatte ich schon einmal einen Film gesehen, im Jahr 2011, ebenfalls im Forum, der komischerweise einen sehr ähnlichen Titel trägt: Cheonggyecheon Medley - A Dream of Iron. Da ging es um ein Stadtviertel in Seoul, das durch eine Vielzahl kleiner Elektroläden und vor allem Werkstätten geprägt ist. Oder war, es scheint da große Umstrukturierungsmaßnahmen gegeben zu haben, ich erinnere mich an eine eindrückliche Sequenz gegen Ende des Films, in der den chaotischen, ölverschmierten, schweißtreibenden selfmade-Technologien ein steriles, von kaltem Licht durchflutetes Bürogebäude entgegengestellt wurde. Besonders subtil war das, wie auch der Rest des Films, nicht; aber manchmal ist halt auch die Welt nicht besonders subtil. Dass Cheonggyecheon Medley - A Dream of Iron einen interessanten Aspekt der Welt zu fassen bekommt, war mir ein Jahr später noch einmal klar geworden: Kim Ki-duks fürchterlicher Pieta spielt über weite Strecken in demselben Stadtviertel, aber fast dieselben Bilder, die bei Park noch auf Erfahrungswerte verweisen, gerinnen bei Kim zu fadem Kunsthandwerk. Cheonggyecheon ist in Pieta nicht mehr als Folge historischer Veränderungen heruntergekommen, sondern einfach nur verkommen, ein perfektes Setting für grenzfaschistoide Mythenbildnerei.

Aber jetzt der neue Film; dessen Gegenstand bleibt viel opaker. Es geht um Schwerindustrie in einem allgemeineren Sinne, die Maschinenbilder (die den Großteild es Films ausmachen), scheinen vor allem in einem koreanischen Hafenareal gefilmt zu sein. Deutlich stärker als der eher klassisch dokumentarisch ausgerichtete ältere Film (der allerdings auch schon einen Brief enthielt, an den verstorbenen Großvater des Regisseurs) ist der neue A Dream of Iron essayistisch überformt: durch einen Liebesbrief (allerdings im Angesicht des Verlusts der/s Geliebten geschrieben); durch eine historische Passage, die sich mitantiken Höhlenmalereien, aber auch mit Streiks von Hafenarbeitern beschäftigt; schließlich, das bleibt insgesamt am unklarsten, durch Aufnahmen von buddhistischen Ritualen und gigantischen Walen, die mit den Maschinenbildern parallel geschaltet werden. Man könnte das so beschreiben, dass das maschinell Erhabene auf diese Weise um ein religiös und um ein natürlich Erhabenes ergänzt wird. Wie sich das in den restlichen Film fügen soll, ist mir aber nicht ganz klar geworden (dieser sonst eher ärgerliche Text weißt darauf hin, dass der Film ursprünglich als 3-Kanal-Videoinstallation konzipiert war und auch schon so aufgeführt wurde; vielleicht ergibt das Montagekonzept da tatsächlich mehr Sinn).

Der Gedanke aber, die eindrucksvollen, überwältigenden Maschinenbilder, die Park filmt, die etwas obsessives an sich haben, gerade weil sie sich nicht für den Wertschöpfungsprozess selbst interessieren, sondern für die Unwahrscheinlichkeit, die darin besteht, dass solche gigantischen künstlichen Strukturen überhaupt existieren, dass sie sich dann auch noch bewegen und manipulieren lassen; der Gedanke, diese Bilder mit den Höhlenmalereien in Verbindung zu bringen, interessiert mich rückblickend mehr, als er mir im Kino eingeleuchtet hat. Die wilden, gefährlichen, riesigen Tiere wurden, meint der voice over, erst an die Wand gemalt, symbolisch gebannt (und dabei vermutlich ein wenig idealisiert, überzeichnet), nachdem sie erlegt worden waren. Und auch er, Park, kann diesen Film, diesen auf der Tonspur sich gleich mehrmals im Pathoslevel vergreifenden Maschinenporno nur deshalb drehen, er kann diese Maschinen nur deshalb (mit seiner eigenen, vielleicht auch schon ein wenig veralteten Bildmaschine) symbolisch bannen, weil die Maschinen keine echte Gefahr mehr darstellen.

In den 1980ern noch, zeigen Archivaufnahmen, ketteten sich Hafenarbeiter während eines Streiks an einen gigantomanischen Hafenkran (der tatsächlich den Namen "Goliath" trug...), an eines jener Geräte, die vor allem in den Jahren der rücksichtlosen Industrialisierung Südkoreas während der Diktatur Park Chung-hees vielen Menschen das Leben kosteten, besetzen. Nun haben natürlich die Arbeiter vielleicht in einzelnen Streiks gesiegt, die Kontrolle über die Goliaths haben sie nicht errungen; wenn die heute nicht mehr als Schreckensbild taugen, hat das ganz andere Gründe. Park kann seine Bilder nicht mehr in einem triumphalistischen Modus anfertigen; sein Film ist kein Film aus der Perspektive der Sieger, sondern ein zutiefst melancholischer Film, der mindestens soviel über das Verschwinden von historischer Handlungsmacht erzählt, wie über die Schönheit der Schwerindustrie.

Berlinale 2014: The Second Game von Corneliu Porumboiu

“Wenn das Spiel wenigstens im Jahr 1989 stattgefunden hätte, dann könnte man in ihm eine politische Bedeutung finden”, sagt Corneliu Porumboius Vater einmal (sinngemäß) in dem neuen, und in gewisser Weise radikalsten Film seines Sohns. “The Second Game” besteht ausschließlich aus einer Fernsehaufnahme eines Fußballspiels, eines Aufeinandertreffens der beiden rumänischen Topteams Dinamo und Steaua Bukarest, der Vater stand mit auf dem Platz, als Schiedsrichter. Das Spiel fand 1988 statt.

Die politische “Bedeutung” liegt so oder so auf der Hand und wird vom Voice-Over-Kommentar, einem Gespräch zwischen Vater und Sohn, in der Anfangsphase kurz expliziert: Dinamo war der Club der Geheimpolizei, Steaua der der Armee, die meisten anderen Ligateams waren nicht mehr als Satelliten dieser beiden Mannschaften, die damals zu den stärksten Europas gehörten (für Steaua steht der junge Hagi auf dem Platz, nachhaltig auf sich aufmerksam machen kann er nicht). Die beiden Staatsinstitutionen stehen sich kurz vor dem Ende des Staatssozialismus auf einem praktisch unbespielbaren Platz gegenüber, im dichten Schneetreiben. Das Spiel endet 0:0. Dazu die historische Differenz und die Vermittlung über das Medium VHS: Eine hoffnungslos verrauschte Videoaufzeichnung hat Corneliu Poruboiu ausgegraben, der Ball ist meist nur als eine gelbe Schliere zu erahnen.

Ein Detail der medialen Anordnung, das mich interessiert hat: Wenn der Vater fragt, ob sie das Tape zurückspulen können, um eine Szene noch einmal genauer unter die Lupe nehmen zu können (schon um den unbändigen Kontrollzwang der Schiedsrichter in Grenzen zu halten, sollte der Videobeweis auch weiterhin nicht eingeführt werden…), antwortet der Sohn stets “nein, das geht nicht.” Mag sein, dass der VHS-Player, der für das Experiment zur Verfügung stand, tatsächlich keinen funktionierenden Rücklaufknopf besitzt. Aber dann wäre eben schon die Wahl dieses speziellen Geräts eine ästhetische Entscheidung. Denn das Gespräch zwischen Vater und Sohn dreht sich nach der eher pflichtschuldig abgehandelten politdiskursiven Anfangsphase - und zwischen langen Phasen, in denen sich die beiden wenig zu sagen haben - vor allem um verschiedene Formen von Kontrolle. Ein Schiedsrichter kontrolliert ein Spiel, wie ein Filmregisseur einen Film kontrolliert - und in diesem Fall überlässt der Filmregisseur seinen Kontrollanteil dem rumänischen Fernsehen, das stets aus sozialistischer Obhutspflicht wegschneidet, wenn sich die Spieler auf dem Feld zanken.

Fokussiert wird das auf die Vorteilsregel, die 1988 noch eine absolute Entscheidung vom Schiedsrichter verlangte: Der einmal weiterlaufengelassene Vorteil kann nicht mehr zurückgenommen werden, wenn er sich dann doch nicht einstellt. Porumboius Vater entscheidet sich fast stets für den Vorteil, für den flüssigen Rhythmus, für die elegante mise-en-scene des Fußballspiels, damit allerdings auch gegen das zwar rabiate, aber manchmal auch notwendige Unterscheidungen vornehmende Regime des Schnitts. Wie eben auch in der einen Szene gegen Ende der zweiten Halbzeit, auf die das Spiel und auch der Film mit fast schon unheimlicher Konsequenz zuzulaufen scheinen.

Monday, February 17, 2014

Berlinale 2014, ratings (final)

new films

The Midnight After (Chan, Panorama) +++
Die geliebten Schwestern (Graf, Wettbewerb) +++
Le Beau danger (Frölke, Forum) +++
Snowpiercer (Bong, Forum) +++
L'enlèvement de Michel Houellebecq (Nicloux, Forum) +++
The Guests (Jacobs, Forum) +++
The Second Game (Porumboiu, Forum) +++
Aimer, boire et chanter (Resnais, Wettbewerb) +++

That Demon Within (Lam, Panorama) ++
Boyhood (Linklater, Wettbewerb) ++
The Little House (Yamada, Wettbewerb) ++
Love Is Strange (Sachs, Panorama) ++
Ice Poison (Midi Z., Panorama) ++
umsonst (Geene, Forum E.) ++
A Dream of Iron (Park, Forum) ++
Mario Wirz (von Praunheim, Panorama) ++
Nuoc (Minh, Panorama) ++
Orbitalna (Malaszczak, Forum E.) ++
American Hustle (Russell, Special) ++
Töchter (Speth, Forum) ++

Black Coal, Thin ICe (Diao, Wettbewerb) +
The Airstrip (Emigholz, Forum) +
Ich will mich nicht künstlich aufregen (Linz, Forum) +
Fluch der Medea (Okpako, Forum E.) +
Fieber (Mikesch, Panorama) +

Das große Museum (Holzhausen, Forum) +-
Der Samurai (Kleinert, Perspektive) +-
Und in der Mitte, da sind wir (Brameshuber, Forum) +-
23rd August 2008 (Mulvey et al, Forum E.) +-
Über-Ich und Du (Heisenberg, Panorama) +-
Kumiko, the Treasure Hunter (Zellner, Forum) +-
To Singapur With Love (Tan Pin Pin, Forum) +-
Stone Cloud (Nilthamrong, Forum E.) +-
The Honor Keeper (Singh, Forum) +-
Güeros (Ruizpalacios, Panorama) +-
Anderson (Hendel, Panorama) +-
The Third Side of the River (Murga, Wettbewerb) +-
Standing Aside, Watching (Servetas, Panorama) +-

The Forest Is Like the Mountain (Schmidt / Guillain, Forum) -
Joy of Man's Desiring (Cote, Forum) -
Forma (Sakamoto, Forum) -
Pierrot Lunaire (LaBruce, Forum E.) -
Everything That Rises Must Converge (Fast, Forum E.) -
10 Minutes (Lee, Forum) -
Wie aus der Ferne (Gal, Forum E.) -
The Grand Budapest Hotel (Anderson, Wettbewerb) -
Shadow Days (Zhao, Forum) -
Seaburners (Önel, Forum) -
The Rice Bomber (Li, Panorama) -

Butter on the Latch (Decker, Forum) --
Scrap Yard (Trebal, Forum) --
Zwischen Welten (Aladag, Wettbewerb) --
Behind the Sun (Al Qadiri, Forum E.) --
Jack (Berger, Wettbewerb) --
The Darkside (Thornton, Forum) --
She's Lost Control (Marquardt, Forum) --

Unfriend (Altarejos, Panorama) ---
Los Angeles (Harper, Forum) ---
At Home (Karanikolas, Forum) ---
Kreuzweg (Brüggemann, Wettbewerb) ---
Tape 13 (Stein, Perspektive) ---
Inferno (Bartana, Forum E.) ---

old films

The Dawn Patrol (Hawks, Retro) +++
Ugetsu Monogatari (Mizoguchi, Retro) +++
That Night's Wife (Ozu, Retro) +++
The Grapes of Wrath (Ford, Retro) +++
Late Autumn (Ozu, Classics) +++
The Naked City (Dassin, Retro) +++
Sunrise - A Song of Two Humans (Murnau, Retro) +++
The Docks of New York (Sternberg, Retro) +++
When It Rains, It Pours (Nakamura, Forum) +++
Yukinojo henge (Kinugasa, Retro) +++
Citizen Kane (Welles, Retro) +++
The Iron Mask (Dwan, Retro) +++
Stagecoach (Ford, Retro) +++
Shanghai Express (Sternberg, Retro) +++
Singing Lovebirds (Makino, Retro) +++
Humanity and Paper Balloons (Yamanaka, Retro) +++
Tsuruhachi and Tsurujiro (Naruse, Retro) +++
Dirnentragödie (Rahn, Retro) +++

Jujiro / Crossways (Kinugasa, Retro) ++
Rebel Without a Cause (Ray, Classics) ++
Air Force (Hawks, Retro) ++
Tokyo no eiyu (Shimizu, Retro) ++
La belle et la bete (Cocteau, Retro) ++
Flesh and the Devil (Brown, Retro) ++
The Shape of Night (Nakamura, Forum) ++
The Mark of Zorro (Niblo, Retro) ++
Unter der Laterne (Lamprecht, Retro) ++
Tender are the Feet (Wunna, Forum) ++
Le quai des brumes (Carne, Retro) ++
The Cheat (DeMille, Retro) ++

Home Sweet Home (Nakamura, Forum) +
Blind Justice (Christensen, Retro) +
BirdWatchers (Bechis, Native) +

The War at Sea from Hawaii to Malaya (Yamamoto, Retro) +-
Rashomon (Kurosawa, Retro) +-
Five Scouts (Tasaka, Retro) +-
Gashiram Kothwal (Kaul et al, Forum) +-
Das Licht des Herzens (Kotani, Retro) +-
Faust. Eine deutsche Volkssage (Murnau, Retro) +-

Das Cabinet des Dr. Caligari (Wiene, Classics) -

Sunday, February 16, 2014

Nollywood statt Weihepriesterei

“Ich mag das Unreine, manchmal sogar das Vulgäre”, meinte Ken Jacobs im Publikumsgespräch nach seinem großartigen 3D-Experimentalfilm “The Guests”, als Antwort auf den Vorwurf eines Zuschauers, er habe sein eigenes Konzept - die Stereoskopisierung eines uralten, einst von den Lumiere-Brüdern aufgenommenen Filmschnippsels - untergraben. Und zwar, weil einige kurze Passagen seines Films recht knallig eingefärbt sind, weil andere Passagen mit dem Radetzkymarsch unterlegt sind, weil er schließlich am Ende seines Films an die extrem zerdehnte Bearbeitung des Materials den Originalfilm in Normalgeschwindigkeit anhängt, was die Eigenzeit und den Eigenraum der vorherigen Bilder tatsächlich komplett zerstört (aber gut passt zu dem Gestus von Jacobs’ Gesamtwerk, das nicht an singulären, monumentalen Erfahrungsblöcken interessiert ist, sondern das sich selbst als einen ongoing process und als einen Beitrag zur Erforschung des Bewegungsbildes versteht). Der Fragesteller sehnte sich nach konzeptioneller Klarheit und sah die reine Lehre der Avantgarde an effektbewusste showmanship verraten.

Jacobs’ souveräne und kluge Antwort, seine offensive Affirmation des Unreinen und ein wenig Despektierlichen, hat mich an den Film erinnert, den ich direkt davor gesehen hatte: Richard Linklaters “Boyhood” ist ebenfalls kein Film, der frei ist von Kompromissen, von Zugeständnissen an gewisse Zielpublika und Regeldramaturgien, auch vielleicht nicht frei von Zugeständnissen Linklaters an den eigenen schlechten Geschmack (die Musikauswahl, gerade am Anfang…). Gleichzeitig ist “Boyhood” gerade deshalb ein lebendiger Film, und einer der schönsten im Wettbewerb, weil er vieles zulässt in den gut zweieinhalb Stunden, die er dauert - und weil Linklater viel zugelassen hat in den 12 Jahren, während derer er den Film peu à peu gedreht hat. Weil er vor allem die Veränderung, die die Zeit allen Menschen zufügt, von Anfang an zugelassen hat als integrativen Aspekt seines Films. (Das Gegenbeispiel eines Films, der gar nichts zulässt, wäre Brüggemanns “Kreuzweg”, aber damit soll es auch genug sein mit Nachtreten…).

Weiter hatte ich mir dann noch gedacht, dass ein offensives Umarmen der eigenen Unreinheit eine gute Idee sein könnte für die Berlinale insgesamt. Denn unrein ist die Berlinale von Anfang an: “The Guests” lief im Cubix am Alexanderplatz, auf den Nasen hatten die Zuschauer handelsübliche 3D-Brillen. In seinem Alltagsbetrieb werden im selben Saal Hollywood-Blockbuster vorgeführt, die dann auch noch durch das gleiche Accessoire hindurch betrachtet werden. Dass dieser Ort der reibungslosen, kommerziellen Auswertung von Bildern von Jacobs’ radikal verlangsamtem Eigensinn verunreinigt wird, ist erst einmal eine gute Sache. Und wenn dann umgekehrt der großzügige Experimentalfilmer die hybride Natur seines eigenen Films gegen Weihepriesterei verteidigt: umso besser.

Die reine Lehre der Cinephilie ist in Berlin vielleicht sowieso fehl am Platz: Die großen auteurs wird es auch in Zukunft eher nach Cannes ziehen, die Kathedralen der Avantgarde sind auf anderen, kleineren Festivals besser aufgehoben. Die Berlinale wird immer ein Festival der Kompromisse bleiben. Filme wie “The Guests” und “Boyhood”, auf seine Art auch mein Lieblingsfilm des diesjährigen Festivals (wenn man von der Retrospektive absieht), der popkulturgesättigter Polit-Horrorfilm “The Midnight After”, weisen statt dessen darauf hin, dass es unterschiedliche Arten von Kompromissen gibt. In ihrer gegenwärtigen Gestalt bevorzugt die Berlinale, nicht in jedem einzelnen Film natürlich, durchaus aber sektionsübergreifend im Mittel, den institutionalisierten Kompromiss, der im Mainstream des globalisierten Förderkinos seinen Platz hat.

Deshalb halte ich auch nichts von den andernorts erhobenen Forderungen nach weniger Filmen, nach mehr Konzentration: Im Zweifelsfall würden bei solchen Selbstbeschränkungen genau die falschen Filme wegfallen, übrig bliebe der Kompromiss des kleinsten gemeinsamen Nenners (Filme mit besonders vielen Fördererlogos im Ab-, bzw, das scheint ein neuer Trend zu sein, schon im Vorspann). Es würde für die Zukunft schon genügen, die Netze ganz im Gegenteil ein wenig weiter auszuwerfen, in Richtung idiosynkratischerer Formen des Kompromisses, die in den Untiefen des Populären ebenso lauern können wie in den weniger verbiesterten Winkeln der Avantgarde. Warum, zum Beispiel, nicht einfach einmal ein Nollywoodfilm auf der Berlinale? Oder, noch besser: Warum nicht einfach einmal 20 Nollywoodfilme auf der Berlinale?

Monday, February 03, 2014

Berlinale 2014: Recommendations / Warnings

new films

The Midnight After (Chan, Panorama) +++
Le Beau danger (Frölke, Forum) +++
Snowpiercer (Bong, Forum) +++
L'enlèvement de Michel Houellebecq (Nicloux, Forum) +++
The Second Game (Porumboiu, Forum) +++

Nuoc (Minh, Panorama) ++
Orbitalna (Malaszczak, Forum E.) ++
Töchter (Speth, Forum) ++

The Airstrip (Emigholz, Forum) +
Ich will mich nicht künstlich aufregen (Linz, Forum) +

Der Samurai (Kleinert, Perspektive) +-
23rd August 2008 (Mulvey et al, Forum E.) +-
Über-Ich und Du (Heisenberg, Panorama) +-
Kumiko, the Treasure Hunter (Zellner, Forum) +-
To Singapur With Love (Tan Pin Pin, Forum) +-
Stone Cloud (Nilthamrong, Forum E.) +-
Standing Aside, Watching (Servetas, Panorama) +-

The Forest Is Like the Mountain (Schmidt / Guillain, Forum) -
Joy of Man's Desiring (Cote, Forum) -
Forma (Sakamoto, Forum) -
Pierrot Lunaire (LaBruce, Forum E.) -
10 Minutes (Lee, Forum) -
Wie aus der Ferne (Gal, Forum E.) -
Shadow Days (Zhao, Forum) -
Seaburners (Önel, Forum) -
The Rice Bomber (Li, Panorama) -

Butter on the Latch (Decker, Forum) --
Scrap Yard (Trebal, Forum) --
Behind the Sun (Al Qadiri, Forum E.) --
The Darkside (Thornton, Forum) --
She's Lost Control (Marquardt, Forum) --

Unfriend (Altarejos, Panorama) ---
At Home (Karanikolas, Forum) ---
Tape 13 (Stein, Perspektive) ---
Inferno (Bartana, Forum E.) ---

old films

The Dawn Patrol (Hawks, Retro) +++
Ugetsu Monogatari (Mizoguchi, Retro) +++
That Night's Wife (Ozu, Retro) +++
The Grapes of Wrath (Ford, Retro) +++
Late Autumn (Ozu, Classics) +++
The Naked City (Dassin, Retro) +++
Sunrise - A Song of Two Humans (Murnau, Retro) +++
The Docks of New York (Sternberg, Retro) +++
When It Rains, It Pours (Nakamura, Forum) +++
Citizen Kane (Welles, Retro) +++
The Iron Mask (Dwan, Retro) +++
Stagecoach (Ford, Retro) +++
Shanghai Express (Sternberg, Retro) +++
Singing Lovebirds (Makino, Retro) +++
Humanity and Paper Balloons (Yamanaka, Retro) +++

Jujiro / Crossways (Kinugasa, Retro) ++
Rebel Without a Cause (Ray, Classics) ++
Air Force (Hawks, Retro) ++
La belle et la bete (Cocteau, Retro) ++
The Shape of Night (Nakamura, Forum) ++
The Mark of Zorro (Niblo, Retro) ++
Unter der Laterne (Lamprecht, Retro) ++
Le quai des brumes (Carne, Retro) ++
The Cheat (DeMille, Retro) ++

Home Sweet Home (Nakamura, Forum) +
Blind Justice (Christensen, Retro) +
BirdWatchers (Bechis, Native) +

The War at Sea from Hawaii to Malaya (Yamamoto, Retro) +-
Rashomon (Kurosawa, Retro) +-
Gashiram Kothwal (Kaul et al, Forum) +-
Faust. Eine deutsche Volkssage (Murnau, Retro) +-

Das Cabinet des Dr. Caligari (Wiene, Classics) -