Computer Chess (Andrew Bujalski, Forum)
I Used to Be Darker (Matthew Porterfield, Forum)
Die beiden grundguten Geister des Festivals: Die Nerds der Achtziger, die sich sehr zurecht die übelriechende Libertinage der Siebziger vom Leibe halten; und die sanft entwurzelten Kids der Gegenwart, die sich nicht für ihre first world problems schämen und ganz großartige Sprechweisen entwickeln. Amerika hat es besser.
Kya hua is shahar ko? / What Happened to This City? (Deepa Dhanraj, Forum)
Eines der intensivsten Filmerlebnisse des Festivals. Ein einfacher Grundkonflikt, der in keine Richtung komplett aufgelöst wird, sondern sich immer weiter vertieft, oft durch bloße Wiederholungen der ewig gleichen Anschuldigungen, der ewig gleichen Ängste. Die beiden Hetzer, der muslimische und der hinduistische, die ihr Weltbild monologisch entfalten können und direkt danach die engen frames, in die sich die angsterfüllten Familien drängen, die im Bürgerkriegsgebiet leben müssen. Ein Film über die Enge des Sozialen, ein klaustrofobischer Film, wenn ich je einen gesehen habe. Ein Film, der mich wie kaum ein zweiter in meiner grundlegenden Skepsis gegen alle Formen von Gemeinschaften, die aus mehr als zwei Menschen bestehen, bestärkt hat.
Mes seances de lutte / Love Battles (Jacques Doillon, Panorama)
Leviathan (Castaing-Taylor / Paravel, Forum Expanded)
Zwei Filme, die mich in ein neues Sehen eintrainieren wollen, vermittels einer körperlichen, aber jeweils unterschiedlich subjektbefreiten Wahrnehmungskonfiguration. Warum hat mir am Ende der Doillon, der mich zuerst ziemlich genervt hat, deutlich besser gefallen? Weil der Film nicht so durchgeformt erscheint, weil er seine experimentelle Anordnung nicht immer schon wieder reframet als dramaturgisch perfekt durchexerziertes Gesamtkunstwerk. „Hinterher war's dann doch nur Vorspiel für normalen Leinwandsex“, meint Daniel Eschkötter und das stimmt natürlich, aber genau das ist vielleicht auch das interessante an Doillons Film: Dass er da aus Hilflosigkeit, vielleicht auch aus Angst vor der eigenen Radikalität eine Ausfahrt nimmt, die eigentlich gar nichts abschließt; anstatt sich zum Beispiel, das wäre die Leviathan-Option gewesen, ganz den Körpereffekten zu überlassen und sie in komplett installative Anordnungen zu überführen. Möglicherweise wäre Cyber-Sex die allerbeste Perspektive gewesen, aber die Freundin wird am Ende dann auch noch eingeflogen.
Materia oscura / Dark Matter (Anolfi / Parenti, Forum)
Einer der wenigen Forumsdokus, deren Selbstverrätselung wirklich Lust weckt, sie zu durchschauen. Found Footage Material (wie genau entstanden? Komplett dokumentarisch oder nicht doch mit Pulp-SF angereichert?) von einem Raketentestgelände, das schließlich in einen Öko-Problemfilm übergeht, in langen, geduldigen Aufnahmen, die zeigen, wie ein krank geborenes Kalb an der Nahrungsaufnahme scheitert. Absichtsvoll ungenaue Analogien zwischen verschiedenen Spuren, die Projektile hinterlassen in der Landschaft, auf analogen Filmstreifen, in Kälbern.
Za Marksa... / For Marx... (Svetlana Baskova, Forum)
Was dann doch toll ist (1): die erste Busfahrt in die Fabrik, die gleitende Kamera, die sich nicht für ein Gesicht, ein Schicksal zu entscheiden wollen scheint (und genau das dann leider doch tut); und erst recht die erste Szene in der Fabrik, zwischen Funken schlagenden Hochöfen, offensichtlich an einem Originalschauplatz gedreht. Ich weiß natürlich nicht so recht, wie eisenverarbeitendes Gewerbe normalerweise ausschut, aber in diesem Fall scheinen mir die Hochöfen doch sehr frei in der Gegend herumzustehen, der ganze Raum ziemlich ungeordnet zu sein. So, als wäre die Fabrikhalle notdürftig um an dieser Stelle vorgefundene „Feuerquellen“ herum gebaut geworden. Ach, was hätte man an so einem Ort für einen tollen Film drehen können...
Frances Ha (Noah Baumbach, Panorama)
Vielleicht ist das doch auch eine Leistung des Films: Dass ich seiner Protagonistin zumindest nach der ersten halben Stunde nur noch das Schlechteste wünsche, in jeder einzelnen Szene, in jedem einzelnen Gespräch.
The Grandmaster (Wong Kar Wai, Wettbewerb)
Was dann doch toll ist (2): Die längere Sequenz, die mit einer „Stabat mater“-Montage eingeleitet wird, die sich dann in ein erotisch aufgeladenes Martial-Arts-Duell fortsetzt, welches direkt im Anschluss schon wieder zum Erinnerungsbild umgeformt wird. Zehn, fünfzehn mit traumwandlerischer Sicherheit inszenierte Minuten, wegen denen ich mir den Film, falls ich ihn irgendwo auf 35mm zu sehen bekommen würde, vielleicht doch noch einmal anschauen täte.
Gloria (Sebastian Lelio, Wettbewerb)
Rückblickend die schlimmste Szene des Festivals: die Paintball-Rache am verhinderten Lover, der dafür, dass er sein Leben nicht derart selbstoptimierungsideal in den Griff bekommt wie die rundum hassenswerte Hauptdarstellerin, auch noch Farbbeutel vor den Bauch geschossen bekommt. Gloria darf sich dafür im ewigen Radioairplay-singalong ins Zuschauerherz wiegen. Widerwärtig.
Belleville Baby (Mia Engberg, Panorama)
Schwedische Künsterlin verarbeitet Beziehung zu einem Gefängnisinsassen in Form eines völlig egalen Essayfilms. Der einzige Film, den ich vorzeitig verlassen habe, vor allem aufgrund einer Szene: Es geht um die riots in den Pariser banlieus um 2005. Die Künstlerin überlegt, in die Vorstädte zu fahren und vor Ort zu filmen. Der Freund im Gefängnis will das nicht: Du würdest sie anschauen wie Affen im Zoo, meint er. Es gibt im Film dann auch tatsächlich keine Bilder aus erster Hand, sondern weitgehend unkommentierte Fernsehaufnahmen, die irgendwie beweisen sollen, dass der Freund recht hat und dass die Blicke von außen die banlieu-Bewohner kolonialisieren oder so. Mein Problem damit hat etwas mit dem Satz zu tun, den Thekla Dannenberg über einige andere Berlinalefilme formuliert hat: „Aber es gibt die Mühe, Fakten zu recherchieren, und die Bequemlichkeit, Drehbücher nicht zu Ende zu denken.“ Engbergs Film ist der unangenehme Höhepunkt der Bequemlichkeit: Entweder hätte sie doch raus in die banlieus fahren müssen und versuchen, den geläufigen andere Bilder entgegen zu stellen; oder sie hätte genauer nachweisen müssen, was an den Fernsehbildern einem zoologischen Dispositiv entspricht. So wie es ist, setzt sie den rechten Ressentiments nur ihre eigenen entgegen.
None Shall Escape (Andre de Toth, Retrospektive)
DIE Entdeckung der Retrospektive: Harte, effektive B-Movie-Rationalität verurteilt den nationalsozialisitschen Irrationalismus schon vor dessen tatsächlicher Niederlage. Ein Film, der sehr konsequent und ohne eine falsche Note vom Ende des ersten Weltkriegs bis an die Schwelle von Auschwitz führt.
The Chase (Arthur Ripley, Retrospektive)
Ein absolut fantastischer, derangierter noir, der durchaus in der Ulmer-Liga spielt. Das weiße Kleid, das durch den Wellenschlag in ein schwarzes transformiert wird. Die Traumsequenz, die vielleicht nur deshalb so sonderbar ist, weil sie von Anfang an keine ist. Die beiden Schiffe mit den identischen Kajüten. Und Kuba als irrealisierter Sehnsuchtsort (siehe Miami Vice) schon vor Castro.
M (Joseph Losey, Retrospektive)
Pragmatic Hollywood leftism, auf der Leinwand (Gangster in Polizeiuniform, die freudig grinsend in Einkaufszentren randalieren und schon auch mal als Bunuel-Hommage ein gläsernes Auge zersplittern lassen), aber auch schon vor dem Screening: der 90-jährige Harold Nebenzal spricht frei und flüssig über die Produktion, den Abriss von Bunker Hill, die Schwierigkeiten mit der Zensur.
I Used to Be Darker (Matthew Porterfield, Forum)
Die beiden grundguten Geister des Festivals: Die Nerds der Achtziger, die sich sehr zurecht die übelriechende Libertinage der Siebziger vom Leibe halten; und die sanft entwurzelten Kids der Gegenwart, die sich nicht für ihre first world problems schämen und ganz großartige Sprechweisen entwickeln. Amerika hat es besser.
Kya hua is shahar ko? / What Happened to This City? (Deepa Dhanraj, Forum)
Eines der intensivsten Filmerlebnisse des Festivals. Ein einfacher Grundkonflikt, der in keine Richtung komplett aufgelöst wird, sondern sich immer weiter vertieft, oft durch bloße Wiederholungen der ewig gleichen Anschuldigungen, der ewig gleichen Ängste. Die beiden Hetzer, der muslimische und der hinduistische, die ihr Weltbild monologisch entfalten können und direkt danach die engen frames, in die sich die angsterfüllten Familien drängen, die im Bürgerkriegsgebiet leben müssen. Ein Film über die Enge des Sozialen, ein klaustrofobischer Film, wenn ich je einen gesehen habe. Ein Film, der mich wie kaum ein zweiter in meiner grundlegenden Skepsis gegen alle Formen von Gemeinschaften, die aus mehr als zwei Menschen bestehen, bestärkt hat.
Mes seances de lutte / Love Battles (Jacques Doillon, Panorama)
Leviathan (Castaing-Taylor / Paravel, Forum Expanded)
Zwei Filme, die mich in ein neues Sehen eintrainieren wollen, vermittels einer körperlichen, aber jeweils unterschiedlich subjektbefreiten Wahrnehmungskonfiguration. Warum hat mir am Ende der Doillon, der mich zuerst ziemlich genervt hat, deutlich besser gefallen? Weil der Film nicht so durchgeformt erscheint, weil er seine experimentelle Anordnung nicht immer schon wieder reframet als dramaturgisch perfekt durchexerziertes Gesamtkunstwerk. „Hinterher war's dann doch nur Vorspiel für normalen Leinwandsex“, meint Daniel Eschkötter und das stimmt natürlich, aber genau das ist vielleicht auch das interessante an Doillons Film: Dass er da aus Hilflosigkeit, vielleicht auch aus Angst vor der eigenen Radikalität eine Ausfahrt nimmt, die eigentlich gar nichts abschließt; anstatt sich zum Beispiel, das wäre die Leviathan-Option gewesen, ganz den Körpereffekten zu überlassen und sie in komplett installative Anordnungen zu überführen. Möglicherweise wäre Cyber-Sex die allerbeste Perspektive gewesen, aber die Freundin wird am Ende dann auch noch eingeflogen.
Materia oscura / Dark Matter (Anolfi / Parenti, Forum)
Einer der wenigen Forumsdokus, deren Selbstverrätselung wirklich Lust weckt, sie zu durchschauen. Found Footage Material (wie genau entstanden? Komplett dokumentarisch oder nicht doch mit Pulp-SF angereichert?) von einem Raketentestgelände, das schließlich in einen Öko-Problemfilm übergeht, in langen, geduldigen Aufnahmen, die zeigen, wie ein krank geborenes Kalb an der Nahrungsaufnahme scheitert. Absichtsvoll ungenaue Analogien zwischen verschiedenen Spuren, die Projektile hinterlassen in der Landschaft, auf analogen Filmstreifen, in Kälbern.
Za Marksa... / For Marx... (Svetlana Baskova, Forum)
Was dann doch toll ist (1): die erste Busfahrt in die Fabrik, die gleitende Kamera, die sich nicht für ein Gesicht, ein Schicksal zu entscheiden wollen scheint (und genau das dann leider doch tut); und erst recht die erste Szene in der Fabrik, zwischen Funken schlagenden Hochöfen, offensichtlich an einem Originalschauplatz gedreht. Ich weiß natürlich nicht so recht, wie eisenverarbeitendes Gewerbe normalerweise ausschut, aber in diesem Fall scheinen mir die Hochöfen doch sehr frei in der Gegend herumzustehen, der ganze Raum ziemlich ungeordnet zu sein. So, als wäre die Fabrikhalle notdürftig um an dieser Stelle vorgefundene „Feuerquellen“ herum gebaut geworden. Ach, was hätte man an so einem Ort für einen tollen Film drehen können...
Frances Ha (Noah Baumbach, Panorama)
Vielleicht ist das doch auch eine Leistung des Films: Dass ich seiner Protagonistin zumindest nach der ersten halben Stunde nur noch das Schlechteste wünsche, in jeder einzelnen Szene, in jedem einzelnen Gespräch.
The Grandmaster (Wong Kar Wai, Wettbewerb)
Was dann doch toll ist (2): Die längere Sequenz, die mit einer „Stabat mater“-Montage eingeleitet wird, die sich dann in ein erotisch aufgeladenes Martial-Arts-Duell fortsetzt, welches direkt im Anschluss schon wieder zum Erinnerungsbild umgeformt wird. Zehn, fünfzehn mit traumwandlerischer Sicherheit inszenierte Minuten, wegen denen ich mir den Film, falls ich ihn irgendwo auf 35mm zu sehen bekommen würde, vielleicht doch noch einmal anschauen täte.
Gloria (Sebastian Lelio, Wettbewerb)
Rückblickend die schlimmste Szene des Festivals: die Paintball-Rache am verhinderten Lover, der dafür, dass er sein Leben nicht derart selbstoptimierungsideal in den Griff bekommt wie die rundum hassenswerte Hauptdarstellerin, auch noch Farbbeutel vor den Bauch geschossen bekommt. Gloria darf sich dafür im ewigen Radioairplay-singalong ins Zuschauerherz wiegen. Widerwärtig.
Belleville Baby (Mia Engberg, Panorama)
Schwedische Künsterlin verarbeitet Beziehung zu einem Gefängnisinsassen in Form eines völlig egalen Essayfilms. Der einzige Film, den ich vorzeitig verlassen habe, vor allem aufgrund einer Szene: Es geht um die riots in den Pariser banlieus um 2005. Die Künstlerin überlegt, in die Vorstädte zu fahren und vor Ort zu filmen. Der Freund im Gefängnis will das nicht: Du würdest sie anschauen wie Affen im Zoo, meint er. Es gibt im Film dann auch tatsächlich keine Bilder aus erster Hand, sondern weitgehend unkommentierte Fernsehaufnahmen, die irgendwie beweisen sollen, dass der Freund recht hat und dass die Blicke von außen die banlieu-Bewohner kolonialisieren oder so. Mein Problem damit hat etwas mit dem Satz zu tun, den Thekla Dannenberg über einige andere Berlinalefilme formuliert hat: „Aber es gibt die Mühe, Fakten zu recherchieren, und die Bequemlichkeit, Drehbücher nicht zu Ende zu denken.“ Engbergs Film ist der unangenehme Höhepunkt der Bequemlichkeit: Entweder hätte sie doch raus in die banlieus fahren müssen und versuchen, den geläufigen andere Bilder entgegen zu stellen; oder sie hätte genauer nachweisen müssen, was an den Fernsehbildern einem zoologischen Dispositiv entspricht. So wie es ist, setzt sie den rechten Ressentiments nur ihre eigenen entgegen.
None Shall Escape (Andre de Toth, Retrospektive)
DIE Entdeckung der Retrospektive: Harte, effektive B-Movie-Rationalität verurteilt den nationalsozialisitschen Irrationalismus schon vor dessen tatsächlicher Niederlage. Ein Film, der sehr konsequent und ohne eine falsche Note vom Ende des ersten Weltkriegs bis an die Schwelle von Auschwitz führt.
The Chase (Arthur Ripley, Retrospektive)
Ein absolut fantastischer, derangierter noir, der durchaus in der Ulmer-Liga spielt. Das weiße Kleid, das durch den Wellenschlag in ein schwarzes transformiert wird. Die Traumsequenz, die vielleicht nur deshalb so sonderbar ist, weil sie von Anfang an keine ist. Die beiden Schiffe mit den identischen Kajüten. Und Kuba als irrealisierter Sehnsuchtsort (siehe Miami Vice) schon vor Castro.
M (Joseph Losey, Retrospektive)
Pragmatic Hollywood leftism, auf der Leinwand (Gangster in Polizeiuniform, die freudig grinsend in Einkaufszentren randalieren und schon auch mal als Bunuel-Hommage ein gläsernes Auge zersplittern lassen), aber auch schon vor dem Screening: der 90-jährige Harold Nebenzal spricht frei und flüssig über die Produktion, den Abriss von Bunker Hill, die Schwierigkeiten mit der Zensur.