Sunday, March 29, 2009

Diagonale 2009: Der erste Tag, Andreas Prochaska, 2008

Die fiktive Chronik des ersten österrichischen Tages nach einem tschechischen Atomunfall. Ein nun wirklich durch und durch paranoider Film ist das: Das Ganze beginnt damit, dass ein Krisenstab in einem Büro sitzt und auf eine Wandtafel blickt, die eine Landkarte von Österreich und den angrenzenden Ländern zeigt. Überall sind Lampen angebracht. In Österreich brennen ausschließlich grüne Lampen, in Tschechien aber, nahe der Grenze, brennt eine sehr helle rote. Da steht das AKW Dukovany und da ist etwas passiert. Was genau, weiß man noch nicht so genau, aber was daran ein Problem sein könnte, das zeigt eine andere Karte: wieder Österreich und Nachbarländer, diesmal sind da ganz viele kleine Vektoren über die Karte verteilt, die die Windrichtung anzeigen. Noch zeigen die tschechischen Vektoren nicht in Richtung Österreich, aber das wird sich ändern! Man muss so etwas erst einmal hinbekommen: Aus zwei harmlosen Schaubildern konstruiert der Film eine Bedrohung (a+b=c), die so mechanisch/zwangsläufig erscheint, wie der Film selbst schwachsinnig ist. Der erste Tag wäre in dieser Zeichenlogik hohe Propagandakunst, nur leider mangelt es der Propaganda an einem Objekt.
Wie gesagt: ein unglaublich paranoider Film. Es liegt erstmal in bizarr offensichtlicher Weise auf der Hand, dass es bei diesen beiden Karten und in dem ganzen Film um etwas ganz anderes geht als um atomare Verstrahlung. Ein Film, der so offen, stumpf und - man kann es nicht oft genug sagen - paranoid die Überfremdungsängste eines mitteleuropäischen Landes verhandelt, ist mir bisher noch nicht untergekommen. Nun ja, im öffentlich-rechtlichen Fernsehen Österreichs (und Deutschlands ebenso, zugegebenermaßen) kenne ich mich nicht besonders gut aus. Vielleich ist da so etwas gar keine Seltenheit.
Dennoch verwunderte es mich, dass sich der Film zu seinem "Subtext" (als einen Subtext bezeichne ich das hier nur mangels einer passenderen Formulierung, da das eigentlich eine viel zu offensichtliche Bezugnahme ist) im weiteren Verlauf nicht mehr - in welcher Art und Weise auch immer - verhält. Zumindest verhält er sich fast nicht, denn immerhin tauchen nach 30 Minuten Panzer und Kampfhubschrauber auf! Auch mit denen kann der Film dann aber wenig anfangen, weil die Vektoren halt nur Luftströme anzeigen... Der erste Tag ist ein Film, der genau weiß, weswegen er paranoid ist, der aber diese Paranoia nicht und nicht kanalisieren kann.
Statt dessen inszeniert Prochaska (technisch sehr okay) Krisensitzung um Krisensitzung und lässt parallel dazu ein paar Proto-Österreicher, die nichts von der Lampe und den Vektoren wissen, sich in der Wildnis verlaufen. Die ganze Zeit (wenn ich mich nicht irre: wirklich die ganze Zeit, von der ersten bis zur letzten Minute) wummert dazu ein bedrohlicher Synthie-Sound, der den - ein letztes Mal: paranoiden Blödsinn, der dieser Film mit Haut und Haaren ist, kongenial verkörpert.
Der ORF-Fernsehfilmchef Dr. Heinrich Mis hat dazu folgendes zu sagen:

"Der erste Tag ist ein Bericht über eine naheliegende Utopie, ein durchaus vorstellbares Ereignis. Mit aller notwendigen Sorgfalt eines öffentlich rechtlichen Senders gemacht, soll das ein Beitrag zur Diskussion übe Energie, Sicherheit, Zivilschutz und Zivilcourage werden. Das ist seriöse Science Fiction."


Hinzufügen kann man zu so etwas nicht viel, höchstens die Anmerkung, dass in der Fernsehfilmabteilung des ORF ein seltsamer Utopiebegriff umzugehen scheint.

Wednesday, March 25, 2009

Diagonale 2009: Oceanul mare, Katharina Copony, 2009

Eine Reihe langer Handkamerapassagen durchs Chinesenviertel von Bukarest sind das Kernstück von Oceanul mare, einem österreichischen Dokumentarfilm (produziert von ua Maren Ades Komplizen Film) über einen genau präparierte ethnoscape: Chinesische Exilanten und Geschäftsleute leben und arbeiten in Rumänien, zwischen den Ruinen des Sozialismus und dem entstehenden Kapitalismus, dem seine eigene Institutionalisierung noch immer nicht so recht zu gelingen scheint. Es sind gerade diese Handkamerapassagen, die an Provisorien vorbeigleiten und Menschen zeigen, die sich diese Provisorien zu eigen machen, Bilder eines Landes im Übergang und diese Bilder erscheinen im Vergleich mit mitteleuropäischen Großstädten teilweise derartig fremd, dass man sich diese düsteren Gassen in der näheren Zukunft nicht so recht im festen Griff der globalisierten Konsumkultur vorzustellen vermag.
Ein Teil der Irritation stammt aus dem orientalischen Einschlag, der mit der stalinistischen, bzw ceausescuschen Monumentalarchitektur einerseits und den knallbunten Artefakten des weniger Casino- als Spielhallenkapitalismus eine sonderbare Allianz eingeht. Dazu passend sind die meist abwesenden Dritten zwischen Chinesen und Rumänen die Araber, deren Märkte immer wieder das Ziel von Attacken einheimischer Schläger werden und die am Rand der Einstellung dann manchmal auch auftauchen.
Natürlich sucht der Film aktiv nach dem Hybriden. Der Modus des Dokumentarischen orientiert sich stark an Jia Zhang-ke, unter anderem auch darin, dass kein einziges Bild als dokumentarisches markiert ist. Katharina Copony verfolgt einige der porträtierten chinesischen Geschäftsleute sowohl während ihrer Arbeit als auch im Privatleben. Was Inszenierung ist und was nicht, bleibt völlig offen. Und wie bei Jia ist der dokumentarische Modus einer des Abschweifens, nicht der Konzentration. Wenn die Kamera in den Passagen durch den öffentlichen Raum zur Seite schwenkt, ist das keine anthropomorphe Anwandlung an den chinesischen Geschäftmann, den sie verfolgt, sondern ein genuin filmsiches Erkentnisinteresse. Gegen Ende des Films zeigt Copony ein Picknick am Fluss. Während die Erwachsenen sich unterhalten, unternimmt ein Kind einen Ausflug in die Wiese und der Film folgt ihm.
Über den Bildern liegen als Off-Kommentar immer wieder die Erzählungen der Chinesen. Sie berichten über ihren Lebensweg. Einer war der chinesische "Slipper King", bevor er in Rumänien in Immobilien investierte, ein anderer war Sänger in Shanghai und laut eigenen Aussagen hauptverantwortlich dafür, dass in der shanghaier Musikszene "erotiv music" zu einem Begriff wurde. In Konsequenz verbrachte er viel Zeit im Gefängnis und schafft irgendwann den Absprung nach Rumänien. Hier in Rumänien, gab es für die Chinesen einiges zu tun nach dem Fall Ceausescus. Rumänien habe im Jahr 1989 modetechnisch so ausgesehen wie ein Dorf in China, erzählt einer.
Auch den transkulturellen Austausch setzt der Film ins Bild, allerdings nur als Gelungenen. Über sein Misslingen, beispielsweise in den Attacken Einheimischer auf Chinesen und Arabern, lässt er lediglich erzählen. Gezeigt wird dagegen, wie eine rumänische Sekretärin ein paar Brocken Chinesisch beigebracht bekommt, wie im Gegenzug eine chinesische Schulklasse rumänisch lernt und schließlich, in einer vielleicht dialektischen Wendung, wie ein in Rumänien geborenes chinesischstämmiges Kind sich sträubt, die sonderbare Sprache ihrer Vorfahren zu üben.

Thursday, March 19, 2009

Diagonale 2009: Urlaub vom Frieden, Amin Hak-Hagir, 2008

Helmut K. war in den 90ern als Söldner auf dem Balkan. Jetzt sitzt er vor einer Filmkamera, angetan mit Militärkluft, vor den Augen eine Sonnenbrille und erzählt darüber. Wie er während seines Wehrdienstes entschlossen hatte, seine Fähigkeiten auch anzuwenden. Dass er schon immer ein Fan der deutschen Wehrmacht war und sich deshalb für die kroatische Seite entschieden hat, die mit den Deutschen Seite an Seite kämpfte (er erzählt dann noch etwas von alten KuK-Traditionen...). Wie er in Zagreb von ehemaligen NVA-Soldaten in ein Gebäude geführt wurde, an dem auf deutsch "Rekrutierungsbüro" zu lesen war. Wie er nicht mit der klapprigen AK 47 ausgerüstet werden wollte, sondern mit der schneidigen 74er (?). Wie er seine erste Abschussprämie kassiert. Wie sein bester Freund in der dritten Woche gefallen ist ("zwei, drei Tage lang war das richtig schlimm"). Dass man nur im Krieg lerne, was es heißt, ein Mann zu sein, dass außerdem das erste Mal auf dem Schlachtfeld vergleichbar sei mit dem ersten Mal Sex und so weiter und so fort.
In seiner Erzählung werden die Kämpfe zu einem sonderbaren Durcheinander aus spätpubertärem Kriegsspie und wirklichem Krieg. So ganz stößt der Krieg rückwirkend nicht mehr durch ins Reale, der Balkan bleibt ein Kinderspielplatz voller durchgeknallter Milizen, Soldaten und Söldnern. In aller Seelenruhe erklärt Helmut alle Kampfbeteiligten für verrückt, aus welcher Perspektive er dabei urteilt, das reflektiert er nicht. (Der Verzicht auf Reflektion ist sein Lebensprinzip, seltsamerweise wird ausgerechnet dieser Reflektionsverzicht seinerseits dann doch reflektiert)
Helmut K. inszeniert sich ohne Ende mit seiner Sonnenbrille, seinem Pferdeschwanz, seinem Machotum. Als er gebeten wird (es ist einer von wenigen Momenten, in denen die Stimme des Interviewers zu hören ist), zu beschreiben, wie das genau aussieht mit dem dreckigsten Teil des Krieges, dem Häuserkampf, sagt er erst nein, das möchte er nicht erzählen. Dann schleicht sich ein Lächeln auf seine Lippen. Er fügt hinzu, dass solche Beschreibungen für empfindliche Gemüter zu krass wären. Dann schweigt er ein wenig und lächelt noch einmal. Dann beginnt er zu erzählen.
Der Film stellt sich nicht gegen diese Inszenierung. Im Gegenteil, zunächst verstärkt er sie. Interviewort ist, und man sieht Helmut an, dass ihm dieser Ort gefällt, ein baufälliges Haus im Wald das selber aussieht wie zerschossen. Die einzigen Sequenzen des Films, in denen Helmut nicht vor der Kamera steht und spricht, sind Einschübe, in denen eine steady cam dem Soldaten über grasüberwucherte Eisenbahngleise folgt, dazu auf der Tonspur pulsierende Electro-Sounds.
Diese Einschübe sind freilich weit weniger aufdringlich, als man jetzt vielleicht denken mag. Vor allem sind sie allesamt recht kurz. Überhaupt wäre es schon arg kurzsichtig, dem Film seine scheinbar affirmative Haltung gegenüber dem Interviewten zum Vorwurf zu machen. Schließlich dekonstruiert Helmut K. seine eigene Attitüde selbst und unfreiwillig besser, als es jede distanzierende Kamera zu Wege bringen würde. Hak-Hagirs Ästhetisierungen verleihen dem Film eine sanft absurde Qualität, Urlaub vom Frieden ist ein kurzer, grotesker Fiebertraum über einen Menschen, mit dessen Mitbürgerschaft man sich zwar wohl oder übel arrangieren muss, der aber in diesem Film auf Sicherheitsabstand bleibt.

Thursday, March 12, 2009

El imperio de la fortuna, Arturo Ripstein, 1986

Wie Cadena perpetua ist auch El imperio de la fortuna ein Film, der sich nicht nur durch Wiederholungen strukturiert, sondern gleichzeitig auch Wiederholungen artikuliert.
In beiden Fällen handelt es sich um unreine Wiederholungen, um die Vermischung verschiedener temporaler Logiken. Ripstein sperrt seine Figuren nicht einfach in zyklische Gefängnisse, statt dessen konfrontiert er sie mit unfertigem, marodem Fortschritt, mit unvollständigen Dialektiken.
In beiden Filmen vergeht Zeit und in beiden Filmen ist das Problem, dass sich manche Dinge ändern und andere gleich bleiben. Und dass eine Systematik dahinter zu stecken scheint, die bestimmt, welche sich ändern und welche das nicht tun.
In El imperio de la fortuna gibt es zwei Szenen, in denen Dionisio Pinzon, die Hauptfigur des Films, eine Frau verliert, weil er seinen Obsessionen verfallen ist. Im ersten Durchlauf ist die Obsession der Hahn, den er nach dem Hahnenkampf gerettet und wieder aufgepäppelt hat. Während er sich um das verletzte Tier kümmert, stirbt seine Mutter, um Hilfe schreiend, in der gemeinsamen Hütte. Er rollt sie in eine Bastmatte und vergräbt sie am Waldrand. Später, als er durch Hahnenkämpfe zu Geld gekommen ist, möchte er sie wieder ausgraben. Doch er findet die Leiche nicht mehr.
Die nächste Frau, seine eigene diesmal und die Mutter seiner Tochter, verliert er an die Spielsucht.
Es ist durchaus etwas vorwärts gegangen zwischen den beiden Todesfällen. Dionisio ist vom Lumpenproletariat aufgestiegen zum Villenbesitzer und Familienvater. Geschafft hat er das dadurch, dass er sich den Spielregeln angepasst hat, die da lauten: Du sollst betrügen, wo es nur geht. Und alles, was empatiefähig ist, ist auch instrumentalisierbar. Zunächst gilt das für die Hähne, die Dionisio zu Filmbeginn mit naivem, kindlichen Enthusiasmus liebt: Denen werden vor den Kämpfen die Rippen gebrochen, wenn ihre Zeit abgelaufen ist. Dionisio muss das lernen: Die Sorge für den einzelnen Hahn ist sinnlos, der Sinn des Hahnenkampfs ist, strukturiertes Leiden der Kreatur in Geld zu verwandeln, der Hahn muss instrumentalisiert werden (all das, nebenbei bemerkt, ganz weit weg von Hellmans Cockfighter).
Eine reine, kraftvolle Empathie wie für den Hahn wird Dionisio nie wieder empfinden können. Seine Leidenschaft für seine spätere Frau, die Caponera ist schon eine, die sich nur noch über Fetische und Ersatzobjekte zu verbinden weiß. Die Caponera ist Sängerin und tritt mit ihrer Band bei den Hahnenkämpfen auf. Von Anfang an verbindet der Film die Hähne und die Caponera in elegischen Plansequenzen. Dionisio findet zur Caponera nur Zugang über die Hähne und den Gesang. Und über Spiegel, in denen sie unverhofft auftaucht.
Diese Plansequenzen wiederholen und variieren sich, wie der Film überhaupt, erst recht in seinem Mittelteil aus recht wenigen Bestandteilen zusammengesetzt ist: Plansequenzen von Hahnenkämpfen, Glücksspiel, die Caponera. Es gibt einige Elemente mit zyklischer Logik und andere mit einer eher dialektischen. Hahnenkämpfe und Gesang gehören zur ersteren, Sex und Tod zur zweiteren. Sex gibt es zweimal im Film. Das erste Mal wild und in Nahaufnahme, das zweite Mal kalt und in der Totalen. Nach dem zweiten Sex vertreibt Dionisio die Caponera, die er bereits soweit instrumentalisiert hat, dass er sie nicht mehr begehren kann, aus seinem Bett.
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Es ist in der Tat eine ähnliche zeitlich / historische Logik am Werk wie in Cadena perpetua. Den Hauptfiguren beider Filme gelingt ein sozialer Aufstieg, ein Fortschritt, der dann wieder eingefangen wird von zyklischen Elementen, die sich der historischen Dialektik verwehren und auf ihren Eigengesetzlichkeiten beharren. Während sich diese Struktur in Cadena perpetua zumindest im Ansatz in eine direkt politische Parabel fügt, bleibt sie im magischen Realismus von El imperio de la fortuna eher abstrakte Struktur. Schuld ist am Ende nicht das Kapital, sondern die Struktur selbst. In beiden Filmen aber wird das Scheitern weder zu Fatalismus, noch zum reinen Vorwurf gegen die Hauptfigur. Vielleicht geht es letzten Endes tatsächlich primär um einen ganz allgemeinen Weltekel, doch zynisch ist an diesen Filmen nichts. Denn der Absturz am Ende verweist eben nur scheinbar auf den Anfang. Der Taschendieb am Ende von Cadena perpetua ist eine andere Art von Taschendieb als der am Anfang. Und wenn Dionisio seinen Film auch nicht überlebt, so ist doch offensichtlich, dass seine Tochter nicht in die Fußstapfen des Vaters treten wird, zumindest nicht, ohne sich dagegen zu wehren. Im Grunde sind es zwei Bildungsromane, die Ripstein da in beeindruckender Lakonie inszeniert und auch, wenn er selber nicht mehr an die Sinnhaftigkeit der Welt glauben mag: Er kann sie seinen Filmen nicht ganz austreiben. Vom sozialen Aufstieg bleibt, quasi als Abfallsprodukt, auch nach dessen Ende die höhere Bewusststeinsstufe. Das ist dann zwar noch lange kein revolutionäres Kino, aber doch immerhin eines, das der Revolution eine kleine Pforte lässt.
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Ebenfalls demnächst im Videodrom

Wednesday, March 11, 2009

Boogie, Radu Muntean, 2008

Boogie macht Urlaub mit blonder, kurzhaariger, schwangerer Frau und Kind am Schwarzmeerstrand. Schon die erste Szene am Strand etabliert Konstellationen und Atmosphäre. Der Strand ist fast menschenleer, im Hintergrund sind Prachtbauten zu sehen, die höchstwahrscheinlich zu einer nicht mehr ausgelasteten Tourismusinfrastruktur gehören. Auch Boogie ist mit seiner Familie nur hier (und nicht in der Türkei oder in Griechenland, wohin es alle, die es sich leisten können, inzwischen zieht), weil er über seine Arbeit den Urlaub kostengünstig organisieren konnte. Jetzt sitzt er mit seiner Frau am Strand und die beiden reden und blicken konsequent aneinander vorbei.
Die Einstellungen sind lang, oft werden ganze Szenen ohne Schnitte aufgelöst, doch bereits nach einer Viertelstunde Laufzeit muss man schon sehr genau darauf achten, um das überhaupt noch als formale Besonderheit wahrzunehmen, so unaufdringlich sind diese Sequenzeinstellungen. Es ist - und in mancher Hinsicht trifft dies auch auf andere, ambitioniertere Vertreter des neuen rumänischen Kinos zu - als hätte Muntean herausgefunden, dass die berühmten unsichtbaren Schnitte noch unsichtbarer werden, wenn man sie tatsächlich weglässt. Beziehungsweise, dass sich durch dieses Weglassen eigentlich erstaunlich wenig ändert, zumindest dann, wenn die Kamera zwar etwas mehr Abstand hält von ihren Figuren als im intensified-continuity-Kino, aber den Bildraum dennoch in ähnlicher Weise um die Figuren als sein Zentrum herum organisiert und auf Destabilisierungen verzichtet.
Schon am Strand trifft Boogie einen Kumpel aus Studientagen. Ein weiterer stößt wenig später dazu und bald stürzen sie sich zu dritt ins wenig aufregende Nachtleben des Strandortes. Während Boogies Frau beleidigt zu hause wartet und per SMS nervt (es gibt dann noch ein Zwischenspiel mit ihr im Schlafzimmer), gabeln die drei eine der vielen Prostituierten auf und nehmen sie mit in die Unterkunft der beiden anderen Jungs.
Dieser imdb-Kommentar (= der oberste) freut sich über den Film als programmatische Abkehr vom bedeutungsüberladenen, politisch überfrachteten Festivalkino des Landes und dessen obsessiven Beschäftigung mit Rumäniens traumatischer Geschichte. Imdb-Kritiker "veo" scheint in Boogie eine Öffnung zu erkennen nicht nur hin auf allgemeinere / weniger prätentiöse Themen, sondern auch hin auf ein breiteres rumänisches Publikum. Er / sie liegt sicherlich nicht ganz falsch damit und irgendwie kann man auch verstehen, dass "veo" es dem Film als eine Tugend anrechnet, dass er genauso in Uruquay oder Frankreich hätte spielen können. Tatsächlich: Die Stranbadszenerie ist wenig spezifisch, dito die Figurenbiografien (die in den Gesprächen recht ausführlich ausgebreitet werden), allgemein ist der Sozialismus lange vorbei, statt dessen viel Kapitalismus, als Folge Deterritorialisierungen, die in Verbund mit post/neopubertärer Maskulinität in viele Richtungen führen, unter anderem nach Schweden und in die Arme der besagten Prostituierten, aber sicher nicht auf geradem Wege zum Glück.
Man kann sich aber doch zumindest aus nicht-rumänischer Perspektive fragen, ob es wirklich eine so revolutionäre Angelegenheit ist, dass jetzt endlich auch Rumänien denselben gut gemeinten und nach seinen eigenen Maßstäben auch gut gemachten, recht subtil vor sich hin psychologisierenden, filmästhetisch übervorsichtig agierenden Festivalstandartfilm produzieren kann.

Monday, March 02, 2009

Cadena perpetua, Arturo Ripstein, 1979

Der Tarzan war ein Kleinkrimineller, Taschendieb und Teilzeitzuhälter. Dann sitzt er im Gefängnis ein und als er wieder herauskommt, arbeitet er bei der Bank. Es ist zu vermuten, dass er bei und für diese Bank auch das eine oder andere krumme Ding dreht und vielleicht sogar mehr Unheil anrichtet als zuvor, aber für ihn selbst ist die Festanstellung ein Schritt in Richtung Rechtschaffenheit. Dann taucht ein korrupter Polizist auf und beginnt, ihn zu erpressen.
Bunuel-Schüler (das merkt man fast in jeder Einstellung) Ripstein erzählt seine Geschichte, die sich deutlich am klassischen film noir orientiert, nicht linear, die Zeitebenen werden parallel montiert. Die Übergänge sind nicht markiert, es dauert eine Weile, bis man sich in der Geschichte zurecht findet. Die zeitweilige Verwirrung ist jedoch nicht der Punkt. Es geht eher darum, den Entwicklungsroman auch rhetorisch zu untergraben. Tarzans Geschichte nimmt eine fatalistische Wendung und der Film nimmt diese in seiner Filmsprache schon vorweg. Den Banker-Tarzan unterscheidet vom Kleinkriminellen-Tarzan nur der fehlende Schnurrbart, die jeweiligen Welten, in denen er sich bewegt, unterscheiden sich, wenn es drauf ankommt (unter anderem sind Frauen in beiden nur Verfügungsware, eine Tatsache, zu der sich der Film vielleicht insgesamt doch etwas zu wenig verhält), so gut wie gar nicht. Am Ende wird Arturo wieder dort landen, wo er angefangen hat.
Die eine Szene, die über den Fatalismus hinausweißt, den der Film ansonsten brillant und nicht ohne Humor durchexerziert (running gag ist ein Fußballspiel Mexiko - Deutschland, dessen Ergebnis ebenfalls schon von Anfang an fest steht), findet in Arturos Arbeitsplatz, der Bank, statt. Er sucht dort Hilfe, seine Chefs sollen ihm gegen den korrupten Polizisten beistehen. Minutenlang irrt Arturo durch diese Bank, in der plötzlich niemand mehr zu arbeiten scheint. Anstatt, wie vorher im Film stets, den Aufzug zu benutzen, nimmt er das Treppenhaus und scheint in einer anderen Welt zu landen. Schon im Treppenhaus trifft er auf ein knutschendes Paar, weiter oben auf eine sonderbare Feier. Die meisten Büros sind leer. Tarzan läuft ins Nichts, je aufgeregter er nach seinem Chef fragt, desto indiferrenter werde die Antworten der wenigen Menschen denen er überhaupt noch in der Bank, die davor von - gleichfalls freilich nur scheinbar zielgerichteten - Wichtigtuern bis zum Rand gefüllt war. Hier, in der ihre Funktionalität nicht mehr preisgebenden Architektur des Geldinstituts, bricht Arturo zusammen und findet sich damit ab, dass er in Zukunft wieder Handtaschen stehlen muss. Sein Glaube an die eigene Handlungsmacht, an die Möglichkeit, Herr seines eigenen Schicksals zu werden, verschwindet angesichts einer nicht nur entpersonalisierten, sondern gleichzeitig enträumlichten institutionellen Logik.

Demnächst im Videodrom