Wie
Cadena perpetua ist auch
El imperio de la fortuna ein Film, der sich nicht nur durch Wiederholungen strukturiert, sondern gleichzeitig auch Wiederholungen artikuliert.
In beiden Fällen handelt es sich um unreine Wiederholungen, um die Vermischung verschiedener temporaler Logiken. Ripstein sperrt seine Figuren nicht einfach in zyklische Gefängnisse, statt dessen konfrontiert er sie mit unfertigem, marodem Fortschritt, mit unvollständigen Dialektiken.
In beiden Filmen vergeht Zeit und in beiden Filmen ist das Problem, dass sich manche Dinge ändern und andere gleich bleiben. Und dass eine Systematik dahinter zu stecken scheint, die bestimmt, welche sich ändern und welche das nicht tun.
In
El imperio de la fortuna gibt es zwei Szenen, in denen Dionisio Pinzon, die Hauptfigur des Films, eine Frau verliert, weil er seinen Obsessionen verfallen ist. Im ersten Durchlauf ist die Obsession der Hahn, den er nach dem Hahnenkampf gerettet und wieder aufgepäppelt hat. Während er sich um das verletzte Tier kümmert, stirbt seine Mutter, um Hilfe schreiend, in der gemeinsamen Hütte. Er rollt sie in eine Bastmatte und vergräbt sie am Waldrand. Später, als er durch Hahnenkämpfe zu Geld gekommen ist, möchte er sie wieder ausgraben. Doch er findet die Leiche nicht mehr.
Die nächste Frau, seine eigene diesmal und die Mutter seiner Tochter, verliert er an die Spielsucht.
Es ist durchaus etwas vorwärts gegangen zwischen den beiden Todesfällen. Dionisio ist vom Lumpenproletariat aufgestiegen zum Villenbesitzer und Familienvater. Geschafft hat er das dadurch, dass er sich den Spielregeln angepasst hat, die da lauten: Du sollst betrügen, wo es nur geht. Und alles, was empatiefähig ist, ist auch instrumentalisierbar. Zunächst gilt das für die Hähne, die Dionisio zu Filmbeginn mit naivem, kindlichen Enthusiasmus liebt: Denen werden vor den Kämpfen die Rippen gebrochen, wenn ihre Zeit abgelaufen ist. Dionisio muss das lernen: Die Sorge für den einzelnen Hahn ist sinnlos, der Sinn des Hahnenkampfs ist, strukturiertes Leiden der Kreatur in Geld zu verwandeln, der Hahn muss instrumentalisiert werden (all das, nebenbei bemerkt, ganz weit weg von Hellmans
Cockfighter).
Eine reine, kraftvolle Empathie wie für den Hahn wird Dionisio nie wieder empfinden können. Seine Leidenschaft für seine spätere Frau, die Caponera ist schon eine, die sich nur noch über Fetische und Ersatzobjekte zu verbinden weiß. Die Caponera ist Sängerin und tritt mit ihrer Band bei den Hahnenkämpfen auf. Von Anfang an verbindet der Film die Hähne und die Caponera in elegischen Plansequenzen. Dionisio findet zur Caponera nur Zugang über die Hähne und den Gesang. Und über Spiegel, in denen sie unverhofft auftaucht.
Diese Plansequenzen wiederholen und variieren sich, wie der Film überhaupt, erst recht in seinem Mittelteil aus recht wenigen Bestandteilen zusammengesetzt ist: Plansequenzen von Hahnenkämpfen, Glücksspiel, die Caponera. Es gibt einige Elemente mit zyklischer Logik und andere mit einer eher dialektischen. Hahnenkämpfe und Gesang gehören zur ersteren, Sex und Tod zur zweiteren. Sex gibt es zweimal im Film. Das erste Mal wild und in Nahaufnahme, das zweite Mal kalt und in der Totalen. Nach dem zweiten Sex vertreibt Dionisio die Caponera, die er bereits soweit instrumentalisiert hat, dass er sie nicht mehr begehren kann, aus seinem Bett.
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Es ist in der Tat eine ähnliche zeitlich / historische Logik am Werk wie in
Cadena perpetua. Den Hauptfiguren beider Filme gelingt ein sozialer Aufstieg, ein Fortschritt, der dann wieder eingefangen wird von zyklischen Elementen, die sich der historischen Dialektik verwehren und auf ihren Eigengesetzlichkeiten beharren. Während sich diese Struktur in
Cadena perpetua zumindest im Ansatz in eine direkt politische Parabel fügt, bleibt sie im magischen Realismus von
El imperio de la fortuna eher abstrakte Struktur. Schuld ist am Ende nicht das Kapital, sondern die Struktur selbst. In beiden Filmen aber wird das Scheitern weder zu Fatalismus, noch zum reinen Vorwurf gegen die Hauptfigur. Vielleicht geht es letzten Endes tatsächlich primär um einen ganz allgemeinen Weltekel, doch zynisch ist an diesen Filmen nichts. Denn der Absturz am Ende verweist eben nur scheinbar auf den Anfang. Der Taschendieb am Ende von
Cadena perpetua ist eine andere Art von Taschendieb als der am Anfang. Und wenn Dionisio seinen Film auch nicht überlebt, so ist doch offensichtlich, dass seine Tochter nicht in die Fußstapfen des Vaters treten wird, zumindest nicht, ohne sich dagegen zu wehren. Im Grunde sind es zwei Bildungsromane, die Ripstein da in beeindruckender Lakonie inszeniert und auch, wenn er selber nicht mehr an die Sinnhaftigkeit der Welt glauben mag: Er kann sie seinen Filmen nicht ganz austreiben. Vom sozialen Aufstieg bleibt, quasi als Abfallsprodukt, auch nach dessen Ende die höhere Bewusststeinsstufe. Das ist dann zwar noch lange kein revolutionäres Kino, aber doch immerhin eines, das der Revolution eine kleine Pforte lässt.
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Ebenfalls demnächst im Videodrom