Thursday, February 26, 2009

In passing

Sky Captain and the World of Tomorrow, Kerry Conran, 2004

Direkt nach Watchmen habe ich einen Film aus meiner Sammlung ausgegraben, auf den ich nie wirklich Lust hatte, der mir jetzt aber die Dosis Fascho-Kitsch versprach, die Snyder über weite Strecken schuldig geblieben ist. Natürlich habe ich dann auch bekommen, was ich wollte / verdiene, aber insgesamt hat mir der Film tatsächlich recht gut gefallen.
Man darf natürlich fragen, warum sich Conran an das alte Hollywood, dessen Evokation einziges Ziel der Übung ist, so ostentativ nur über die Lucas-Spielberg-Schiene annähert. Zwar vollzieht er damit korrekt die historische Mainstreamrezeption / Verortung dieses Kinos nach, aber er übernimmt damit doch gleichzeitig die Versimplifizierungen von Industrial Light & Magic und Kollegen, die aus der komplexen fantasmatischen Bearbeitung der us-amerikanischen Gesellschaft, die Shangri-La in Lost Horizon war, dann zwangsläufig lediglich einen weiteren Abenteuerspielplatz machen. Und spätestens nach der dritten Star Wars-Referenz reicht es dann doch.
Was aber gefällt, und jetzt, mit ein paar Jahren Abstand wahrscheinlich noch mehr als 2004, ist die Technik. Inzwischen ist sie ein wenig veraltet, das Digitale wirkt stärker ausgestellt, ohne dass die Illusion ganz in sich zusammenbrechen würde (in drei, vier Jahren wird das wahrscheinlich der Fall sein und spätestens in 10 Jahren ist ein Film wie Sky Captain - ebenso wie zahlreiche aktuelle CGI-Produktionen - wohl nicht mehr anschaubar). Sehr schön ist, wie Gwyneth Paltrow durch diese digitale Welt läuft. Sie ist erkennbar nicht Teil von ihr und deshalb muss man auch nie um sie Angst haben, selbst dann nicht, wenn sie von den Füßen eines Riesenroboters zerstampft zu werden droht. Schon ihr ontologischer Status schützt sie, hebt sie in eine andere Sphäre. Irgendwie ist das eine sehr schlüssige Aktualisierung des Starphänomens - auch wenn es natürlich leicht lächerlich wirkt, eine solche Aktualisierung an einer wie der Paltrow nachvollziehen zu wollen, aber was will man machen, das aus sich selbst heraus große Kino ist halt tot.
Auch sehr schön natürlich der running gag mit dem Fotoapparat. Die Unfähigkeit des analogen Apparats, die digitalen Bildwelten festzuhalten. Die materiellen Beschränkungen der alten Technik gegenüber den gehaltlosen Vielheiten der neuen, die einer Reproduktion nicht mehr bedarf, weil sie von Anfang an nichts anderes ist als Reproduktion.

Wet Hot American Summer, David Wain, 2001

David Wains Kinoerstling (sein neuer, schöner Film Role Models startet heute in den Kinos) ist eine durch und durch sympathische Indiekomödie. Eine Aktualisierung des Summer-Camp-Genres mit erfreulich wenig Sundance-Sensibilität und dafür jeder Menge Internet-Nerd-Enthusiasmus. Es geht um den letzten Tag eines Sommerlagers, das für die Beteiligten unterschiedlich erfolgreich verlaufen ist. Noch ein Tag bleib Zeit, das zu erreichen, was man sich vorgenommen hat (ie: Sex, hauptsächlich). Wain entwirft ein Sammelsurium kleiner Geschichten, das weder einer großen Haupt-Storyline untergeordnet ist, noch darauf angelegt ist, sich zu einem sozialen Panorama zu fügen (das tut es es dann schon irgendwie, aber nur nebenbei und nur nebenbei kann so etwas funktionieren). Der skurrile kleine Blödsinnseinfall triumphiert mit schöner Regelmäßigkeit über Milieuschilderung, psychologische Realismen und liberal-humanistische Befindlichkeitsfilmerei samt Affirmation des eigenen Underdogstatus (ist auch alles irgendwie drin im Film und manchmal auch auf eher schlimme Art, aber dominiert glücklicherweise nie).
Vieles wirkt noch unbeholfen, zugegeben. Die Mischung im Cast stimmt nicht immer, Janeane Garofalo drängt sich oft ungebührlich in den Vordergrund, Michael Ian Blacks Figur bleibt unterentwickelt etc. Aber es gibt genug Sachen, die funktionieren. Paul Rudd zB ist großartig wie immer und dass er 2001 eigentlich schon mehr als doppelt so alt ist wie die Rolle, die er spielt, macht seine ins Grotestke abstrahierte Teenie-Neurose nur noch großartiger.
Wunderbar sind die Ausflüge ins Surreale, die vom Film aus Prinzip nicht schlüssig in die vermeintliche Normalität zurück gebogen werden. Ein Ausflug in die nahe gelegene Kleinstadt beginnt harmlos, läuft dann aber Schnitt für Schnitt aus dem Ruder, bis die Kids mit Spritzen im Arm in der Gosse liegen - nur um wieder einen Schnitt später gut gelaunt ins Camp zurück zu kehren. Auch, dass unter Paul Rudds Aufsicht am laufenden Band Kinder ertrinken und die Zeugen aus dem fahrenden Van geworfen werden, stört im weiteren Verlauf niemand mehr. Und dann wäre da noch die sprechende Konservendose...

Tuesday, February 17, 2009

Dongbei, dongbei, Peng Zou, 2009 (Berlinale Nachlese 2)

Unaufdringliche Einstellungen, in die sich kleine Irritationen einnisten: Ein Gespräch auf der Straße wird von einem zunächst scheinbar willkürlichen Standort gefilmt, irgendwann laufen die Figuren direkt auf die Kamera zu, schlagen dieser die Tür vor der Nase zu und fahren los. Ein leises Brummen wird rückwirkend als der Automotor im Stand-by-Modus identifiziert.
Ein Frau in Großaufnahme mit Lustschreien auf den Lippen. Im Anschluss an eine vorherige Szene hält man das zunächst für Masturbation, irgendwann greift eine Hand ihr Gesicht. Zunächst hält man die für ihre eigene, dann sieht man wegen des Winkels, dass das nicht sein kann. Ob es sich um eine Männer- oder eine Frauenhand handelt, erkennt man erst nach einem kleinen Schwenk.
In einer Küche steht ein junger Mann und macht sich an den Küchengeräten zu schaffen. Im Hintergrund Gestöhne. Es hört sich an wie ein Pornofilm, doch wo der Fernseher steht, verrät der Film nicht, er deutet es nocht einmal an. Weder der Mann, noch seine beiden Kumpels, die später hinzutreten, wenden sich um oder lassen sich sonst etwas anmerken. Das kann durchaus auch ein Paar im Nebenzimmer sein.
Manchmal steckt die Irritation schon im Profilmischen: Die Hauptfigur Xiao Xue steppt in High Heels über glänzende Eisquader, die von Arbeitern mit einer Maschine zurecht geschnitten werden. Das sieht ganz großartig bizarr aus.
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Um junge, mondän aufgetane Menschen in der chinesischen Provinz geht es. Und gleichzeitig, das machen erst die allerletzten Einstellungen deutlich, um einen Abschied von dieser Provinz. Wohin die Reise geht, lässt der Film offen, doch ganz am Anfang unterhalten sich zwei blonde Russinnen (auch die sind zu den unaufdringliche Irritationen zu zählen, mit denen der Regiedebütant Zou Peng so meisterhaft umgeht) über ihre Abreise in Richtung Peking. Gut möglich, dass die letzte Reise des Films dasselbe Ziel hat.
Dazwischen nur Fragemente von Erzählungen. Liebschaften, Familienstreit, eine Schwangerschaft. Und immer wieder leitmotivisch (höchstwahrscheinlich, auch weil immer aus exakt derselben Perspektive gefilmt) dokumentarische Aufnahmen einer schräge Bühnenshow, die ganz und gar Provinz ist: Ein (sehr sympathischer) tätowierter Muskelmann und eine (ebenfalls sympathische) singende Schlangenfrau machen Unsinn und sind stets mit ganzem Herzen und voller Stimme bei der Sache, egal, ob sie kitschige Schlager intonieren, oder sich Pfannen gegen den Kopf schlagen. Wie manches andere im Film erinnert das an Jia Zhang-ke, konkret an dessen wahrscheinlich immer noch besten Film Platform.
Die kleinen Irritationen verleihen dem gesamten Film einen Hauch des Uneigentlichen, der im Moment der Abreise rückwirkend als eine dieser Abreise real vorauseilende Nostalgie für ein Leben in der Provinz, das man in dem Moment, in dem man sich zur Abreise entschlossen hat, schon nicht mehr authentisch führt, lesbar wird. Noch ist man hier und doch ist man es schon nicht mehr ganz. Die dokumentarischen Aufnahmen der Showbühne sind frei von irritierenden Momenten und werden zum Realitätscheck.
Ein toller Film!

Rabioso sol, rabioso cielo, Julian Hernandez, 2008 (Berlinale Nachlese 1)

Mein allerletzter Film des regulären Festivals: Eine gut dreistündige schwule Stummfilmoper, ein wahnwitziges Meisterwerk (oder zumindest nahe dran) irgendwo zwischen expressionistischem Stummfilm und Weerasethakul.
Rabioso sol, rabioso cielo beginnt mit einer Frau, die aus einer Autobahnbrücke durch eine Serie kreisrunder Öffnungen in die Stadt Mexico City eintritt. Der Film bleibt zunächst bei dieser Frau. Seine leuchtenden Schwarz-Weiß-Bilder folgen ihr durch ihre eilige, aber nicht zielgerichtete Passage durch die Stadt. Manchmal entfernt sich die Kamera, sucht an der Bushaltestelle oder im Bus selbst nach anderen Passanten, verharrt kurz auf Zufallsgesichtern, kehrt wieder zu ihr zurück. So sehr wie hier wird sich der Film, dem alles Soziologische von Grund auf fremd ist, später nie wieder für die Stadt interessieren. Es wird Nacht, die Kamera fährt immer näher an die Frau heran, schließlich trifft diese einen jungen Mann. In der ersten von vielen im starken Sinne choreografischen Szenen des Films nähern sich die beiden an, sie lauthals lachend, er schweigend und vehement. Leuchtende Körper, illuminiert durch Weichzeichner, rhythmische Blick- und Bewegungsfolgen. Dann haben sie Sex in ihrer Wohnung, in einer einzigen, langen Einstellung in Aufsicht.
Vom Gesicht der Frau am nächsten Morgen schneidet der Film in die Toilette eines Pornokinos. Die nächsten gut eineinhalb Stunden verbringt der Film auf dieser Toilette, im Kino selbst, Ausflüge nach draussen sind selten. Es entspinnt sich ein Reigen schwuler (nichtexpliziter) Sexszenen, die sich ganz langsam zu einer Erzählung um drei Männer fügen: Ein junges Liebespaar (einer davon ist der junge Mann aus der Anfangsszene) und ein Dritter ohne feste Affiliation. Dieser Dritte ist ein obsessiv Suchender, bei dem das Misslingen der Suche schon in dieser selbst angelegt ist und der im Filmverlauf lernen muss, die scheiternde Suche als Wert an sich nicht zu akzeptieren, sondern zu entdecken. Nie macht der Film aus diesem Dritten oder aus einem seiner anderen Figuren einen gebrochenen Helden, auch keinen Aussenseiter. Das Pornokino wird nie zu der Freakansammlung aus Tsai Ming Liangs grandiosen Goodbye, Dragon Inn. Freilich geht es in Letzterem auch nicht um ein Pornokino, insofern ist das ein schlechter Vergleich, wichtig ist aber, dass Hernandez sich für sein Kino nicht als subkulturelles Milieu interessiert (auch nicht im Sinne eines utopischen Ortes der befreiten Sexualität), sondern lediglich als idealen, letztlich kontingenten Schauplatz für sein Kino der Triebe.
Trotz des straighten Sex zu Beginn geht es in Rabioso sol... nicht um fluide sexuelle Identitäten. Der Film ist durch und durch schwul, der Prolog verweist ausschließlich auf das metaphysisch-fantastische Finale (dazu unten mehr) und resultiert in keiner Verqueerung. Hernandez sucht nicht die Ambivalenz, sondern eine Ästhetik des schwulen Begehrens (oder eine schwule Ästhetik des Begehrens?) in Reinform. Er findet diese in einer bedingungslosen Affirmation der Körper und in einer opernhaften Filmsprache, die dem Stummfilm (und zwar den naiven Epen der 10er-Jahre genauso wie dem der deutschen Expressionisten) ebenso nahe ist wie Garrel oder Cocteau.
Hernandez interessiert sich auch da nicht für Brüche und Differenzen, wo er Modernismusmarker einsetzt. Dialoge benötigt der Film gar nicht, Sprache kaum. Letztere findet in den Film als ganz und gar körperloser Voice-Over-Kommentar. Es besteht dieser selten nur aus einer Stimme, meist sind die Stimmen multipel, sie chargieren zwischen materialisiertem Bewusststeinsstrom und Halluzination, sie verfolgen imer das Ziel der Intensivierung. Ziel ist nie die Verfremdung als ein Modus der Abstandnahme von etwas Vorgefundenem, es geht um eine Annäherung an etwas, das entweder nicht unmittelbar gegeben ist, oder zu unmittelbar für realistische Modi der Darstellung.
Auch sonst hält der Film Abstand zwar nicht zur Form, wohl aber zur ästhetischen Haltung der Modernismen. Im Gegensatz zu den Filmen Garrels, mit dem Hernandez den obsessiven Zugriff auf den Schauspielerkörper teilt, bleiben die Protagonisten in Rabioso sol, rabioso cielo strikt handlungsorientiert. Aus der Reduktion der Subjektivität auf das sexuelle Verlangen folgt keine Krise der ersteren. Ganz im Gegenteil findet sie am Ende auf durch und durch romantische Weise (im Happy End, nonetheless) zu sich selbst.

Und Weerasethakul? Eine direkte Bezugnahme auf den Thailänder leite ich aus Armond Whites Syndomes and a Century-Semiverriss ab, in welchem eine solche behauptet wird. Mir scheint aber jenseits dieser nicht unbedingt bombensicheren Quelle eine solche sehr wahrscheinlich. Im Grunde ist Rabioso sol... ein Tropical Malady-Remake. Wie Tropical Malady, so bricht auch Rabioso sol... die schwule Liebesgeschichte (bei Hernandez eine Geschichte mit einem Beteiligten mehr) irgendwann ab. In diesem Fall wird die emphatische Zerstörung des Filmmaterials aus Tropical Malady nur noch symbolisch vollzogen, durch einen roten Farbfleck, der sich auf der Leinwand ausbreitet. Wie bei Weerasethakul folgt auf den Zusammenbruch der repräsentativen Modelle ein neuer Filmabschnitt, der anderen Regeln folgt und in einer anderen Welt spielt.
Bei Hernandez ist diese andere Welt die Welt einer nicht genau spezifizierten, aber deutlich klassisch antik geprägten Mythologie. Kahle Berge, grün leuchtend, anstatt, wie vorher, schwarz/weiß. Männerkörper, die noch mehr leuchten als zuvor. Ein Frauenkörper, der nicht mehr von dieser Welt ist. Wie in Tropical Malady wird die Verbidung zwischen den Filmabschnitten zunächst nur über die identischen Hauptdarsteller hergestellt. Doch noch weniger als bei Weerasethakul ist bei Hernandez diese narrative Konstellation als Erzählexperiment interessant. Der Film erklärt seinen letzten, einstündigen Abschnitt selbst (und das, obwohl er sonst überhaupt nichts erklärt, sondern alles nur zeigt) als mythologische Bearbeitung und Überwindung seiner schematischen Grundkonstellation sexueller Eifersucht und unerfüllter Liebe.
Noch stärker als bei Weerasethakul (der auch viel eher ein klassisch queerer Regisseur ist, obwohl Homosexualität weitaus weniger zentral ist in seinem Werk) geht es vor allem zum zwei unterschiedliche Modi der Erfahrung, der Bezugnahme auf das Körperliche, die sich in den beiden Filmabschnitten - die sich vor allem anderen durch ihre jeweilige Materialästhetik unterschieden - machen lassen.

(Es gibt, nebenbei, noch andere Parallelen zu Weerasethakul: Zum Beispiel heftet sich kleiner, aber unübersehbarer Fetisch an das geschriebene, im Gegensatz zum gesprochenen Wort, außerdem gibt es auch bei Hernandez den - wiederum um ein vielfaches ausgeprägteren - affirmativen Einsatz verkitschter Popmusik.)

Wednesday, February 11, 2009

Berlinale 2009: Absolute Evil, Ulli Lommel, 2009

Eine ganz ganz vorsichtige Filmempfehlung: All diejenigen, die erstens wissen möchten, was aus dem Neuen Deutschen Film im Allgemeinen und dem Erbe Fassbinders im Besonderen geworden ist und zweitens einen Hang zum Abseitigen verspüren, sei Ulli Lommels (im allerweitesten Sinne) Neo-Noir Absolute Evil empfohlen. Lommel war Fassbinderweggefährte und -darsteller, seine frühe Regiearbeit Die Zärtlichkeit der Wölfe ist ein kleiner Klassiker des deutschen Films der Siebziger Jahre. In den Achtziger Jahren versank Lommel – nach dem erfolgreichen Mainstreamhorrorfilm The Boogeyman – in der Obskurität bzw in der Welt des Direct-to-video-Trashs, aus der er seither alle paar Jahre einmal wieder auftaucht. Zuletzt mit einem Daniel-Küblböck-Film, jetzt im Panorama der Berlinale.

Zunächst: Den vorangestellten Titel „für RWF“ sollte man erst einmal möglichst schnell vergessen.
Raf McCanee fährt mit einem glänzenden Sportwagen durch Amerika. Raf McCane ist ein Privatdetektiv, der ursprünglich angeheuert wurde, den Mann zu finden, der Savannah Millers (Carolyn Neff) Vater getötet hat. Oder so ähnlich. Wer genau sein Auftraggeber ist, spielt nicht wirklich eine Rolle. Wenn es überhaupt um etwas geht in diesem Film, dann um einen Gestus, der jeder narrativen Folgerichtigkeit vorgeordnet ist. Cooper Lee Baines heißt ihr Lover und gespielt wird er von einem Mann mit dem wunderbaren Namen Rusty Joiner.
Savannah hat den Mann, der ihren Vater getötet hat, schließlich selbst gefunden. Sie hat ihn dann aber nicht getötet, sondern sich in ihn verliebt. Eine ziemlich tolle C-Movie Romanze ist das und sie findet als solche vor allem in heruntergekommenen Motels statt. Dann tauchen finstere Gestalten auf mit Waffen in den Händen.
Möchte man Absolute Evil und seinen Regisseur Ulli Lommel etwas abgewinnen, so muss man sich zu allererst von Andrew Sarris' Diktum verabschieden: "A great director has to at least be a good director". Wenn Ulli Lommel ein auteur ist, dann nicht auf der Grundlage seiner handwerklichen Fähigkeiten.
Die Regie scheitert selbst in an sich übersichtlichen Situationen daran, eine klassische Actionsequenz in eine kohärente Serie aus Ursache-Wirkung-Relationen aufzulösen. Und die Kontinuitätsfehler machen auch vor der Hautfarbe der Hauptfigur nicht halt.
Sicherlich wäre es falsch, solche Schlampereien positiv zu wenden und als Stil stark machen zu wollen. Eher ist es vielleicht so, dass sich der Film um Kategorien des Handwerklichen schlicht und einfach nicht schert, dass da einer an seinem ganz privaten, kleinen Projekt arbeitet, das sich dann eher zufällig als Genrekino materialisiert hat.
Lommel erzählt seine an sich recht effektive Pulp-Geschichte auf die denkbar uneffektivste Art und Weise. Einerseits nimmt er ihre Auflösung vorweg, andererseits werden hinterher alle Plotpoints, die zu dieser Auflösung beitragen und die man schon im vorhinein blind konstruieren kann, fein säuberlich abgearbeitet. Diese scheinbare Unbeholfenheit schafft Raum für anderes.
Es gibt zunächst seltsame Investitionen in Nebenfiguren und -handlungen, die handlungstechnisch völlig überflüssig sind. Ein Polizist, der nur in einer einzigen Szene auftaucht, wird mit Rembrandt-Monografien, "The Newyorker"-Sammelbänden und Beethovens "Für Elise" auf der Tonspur mit dem Holzhammer als dekadenter Bildungsbürger nicht unbedingt diffamiert (dann wären diese Zeichen ja doch wieder auf die Handlung rückbindbar) sondern erst einmal nur gekennzeichnet, ohne dass aus dieser Kennzeichnung viel folgen würde. Später hält Lommel es für notwendig, einer Gruppe von Afroamerikanern eine Ghettoklischee-Biografie auf den Leib zu dichten: Früher waren sie Gangster, jetzt rappen sie lieber. Das bleibt ein Dialogsatz, die Jungs tauchen danach nie wieder auf.
Immer wieder tauchen in Absolute Evil derartig freischwebende Zeichen auf, Bilder und Dialoge, die nicht auf das zurückgebunden werden können, was Lommel durch sie zu erzählen vorgibt. Insofern ist der Film das genaue Gegenteil des klassischen B-Pictures, das sich ganz auf seinen narrativen Kern zurückzieht. Viele dieser Bilder und Dialoge sehen aus wie verschobene Archetypen des amerikanischen Genrekinos. Sorgfältig inszeniert fallen sie aus dem hölzernen Rest des Films heraus. Motels, Sonnenuntergänge, Sonnenbrillen, Highways, Hochglanz, Horizontlinien. Und natürlich David Carradine. Der sitzt im Rollstauhl und schwadroniert.
Was das alles soll? So direkt vermag ich das beim besten Willen nicht zu sagen. Aber irgendwo hinter all dem Chaos scheint sich eine nicht uninteressante Autorenposition zu verbergen. Und so habe ich zwar nicht unbändige Lust, aber doch ernsthaft Interesse bekommen, mich demnächst in der wunderbaren Welt des Ulli Lommel weiter umzutun.

Saturday, February 07, 2009

Berlinale 2009: Darbareye Elly / About Elly, Asghar Farhadi, 2009

Eine Gruppe tendenziell eher junger Iraner inklusive ihrer Kinder haben die Heimatstadt Teheran verlassen. Zunächst stellt der Film sie auf der Straße, im Auto, vor, wie sie euphorisch die Köpfe dem Fahrtwind präsentieren. Dann gelangen sie an ihr Ziel, eine Villa auf dem Land, in der sie drei Nächte verbringen wollen. Der Anlass des Aufenthalts bleibt noch im Dunkeln. Von einer Heirat ist kurz die Rede, immer wieder fällt der Name Elly. Es dauert eine Weile (vielleicht auch nur wegen Untertitel + Kopftüchern), bis man ihn der richtigen Frau zuordnen kann. Die Villa kann dann nicht bezogen werden, statt dessen stellen die Vermieter kurzfristig ein Strandhaus zur Vermietung. Während die Gruppe sich unter vielen Späßen, Neckereien und bereits hier dem einen oder anderen schiefen Blick das Haus zu eigen macht, beginnen sich die Verhältnisse langsam zu sortieren, Paarkonstellationen kristallisieren sich heraus, die Kinder werden ihren Eltern zugeordnet, Elly wird als potentielle Braut des Deutschlandheimkehrers Ahmed (dessen erste, deutsche Frau wollte lieber "ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende") identifiziert.
Einige Unsicherheiten bleiben. Mit wem telefoniert Elly, als sie sich für einen Moment von der Gruppe trennt? Warum belügt sie ihren Gesprächspartner? Und was weiß Sepide, die die Verkupplungsaktion in die Wege geleitet hat, darüber?

Diese neuen Unsicherheiten sind qualitativ andersartig. Sie entspringen nicht mehr dem kontinuierlichen, bis zu einem gewissen Grad undifferenzierten Bilderstrom des Sozialen, den Farhadi in den flüssig inszenierten, eigentlich schon ziemlich großartigen Eingangssequenzen etabliert (immer sind mindestens vier, fünf verscheidene Menschen im Bild, Fokussierung und Perspektivierung sind im ständigen Fluss, Off-Screen und On-Screen treten durch Ton und Montage in komplexe Verhältnisse, die nie einfach nur identifikatorische sind), sondern sind exakt konstruierte Leerstellen im Drehbuch.

Das Problem am Film ist dann nicht, dass diese Drehbuchlogiken und -leerstellen in den Flow eindringen. Sondern, dass der Film zwischen beiden Elementen seiner Struktur nicht recht zu vermitteln weiß.

Dabei weiß Farhadi erst einmal schon, was er tut. Sobald hinreichend geklärt ist, was der Zuschauer wissen darf und was nicht, verschwindet Elly, nachdem sie erst noch einen Papierdrachen in die Luft befördert und die Kamera für einmal ganz nah an sie heran rückt. Dann ist für einen Moment nur der Drache zu sehen und Elly verabschiedet sich, wobei auch diese Verabschiedung absichtlich narrativ uinterdeterminiert ist, offscreen. Dieses Verschwinden verschwindet dann wiederum zunächst in einer ausgedehnten dramatischen Sequenz um den drohenden Ertrinkungstod eines der Kinder, eine Sequenz, die technisch erstaunlich geschickt die Filmsprache des modernen, hyperkinetischen Actionkinos emuliert: Von den impressionistisch anmutenden Handkamerajagden, wenn die Männer ins Wasser springen, um das Kind zu retten (The Bourne Ultimatum) bis zu dem Wasser, das dann wenig später über die Linse schwappt, wenn die Rettungsaktion dramatischer wird (Saving Private Ryan).

Irgendwann ist das (wiederum für sich genommen ziemlich grandiose) Ablenkungsmanöver des Films vorbei und sowohl die Filmfiguren (die im folgenden mehr und mehr individualisiert und psychologisiert, gelegentlich auch funktionalisiert werden - auch hier ist das Problem nicht, dass, sondern wie dies geschieht) als auch die Filmzuschauer müssen die Verhältnisse neu ordnen. Und wie Farhadi diese Verhältnisse dann ordnet, das ist doch nicht nur ein bisschen enttäuschend. Die vorher noch grundlegend offenen Beziehungen (immerhin definiert sich die Reisegesellschaft ja über die zeitlich begrenzte Abstandnahme vom Arbeits- und konventionalisierten Familienleben, vieles, auch dezidiert Zwischenmenschliches, erscheint verhandelbar und verhandlungsbereit sind erst einmal alle) wird mit dem Auftauchen einer neuen Figuren auf eine soap-opera-Konstellation reduziert, in der nichts mehr verhandelbar ist und die die Figuren auf bloße Gefühls- und Intrigencontainer reduziert.

Asghar Farhadi gehört mit ua Mani Haghighi (Men at Work) zu einer Gruppe von Regisseuren, die zwar weiterhin einer grundlegend realistischen Form von Kino verpflichtet bleiben, dem iranischen Film in den letzten Jahren aber mindestens ein neues Milieu erschlossen haben: die Mittelklasse. Es bleibt zu hoffen, dass das Abgleiten in die soap opera, einer natürlich schon äußerst mittelklasseaffinen Erzählform, diesen sehr interessanten Regisseuren nicht öfters unterläuft. Hier habe ich ein bisschen über Farhadis um mehrere Längen besseren Vorgängerfilm Fireworks Wednesday geschrieben. Das dort erwähnte Motiv des Eindringlings findet sich auch in About Elly und grundsätzlich kann es natürlich auch interessant sein, zu fragen, was aus einer gegebenen Gruppe wird, wenn der Eindringling wieder aus ihr verschwindet. Allein, im Fall von About Elly geht doch einiges nicht richtig zusammen, nicht zuletzt wird bis zum Schluss nicht geklärt, in welcher Hinsicht genau Elly ein Eindringling war. Oder, je nach Perspektive, wird am Ende viel zu viel geklärt. Dennoch bleibt Farhadi ein director to watch, schon alleine aufgrund seiner überragenden handwerklichen Fähigkeiten.

Friday, February 06, 2009

Berlinale 2009: The International, Tom Tykwer, 2009

In Tom Tykwers The International gibt es im Anschluss an ein erfolgreiches Attentat auf einen italienischen Politiker (landestypisch wild gestikulierend; das rettet ihn vor der ersten Kugel, aber nicht vor der zweiten) eine schöne Szene: Clive Owen und Naomi Watts untersuchen den Tatort. Sie überprüfen den Einschusswinkel der beiden verwendeten Kugeln in einer Kulisse, vor der der Politiker positioniert war. Schnell finden sie heraus, was der Zuschauer bereits weiß: Die Kugeln sind aus unterschiedlichen Waffen abgefeuert worden. Dann laufen Owen und Watts einmal um die Kulisse herum. Die Kugeln haben die Kulisse durchschlagen und sind auf ihrer Rückseite wieder ausgetreten. Clive Owen und mit ihm die Kamera blicken von dieser Rückseite aus durch das Schussloch auf die jeweilige Position des Schützen. Der Kamerablick wird in diesem Moment ganz buchstäblich zu einem investigativen und macht die beiden Orte des Attentats sichtbar, indem er den Flugweg der Kugel rückwärts verfolgt.

In dieser Kameraeinstellung konzentriert Tykwer die Essenz des investigativen Films in einer einleuchtenden und unaufdringlichen Geste. Investigatives Kino – das Genre Politthriller, in dem Tykwer in The International arbeitet, ist zwar nur nur eine von mehreren investigativen Kinoformen, aber doch wahrscheinlich die interessanteste – definiert sich über das Versprechen, in projizierten Bewegungsbildern hinterher etwas sichtbar zu machen, was in der realen Welt vorher unsichtbar geblieben ist.

Freilich ist das mit dem investigieren andererseits nicht so einfach, gerade im Politthriller, der das Objekt der Investigation fast schon automatisch verfehlt hat, wenn er es bloß darstellt, bzw auf naive Weise im Bewegungsbild aufgehen lässt. Nicht nur erstarren rein investigative Formen dann schnell in Obsessionen und Zirkelschlüssen, ganz grundsätzlich vertrauen sie zu sehr auf die Unmittelbarkeit des Faktischen. Gute Politthriller wählen nicht den Weg der Bescheidenheit, sondern sie beginnen zu fabulieren.

The International ist zwar beileibe kein schlechter Genrebeitrag, aber er fabuliert doch manchmal ein bisschen zu wenig. Es geht um eine Bank, genauer gesagt die International Bank of Business and Credit (IBBC). Angelehnt ist diese, wie in allerdings sehr vager Hinsicht das gesamte Drehbuch, an der 1991 zusammengebrochene BCCI. Die realweltlichen Zeitungsschlagzeilen sollen dann, und das ist mit Sicherheit das trashigste Moment in einem vom Trash nicht immer ganz weit entfernten Film, im Abspann durch fiktive Zeitungsschlagzeilen evoziert werden. Wie hier, so funktionieren auch in einigen anderen Szenen der anvisierte Sprung aus der Fiktion nicht so recht.

Owen ist Louis Salinger, seines Zeichens tatsächlich Interpol-Agent (Tykwer geht aufs Ganze) und hat bereits länger ein Auge auf deren krumme Machenschaften geworfen. Ihm zur Seite steht Naomi Watts als toughe Staatsanwältin und mit ihr hätte der Film ruhig etwas mehr anstellen können. Als vor seinen Augen ein Kollege, der die IBBC infiltrieren wollte, stirbt, nimmt Salingers Kampf gegen die Bank die persönliche Note an, die eine Geschichte dieser Art benötigt. Salinger möchte aus dem alles beherrschenden System – Tykwer figuriert dieses System nicht besonders einfallsreich, aber doch effizient durch immer wiederkehrende Aufsichten, die alle Individuen zu Ameisengröße schrumpfen lassen, und manchmal auch, noch einfacher, durch modernistische Architektur – aussteigen. Sein Gegenspieler ist IBBC-Chef Skarssen, der über Leichen geht, um über noch mehr Leichen gehen zu können. Der weißt die Möglichkeit eines Ausstiegs in einer Szene explizit zurück. Ein Ausstieg aus dem System sei unmöglich, erklärt er seinen Beratern (die natürlich keine Berater sind, sonst müsste er ihnen das ja nicht erklären), und wenn man aus einem System nicht aussteigen könne, bleibe nur die Möglichkeit, noch tiefer in es einzudringen.

Die Gegenüberstellung ist klassisch und auf beiden Seiten absurd: Der eine beharrt wider besseren Wissens auf dem Wert seiner Individualität, auf seiner Handlungsmacht als Subjekt, der andere, der tatsächlich am längsten Hebel sitzt, ergibt sich sehenden Auges dem System und dessen Eigengesetzlichkeit, der er am Ende zum Opfer fallen muss. Tykwer entwickelt diese Opposition nahe an Genreklischees (Owen ist nicht nur einfach unrasiert, sondern die Essenz der Unrasiertheit, sein Gegenspieler aalglatt und ausgestattet mit dem obligatorischen psychopathischen Zug) und platziert um die Hauptfiguren jede Menge pulpifiziertes Personal, vom streetsmarten Cop in New York bis zu Armin Mueller-Stahl als (hier übertreibt Tykwer) Ex-Stasi-jetzt-Banker-cum-Waffenhändler, der trotz dieser Biografie noch einmal die Kurve bekommen und in einem verranzten Keller Clive Owen ganz tief in die Augen schauen darf. Platziert wird das Personal im abstrakten Raum der verglasspiegelten Hochfinanz, im Nichtraum des Transits (der Film beginnt am Berliner Hauptbahnhof, der freilich auf eine wirklich eingängige Piktorialisierung weiter warten muss) und im Postkartenraum des Tourismus: In Istanbul führt ein türkischer Waffenhändler seinen Gast durch die Basilika-Zisternen, die italienischen Waffenhändler dagegen verfügen über einen mondänen Unterschlupf mit Meeresblick, der jedem Bond-Schurken zur Ehre gereichen würde.

Soll heißen: Alles in allem ist The International überraschend ununterscheidbar vom Mainstream des Genres, in dem er sich bewegt. Auch aus der Tatsche, dass recht dezidiert in erster Linie eine Bank der Hauptbösewicht ist, schlägt der Film in keine Richtung Kapital und entschärft das Ganze spätestens durch die immer unproblematischen Repersonalisierungen aller Abstrakta. Es sind doch eher kleine Gesten, in denen Tykwers Autorenfilmersensibilität durchschlägt. In erster Linie wahrscheinlich tatsächlich in der Wahl des Schauplatzes für das zentrale Setpiece: Das New Yorker Guggenheim-Museum, bzw dessen Nachbau im Studio Babelsberg, wird in einer epischen Schießerei fachgerecht in seine Einzelteile zerlegt und auch die dort ausgestellte Videokunst bekommt ihr Fett weg.

Wenn The International nicht ganz zu überzeugen weiß, dann sicherlich nicht deswegen, weil Tykwer seine Autorenfilmersensibilitäten an der Garderobe / beim Produzenten abgegeben hat. Dem Film mangelt es nicht an psychologischen oder metaphysischen Tiefendimensionen, sondern höchstens an ein wenig Eklektizität der Oberfläche.

Tuesday, February 03, 2009

Berlinale 2009: Hin- und Wegsehtipps

eine großzügige Liste (irgendwas muss man ja anschauen)

hinsehen:

Material
Zum Vergleich
The Beast Stalker
My Dear Enemy
Hayat var (Arthausalarm)
Mental
Schwitzkasten
Filmmakers Against Racism Kurzfilmprogramm (alle Forum)

mal sehen:

Langsamer Sommer (Forum)
Absolute Evil (Übertrash; Panorama)
Miao Miao (Generationen)
Treeless Mountain
Beeswax
Die koreanische Hochzeitstruhe
Encerclement (alle Forum)

Wegsehen:

Can Go through Skin
Double Take
Marin Blue
Members of the Funeral
Land of Scarecrows
Calimucho
Un chat un chat
Mr Governor (alle Forum)