Monday, May 28, 2018

Show Girl in Hollywood, Mervyn LeRoy, 1930

I`m still not sure quite how much and why I like Alice White, but she does have a supreme sense of style and one thing I do adore even more is her dancing. Her elegant, but relaxed, almost a bit negligent movements are far removed from the athletic style of precision dancing which dominants most american musicals. White`s dancing always feels like a by-product of her subjectivity first, and part of a choreography second (if at all).

The third of LeRoy`s Alice-White-films I`ve seen. Another making-it-in-show-business-plot, but this time set in early talkies Hollywood (complete with cameos by Al Jolson and Loretta Young), and much more ambitious. LeRoy manages to squeeze every part of film production, from casting to editing, into this (there`s even a scene set in a projection room), and especially the scenes at the producer`s office are pitch perfect. The mechanics of yes-manism.

While the loss of the technicolor version is a shame (the last reel feels static today, because the colors where supposed to provide the movement), there are so many other great and strange ideas in this, starting with the back projection tourist-bus ride when White enters Hollywood for the first time (shades of Lupino`s The Bigamist; LeRoy himself uses the same idea in The World Changes). Another great bit is the guy who scratches the names off the office doors of fired studio employees, at the same time blotting out a career and all other voices on the sound track.

And then there`s Griffith actress Blanche Sweet as a "aging" (33 years old) former star who forms a bond with White`s newcomer. Female friendship is one of the main themes in LeRoys early films, and it`s never just a given, but it has to be tested, and in can be lost, as it almost happens here. The Sweet storyline basically is a film in itself, a rousing, bitter mini melodrama which puts Sunset Boulevard to shame and comes complete with over-the-top silent movie acting and tear-eyed chiaroscuro. The greatest moment of the film, though, comes, when during the first long conversation of both women, Sweet suddenly starts to sing. Not only is something like this completely out of the ordinary in the backstage musicals of the time, but the singing has nothing to do with showmanship, but stays completely true to character as an effort of resigned, graceful self-expression. A truly magical moment.

Five Star Final, Mervyn LeRoy, 1931

Edgar G. Robinson as a hard-nosed, but in the end of course only almost completely cynical newspaperman trying to cash in on a long-forgotten murder. The temporal difference is essential, because this basically is two films in one: On the one hand, a decidedly modern thriller-as-farce about capitalist pressure in the world of mass media (and the psychological side-effects which go along with it). On the other hand, a 19th century melodrama about a woman`s tarnished reputation.

LeRoy doesn`t try to bridge the gap, instead, he accentuates it. The fluid, fast-talking newspaper scenes form a harsh contrast to the theatrical, almost a bit zombie-like scenes set at the home of the "tarnished woman". Interestingly, the only link between both worlds is Karloff - who is, not at all surprisingly, much more believable as the faux priest of victorian melodrama than as the supposedly authentic nihilist reporter T. Vernon Isopod (the name alone… so many beautiful details in this).

One might take this sensationalist defense of journalistic ethics as just another example of commercial cinema having its cake and eating it, too. But LeRoy is much more interested in structure, gadgets (the split-screen scene!) and runaway performances (George E. Stone! One of those actors who only need five minutes) than in morals. Plus, if nothing else, the theme of female solidarity rings true, like so often in his films. In the end, the true center of the film isn`t Robinson, but Aline MacMahon (in her first role!), in charge of the newspaper phone lines, throwing knowing looks at everyone who enters the scene. She's the one introspective, reflexive element in a world otherwise completely made up of manic, selfish activity.

Konfetti 5: Bausubstanz

Nicht die Erzählung hat mich begeistert beim Wiedersehen mitLuchino Viscontis „La Terra Trema“, auch nicht die filmtechnische Kunstfertigkeit oder die Geduld des quasidokumentarischen Blicks, sondern die Textur. Wenn man den Blick entsprechend einstellt, dann ist der Film (jeder Film, aber der ganz besonders) nichts anderes als eine Serie von Texturen, die aufeinander folgen und sich bisweilen überlagern. Oder eigentlich überlagern sie sich ständig, denn es gibt immer mindestens zwei Texturen gleichzeitig: die Texturen des Films selbst und die Texturen der Welt, die er zeigt. Es gibt da eine Entsprechung: Die Maserungen des Bildes, die Muster und das Flirren des Filmkorns, die fleckigen, stets nur momenthaft aufleuchtenden Verunreinigungen der 35mm-Kopie, die zu sehen ich das Glück hatte – all das passt zum Schäumen des Meeres, zu den gesprenkelten dunklen Felsen, gegen das es brandet, irgendwie auch zu den gegerbten Gesichtern und teils fast schon ornamental zerlumpten Kleidern der Darsteller und natürlich zu den alten und wie einer anderen, vormodernen Zeit entsprungen wirkenden Häusern, in denen die Fischer wohnen. Ein Film, der Materialität zelebriert – als schadhafte, und vor allem auch als historisch gewordene, als sich ständig verändernde.

Wieder und wieder geht es um Dinge, die sich verbrauchen, die verschleißen und verderben: Die Fische, die die im Film zentrale Fischersfamilie fängt, müssen verkauft werden, bevor sie schlecht werden, das Netz muss geflickt werden, wie auch später das im Sturm fast komplett zerstörte Boot (liebevoll gleiten die Hände der Hauptfigur ‘Ntoni über das dunkel glänzende Holz). Irgendwann wird, am bitteren Ende einer Serie von Niederlagen, die Familie aus ihrem Haus herausgeworfen. Als sei das noch nicht Demütigung genug, inspiziert ein Mitarbeiter einer Bank die Bausubstanz, indem er mit einem Spazierstock die Wände abklopft, und stellt fest: alles Schrott, baufällig, modrig und so weiter. Das ist kein Verdikt nur gegen dieses spezielle Haus, sondern es richtet sich gegen eine ganze Lebensart mitsamt ihrer Ästhetik. Und es ist auch ein Verdikt gegen das Kino, für das Viscontis Film steht.

In diesem Moment, in dieser Szene wird mir klar, dass genau hier das auch heute noch Widerständige an „La Terra Trema“ zu suchen ist: in der Aufmerksamkeit der Kamera für die Materialität der Welt. Der Kampf der Fischer gegen die kapitalistischen Ausbeuter, vorderhand das Thema dieses von der kommunistischen Partei Italiens in Auftrag gegebenen Produktion, bleibt eine bloße, schematische Idee. Und auch das Familienmelodram, das dahinter zeitweise zum Vorschein kommt und das Visconti offensichtlich näherliegt, bleibt Andeutung. Eine unmittelbare Evidenz hat nur der Kampf um die Textur. Und zwar gerade heute, wo analoge, unperfekte Bilder im kinematografischen Alltag kaum noch geduldet werden.

Viscontis Einstellungen schmiegen sich an die historisch gewordene Welt an, sind selbst fast schon eine materielle Ablagerung von Geschichte. Dass der Filmstreifen dann selbst ebenfalls altert, ist nur natürlich und richtig so. Ich komme auf den Gedanken: Wer diesen Film digital restauriert, der macht sich mit der Bank gleich, die der Fischersfamilie das Haus wegnimmt, mit dem Hinweis darauf, dass die Wände eh bald einstürzen würden. Stimmt natürlich nicht, die Wände sind durchaus stabil, so wie auch Zelluloid robuster ist als jede digitale File. Es geht beim Digitalisierungswahn gar nicht darum, Filme vor dem Zerfall zu retten (das ginge durch analoges Umkopieren besser und vor allem nachhaltiger), sondern darum, ihnen ihre Geschichtlichkeit, ihre Texturen zu rauben.

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Manchmal steht die Filmgeschichte den Filmen, aus denen sie besteht, eher im Weg, als dass sie Zugang zu ihnen ermöglicht. Was bringt mir zum Beispiel, wenn ich „La Terra Trema“ sehe, das Wissen um die filmhistorische Kategorie des Neorealismus? Ein solcher Kanon-gesteuerter und deshalb notwendig selektiver Zugriff aufs Kino würde mich jedenfalls nicht auf den Gedanken bringen, dass Viscontis Film etwas mit „The Week of“ zu tun haben könnte. „The Week of“ ist ein neuer Adam-Sandler-Film, eine Netflix-Produktion, „as digital as it gets“. Und doch ein Film, der sich, genau wie „La Terra Trema“, für schadhafte, allseits diffamierte und verspottete Texturen interessiert. Auch in „The Week of“wird in einer Szene ein Gebäude inspiziert: ein Hotel, das denkbar schlecht in Schuss ist. Die Verkabelung ist defekt, überall tropft es und die Einrichtung schaut aus wie in zehn Minuten auf dem Flohmarkt zusammengekauft. Und doch ist dieses Hotel, wie sich am Ende herausstellt, genau der richtige Ort für die Feier, auf die „The Week of“hinausläuft und in der nicht nur ein Brautpaar vermählt, sondern eine Gemeinschaft mit sich selbst versöhnt wird.

Die Textreihe "Konfetti" entsteht im Rahmen des Siegfied-Kracauer-Stipendiums. Mehr Informationen hier.

Konfetti 4: Lady Bird


Dass an Filmen zumeist nicht das große Ganze, der gesamtkünstlerische Masterplan, das Entscheidende ist, sondern die gestalterische Sorgfalt im Detail, gerät im Alltagsbetrieb der Tageskritik oft aus dem Blick. Das ist kein Zufall. Das Kino drängt ihr in gewisser Weise selbst diese Betrachtungsweise auf. Die meisten Filme tragen stolz ihre großen Themen, ihre Franchise-Zugehörigkeit oder (seltener) ihre raffinierten Plot-Twists vor sich her – alles gute Argumente im Verkaufsgespräch, in den Multiplexen genauso wie auf Filmfestivals. Es gibt Ausnahmen: Komödien werden immerhin noch mit ein paar gelungenen Gags und One-Linern beworben, Actionfilme mit Explosionen, Erotikfilme mit nackter Haut.

Aber von solchen Schlüsselreizen (die von der Kritik auch zumeist eher abschätzig behandelt werden, weil sie angeblich von den darunterliegenden „tiefen Themen“ ablenken) abgesehen, bleiben die eigentlichen Substanzen des Filmischen, die Feinheiten der Inszenierung, der schauspielerischen Körpersprache, oder auch die dokumentarischen Überschüsse, die sich noch in den artifiziellsten Filmen ausfindig machen, dem Produkt „Spielfilm“ seltsam äußerlich. Vermutlich, weil es sich dabei um diffuse Qualitäten handelt, die nicht so recht zum Branding taugen. Die Kritik verhält sich, wie gesagt, entsprechend, und hangelt sich an Diskursmarkierungen entlang, die mit den Bildern auf der Leinwand und den Tönen aus dem Lautsprecher oft nur peripher etwas zu tun haben.

Umso schöner, dass es Filme wie „Lady Bird“ gibt. Natürlich ist auch das ein Film, der als Produkt funktioniert, er tut das sogar ausgesprochen gut. Ein Großteil seines Erfolgs, bei Publikum wie Kritik, dürfte damit zusammenhängen, dass er gewisse Sensibilitäten des Indie-Kinos bedient. Aber zu einem großen Film wird er mit ziemlicher Ausschließlichkeit durch die Details, durch die szenischen Details vor allem.

Insbesondere ist das ein Film über die Doppelbedeutung des Wortes „Spielraum“. Es geht um den Spielraum, den ein Mensch hat – im wörtlichen, physischen, wie im übertragenen, emotionalen Sinn – wenn er in einer Familie lebt. Und es geht um den Spielraum als den zu bespielenden Raum, auf dem Filmset, beziehungsweise auf der Leinwand.

Zum Beispiel in einer von vielen Szenen, die dem praktisch über den gesamten Film hinweg fortgesetzten Streit zwischen Lady Bird (Saoirse Ronan) und ihrer Mutter Marion (Laurie Metcalf) gewidmet sind. Sie spielt im Wohnzimmer der Familie. In einem Eck steht der einzige Computer im Haus, schon das macht es zu einem Akkumulationspunkt. Es ist hier etwas zu dunkel, und eigentlich ist auch zu wenig Platz. Aber das ist schon eine der Paradoxien, aus der der Film seine Kraft zieht: Obwohl sie so eng aufeinander hocken, kommen die Familienmitglieder sich nie wirklich nahe. Im familiären Alltag sind gleichzeitig Freiheit und Intimität inhibiert. Alle Beteiligten achten auf Abstand, auf ihren "personal space", auf Spielraum.


Schon Marions Eintritt zu Beginn der Szene macht das deutlich. Sie erzählt ihrer Tochter von den Strapazen, die die Familie auf sich nimmt, damit sie, Lady Bird, es einmal besser haben wird: „Everything we do is for you. Everything!“ Dabei breitet sie, in einer etwas ungelenken Geste, die Arme aus, wie um das ganze Haus und ihre ganze Lebensrealität in das Argument mit einzubeziehen. Die Mutter identifiziert sich selbst mit dem Raum und gibt ihrer Tochter gleichzeitig zu verstehen: Wenn du dich gegen mich wendest, dann wendest du dich auch gegen das Haus, in dem du aufgewachsen bist. Gleichzeitig stellt sich aber auch das Problem: Wie soll sich Lady Bird ihrer Mutter als einem einzelnen Menschen, als ihresgleichen nähern, wenn die Mutter immer gleichzeitig das Haus und die Familie mitrepräsentiert? Es geht nicht nur in dieser Szene um die Unfähigkeit von Tochter und Mutter, sich ineinander zu erkennen.


Die Mutter schimpft, aber sie kommt der Tochter nicht näher, versucht stattdessen, den unwilligen Vater mit ins Gespräch zu involvieren. Das Wohnzimmer, die Mutter und der Vater formen einen Halbkreis um Lady Bird herum, die zunächst auf dem Sofa sitzt, niedergeschlagen, stillgestellt und in die Defensive gedrängt. Wenn sie sich schließlich doch bewegt, dann nicht geschmeidig wie ihre Mutter, sondern eruptiv. Sie schnappt sich einen Schreibblock; auf ihm möchte sie schriftlich festhalten, wie viel ihre Erziehung ihre Eltern tatsächlich gekostet hat, auf dass sie einmal alles zurückzahlen kann. Ein Versuch, das von wechselseitigen Schuldzuweisungen und Ausweichmanövern geprägte Verhältnis zu der Mutter auf eine objektive Ebene zu heben und damit bewältigbar zu machen. Natürlich kann das nicht funktionieren, die Mutter hat gleich wieder eine schnippische Antwort parat. Letztlich braucht sie den Schreibblock nur, um ihn wütend von sich zu werfen. Und zwar schleudert sie ihn vor sich auf den Boden, den Abstand ausnützend, den die Mutter zu ihr gelassen hat. Und nur, weil es diesen Abstand gibt, weil alle Figuren und auch die Regie auf Spielraum bedacht sind, wird Lady Birds frustrierte Geste zu einer genuinen Ausdrucksbewegung, zu einem körperlich artikulierten Aufbegehren, das Teil eines Erkenntnisprozesses ist.


Die Textreihe "Konfetti" entsteht im Rahmen des Siegfied-Kracauer-Stipendiums. Mehr Informationen hier.

Tuesday, May 22, 2018

Tonight or Never, Mervyn LeRoy, 1931

Just another proof that the early 30s were the most glorious era in film history. As if cinema, in a few years, invented all of its forms once again, but not from scratch, but driven by an already established belief in the power of the medium.

Tonight of Never is, to me, the perfect meshing of precode sexiness and silent movie sensuality. Gloria Swanson is finally able to verbalize her desires, but she still has ample room to act it out through gestures and glances, too. The way she caresses furniture... This must be an axiom of cinema: put Gloria Swanson on a sofa and something magical will happen.

The film is also proof of LeRoys supreme craftmanship. To pull of, so early in his career, a film like this, so different in tone and especially rhythm than the stuff he did at Warner Brothers at the time, shows that his films are much more than the products of their environment. Although he made just a handful of silents (I haven't been able to see a single one, so far), he manages to make Tonight of Never look like the work of a silent master creatively retooling his work for the sound era. The cigarette butts under Swanson's window, a few Lubitsch-style cascades of movements and gazes, and, of course, Swanson's acting... Melvyn Douglas is also already pretty lubitschy.

At the same time, certain limitations are obvious, too, especially in some of the more lightweigh Warner comedies: LeRoy never tries to overcome weaknesses in the script, he always chooses to work around them instead, investing his energy in the stuff that interests him. In his lesser films, this results in piecemeal, but never completely uninspired work.

Here, the main problem is the rather stupid resoultion. Although in a way even the clumsy ending (the somewhat unearned forming of the couple) is interesting, because it lays open a tension in the script between the older narrative of romantic conquest the film still sticks to, and the emerging, more egalitarian form of the remarriage comedy.

Allonsanfan, Taviania brothers, 1974

The desire to dance together is the death of revolution. The yearning for an imaginary wholeness, for a magical becoming one with the revolutionary subject will lead bourgeois idealists into doom. This is such a powerful rejection of leftist romanticism (and probably one of the most thought-through post-68 films), because it evokes its very textures: a world almost entirely made up of homosocial camaraderie, rousing music, color cues, proud but sexy and willing women.

Of course, for the Tavianis in 1974 this systematic denunciation of leftist naivete wasn't an end in itself, but pointed towards a more analytical marxist perspective. When the security of an all-encompassing macro-perspective like that is gone, too, the film suddenly feels much more bitter...

What is left today is still not pure cynicism, though, but a fascinating film constantly switching between conceptual denseness and a more loose, novelistic tone. Only the protagonist himself feels a little overwrote sometimes - Mastroianni doesn't need all this psychological and sociological burden, he works best, when he is just a soft cypher, a vaguely incongruous, overwhelmed body thrown into history. Because he so clearly is someone not made to fight, but to be petted, adored and caressed.

Watching Allonsanfan today is a nostalgic experience. What I'm longing for isn't the politics of the 70s, though, but a time when aesthtics still could be mobilized, more or less wholesale, for abstract ideas.

Saturday, May 12, 2018

A Song to Remember, Charles Vidor, 1945

It's easy to understand why Ayn Rand hated this: the George Sand character easily could've been based on herself (or rather, her public image), not only in terms of her philiosophy, but also in terms of her lifestyle. The film's repudiation of Sand / Rand in the end, in favour of Paul Muni's fuzzy populism, clearly and quite openly not only targets (in a problematic way, to say the least, although one has to remember that this was produced during World War 2) Rand's hyperbolic individualism, but also this very anti-bourgeois lifestyle. Which is, once again quite openly, alligned with feminism, if not the female experience per se. Muni's character also targets style per se: Oberlon's always extremely well-dressed Sand is the only colourful, extravagant element in an otherwise drab colour palette. Without her, this wouldn't even be a technicolor film!

In the end, Rand's dismissal of the film might be completely wrongheaded (and pointing to her not really having a sense of humour). Oberlon / Sand / Rand might lose the battle for Chopin's heart and life, but she clearly wins the mise en scene.

Monday, May 07, 2018

Konfetti 3: onyx

Eduard Stöckli war in den 1970er Jahren ein Mitarbeiter des legendären, jüngst verstorbenen Produzenten Erwin C. Dietrich, später betrieb er eine riesige Erotikkino-Kette, seine Firma Mascotte produzierte und vertrieb Erwachsenenunterhaltung. Längst ist der “Pornokönig der Schweiz” auch im Mainstreamgeschäft tätig; und derzeit ist er sogar an vorderster Front an einer filmtechnischen Revolution beteiligt. Der Saal 5 des von Stöckli betriebenen Züricher Multiplexes Arena ist seit ein paar Wochen ein onyx-Kino, ein Kino ohne Leinwand und Projektor.

Die Bilder erscheinen stattdessen auf einem großflächigen, aus mehreren Modulen zusammengesetzten Bildschirm - einem überdimensionierten Fernseher sozusagen, der aber trotzdem Teil eines Kinodispositivs ist. Dass das Bild nicht von einem Projektor über die Sitzreihen hinweg auf eine Leinwand geworfen wird, sondern direkt auf einer Kunststoffoberfläche erscheint, werden die meisten Zuschauer im Normalbetrieb nicht mitbekommen. Genauer kann man das so fassen: Der sichtbare Teil des Kinodispositivs bleibt unverändert, der unsichtbare hingegen wandelt sich komplett. Vor allem fällt der “zweite Raum” weg, der bislang immer zu Kinovorführungen dazugehört hatte: die Vorführkabine.

Das erste onyx-Kino wurde letzten Sommer in Seoul eröffnet. Inzwischen ist die von Samsung hergestellte Technik auch in China, Thailand, den USA und eben in Zürich in Kinosälen verbaut. Was der sich ankündigende Wandel genau bedeutet, beziehungsweise wie weitreichend er sein wird, ist schwer abschätzbar, es scheint aber auch niemanden zu interessieren. Durchsucht man das Internet nach Texten über die neue Entwicklung, die immerhin einen der radikalsten Einschnitte in das Dispositiv Kino darstellt, die man sich vorstellen kann (immerhin werden gleich zwei zentrale Bestandteile dessen, was landläufig unter Kino verstanden wird, kurzerhand abgeschafft), so findet man fast ausschließlich Werbematerial und Pressemitteilungen.

Selbst die wenigen Texte aus unabhängigen journalistischen Quellen lesen sich zumeist wie besseres Promomaterial. Die Faz zum Beispiel hatte einen Wirtschaftsredakteur zur onyx-Präsentation in die Schweiz geschickt. Das Fazit: “Das Bild ist mindestens genauso gut wie das von topmodernen 4K-Fernsehern mit HDR, nur viel größer – und es ist damit besser als das Bild konventioneller Kinoleinwände, weil die alten Projektoren kein „High Dynamic Range“ haben.” Der Text ist zumindest zumindest dann unbefriedigend, wenn man Filmästhetik nicht auf eine Anzahl beliebiger technischer Daten reduziert sehen möchte; auf Daten, bei denen oftmals nicht einmal klar ist, was sie genau bedeuten (was zum Beispiel ist gemeint, wenn es heißt, das onyx-Bild sei “zehnmal heller als jenes in den Sälen mit Projektoren”? Blendet das nicht? Was genau kann das Kino mit diesem ganzen Licht anfangen?).

Interessant ist jedoch ein Satz: “Die Technik war deutlich sichtbar”. Was ist damit gemeint? Die Technik hinter den Bildern oder die in den Bildern? In gewisser Weise stößt man bei jeder technischen Neuerung, die das Kino einführt, auf dasselbe Paradox: Die jeweilige Neuerung der Stunde, ob nun 3D, 4k oder nun eben onyx wird fleißig beworben, aber wenn man im Kinosaal sitzt, sieht man nicht die Technik selbst, sondern doch wieder nur einen Film. Der die Technik im Idealfall unsichtbar macht. Das dürfte ein Grund dafür sein, dass die Hypes um derartige Neuerungen stets von eher kurzer Dauer sind. Was die Kinoindustrie freilich nicht davon abhält, schnellstmöglich einen neuen Hype zu kreieren. Es scheint ein ewiges Bedürfnis nach Neuerungen zu geben, das ebenso ewig unbefriedigt bleibt.

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Zum ersten Mal auf den Weg ins Arena, zum Züricher onyx-Saal mache mich für Spielbergs Ready Player One, selbst ein Film über neue Bilder und Bildpraktiken. Das Arena ist Teil von Sihlcity, einem großen Einkaufszentrum im Kreis Wiedikon. Sihlcity wurde 2007 eröffnet und man fühlt sich dort ein wenig wie in einem Science-Fiction-Film. Nicht, weil die Architektur besonders futuristisch ausschaut, sondern weil das Gelände (auf dem früher eine Papierfabrik stand), vom restlichen Zürich ziemlich komplett abgeschnitten ist, wie eine Stadt in der Stadt. Das Arena wiederum ist, wie fast alle modernen Multiplexe, in einem generischen Plastik-und-Neon-Stil eingerichtet, höchstens die weit ausladende, dank eigenwilliger Stufenbeleuchtung seltsam dimensionslos anmutende Treppe im Hauptfoyer verrät einen gewissen Eigensinn.

Was die Vorführung selbst betrifft: Da stehe ich vor dem Problem, auch nicht viel mehr sagen zu können als das, was im Faz-Text steht. Mir kommt es vor, als sei das Bild gesättigter und gleichmäßiger als in gewöhnlichen Digitalprojektionen, es scheint sich besser gegen seine Umgebung behaupten zu können, weniger anfällig für Reflektionen. Und das Schwarz ist wirklich tiefschwarz, nicht jenes fahle Grau, das man sonst oft in dunklen Szenen zu sehen bekommt. Aber eigentlich müsste ich, um mir wirklich ein Bild der neuen Technik zu machen, den Film gleich noch einmal altmodisch projiziert sehen, und danach weitere, umfangreiche Testreihen veranstalten. Mir fehlt dafür, natürlich, die Zeit. Wie vermutlich den meisten anderen Filminteressierten auch. Trotzdem kann man nur hoffen, dass die Materialität der neuen Bilder um uns herum in Zukunft zumindest etwas mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen wird.

Die Textreihe "Konfetti" entsteht im Rahmen des Siegfied-Kracauer-Stipendiums. Mehr Informationen hier.

In passing

The Return of Mr. Moto, Ernest Morris, 1965

To shoot 1965, in the age of Bond, a bare-bones, 70 minutes, black and white Mr. Moto film is obviously a rather crazy idea, especially with a main actor who is almost the polar opposite of Peter Lorre both physically and in terms of flexibility. Still, for the first ten minutes, consisting mostly of a minimalist, almost abstract chase scene, manic closeups lost in empty studio space, I thought this might be an accidental masterpiece. When the plot mechanics kick in, the limitations of the everyone involved (and especially of the budget) become obvious, but the film never quite loses its strange, somnambulic charme.

The Other Sister, Garry Marshall, 1999

Whatever obscenity there might be in Lewis and Ribisi playing disabled characters is completely diminished by the objective obscenity of the uber-waspy upperclass setting. Not to speak of the obscenity of Marshall's musical cues.
This is (not unlike the other rather few Marshall's I've seen) a completely shameless film. But also an interesting one, with a lot of quirky ideas. The close-ups of isolated flying objects during the first wedding, the sex cutaway to the fish bowl (and brass music!), those friendly weirdos Ribisi meets during his getaway.
You probably need to be in tune with a certain kind of perversity to enjoy mainstream monstrosities like this. But well, I certainly am.

Kung Fu Angels, Herman Yau, 2014

The whole film and especially Karena Ng's performance display a lanky awkwardness which made me somewhat enjoy this, at least during the non-fight scenes. Still, this feels as phoned in as it gets. The relationships between the students are a little bit more nuanced than strictly necessary, but otherwise there's no indication Yau cared one bit about making this. What saddened me about this is the representation of school life, the complete absence of even the possibility of unruliness. In this regard, Hong Kong cinema really has come a long way since 1997.
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-Why did you bring me cow dung?
-That's me. You're the flower. It's beneath you to be with someone like me. But if you're willing to give this cow dung a chance, i'll provide unlimited nutritients.

Tuesday, May 01, 2018

Konfetti 2: Teppiche und Zigaretten

Dass Filmfestivals etwas anderes sind als das Kino an sich, zeigt sich schon darin, dass sie oft nicht in Kinos stattfinden. Insbesondere Festivals in kleineren Städten bespielen mehrheitlich Räume, die im restlichen Jahr nicht als Kinos genutzt werden: Mehrzweckhallen, Kulturzentren, manchmal sogar eigens eingerichtete Zeltkonstruktionen oder öffentliche Plätze. Manche dieser improvisierten Kinoorte haben einen eigenen Charme, aber den Beigeschmack eines Provisoriums werden sie nicht los: Filme werden nur temporär geduldet, eigentlich sind sie hier nicht zu hause. Umso mehr freut es mich, wenn auch diese kleineren Festival doch noch ein “richtiges” Kino bespielen. Am liebsten sind mir waschechte Provinzkinos. Auf der Grazer Diagonale ist mein Lieblingsspielort zum Beispiel das UCI Kinowelt Annenhof, ein Multiplex in Bahnhofsnähe mit einem sagenhaft scheußlichen Teppichboden. Das Festival bespielt nur einen Saal, ganz hinten und unten, im letzten Eck des Gebäudes, im restlichen Kino läuft der normale Hollywoodbetrieb weiter, das ist ein schöner reality check.

Das Nyoner Capitole, das ich vor einer guten Woche auf dem Visions du Réel kennenlernen durfte, ist außerhalb der Festivalzeit zwar eher ein (durchaus ambitioniertes) Programmkino, die beiden Säle sind, etwas großspurig, Salle Leone und Salle Fellini benannt. Aber dennoch habe ich es sofort in mein Herz geschlossen. Und zwar wegen einer architektonischen Besonderheit: Im Foyer gibt es ein mehrere Meter breites Glasfenster, durch das man in ein Teppichgeschäft blicken kann. Von beiden Seiten her ist das ein sonderbares Blickdispositiv: Im Kinofoyer stehend schaut man, kurz bevor man den Kinosaal betritt und sich für eineinhalb Stunden dem freien Fluss der Bilder ergibt, auf einen hell ausgeleuchteten Geschäftsraum und nüchtern abgewickelte Verkaufsgespräche; und vom Teppichladen aus blickt man in das dunkle Foyer, das am visuellen Spektakel des Kinos selbst so gar nicht partizipiert.

Was für ein Kalkül steckt hinter dieser Glasscheibe? Wird darauf spekuliert, dass die Kinozuschauer nach der Vorführung ihre eigene Wohnung neu einrichten wollen, vielleicht, weil sie auf der Leinwand gerade einen besonders schönen Teppich gesehen haben? Oder sollen anders herum Teppichgeschäftskunden in den ja ebenfalls weich und gemütlich ausgepolsterten Kinosaal gelockt werden? (Nur: wohin dann mit dem eben gekauften Teppich? Gibt es im Foyer des Capitole vielleicht eine “Teppichecke”, in der die Kinobesucher ihre Einkäufe abstellen können?) Die viel wahrscheinlichere dritte Möglichkeit ist natürlich, dass der Durchblick bereits älteren Datums ist und früher ganz andere Geschäfte miteinander verbunden hatte. Aber das ist nur auf den ersten Blick ein ernüchternder Gedanke. Schließlich zeigen gerade solche innenarchitektonische Zufälligkeiten, dass Kinos früher fast überall ein ganz normaler Teil innerstädtischer Einkaufsstrassen waren.

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Im Salle Leone sehe ich unter anderem den Kurzfilm La police von Claire Simon. Es geht um ein Mädchen im Grundschulalter, das mit der Babysitterin einen Deal macht: Sie verrät ihrer Mutter nicht, dass ihre Aufpasserin das Haus einige Stunden früher als abgemacht verlässt, und dafür erhält sie eine Zigarette. Die schönste Szene des Films zeigt, wie das Mädchen ihre Belohnung aufraucht. Schön ist das unter anderem, weil der Film Klischees vermeidet. Weder fängt das Mädchen an zu husten, noch inszeniert sie sich beim Rauchen selbst, mit coolen, eventuell von Filmen abgeschauten Gesten. Stattdessen zieht sie den Rauch konzentriert, fast systematisch ein und bläst ihn mit aufmerksamer Präzision wieder in die Luft. Sie ist fest entschlossen, den größten Nutzen aus der Erfahrung zu ziehen, mit der die verantwortungslose Babysitterin sie beschenkt hat.

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