Eduard Stöckli war in den 1970er Jahren ein Mitarbeiter des legendären, jüngst verstorbenen Produzenten Erwin C. Dietrich, später betrieb er eine riesige Erotikkino-Kette, seine Firma Mascotte produzierte und vertrieb Erwachsenenunterhaltung. Längst ist der “Pornokönig der Schweiz” auch im Mainstreamgeschäft tätig; und derzeit ist er sogar an vorderster Front an einer filmtechnischen Revolution beteiligt. Der Saal 5 des von Stöckli betriebenen Züricher Multiplexes Arena ist seit ein paar Wochen ein onyx-Kino, ein Kino ohne Leinwand und Projektor.
Die Bilder erscheinen stattdessen auf einem großflächigen, aus mehreren Modulen zusammengesetzten Bildschirm - einem überdimensionierten Fernseher sozusagen, der aber trotzdem Teil eines Kinodispositivs ist. Dass das Bild nicht von einem Projektor über die Sitzreihen hinweg auf eine Leinwand geworfen wird, sondern direkt auf einer Kunststoffoberfläche erscheint, werden die meisten Zuschauer im Normalbetrieb nicht mitbekommen. Genauer kann man das so fassen: Der sichtbare Teil des Kinodispositivs bleibt unverändert, der unsichtbare hingegen wandelt sich komplett. Vor allem fällt der “zweite Raum” weg, der bislang immer zu Kinovorführungen dazugehört hatte: die Vorführkabine.
Das erste onyx-Kino wurde letzten Sommer in Seoul eröffnet. Inzwischen ist die von Samsung hergestellte Technik auch in China, Thailand, den USA und eben in Zürich in Kinosälen verbaut. Was der sich ankündigende Wandel genau bedeutet, beziehungsweise wie weitreichend er sein wird, ist schwer abschätzbar, es scheint aber auch niemanden zu interessieren. Durchsucht man das Internet nach Texten über die neue Entwicklung, die immerhin einen der radikalsten Einschnitte in das Dispositiv Kino darstellt, die man sich vorstellen kann (immerhin werden gleich zwei zentrale Bestandteile dessen, was landläufig unter Kino verstanden wird, kurzerhand abgeschafft), so findet man fast ausschließlich Werbematerial und Pressemitteilungen.
Selbst die wenigen Texte aus unabhängigen journalistischen Quellen lesen sich zumeist wie besseres Promomaterial. Die Faz zum Beispiel hatte einen Wirtschaftsredakteur zur onyx-Präsentation in die Schweiz geschickt. Das Fazit: “Das Bild ist mindestens genauso gut wie das von topmodernen 4K-Fernsehern mit HDR, nur viel größer – und es ist damit besser als das Bild konventioneller Kinoleinwände, weil die alten Projektoren kein „High Dynamic Range“ haben.” Der Text ist zumindest zumindest dann unbefriedigend, wenn man Filmästhetik nicht auf eine Anzahl beliebiger technischer Daten reduziert sehen möchte; auf Daten, bei denen oftmals nicht einmal klar ist, was sie genau bedeuten (was zum Beispiel ist gemeint, wenn es heißt, das onyx-Bild sei “zehnmal heller als jenes in den Sälen mit Projektoren”? Blendet das nicht? Was genau kann das Kino mit diesem ganzen Licht anfangen?).
Interessant ist jedoch ein Satz: “Die Technik war deutlich sichtbar”. Was ist damit gemeint? Die Technik hinter den Bildern oder die in den Bildern? In gewisser Weise stößt man bei jeder technischen Neuerung, die das Kino einführt, auf dasselbe Paradox: Die jeweilige Neuerung der Stunde, ob nun 3D, 4k oder nun eben onyx wird fleißig beworben, aber wenn man im Kinosaal sitzt, sieht man nicht die Technik selbst, sondern doch wieder nur einen Film. Der die Technik im Idealfall unsichtbar macht. Das dürfte ein Grund dafür sein, dass die Hypes um derartige Neuerungen stets von eher kurzer Dauer sind. Was die Kinoindustrie freilich nicht davon abhält, schnellstmöglich einen neuen Hype zu kreieren. Es scheint ein ewiges Bedürfnis nach Neuerungen zu geben, das ebenso ewig unbefriedigt bleibt.
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Zum ersten Mal auf den Weg ins Arena, zum Züricher onyx-Saal mache mich für Spielbergs Ready Player One, selbst ein Film über neue Bilder und Bildpraktiken. Das Arena ist Teil von Sihlcity, einem großen Einkaufszentrum im Kreis Wiedikon. Sihlcity wurde 2007 eröffnet und man fühlt sich dort ein wenig wie in einem Science-Fiction-Film. Nicht, weil die Architektur besonders futuristisch ausschaut, sondern weil das Gelände (auf dem früher eine Papierfabrik stand), vom restlichen Zürich ziemlich komplett abgeschnitten ist, wie eine Stadt in der Stadt. Das Arena wiederum ist, wie fast alle modernen Multiplexe, in einem generischen Plastik-und-Neon-Stil eingerichtet, höchstens die weit ausladende, dank eigenwilliger Stufenbeleuchtung seltsam dimensionslos anmutende Treppe im Hauptfoyer verrät einen gewissen Eigensinn.
Was die Vorführung selbst betrifft: Da stehe ich vor dem Problem, auch nicht viel mehr sagen zu können als das, was im Faz-Text steht. Mir kommt es vor, als sei das Bild gesättigter und gleichmäßiger als in gewöhnlichen Digitalprojektionen, es scheint sich besser gegen seine Umgebung behaupten zu können, weniger anfällig für Reflektionen. Und das Schwarz ist wirklich tiefschwarz, nicht jenes fahle Grau, das man sonst oft in dunklen Szenen zu sehen bekommt. Aber eigentlich müsste ich, um mir wirklich ein Bild der neuen Technik zu machen, den Film gleich noch einmal altmodisch projiziert sehen, und danach weitere, umfangreiche Testreihen veranstalten. Mir fehlt dafür, natürlich, die Zeit. Wie vermutlich den meisten anderen Filminteressierten auch. Trotzdem kann man nur hoffen, dass die Materialität der neuen Bilder um uns herum in Zukunft zumindest etwas mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen wird.
Die Textreihe "Konfetti" entsteht im Rahmen des Siegfied-Kracauer-Stipendiums. Mehr Informationen hier.
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