Dass Filmfestivals etwas anderes sind als das Kino an sich, zeigt sich schon darin, dass sie oft nicht in Kinos stattfinden. Insbesondere Festivals in kleineren Städten bespielen mehrheitlich Räume, die im restlichen Jahr nicht als Kinos genutzt werden: Mehrzweckhallen, Kulturzentren, manchmal sogar eigens eingerichtete Zeltkonstruktionen oder öffentliche Plätze. Manche dieser improvisierten Kinoorte haben einen eigenen Charme, aber den Beigeschmack eines Provisoriums werden sie nicht los: Filme werden nur temporär geduldet, eigentlich sind sie hier nicht zu hause. Umso mehr freut es mich, wenn auch diese kleineren Festival doch noch ein “richtiges” Kino bespielen. Am liebsten sind mir waschechte Provinzkinos. Auf der Grazer Diagonale ist mein Lieblingsspielort zum Beispiel das UCI Kinowelt Annenhof, ein Multiplex in Bahnhofsnähe mit einem sagenhaft scheußlichen Teppichboden. Das Festival bespielt nur einen Saal, ganz hinten und unten, im letzten Eck des Gebäudes, im restlichen Kino läuft der normale Hollywoodbetrieb weiter, das ist ein schöner reality check.
Das Nyoner Capitole, das ich vor einer guten Woche auf dem Visions du Réel kennenlernen durfte, ist außerhalb der Festivalzeit zwar eher ein (durchaus ambitioniertes) Programmkino, die beiden Säle sind, etwas großspurig, Salle Leone und Salle Fellini benannt. Aber dennoch habe ich es sofort in mein Herz geschlossen. Und zwar wegen einer architektonischen Besonderheit: Im Foyer gibt es ein mehrere Meter breites Glasfenster, durch das man in ein Teppichgeschäft blicken kann. Von beiden Seiten her ist das ein sonderbares Blickdispositiv: Im Kinofoyer stehend schaut man, kurz bevor man den Kinosaal betritt und sich für eineinhalb Stunden dem freien Fluss der Bilder ergibt, auf einen hell ausgeleuchteten Geschäftsraum und nüchtern abgewickelte Verkaufsgespräche; und vom Teppichladen aus blickt man in das dunkle Foyer, das am visuellen Spektakel des Kinos selbst so gar nicht partizipiert.
Was für ein Kalkül steckt hinter dieser Glasscheibe? Wird darauf spekuliert, dass die Kinozuschauer nach der Vorführung ihre eigene Wohnung neu einrichten wollen, vielleicht, weil sie auf der Leinwand gerade einen besonders schönen Teppich gesehen haben? Oder sollen anders herum Teppichgeschäftskunden in den ja ebenfalls weich und gemütlich ausgepolsterten Kinosaal gelockt werden? (Nur: wohin dann mit dem eben gekauften Teppich? Gibt es im Foyer des Capitole vielleicht eine “Teppichecke”, in der die Kinobesucher ihre Einkäufe abstellen können?) Die viel wahrscheinlichere dritte Möglichkeit ist natürlich, dass der Durchblick bereits älteren Datums ist und früher ganz andere Geschäfte miteinander verbunden hatte. Aber das ist nur auf den ersten Blick ein ernüchternder Gedanke. Schließlich zeigen gerade solche innenarchitektonische Zufälligkeiten, dass Kinos früher fast überall ein ganz normaler Teil innerstädtischer Einkaufsstrassen waren.
Das Nyoner Capitole, das ich vor einer guten Woche auf dem Visions du Réel kennenlernen durfte, ist außerhalb der Festivalzeit zwar eher ein (durchaus ambitioniertes) Programmkino, die beiden Säle sind, etwas großspurig, Salle Leone und Salle Fellini benannt. Aber dennoch habe ich es sofort in mein Herz geschlossen. Und zwar wegen einer architektonischen Besonderheit: Im Foyer gibt es ein mehrere Meter breites Glasfenster, durch das man in ein Teppichgeschäft blicken kann. Von beiden Seiten her ist das ein sonderbares Blickdispositiv: Im Kinofoyer stehend schaut man, kurz bevor man den Kinosaal betritt und sich für eineinhalb Stunden dem freien Fluss der Bilder ergibt, auf einen hell ausgeleuchteten Geschäftsraum und nüchtern abgewickelte Verkaufsgespräche; und vom Teppichladen aus blickt man in das dunkle Foyer, das am visuellen Spektakel des Kinos selbst so gar nicht partizipiert.
Was für ein Kalkül steckt hinter dieser Glasscheibe? Wird darauf spekuliert, dass die Kinozuschauer nach der Vorführung ihre eigene Wohnung neu einrichten wollen, vielleicht, weil sie auf der Leinwand gerade einen besonders schönen Teppich gesehen haben? Oder sollen anders herum Teppichgeschäftskunden in den ja ebenfalls weich und gemütlich ausgepolsterten Kinosaal gelockt werden? (Nur: wohin dann mit dem eben gekauften Teppich? Gibt es im Foyer des Capitole vielleicht eine “Teppichecke”, in der die Kinobesucher ihre Einkäufe abstellen können?) Die viel wahrscheinlichere dritte Möglichkeit ist natürlich, dass der Durchblick bereits älteren Datums ist und früher ganz andere Geschäfte miteinander verbunden hatte. Aber das ist nur auf den ersten Blick ein ernüchternder Gedanke. Schließlich zeigen gerade solche innenarchitektonische Zufälligkeiten, dass Kinos früher fast überall ein ganz normaler Teil innerstädtischer Einkaufsstrassen waren.
---
Im Salle Leone sehe ich unter anderem den Kurzfilm La police von Claire Simon. Es geht um ein Mädchen im Grundschulalter, das mit der Babysitterin einen Deal macht: Sie verrät ihrer Mutter nicht, dass ihre Aufpasserin das Haus einige Stunden früher als abgemacht verlässt, und dafür erhält sie eine Zigarette. Die schönste Szene des Films zeigt, wie das Mädchen ihre Belohnung aufraucht. Schön ist das unter anderem, weil der Film Klischees vermeidet. Weder fängt das Mädchen an zu husten, noch inszeniert sie sich beim Rauchen selbst, mit coolen, eventuell von Filmen abgeschauten Gesten. Stattdessen zieht sie den Rauch konzentriert, fast systematisch ein und bläst ihn mit aufmerksamer Präzision wieder in die Luft. Sie ist fest entschlossen, den größten Nutzen aus der Erfahrung zu ziehen, mit der die verantwortungslose Babysitterin sie beschenkt hat.
Die Textreihe "Konfetti" entsteht im Rahmen des Siegfied-Kracauer-Stipendiums. Mehr Informationen hier.
Die Textreihe "Konfetti" entsteht im Rahmen des Siegfied-Kracauer-Stipendiums. Mehr Informationen hier.
No comments:
Post a Comment