Nicht die Erzählung hat mich begeistert beim Wiedersehen mitLuchino Viscontis „La Terra Trema“, auch nicht die filmtechnische Kunstfertigkeit oder die Geduld des quasidokumentarischen Blicks, sondern die Textur. Wenn man den Blick entsprechend einstellt, dann ist der Film (jeder Film, aber der ganz besonders) nichts anderes als eine Serie von Texturen, die aufeinander folgen und sich bisweilen überlagern. Oder eigentlich überlagern sie sich ständig, denn es gibt immer mindestens zwei Texturen gleichzeitig: die Texturen des Films selbst und die Texturen der Welt, die er zeigt. Es gibt da eine Entsprechung: Die Maserungen des Bildes, die Muster und das Flirren des Filmkorns, die fleckigen, stets nur momenthaft aufleuchtenden Verunreinigungen der 35mm-Kopie, die zu sehen ich das Glück hatte – all das passt zum Schäumen des Meeres, zu den gesprenkelten dunklen Felsen, gegen das es brandet, irgendwie auch zu den gegerbten Gesichtern und teils fast schon ornamental zerlumpten Kleidern der Darsteller und natürlich zu den alten und wie einer anderen, vormodernen Zeit entsprungen wirkenden Häusern, in denen die Fischer wohnen. Ein Film, der Materialität zelebriert – als schadhafte, und vor allem auch als historisch gewordene, als sich ständig verändernde.
Wieder und wieder geht es um Dinge, die sich verbrauchen, die verschleißen und verderben: Die Fische, die die im Film zentrale Fischersfamilie fängt, müssen verkauft werden, bevor sie schlecht werden, das Netz muss geflickt werden, wie auch später das im Sturm fast komplett zerstörte Boot (liebevoll gleiten die Hände der Hauptfigur ‘Ntoni über das dunkel glänzende Holz). Irgendwann wird, am bitteren Ende einer Serie von Niederlagen, die Familie aus ihrem Haus herausgeworfen. Als sei das noch nicht Demütigung genug, inspiziert ein Mitarbeiter einer Bank die Bausubstanz, indem er mit einem Spazierstock die Wände abklopft, und stellt fest: alles Schrott, baufällig, modrig und so weiter. Das ist kein Verdikt nur gegen dieses spezielle Haus, sondern es richtet sich gegen eine ganze Lebensart mitsamt ihrer Ästhetik. Und es ist auch ein Verdikt gegen das Kino, für das Viscontis Film steht.
In diesem Moment, in dieser Szene wird mir klar, dass genau hier das auch heute noch Widerständige an „La Terra Trema“ zu suchen ist: in der Aufmerksamkeit der Kamera für die Materialität der Welt. Der Kampf der Fischer gegen die kapitalistischen Ausbeuter, vorderhand das Thema dieses von der kommunistischen Partei Italiens in Auftrag gegebenen Produktion, bleibt eine bloße, schematische Idee. Und auch das Familienmelodram, das dahinter zeitweise zum Vorschein kommt und das Visconti offensichtlich näherliegt, bleibt Andeutung. Eine unmittelbare Evidenz hat nur der Kampf um die Textur. Und zwar gerade heute, wo analoge, unperfekte Bilder im kinematografischen Alltag kaum noch geduldet werden.
Viscontis Einstellungen schmiegen sich an die historisch gewordene Welt an, sind selbst fast schon eine materielle Ablagerung von Geschichte. Dass der Filmstreifen dann selbst ebenfalls altert, ist nur natürlich und richtig so. Ich komme auf den Gedanken: Wer diesen Film digital restauriert, der macht sich mit der Bank gleich, die der Fischersfamilie das Haus wegnimmt, mit dem Hinweis darauf, dass die Wände eh bald einstürzen würden. Stimmt natürlich nicht, die Wände sind durchaus stabil, so wie auch Zelluloid robuster ist als jede digitale File. Es geht beim Digitalisierungswahn gar nicht darum, Filme vor dem Zerfall zu retten (das ginge durch analoges Umkopieren besser und vor allem nachhaltiger), sondern darum, ihnen ihre Geschichtlichkeit, ihre Texturen zu rauben.
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Manchmal steht die Filmgeschichte den Filmen, aus denen sie besteht, eher im Weg, als dass sie Zugang zu ihnen ermöglicht. Was bringt mir zum Beispiel, wenn ich „La Terra Trema“ sehe, das Wissen um die filmhistorische Kategorie des Neorealismus? Ein solcher Kanon-gesteuerter und deshalb notwendig selektiver Zugriff aufs Kino würde mich jedenfalls nicht auf den Gedanken bringen, dass Viscontis Film etwas mit „The Week of“ zu tun haben könnte. „The Week of“ ist ein neuer Adam-Sandler-Film, eine Netflix-Produktion, „as digital as it gets“. Und doch ein Film, der sich, genau wie „La Terra Trema“, für schadhafte, allseits diffamierte und verspottete Texturen interessiert. Auch in „The Week of“wird in einer Szene ein Gebäude inspiziert: ein Hotel, das denkbar schlecht in Schuss ist. Die Verkabelung ist defekt, überall tropft es und die Einrichtung schaut aus wie in zehn Minuten auf dem Flohmarkt zusammengekauft. Und doch ist dieses Hotel, wie sich am Ende herausstellt, genau der richtige Ort für die Feier, auf die „The Week of“hinausläuft und in der nicht nur ein Brautpaar vermählt, sondern eine Gemeinschaft mit sich selbst versöhnt wird.
Wieder und wieder geht es um Dinge, die sich verbrauchen, die verschleißen und verderben: Die Fische, die die im Film zentrale Fischersfamilie fängt, müssen verkauft werden, bevor sie schlecht werden, das Netz muss geflickt werden, wie auch später das im Sturm fast komplett zerstörte Boot (liebevoll gleiten die Hände der Hauptfigur ‘Ntoni über das dunkel glänzende Holz). Irgendwann wird, am bitteren Ende einer Serie von Niederlagen, die Familie aus ihrem Haus herausgeworfen. Als sei das noch nicht Demütigung genug, inspiziert ein Mitarbeiter einer Bank die Bausubstanz, indem er mit einem Spazierstock die Wände abklopft, und stellt fest: alles Schrott, baufällig, modrig und so weiter. Das ist kein Verdikt nur gegen dieses spezielle Haus, sondern es richtet sich gegen eine ganze Lebensart mitsamt ihrer Ästhetik. Und es ist auch ein Verdikt gegen das Kino, für das Viscontis Film steht.
In diesem Moment, in dieser Szene wird mir klar, dass genau hier das auch heute noch Widerständige an „La Terra Trema“ zu suchen ist: in der Aufmerksamkeit der Kamera für die Materialität der Welt. Der Kampf der Fischer gegen die kapitalistischen Ausbeuter, vorderhand das Thema dieses von der kommunistischen Partei Italiens in Auftrag gegebenen Produktion, bleibt eine bloße, schematische Idee. Und auch das Familienmelodram, das dahinter zeitweise zum Vorschein kommt und das Visconti offensichtlich näherliegt, bleibt Andeutung. Eine unmittelbare Evidenz hat nur der Kampf um die Textur. Und zwar gerade heute, wo analoge, unperfekte Bilder im kinematografischen Alltag kaum noch geduldet werden.
Viscontis Einstellungen schmiegen sich an die historisch gewordene Welt an, sind selbst fast schon eine materielle Ablagerung von Geschichte. Dass der Filmstreifen dann selbst ebenfalls altert, ist nur natürlich und richtig so. Ich komme auf den Gedanken: Wer diesen Film digital restauriert, der macht sich mit der Bank gleich, die der Fischersfamilie das Haus wegnimmt, mit dem Hinweis darauf, dass die Wände eh bald einstürzen würden. Stimmt natürlich nicht, die Wände sind durchaus stabil, so wie auch Zelluloid robuster ist als jede digitale File. Es geht beim Digitalisierungswahn gar nicht darum, Filme vor dem Zerfall zu retten (das ginge durch analoges Umkopieren besser und vor allem nachhaltiger), sondern darum, ihnen ihre Geschichtlichkeit, ihre Texturen zu rauben.
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Manchmal steht die Filmgeschichte den Filmen, aus denen sie besteht, eher im Weg, als dass sie Zugang zu ihnen ermöglicht. Was bringt mir zum Beispiel, wenn ich „La Terra Trema“ sehe, das Wissen um die filmhistorische Kategorie des Neorealismus? Ein solcher Kanon-gesteuerter und deshalb notwendig selektiver Zugriff aufs Kino würde mich jedenfalls nicht auf den Gedanken bringen, dass Viscontis Film etwas mit „The Week of“ zu tun haben könnte. „The Week of“ ist ein neuer Adam-Sandler-Film, eine Netflix-Produktion, „as digital as it gets“. Und doch ein Film, der sich, genau wie „La Terra Trema“, für schadhafte, allseits diffamierte und verspottete Texturen interessiert. Auch in „The Week of“wird in einer Szene ein Gebäude inspiziert: ein Hotel, das denkbar schlecht in Schuss ist. Die Verkabelung ist defekt, überall tropft es und die Einrichtung schaut aus wie in zehn Minuten auf dem Flohmarkt zusammengekauft. Und doch ist dieses Hotel, wie sich am Ende herausstellt, genau der richtige Ort für die Feier, auf die „The Week of“hinausläuft und in der nicht nur ein Brautpaar vermählt, sondern eine Gemeinschaft mit sich selbst versöhnt wird.
Die Textreihe "Konfetti" entsteht im Rahmen des Siegfied-Kracauer-Stipendiums. Mehr Informationen hier.
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