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Wednesday, October 26, 2016

Jagd auf den Silberreiher in Afrika, Alfred Machin, 1911

Ein Film, der einen Produktionszusammenhang denkt, und trotzdem jedem Glied in der Produktionskette sein eigenes Recht lässt, jedes Element der Wertschöpfungskette autonom werden lässt, als gebe es keine anderen:

-Den Reihern vor der Jagd, wie sie neben-, hinter- und übereinander in einem ausladenden Busch sitzen, wie sie gemeinsam aufflattern, dabei eine durchlässige wogende Form bilden, halb Welle, halb Wolke.

-Der Jagd auf die Reiher, die angepriesen wird mit dem Zwischentitel "einige gute Schüsse" und die zeigt wie ein weißer Jäger, dem zwei schwarze Helfer zur Seite stehen, Schüsse auf die Vögel abfeuert. mindestens ein Treffer ist im Bild erkennbar. Interessant, dass einige Vögel auch nach dem dritten Schuss den Busch noch nicht verlassen.

-Den erlegten Reihern unmittelbar nach der Jagd, der Präsentation und dem Transport der erlegten Reiher, beides im kolonialen Setting der Bilder den schwarzen Trägern überlassen; einer der beiden legt die Vögel nacheinander der Kamera vor, bis sie die ganze Breite der Leinwand füllen.

-Dem Moment, in dem hinter der Abenteuerlust der Jagd eine ökonomische Motivation sichtbar wird. Genauer gesagt: sichtbar gemacht wird, und zwar direkt an den erlegten Vögeln: Nicht sie als Ganze sind für den Markt interessant, noch nicht einmal ihr Fleisch, sondern lediglich ihr eleganter Federkranz. Wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, wählt der Film für den Moment, in dem der Federkranz vom restlichen Vogel isoliert wird, keinen naturalistischen, sondern einen abstrakt schwarzen Hintergrund, der die Umwandlung von Beute in Produkt unterstreicht.

-Dem fertigen Produkt: Die Federn werden als Schmuck für Frauenhüte verwendet. An dieser Stelle ereignet sich der entscheidende Stimmungsumschwung des Films: Wo vorher die Jagd- und Produktionsgeschichte als eine Erfolgsgeschichte entworfen wurde, ist jetzt in einem Zwischentitel von den "edlen Vögeln" (oder so ähnlich) die Rede, die einem allzu profanen Zweck geopfert würden. Zumindest sinngemäß, so deutlich formuliert er das, glaube ich, nicht. Das letzte Bild zeigt eine Frau in Großaufnahme, die einen federgeschmückten Hut trägt. Die Einstellung wird lange gehalten, sie wendet ihren Kopf mehrmals zur Kamera und dreht ihn wieder weg.

Friday, May 30, 2014

Gyunyuya Furanki aka Milkman Frankie, Ko Nakahira, 1956

Frankie Sakai ist Milkman Frankie. Groß, tollpatschig, Babygesicht, totaler Enthusiasmus, unbändige Energie, die ausschließlich von innen zu kommen scheint, keinerlei äußeren Antrieb benötigt: kein love interest, keinen individuellen materiellen Anreiz. Am Anfang erhält er, noch in der Provinz, in einer samuraimäßigen Szene den Auftrag: Gehe in die Stadt, rette den Milchlieferdienst der Verwandtschaft. Das bleibt hinfort sein einziges Ziel.

In der Stadt zieht es bei der Verwandtschaft ein und bringt tatsächlich das Familiengeschäft bald wieder in Schwung (was vom Film wieder und wieder betont wird; wichtiger als jede individuelle ist ihm die ökonomische Erfolgsgeschichte des Milchvertriebs). Milkman Frankie ist auch ein Film, der sich auf sonderbar überschwängliche Art am Kapitalismus berauscht. Service, Service über alles! Wenn man nur die totale Kundenfreundlichkeit lebt und dafür auch aufs Frühstück verzichtet, hat man nicht nur Erfolg (und darf sich ohne schlechtes Gewissen über die chancenlose Konkurrenz lustig machen), sondern landet auch noch im Seifenschaumbad eines mondern girl. Freilich wie gesagt: An love interests hat Frankie gar kein Interesse, das braucht er gar nicht, um rund um die Uhr servicebereit zu sein. Lieber vermittelt er die girls weiter an andere Kunden. So betrachtet ist Frankie selbst noch gar kein kapitalistisches Subjekt... die Warenförmigkeit von Begehren hat er selbst noch gar nicht internalisiert, er hilft nur dabei, sie in Anderen zu installieren.

Frankie dominiert den Film weitgehend, aber nicht vollständig; Nakahiras Regie nimmt sich Freiheiten, unternimmt einige ziemlich durchgeknallte Abstecher. Frankies Landlord ist ein ebenfalls eher tappsiger Student mit Schiebermütze, der wohl eine Art gutmütige Fünfzigerjahre-Boheme-Sleazetype darstellen soll. Jedenfalls unternimmt er literarische Versuche, einer derer vom Film auch visualisiert: plötzlich steht die Kamera schief, und der Student träumt sich seinen eigenen Segelboot-Sexfantasie zusammen. Später träumt der Student einen noch etwas weirderen, expressionistisch ausgestalteten Pornotraum. Die Standout-Szene allerdings etwas später: Frankie begibt sich zum ersten Mal zum Bauernhof, zum Ursprung der Milch, die er immer effektiver zu verteilen versteht. Dort angekommen, folgt erst einmal eine schön alberne Musicalnummer - die dann allerdings unterbrochen wird durch Pfeile, die von Indianern aus einer Westernkulisse hinaus auf den Bauernhof abgefeuert werden. Ein paar Einstellungen später offenbart sich diese mit viel Liebe zum Pulp (besonders toll: eine biestige Revolverheldin) entworfene Kulisse als Teil eines Filmsets, auf dem dann noch so lange herumgealbert wird, bis der Stuhl des Regisseurs unter diesem zusammenbricht.

Monday, December 02, 2013

Du und ich, Wolfgang Liebeneiner, 1938

Noch ein NS-Unternehmerfilm - nachdem ich kurz davor den eher vergessenswerten Fracht von Baltimore gesehen hatte, in dem sich zwei hanseatische Reedereien einen Wettlauf um einen kostspieligen Auftrag liefern und im Zuge dieses Wettlaufs alle Differenzen (auch die genderbezogenen) in Luft sich auflösen (und auch Liebelei und Liebe hat eine entsprechende Nebenhandlung), jetzt ein deutlich interessanterer Film von Wolfgang Liebeneiner: Eine (ich schätze mal) Prestige-, oder wenigstens Großproduktion über den Aufstieg des "besten Sockenschneiders des Erzgebirges" zum industriell arbeitenden Großproduzenten; gleichzeitig ein Film, der ein Unbehagen am Kapitalismus artikuliert, auf äußerst sonderbare Weise.

Das zeigt sich nicht zuletzt an der letzten Dialogzeile des Films: "Arbeitest Du eigentlich gern?", fragt da Friedel Schütz ihren Mann, "den Otz", wie der Sohn und Erbe des Schneiders Uhlich mit aus heutiger Perspektive durchaus komischer Penetranz den gesamten Film über genannt wird. Otz Uhlichs Antwort bleibt der Film schuldig. Die Frage wird nicht nur am Ende gestellt, sondern vorher in ähnlichen Wortlauten immer wieder, gerichtet dann stets an Vater Uhlich (Joachim Gottschalk, der wenig später mit seiner Frau und dem gemeinsamen Kind Selbstmord beging, weil die Gestapo vor der Tür stand). Was natürlich auch heißt: Das Unbehagen am Kapitalismus wird auf der Seite der Kapitalisten verortet. Und gestellt wird die Frage stets von den Frauen, den empfindsamen Frauen, die gleichzeitig untergründige, fast schicksalshafte (Uhlich Seniors Frau schickt ihn auf jene Reise, die seinen Aufstieg erst ermöglicht) Antriebskraft und schlechtes Gewissen des Kapitals sind. (Im Film, den man ökonomietheoretisch wohl eher nicht für voll nehmen sollte, manifestiert sich das schlechte Gewissen zusätzlich noch in Schuldscheinen, von denen man nie so recht versteht, was sie in der Handlung zu suchen haben. Besonders bizarr fällt das nach einem Zeitsprung auf, der den Aufstieg des Schneiders zum Kapitalisten überspringt; der jetzt saturiert und ergraut, wenngleich melancholisch wirkende Uhlich meint: "ich kann machen was ich will, die 30000 Mark Schulden werde ich nicht los"; seine Frau schaut aus dem Fenster und meint: "dafür haben wir jetzt das!" - eine gigantische Fabrik.)

Das ist nicht die einzige Schizophrenie. Eine andere manifestiert sich darin, dass Liebeneiner versucht, seine zeit- und epochengreifende Geschichte als einen Heimatfilm zu fassen. Das liebliche, ländliche Erzgebirge breitet sich in einer frühen, präindustriellen Szene aus, soweit das Kameraauge reicht. Was mit dieser Heimat passiert, wenn eine Fabrik in sie hineingestellt wird, scheint sich der Film nicht so recht zu sagen trauen. Oder zumindest: Er traut sich nicht, es zu zeigen, denn die richtigen Worte findet der Sockenproduzent an einer Stelle im Film schon: "Man sieht den Kirchturm gar nicht mehr, so hoch ist unsere Fabrik". Nicht nur in diesem Satz, auch in den Interaktionen zum Beispiel mit einem rumänischen Einkäufer (der im Stil einer bösartigen Karikatur eingeführt wird, aber, wie zB auch die Bänker und die anderen Katalysatoren der Kapitalisierung, bis zum Schluss eine ambivalente Figur bleibt) scheint der Film einzusehen, dass die Geschichte, die er erzählt, unweigerlich von jener Scholle weg führen müsste, an der er aber gleichwohl noch klebt. Der Kurzschluss von Kapitalinteressen mit einem territorialen Heimatbegriff, der von "Blut und Boden"-Sprüchen nie ganz weit weg ist (obwohl es, das ist schon ein Unterschied, um eine Heimat aus der Perspektive der Frauen geht, um eine Heimat, der vielleicht als alternativer Fluchtpunkt auch die Intimität dienen könnte; auch da ist der Film ganz explizit: "Du bist meine Heimat"), wäre dann der ideologische Einsatzpunkt des Films. Und das interessante am Film wäre dann, dass dieser Kurzschluss auf keiner Ebene so ganz funktioniert.

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Ich habe den Film in der Reihe "Als die Synagogen brannten" im Berliner Zeughauskino gesehen. Was die Kulturfilme im Vorprogramm angeht, glaube ich langsam ein Muster erkennen zu können. In "Riesen deutscher Käferwelt" ging es darum, lauschigen Kameraschwenks entlang mitteleuropäischer Mischwälder ihre Lauschigkeit auszutreiben, mithilfe von martialischen Käferaufnahmen. In "Die Kleinsten vom Golf von Neapel" wird erst visuell und per Off-Kommentar die Schönheit eben jener süditalienischen Meeresbucht beschworen - und dann folgen eine knappe Viertelstunde lang Mikroskopaufnahmen von Weich- und Krustentiere von ausgesuchter, schon fast atemberaubender Hässlichkeit. Am Ende noch einmal eine Eintellung lang die jetzt gründlich desavouierte Schönheit des Mittelmeers.

Monday, March 21, 2011

Lin Jia Pu Zi / The Lin Family Shop, Shui Hua, 1959

In den letzten Wochen habe ich eine ganze Reihe chinesischer Filme der Dreißiger bis Sechziger Jahre angesehen, zwecks Vorbereitung einer Filmreihe, die im Frühjahr nächsten Jahres im Kino Arsenal stattfinden wird (mehr hier). Der vielleicht außergewöhnlichste Film, auf den ich bisher gestoßen bin, ist The Lin Family Shop von Shui Hua. Der Film stamm aus dem Jahr 1959 und damit aus einer Phase der chinesischen Filmgeschichte (die die zehn Jahre zwischen der Hundert-Blumen-Bewegung und dem Beginn der Kulturrevolution umfasst), in der das Kino sich ein wenig von der Staatspropaganda emanzipieren konnte.
Wie viele Filme dieser Zeit siedelt auch The Lin Family Shop seine Handlung in den Dreißiger Jahren an, vor Welt- und Bürgerkrieg; damit auch in der Zeit, in der das chinesische Kino sein erstes goldenes Zeitalter erlebte, hauptsächlich Dank des "leftist movements", der sozialkritischen Melodramen von Fei Mu, Sun Yu und ihrer Kollegen. Die VRC bleibt in diesen Filmen natürlich als Horizont und Rahmung gegenwärtig, in einigen - allerdings nicht in The Lin Family Shop - marschieren dann am Ende auch jubelnde Proletarier durch die Straßen und befreien die Hauptfiguren von ihrem Unglück; die interessantesten Filme der Zeit sind allerdings gerade nicht Heldenmythologien und geradlinige Erlösungsfantasien. Die Filme der dritten Generation etablieren damit eben gerade kein genuin maoistisches Kino, dem ein grundlegend neues, inniges Verhältnis von proletarischer Staatsmacht und Ästhetik zugrunde liegt. Eher kann man sie als reflektierte Fortschreibungen der chinesischen Filmgeschichte und ihrer Beschäftigung mit Macht, Tradition, Gender über den historischen Bruch hinweg beschreiben.
Die Filme der späten Fünfziger und frühen Sechziger sind nicht radikaler, sondern ganz im Gegenteil geordneter, ordentlicher. In The Lin Family Shop sind die melodramatischen Spitzen eines Sun Yu gebrochen, gleichzeitig hat sich die Idee von Urbanität gewandelt. Die Logik des Studios durchaus im Sinne Hollywoods als einer Zähmung des Gewusels, das den Zusammenbruch ständischer Ordnung begleitet im grafisch geordneten, in der Farbskala abgehefteten Bild hat auch in China ihre Entsprechung gefunden. Die rauhen, quasidokumentarischen Bilder zB aus The Goddess verschwinden parallel mit den falschen Bärten der Räuberpistole (Loving Blood of the Volcano heißt ein schöner Film Sun Yus aus den Dreißigern, derartige Titel kommen später nicht mehr vor). Viel los ist auch in The Lin Faily Shop (ein Film über Gemeinschaft, nicht über Vereinzelung), aber doch weiß jeder Komparse in jedem Moment, was er zu tun und was er zu lassen hat.
The Lin Family Shop ist dann allerdings ein Film über den Kapitalismus von einer Klarsicht, wie man sie in den älteren Filmen doch eher nicht findet. Fast der gesamte Film spielt direkt im titelgebenden Family Shop, weiter als zu den neidisch herüber schielenden Nachbarn entfernt sich der Film selten. Kaum einen Film kenne ich, in dem soviel gehandelt wird, in dem derart konsequent die Waren und ihr Wert im Zentrum stehen. Historische Ereignisse werden konsequent auf ihre ökonomischen Folgen abgeklopft. Aus dem Einmarsch der Japaner in der Mandschurei zum Beispiel entsteht für die Familie Lin vor allem anderen ein Geschäftsmodell - sie versorgt die Flüchtlinge mit "Waren für den täglichen Bedarf", die sie, im Gegensatz zur Konkurrenz nebenan, reichlich auf Lager hat. Und der anschwellende Nationalismus schlägt sich in Boykottaufrufen gegen angebliche oder tatsächliche ausländische Produkte nieder.
Zwar ist der Film zweifellos eine Chronik des Niedergangs eines Unternehmens sowie einer Familie und gleichzeitig des Scheiterns eines Gesellschaftssystems. Doch woran Unternehmen / Familie / Gesellschaft scheitern, das erläutert der Film weit weniger eindeutig. Wenn der Kapitalismus schuld trägt, dann als System, nicht etwa deswegen, weil einige Bösewichte dem Lin-Clan ans Leder wollen. Hinter den Bossen stehen weitere Bosse, das erkennt das Lin-Familienoberhaupt schnell, individuelle Schuldzuschreibungen werden, einigen melodramatischen Schlenkern gegen Ende des Films zum Trotz, stets und gründlich ausgebremst. Doch wie weit die systemischen Probleme, die der Film offen legt, tatsächlich und ausschließlich die Probleme des Kapitalismus sind, das ist eine ganz andere Frage, zu der sich Shui Hua nicht wirklich verhält. Ganz im Gegenteil setzt er in den Verkaufsszenen die Lust am reinen, "marktradikalen" money making vor seiner Korruption durch Monopolisierung und Polizei mit erstaunlicher Sympathie ins Bild. Dass eine solche Unterscheidung einer marxistischen Kritik nicht standhält: klar. Umso interessanter, dass der Film sie dennoch trifft.

Thursday, July 01, 2010

Gossip Girl 2.24

A very guilty pleasure...
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In der zweitletzten Folge der zweiten Staffel gibt es zum ersten Mal eine längere Rückblende, eine in die Jugend der Society-Krawallschwester Lilly van der Woodsen. Das Ergebnis ist das vermutlich verlogenste 80ies-Pastiche der Film- und Fernsehgeschichte, mitsamt Gwen Stefani, deren bloße Existenz ich bereits erfolgreich verdrängt hatte, als New-Wave-Sängerin. Aber wen kann es wundern, dass eine falsche Gegenwart eine falsche Vergangenheit projiziert?
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Die zweite Staffel versucht zumindest ein wenig überzeugender, die Hippness, die sie die ganze Zeit für ihr Süjet behauptet, auch selbst einzulösen. Die Musikauswahl ist zumindest ab und zu ein klein wenig progressiver als in der ersten Staffel, ab und zu gibt es etwas ausgedehntere Montagesequenzen, Zeitlupenaufnahmen und andere, aber selbstverständlich stets lokal isolierte, televisuelle Exzesse. Ansonsten gilt weiterhin: Je falscher die Welt, desto unermüdlicher die Behauptung ihrer Kontinuität.
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Wenn diese Serie einen Moment von Wahrheit enthält (jenseits von jeder Menge platter Bebilderungen Bourdieuscher feiner Unterschiede), dann ganz sicher nicht in ihren fast immer inhärent reaktionären Versuchen, Kritik zu üben. In der Episode 2.24 läuft diese "Kritik" mal wieder auf die an der matriarchal organisierten Aufstiegsgeschichte der Rhodes / van der Woodsen-Familie hinaus. Ganz sicher findet man ein solches Moment auch nicht in ihrer vermeintlichen Tagesaktualität, etwa in den paar Nebensätzen, die Rufus Humphreys (gegen den Jon Bon Jovi authentischer Rock'n Roll ist), an die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008ff verschwendet (immerhin ringt sich die Serie irgendwann einmal zur Erkenntnis durch, dass auch die Humphreys mit ihrer Loft in Brooklyn nur relativ betrachtet als unterprivilegiert durchgehen). Wenn überhaupt irgendwo, dann steckt ein Moment Wahrheit höchstens in der ewigen reluctant romance der beiden Figuren, denen der neo-aristokratische Kapitalismus, den die Serie zelebriert, vollständig zur zweiten Natur geworden ist: Chuck Bass und Blair Waldorf. Und auch da weniger in den einander ergänzenden Psychosen der beiden, als in der Beharrlichkeit, in der Chuck und Blair diese Psychosen als eben den Mittelpunkt der Welt setzten können, der sie eben nur dann wären, wenn sie gleichzeitig für die Psychosen eines hysterisch gewordenen Spätkapitalismus einstünden.

Monday, March 02, 2009

Cadena perpetua, Arturo Ripstein, 1979

Der Tarzan war ein Kleinkrimineller, Taschendieb und Teilzeitzuhälter. Dann sitzt er im Gefängnis ein und als er wieder herauskommt, arbeitet er bei der Bank. Es ist zu vermuten, dass er bei und für diese Bank auch das eine oder andere krumme Ding dreht und vielleicht sogar mehr Unheil anrichtet als zuvor, aber für ihn selbst ist die Festanstellung ein Schritt in Richtung Rechtschaffenheit. Dann taucht ein korrupter Polizist auf und beginnt, ihn zu erpressen.
Bunuel-Schüler (das merkt man fast in jeder Einstellung) Ripstein erzählt seine Geschichte, die sich deutlich am klassischen film noir orientiert, nicht linear, die Zeitebenen werden parallel montiert. Die Übergänge sind nicht markiert, es dauert eine Weile, bis man sich in der Geschichte zurecht findet. Die zeitweilige Verwirrung ist jedoch nicht der Punkt. Es geht eher darum, den Entwicklungsroman auch rhetorisch zu untergraben. Tarzans Geschichte nimmt eine fatalistische Wendung und der Film nimmt diese in seiner Filmsprache schon vorweg. Den Banker-Tarzan unterscheidet vom Kleinkriminellen-Tarzan nur der fehlende Schnurrbart, die jeweiligen Welten, in denen er sich bewegt, unterscheiden sich, wenn es drauf ankommt (unter anderem sind Frauen in beiden nur Verfügungsware, eine Tatsache, zu der sich der Film vielleicht insgesamt doch etwas zu wenig verhält), so gut wie gar nicht. Am Ende wird Arturo wieder dort landen, wo er angefangen hat.
Die eine Szene, die über den Fatalismus hinausweißt, den der Film ansonsten brillant und nicht ohne Humor durchexerziert (running gag ist ein Fußballspiel Mexiko - Deutschland, dessen Ergebnis ebenfalls schon von Anfang an fest steht), findet in Arturos Arbeitsplatz, der Bank, statt. Er sucht dort Hilfe, seine Chefs sollen ihm gegen den korrupten Polizisten beistehen. Minutenlang irrt Arturo durch diese Bank, in der plötzlich niemand mehr zu arbeiten scheint. Anstatt, wie vorher im Film stets, den Aufzug zu benutzen, nimmt er das Treppenhaus und scheint in einer anderen Welt zu landen. Schon im Treppenhaus trifft er auf ein knutschendes Paar, weiter oben auf eine sonderbare Feier. Die meisten Büros sind leer. Tarzan läuft ins Nichts, je aufgeregter er nach seinem Chef fragt, desto indiferrenter werde die Antworten der wenigen Menschen denen er überhaupt noch in der Bank, die davor von - gleichfalls freilich nur scheinbar zielgerichteten - Wichtigtuern bis zum Rand gefüllt war. Hier, in der ihre Funktionalität nicht mehr preisgebenden Architektur des Geldinstituts, bricht Arturo zusammen und findet sich damit ab, dass er in Zukunft wieder Handtaschen stehlen muss. Sein Glaube an die eigene Handlungsmacht, an die Möglichkeit, Herr seines eigenen Schicksals zu werden, verschwindet angesichts einer nicht nur entpersonalisierten, sondern gleichzeitig enträumlichten institutionellen Logik.

Demnächst im Videodrom

Sunday, January 04, 2009

Susuz yaz, Metin Erksan, 1964

Susuz yaz, Metin Erksan, 1964

Osman und Hassan, ein Brüderpaar in der Türkei, auf dem Land. Es geht um Wasser und um eine Frau. In welcher Reihenfolge, das wird nie ganz geklärt.
Das Wasser entspringt vom herrschaftlichen Grundstück der beiden Brüder und fließt von dort weiter in das Tal herunter, wo die Bauern aus dem Dorf ebenfalls ihre Felder bewässern müssen. Nun stellt sich die Frage, ob das Wasser Allgemeingut ist, oder ob die Brüder ein Besitzrecht haben. Die Obrigkeit schafft keine Klarheit, im Grunde geht es auch nicht um juristische Differenzierung, sondern um eine harte Opposition: Auf der einen Seite stehen die (nach eigenem Bekunden) trägen, hilflosen Feldarbeiter, die sich mit dem begnügen, was sie vorfinden und lediglich den Status quo bewahren wollen, auf der anderen Seite steht Osman, dem die Natur eine immer schon formbare ist, Material, das es zu bearbeiten - und vor allem sich anzueignen gilt. Eine quasifeudale Ordnung trifft auf einen Protokapitalisten.
Osmans Bruder Hassan, ein verträumter Idealist, würde gerne Frieden schließen mit den übrigen Bauern, doch sein Bruder lässt ihn nicht. Dafür bekommt Hassan die Frau, Bahar. Mithilfe von Osman entreißt er sie einer Familie aus dem Dorf, die sich genauso wenig dagegen zu wehren vermag, wie die Bauern etwas gegen den Staudamm anrichten können, den Osman ihnen vor die Nase gesetzt hat und der ihnen ihre Lebensgrundlage zu entziehen droht. Um die Besitzrechte an Bahar und an dem Wasser hinter dem Staudamm geht es dann immer wieder und in immer neuen Konstellationen.
Freilich wandelt sich Osmans Energie, sobald Hassan und Bahar sich fast vor seiner Nase miteinander vergnügen. Osman selbst ist Witwer und die ungeheure Energie, mit der er seinen Hof gegen die Dorfbewohner verteidigt, wird immer deutlicher umkodiert zur Kompensation sexueller Frustration. Einmal schneidet Erksan, der nicht nur in dieser Szene mit bunuelscher Präzision zu Werke geht, direkt vom neidischen Schlüssellochblick Osmans zur nächsten Szene, in der er mit einer Axt auf einen Baum eindrischt.
Erol Tas spielt seine Paraderolle, den Bösewicht, voller Innbrunst und lässt keinen Exzess aus, nicht einmal (freilich nur dezent angedeutet) Sodomie. Nach einem Schlangenbiss findet er schließlich eine Möglichkeit, zu Bahar vorzustoßen:



Saturday, April 26, 2008

Kuro no tesuto kaa / The Black Test Car, Yasuzo Masumura, 1962

Masumuras Hauptthema ist, so scheint es mir, zumindest in den frühen Jahren seiner Karriere, der Wirtschaftsboom Japans in all seinen Facetten, wie er in den späten Fünfziger Jahren einsetzt. Mal wird das eher indirekt verhandelt (Kisses, Danryu, Seisaku no tsuma), mal sehr direkt, in Form cooler, slicker Industrie-Genrefilme, die den Boom nicht aus der Außenperspektive, sondern von innen analysieren. Vier Jahre nach den Süßwarenherstellern aus Giants and Toys bekriegen sich 1962 zwei Autofirmen: Tiger und Yamato. Diesmal geht es um Sportwagen, eine Fahrzeuggattung, der die japanische Gesellschaft anfang der Sechziger Jahre noch nicht so ganz getraut zu haben scheint. Zumindest umgibt sie in The Black Test Car eine Aura des Fremden, Brutalen, vielleicht auch Unjapanischen. Der Nostalgie des Filmendes allerdings wird von der Energie des restlichen Films wiedersprochen und das Bild des abtrünnigen Managers mit seiner Freundin am Strand ist keine wertkonservative Abkehr vom Turbokapitalismus, sondern einfach nur ein großartiges Kinomoment, das - wie oft bei Masumura - nicht vollständig im vermeintlichen Projekt des Gesamtwerkes aufgeht. Gekämpft wird ansonsten mit scharfer Munition, die Bilder entstammen dem Film noir, sind aber ins Widescreen-Format gestreckt.
Die beiden Autohersteller durchdringen sich gegenseitig mit Spionen, klopfen die Gegenseite auf Spuren ab, die mit (damals) modernster Technik extrahiert werden und sich in Form von Fotografien, Filmen und Tonbandaufnahmen manifestieren. Den Höhepunkt bildet eine Filmaufnahme von Lippenbewegungen, die eine Spezialistin ins Japanische rückübersetzt. Doch Bild- und Tonaufnahmen, Bilder der physischen Wirklichkeit alleine genügen nicht. Verfügar gemacht werden muss die soziale Dimension. Zu diesem Zweck werden soziale Waffen aller Art funktionalisiert, zuvorderst natürlich Sex. Der Manager, der später mit seiner Geliebten am Strand liegt, schickt dieselbe vor seiner Konvertierung ins Bett des Chefs der Konkurrenz. Beim Versuch, ihr klarzumachen, warum das so sein muss, argumentiert er schlüssig und kohärent...

Monday, April 07, 2008

Kyojin to gangu / Giants and Toys, Yasuzo Masumura, 1958

Masumura zeigt den Kapitalismus von Innen. Das japanische Wirtschaftswunder hat gerade erst begonnen und wohin es letztlich führen wird, ist noch lange nicht abzusehen. Ob japanische Kinder wirklich auf beknacktes Weltraumspielzeug stehen? Die Manager in der Firmenzentrale haben zumindest schon einmal ihren Spaß mit dem Plastikzeug. Amerika ist das große Vorbild, zum Konkurrenten fühlt man sich noch lange nicht geeignet. Noch verdeckt das Staunen ob der neuen Möglichkeiten jeglichen Zweifel. Wenn überhaupt, dann kollidiert der Kapitalismus mit dem traidtionellen Melodrama, nicht mit den von ihm selbst hervorgebrachten Problemen.
Mitten drin Kyoko: Die verkörpert exemplarisch das beängstigende wie das befreiende Moment des amerikanisierten Wirtschaftens. Kyoko ist nicht mehr angewiesen auf den Habitus der alten Eliten. Dafür bleibt sie jenseits ihres reinen Marktwerts völlig substanzlos. Bei ihrem ersten Auftreten in einem Cafe ist ihr Gesicht von Konsumprodukten gerahmt. Am Ende wird es dann hinter den Blumensträußen ihrer Verehrer verschwinden. Sie ist an den Mann gebracht worden. Dazwischen bringt sie mit ihrem kariösen Lächeln nicht nur den Süßwarenmarkt, sondern auch eine Jugendfreundschaft durcheinander.
Wie stets mit viel Energie entwirft Masumura die Satire. Aber vor allem: Bei allem Übermut ungeheuer genau (mit japanischen Komödien / Satiren habe ich sonst oft meine Probleme, aber hier funktioniert fast alles, trotz mancher Albernheit). Sehr schön sind die Überblendungsmontagen, wenn zum Versuch, ein Feuerzeug zu entzünden, der Warenkreislauf in Schwung kommt. Schön sind einige Momente der Öffnung: Der Kuss im Cabrio unter der Werbetafel, eine wilde Nachtclubszene, die von den Jugendlichen entfremdeten Angestellten in der Kneipe zu Filmbeginn, die Apokalypsenminiatur am Filmende. Und seismografisch ist der Film vor allem in einer verwirrenden Sequenz, in der eine der drei Süßwarenfirmen, um die sich die Handlung dreht, auf die Idee kommt, mit inszenierten politischen Demonstrationen für ihr Produkt zu werben. Zwei Jahre später werden eben solche Demonstranten einen Eisenhower-Besuch in Tokyo verhindern.

Tuesday, November 20, 2007

Know Your Enemy: Japan, Frank Capra & Joris Ivens, 1945

Fünfzig Minuten lang führen Capra eund Ivens die Bearbeitung des japanischen Körpers vor, zehn Minuten lang triumphiert die amerikanische Technik. Die von den Japanern hingerichteten Fillipinos bzw ihre versehten Körper und die halbverhungerten amerikanischen Kriegsgefangenen zeugen von einer Leiblichkeit, die die höherstufige Militärmaschienerie nicht mehr kennt: Hier zerstören Flugzeuge Flugzeuge und Schiffe Schiffe. Selbstverständlich sind diese (noch) bemannt, doch die Insassen bleiben unsichtbar. Nicht nur die der Gegenseite (um die unvermeidlichen Grausamkeiten auch der eigenen Handlung zu verschweigen, was natürlich auch eine Rolle spielt: von 100000 toten Japanern auf Okinawa erzählt stolz der Voice-Over Kommentar; im Bild zu sehen ist kein einziger), sondern zum großen Teil auch die eigenen. Oder, wenn sie doch auftauchen, eignet ihnen eine völlig andere Form von Subjektivität, eine, die den bis in die Fingerspitzen konditionierten Japanern nicht zusteht. Es sind vielleicht die handelnden Subjekte des Genrefilms, des Westerns zu allererst, in jedem Fall aber Subjekte, die zwischen sich und dem, was sie anrichten, bereits eine Distanz errichtet haben und deshalb im Umkehrschluss von diesem nicht mehr determiniert werden können.
Zwei Arten von Kriegen beschreibt Know Your Enemy: Japan also: Einmal den der unbedingten körperlichen Affizierung, den Krieg der genetisch, kulturell, religiös, historisch jeder Subjektivität beraubten Japaner einerseits und den der sich bereits tendeziell verselbstständigenden Technomaschinerie andererseits, einer Technomaschinerie freilich, deren Entfaltung das Individuum nicht etwa beschränkt oder bedroht, sondern in gewisser Weise befreit (Transformers als Vollendung dieses Prinzips? Die Liebes- und sonstigen Alltagsgeschichten könnten sich hier nun, zumindest prinzipiell, endlich vollständig unabhängig von den sich bekämpfenden Robotergruppen entfalten).
Aber auch: Zwei Arten von Produktion (überhaupt erstaunt es mich, der ich erst wenige Genrevertreter kenne, wie oft der amerikanische Kriegsfilm schon in den vierziger Jahren direkt vom Kapitalismus spricht): Die fordistische Produktionsmethode haben auch die Japaner drauf, ja sie sind fast für dieselbe geschaffen, spannt sie doch das Fließband in dasselbe unmittelbar körperliche Regime ein, das laut Capra /Ivens sowieso in ihren kulturellen oder möglicherweise gar biologischen Code eingeschrieben sei. Die amerikanische Produktion freilich ist schon einen Schritt weiter: Das serielle Prinzip hat sich verselbstständigt und betrifft nun nicht mehr Menschen, sondern Kampfflugzeuge, Panzer und Kriegsschiffe, die in wunderbaren Formationen, und ohne auch nur irgendetwas über ihren eigenen Produktionsprozess zu verraten, die jämmerlichen Überreste des japanischen Heers in Schutt und Asche legt. Ein Mysterium liegt über dieser in den letzten zehn Minuten mit aller Macht auftauchenden Streitmacht. Könnte der Film diese genauso auf soziale, kulturelle, historische etc Faktoren zurückführen, wie er dies im Falle der Japaner (zwar in vieler Hinsicht falsch, aber doch überzeugend) vorführt? Oder verbirgt sich in diesen letzten zehn Minuten ein Repräsentationsproblem, das mehr mit der Wirtschafts- als mit der militärischen Ordnung zu tun hat?

Saturday, February 17, 2007

Berlinale 2007: Yella, Christian Petzold, 2007

Nina Hoss ist äußerst cool als Yella, keine Frage. Vielleicht ist es gerade die Coolness und Hippness des ganzen Projekts, die dafür sorgt, dass ich mit Christian Petzolds neuem Werk nicht ganz warm werden konnte. Auf dem Papier sieht alles sehr smart aus: Der atmosphärische Horrorfilmklassiker Carnival of Souls wird in Investmentbanking übersetzt und gleichzeitig in einen deutschen Ost/West-Diskurs eingefügt, in welchem delikaterweise der Westen das Geisterreich darstellt.
Die Petzoldsche Version eines Horrorfilms beschränkt den genreüblichen Exzess auf drei kurze Sequenzen, die den Übergang von der realen in die Traumwelt durch Tonsubjektiven darstellen. Ganz konkret: Im Stile eines schlechten B-Horrorfilms bricht die Tonspur in sich zusammen und macht einem undefinierbaren Rauschen Platz, während (die ansonsten selbstverständlich hervorragende) Hoss planlos in die Gegend starrt. Das Krähen eines Raben holt sie schließlich wieder in unsere Welt zurück. Die Kamera unterstreicht (?) dies durch ein wenig planloses Rumgezoome in den Ästen eines Baumes. Diese ganze Sequenz (die wie gesagt dreimal wiederholt wird) ist dermaßen uneffektiv inszeniert, dass man Petzold, der ja sein Handwerk versteht, Absicht unterstellen muss. Nur: Was soll das?
Ebenso wie ich Sinn und Zweck dieser Sequenz nicht verstehe (sie wurde direkt aus Carnival of Souls übernommen, wie überhaupt der Film in struktureller Hinsicht ein erstaunlich originalgetreues Remake darstellt), bleibt mir letzten Endes das ganze Projekt ein Rätsel, und zwar eines, bei welchem ich nicht einmal allzu große Lust verspüre, weiter nachzuforschen, da ich wenig Chancen auf potentiellen Erkenntnissgewinn ausmachen kann. Das Handlungsgerüst des Bankerplots basiert angeblich auf Farockis Nicht ohne Risiko, den ich zugegebenermaßen noch nicht gesehen habe. Diese komplexe Überblendung zweier filmischer Texte verweist auf eine Aussageabsicht politischer Natur (verbunden mit einem filmgeschichtlichen Diskurs), die sich nicht auf eine plumpe kapitalismuskritische Allegorie reduzieren lässt. Aus dem filmischen Text als solchem erschließt sich jedoch höchstens letztere. Und selbst diese zerschellt an den Horrorfilmüberresten.
Dazu den obligatorischen hippen Popsong auf der Tonspur und als Autorensignatur eine Überwachungskameraaufnahme. Natürlich ist Yella kein schlechter Film und vielleicht weist er in mancher Hinsicht in die richtige Richtung. Doch wie bereits im Fall von Gespenster ist mir das Konzept ein klein wenig zu sofisticated, zu sehr bedacht auf die eigenene Coolness (und vielleicht sogar auf den goldenen Bären), um im Rahmen eines Erzählfilms wirklich zu funktionieren.

Monday, February 12, 2007

Berlinale 2007: I Was A Swiss Banker, Thomas Imbach, 2007

Ein schweizer Banker schmuggelt Schwarzgeld über den Bodensee. Er erläutert sein vorgehen in schweizerdeutschem Voice-Over. In Hochglanzoptik präsentiert Thomas Imbach seinen kurzen Prolog. Der Bodensee glänzt, die Sonnenbrille des Bankers namens Roger auch und dessen Porsche sowieso. Die Sequenz endet damit, dass Roger vor der Polizei fliehen muss, sich dabei in die Hose scheisst und die Exkremente an der Wiese abwischt. Dann beginnt der wunderbare Vorspann (der in dem noch wunderbareren Abspann wieder aufgegriffen werden wird. Nach dem furiosen Auftakt landet Roger auf einer Insel (?) im Bodensee (?) und trifft dort eine Art Hexe (?), die es auf ihn abgesehen zu haben scheint. Wie überhaupt der ehemalige Banker plötzlich bei der Damenwelt hoch im Kurs zu stehen scheint. Nacheinander lernt er vier Frauen größtenteils nichtschweizer Herkunft kennen, doch mit keiner ist ihm dauerhaftes Glück vergönnt.
Von Rogers ehemaliger Karriere im Finanzgeschäft zeugt im restlichen Verlauf des Films nur noch eine rote Reisetasche, randvoll mit Schwarzgeld. Ansonsten bleibt die Bankervergangenheit ausgespart, ohne dass sie im Leben des Betroffenen oder im Film insgesamt durch eine vergleichbar handfeste Tätigkeit bzw. ein Thema im engeren Sinne ersetzt werden würde. Noch am ehesten scheint es um Sex zu gehen. Imbachs Film inszeniert in rascher Folge weibliche Übergriffe auf den männlichen Körper im Allgemeinen und Rogers Penis im Besonderen. Die Versuche des dreitagebärtigen Schweizers, den Frauen, die von ihm nacheinander Besitz ergreifen, irgendwie Herr zu werden, scheitern stets kläglich, obwohl die realen Abhängigkeitsverhältnisse traditionell gepolt sind, schließlich sind Osteuropäerinnen, Türkinnen und Araberinnen auf die Gnade der Grenzbeamten angewiesen.
I Was a Swiss Banker ist jedoch auch der beste Film über die Schweiz, den ich bisher gesehen habe (zugegebenermaßen verfüge ich nicht über allzu viel Vergleichsmaterial). Imbacheröffnet eine Folge von potentiell touristisch verwertbaren Panoramen, bestehend meist aus Seen (nach dem Bodensee folgen eine Reihe weiterer, unter anderem glaube ich der Zürichsee), Alpwiesen, jeder Menge Schafe und sanften Hügeln. Zum Heidi-Klischee gerinnen diese Settings jedoch nie, obwohl alles glitzert und funkelt wie verrückt. (In der Tat ist es vor allem die eigenartige Hochglanzoptik – die vor allem in den Szenen im Wasser zu bewundernswerten Resultaten führt –, die den Reiz des Films ausmacht, grellbunter Alpenkitsch, präsentiert in meist kurzen Einstellungen und mit einer Vorliebe für hetische Handkameraaufnahmen, in den immer wieder Irritationen einbrechen, wie Rogers Fäkalien zu Beginn oder auch mal abgerissene Vogelköpfe.) Doch zwischen den Naturszenen (in welchen Roger stets bedeutend weniger Kleider am Leib trägt als seine Gespielinnen, selbst die Wet-Sex-Szene erotisiert eher ihn als seine Partnerin) schiebt sich immer wieder eine andere Schweiz. Hier spielt der Film in kleinen Hotels, Touristenrestaurants, Polizeirevieren oder Bauernhöfen. Keine dieser Örtlichkeiten nimmt wirklich Gestalt, keine wird in ihrer Gesamtheit repräsentiert, als Lebens- oder Arbeitsraum und dennoch schreiben sich unterschiedlichste Diskurse in sie ein, die ein weitaus präziseres Bild der schweizer Wirklichkeit zeichnen, als es konventionellere Modi der Beobachtung vermögen würden. Eine seltsame Mischung aus scheinbarer kapitalistischer Weltoffenheit und institutionellem Rassismus, aus dem Bewusstsein der eigenen geopolitischen Nichtigkeit, vermischt mit der Illusion, trotzdem irgendwie etwas ganz besonderes zu sein.
Ein Film aus einem Land eben, das zwar die älteste Demokratie der Welt vorweisen kann, in welchem jedoch dennoch erst seit 1990 alle Frauen das Wahlrecht erhielten (zuletzt in Appenzell-Innerrhoden). Aus einem Land, das immer noch nicht der UN beigetreten ist und sich damit in reichlich seltsamer Gesellschaft befindet ().
Imbachs heterogener, sprunghafter Erzählstil in Verbindung mit einer ebensolchen Kamera kann leicht in die Hose gehen. Lenz etwa habe ich kaum ertragen können in seinen Versuchen, die Neurosen eines Berliner Theaterintendanten oder was zu ergründen. I Was A Swiss Banker jedoch macht fast alles richtig (auch wenn das Ganze am Ende vieleich doch etwas zu sehr ausfranst). Roger ist von Anfang an jenseits der Psychologisierung und der Familiengeschichte (auch die nervte in Lenz) und dient lediglich als immer gut frisierters freischwebendes Objekt, das einerseits von erotischen und anderen Zugriffen in Anspruch genommen werden kann und andererseits als Bilder- und Narrationsmaschinerie dienen kann, die ein Postkartenpanorama und eine abstruse Nebenhandlung nacheinander zu produzieren vermag. Wenn dann alles vorüber ist (und wie gesagt, der Abspann ist hervorragend) ist man vielleich nicht viel schlauer, aber möglicherweise doch auf eine ganz seltsame Weise glücklich…

Monday, February 20, 2006

Zweimal Politik

Au-dela de la Haine, Olivier Meyrou, 2005

Er ist ja gut gemeint, der Film. Und dummerweise auch noch weitgehend gut gemacht, besser zumindest als vieles andere vage oder konkret politisches im Forum. Warum bleibt am Ende trotzdem ein ungutes Gefühl? Aufschluss gibt eine Diskussionsfrage, die nicht nur den Regisseur, sondern auch die wieder einmal völig deplazierte Moderatorin (zugegebenermaße auch aufgrund eines Übersetzungsproblems) gehörig aus dem Konzept bringt. Die Frage bezieht sich auf die Tatsache, dass im Film immer wieder darauf verweisen wird, die Skinheads hätten erst einen Homosexuellen angegriffen, nachdem sie vergeblich einen Araber gesucht hätten. Was wäre nun mit dem Film geschehen, wenn sie schneller fündig geworden wären und das Opfer kein weisser Mittelstandssohn gewesen wäre?
Regisseur beleidigt, Moderatorin hektisch, Übersetzerin konfus, da wurde wohl ein neuralgischer Punkt getroffen. Und in der Tat enthüllt diese Frage, deren Antwort sich im üblichen "alle Menschen sind gleich, alle gehören zur Gemeinschaft, die Lösung heißt universelle Toleranz" erübrigte, das Problem des Films.
Die homophobe Gewalt wird aus den Biographien hergeleitet und somit mit anderen Formen diskriminativer Angriffe gleichgesetzt. Nicht gestellt wird die strukturelle Frage. Denn mag auch auf einer Ebene sowohl Homophobie als auch Rassismus, Sexismus und ähnliches auf einem gleichartigen "Hass auf alles andere ausser mir" basieren (und selbstverständlich sind alle diese Verhaltensweisen gleich abscheulich und dämlich), bleibt doch festzuhalten, dass auf anderen Ebenen diese Phänomene alles andere als Gleich sind. Sie resonieren auf völlig unterschiedliche Art und Weise in der Gesellschaft, zeigen unterschiedliche Organisationsmuster, dienen unterschiedlichen politischen Zwecken, werden von unterschiedlichen Seiten ausgebeutet, gehen höchstwahrscheinlich auch auf unterschiedliche psychologisch Mechanismen zurück usw. Eine Gesellschaft, die diese Probleme nur zusammen denken kann, kann als Lösung nur etwas anbieten, was keine ist: allumfassende Toleranz, vermittlung allgemeingültiger Werte, deren ideologische Aufgabe ebensowenig hinterfragt wird, wie die ideologischen Substrukturen der Neonaziszene, die eben nicht nur dadurch entsteht, dass es Alkoholiker gibt, die ihre Kinder schlagen.

Schuss!, Nicolas Rey, 2005

Schön ist es dagegen, nach all den - oft jämmerlichen - Versuchen, politisches Bewusstsein zu erzeugen, einen Film sieht, der dieses dekonstruiert, beziehungsweise in klassisch ideologiekritischer Manier der Konstruiertheit von Oberflächenphänomenen auf den Grund geht.
So ein Film darf es sich auch durchaus herausnehmen, dem Publikum ordentlich auf die Nerven zu gehen. Und das tut Nicolas Reys Film oft genug. Bild und Ton immer unsynchron, minutenlange, flackernde Aufnahmen von fast gar nichts, nicht die Spur eines stringenten zeitlichen oder räumlichen Gefüges, dabei über zwei Stunden lang. Es geht um die Wintersportindustrie einerseits, die Aluminiumprodktion andererseits. Rey zeigt eindrucksvoll, dass die Konsumgesellschaft vor allem auf Arbeit basiert, die unsichtbar ist. Diese Arbeit kann auch die Form von Politik, Bürokratie, Kolonialismus und vielem anderen annehmen, bleibt jedoch immer erkennbar, wenn man nur genau genug hinschaut. Dieser orthodox ideologiekritische Akt (Sichtbarmachung von aus ideologischen Gründen versteckter Arbeit), der sich unter anderem in den Bildern der Talstation des Skigebiets widerfindet, die den Fim zusammenhalten (die Talstation ist das Gebäude, an dem die Arbeit am wenigsten verschleiert werden kann, hier finden sich Relaisstationen, große Stromaggregate, Wartungspersonal, usw, gleichzeitig ist dies jedoch auch der Ort, der am wenigsten Oberfläche ist und meistens so in das Gesamtgefüge integriert wird, dass die Skifahrer ihn jeden Tag nur einmal durchlaufen müssen), wird auch in der Filmform sichtbar, indem Rey, durchaus im Sinne Baudrys oder Comollis, das Filmmaterial und seine Bearbeitung, resp. die Arbeit im Filmlabor usw sichtbar macht.
Soweit, so eigentlich schon tausendmal dagewesen und irgendwo in den 70er Jahren steckengeblieben (was Rey allerdings frisurentechnisch auch tatsächlich ist). Die Pointe des Films trägt diesen jedoch weit über klassisch strukturalistisch-marxistische Positionen hinaus: Ski werden gar nicht aus Aluminium hergestellt. Die Strukturen sind so komplex, dass eine ein einfaches Basis-Überbau Modell zum Scheitern verurteilt ist. Rey wählt vielmehr ein allegorisches Modell: Industriegeschichte erläutert Konsumismus und umgekehrt. Dabei ist er weniger auf der Suche nach einer Tiefenstruktur, es geht um partielle argumentative Parallelen, die es in ihrer Gesamtheit vielleicht ermöglichen, die Position des Individuum in der Welt so zu gestalten, dass aktives Handeln mögich ist. Oder so ähnlich.

Thursday, February 09, 2006

John & Jane, Ashim Ahluwalia, 2005

Ein seltsamer, kleiner Film, der im Festivalstrubel wahrscheinlich hoffnungslos untergehen wird und auch meine Aufmerksamkeit voll nur langsam erringen konnte. Ahluwalia erzählt von sechs Mitarbeitern eines amerikanischen Callcenters in Indien, beobachtet sie bei der Arbeit, lässt sie über ihre Zukunftspläne reden, zeigt sie in ihrer privaten Umgebung. Alle träumen sie von Amerika, wollen am liebsten Amerikaner werden, färben sich schon mal die Haare blond oder führen die Ehefrau in den wenigen gemeinsamen freien Minuten zu McDonalds.
Was den Film von anderen seiner Art abhebt, ist das Fehlen einer dritten Perspektive. Weder werden die Amerikaträume mit der sozialen Realität Indiens (oder auch Amerikas) abgeglichen, noch findet ein kultureller Diskurs statt - im ganzen Film fällt kein einziges Wort in Hindi, die Bilder der Stadt sind fast aller lokalen Zeichen beraubt, die Callcenterfirma und ihre Mitarbeiter scheinen tatsächlich bereits in einer Welt jenseits der Geschichte angelangt zu sein.
In John & Jane geht es nicht um innerindische Gesellschaftskritik oder Kulturimperialismus. Stattdessen zeigt der Film von der ersten bis zur letzten Minute capitalism at work. Die Callcenteragents leben die neoliberale Ideologie so überzeugend nach, dass John & Jane streckenweise tatsächlich als Kapitalismuswerbeclip funktionieren könnte. Anfangs werden zwei Arbeiter portätiert, die mit dem Alltag im Callcenter nicht zurecht kommen, der eine gibt gar die Stelle auf und wird Tanzlehrer. Doch im folgenden siegt Amerika, und zwar immer überzeugender bis zur blondierten Pseudoamerikanerin samt Pseudoemanzipation. Unterlegt ist das Ganze mit sphärischen, erfrischen dezenten Ambientklängen, die dem gleichen utopischen Fluchtpunkt entgegen zu streben scheinen wie die portätierten jungen Inder.
Was Ahluwalia durch die strikt subjektivierende Perspektive auf das Objekt erreicht, erscheint zumindest stellenweise nicht weniger zu sein als eine Phänomenologie des Kapitalismus, als dessen immanentes Strukturprinzip die Utopie deutlich hervortitt. John & Jane ist gerade angesichts Dutzender auf der Berlinale vertretener politischer Kampfdokus, die ebenso nutzlos verpuffen werden wie die Abertausenden vor ihnen, ein sehr bemerkenswerter Film.