Ein Meisterwerk. Ein Zitat Amadou Hampatés am Anfang des Films: „In Afrika ist ein Greis, der stirbt, wie eine Bibliothek, die verbrennt“. Wenn der vor allem anderen beeindruckend freie Film strukturiert wird, dann durch die Erzählungen eines solchen graubärtigen Alten. Der sitzt am Stamm eines gewaltigen, seinerseits uralten, weit ausladenden Baumes (einmal fährt die Kamera einen seiner monumentalen, meterdicken Äste ab, dieser eine Holzstrang bekommt ein solches Eigengewicht, dass man kaum noch glauben mag, dass das wirklich nur ein einziger Baum, ein fest in der Erde verankerter Organismus ist; ohne jede Behauptung, ohne Raunen verweist die Natur in dieser Einstellung über sich selbst hinaus, auf ihre Transformation im Mythos), umringt von Kindern (halbkreisartig angeordnet, wie so vieles im Film, wie so vieles auch in Fayes älterem Kaddu Beykat. Er erzählt dann etwa über die Organisation des Dorfes, vor allem aber über dessen Geschichte und Mythologie, über die Ursprünge des Matriarchats (wobei ich doch gerne genauer wüsste, was für eine Art von Matriarchat das ist; der Alte erklärt das so, dass nicht der Vater dem Sohn, sondern der Onkel dem Neffen vererbt, wo da die Frauen bleiben, die das Dorf ursprünglich gegründet haben, wurde mir nicht vollständig klar, das ist nur eine der vielen Fragen, die außerhalb des Kinos zu verfolgen sind), über den Widerstand gegen einen König, über den Streit zweier Brüder.
Es geht in dem Film aber beileibe nicht nur um die oral history als alternativen Modus der Geschichtsschreibung, das wäre für dieses hochkomplexe Werk auch eine viel zu einfache Opposition. Fad'jal beschäftigt sich in einem viel umfassenderen Sinne mit dem Verhältnis von Tradition und Überlieferung zum historischen Prozess.
Im ersten Teil des Films - soweit man ihn überhaupt unterteilen kann in einzelne Abschnitte - geht es um die Verschränkung menschlicher, tierischer und organischer Genese, um die Art und Weise, wie Natur zu Kultur wird und wie diese in Natur zurückfließt. Allgegenwärtig sind Ackerbau und Viehzucht, die auch in der filmischen Bearbeitung in ihrer Doppelfunktion sichtbar werden: Sie ermöglichen den Lebensunterhalt in feindseliger Natur und arbeiten gleichzeitig die Natur um in kultivierten Lebensraum (immer wieder Bilder von Menschen, meistens von Frauen, die direkt auf die Erde, auf die Pflanzen einwirken, mit Stöcken, Sieben etc). Faye filmt dann eine Geburt, die gebärende Frau kniet, unterstützt von zwei weiteren Frauen, auf dem Boden, anschließend wird das Kind in die Dorfgemeinschaft aufgenommen, indem ein Baum gepflanzt wird (jeder hat wenn ich das richtig verstanden hat, einen solchen - als der alte Erzähler gefragt wird, wie alt er denn tatsächlich sei, verweist er auf seinen eigenen Baum; nicht auf den, an dem er lehnt, der ist noch einmal deutlich älter und bedeutet eher das Alter des gesamten Dorfes). Andere Ereignisse, die soziale Ordnung generieren, fließen eher nebenbei in den Film ein, aber ausgespart wird nichts: Schule, Brautwerbung, Heirat, Eheleben, Tod. Die kleinen Tiere laufen frei zwischen den Hütten, die großen werden beladen, beritten und geschlachtet.
Schon dieser Abschnitt des Films, der noch fast rein dokumentarisch erscheint, weigert sich, die einzelnen Beobachtungen und Sinnzusammenhänge eindeutig zu strukturieren und sei es nur als Bilder, die einer definierbaren Innen- bzw. Außenperspektive zuzuordnen wären. Bei der Geburtszene scheint Faye selbst, die sonst an intimen Bildern überhaupt kein Interesse hat, zu einer dritten Geburtshelferin werden zu wollen, aber es bleibt eine Distanz erhalten, die nicht einfach nur die ontologische des Kinodispositivs ist.
Diese reflektierte Ambivalenz der Perspektive verbindet Fad'jal mit Kaddu Beykat, dem der Nachfolger dann später noch ähnlicher wird, wenn fiktionale Momente auftauchen (freilich bleibt der Film, anders als der Vorgänger, primär weiterhin ein dokumentarischer). Genauer gesagt sind es gleich zwei unterschiedliche Dinge, die in den Film eindringen: Zum einen historische Fiktionen, die die halbmythologischen Erzählungen des Alten nachstellen, ohne dabei freilich jemals ganz bei der illusionären Methode des Spielfilms anzukommen; eher erinnert das an ein in dokumentarischer Diktion ausagiertes Laientheater: ein "König" reitet in bunten Kleidern und mit jämmerlicher Eskorte durch Totalen, die Welt um ihn herum ist ganz eindeutig die der Gegenwart, seine "Untertanen" sind Freunde, die das Spiel freudig mitspielen; nicht nur in diesen Sequenzen hat mich der Film an Michael Pilz' gleichfalls grandiosen Himmel und Erde erinnert, wo ein Schulkind einen Bleistift zur Pfeife umdeutet und den Opa mimt.
Zum anderen dringt der gesamtgesellschaftliche Wandel ein, der in diesem Film, der das Verhältnis von Natur und Kultur von Anfang an dynamisch denkt, ohnehin immer als Potential angelegt ist, der aber erst im zweiten Filmabschnitt eine Konkretion erfährt: Es gibt im Jahr 1977 eine Landreform (über die ich über google nichts gefunden habe), das Gemeindeland wird verstaatlicht und neu aufgeteilt, die Bauern widersetzen sich den neuen Grenzziehungen. Safi Faye Stimme taucht in dem Film, wenn ich das richtig mitbekommen habe, nur hier auf: sie erläutert kurz,in nüchtern-melancholischem Tonfall auf Kontinentalfranzösisch (die einzigen Sätze, die in Fad'jal überhaupt in dieser Sprache fallen) die Einzelheiten der Reform; Angesichts der historischen Umwälzung, die die vorher ausführlich beschriebenen Traditionszusammenhänge radikal in Frage stellt (eine der großen Leistungen dies Films ist es aber gerade, diese Zusammenhänge als immer schon brüchige offenzulegen) gelangt der Film an die Grenzen seiner eigenen Repräsentationslogik; zwangsläufig muss die Stimme aus dem Off, die Stimme aus der Fremde eingreifen. Der Film kann oder möchte noch keine Aussagen über die Folgen der Reform treffen, er endet im Zustand der existentiellen Unsicherheit.
Noch zu wenig ist hier im Grunde beschrieben, wie frei, wie wagemutig Fayes Film vorgeht; wie ambitioniert auch, selbst noch im Vergleich zum seinerseits grandiosen Vorgänger, der immerhin noch einen Protagonisten als Anker behält. Eine einmalige Sichtung ist für mehr nicht ausreichend (wo bleibt die Faye-Werksschau? Für mich ist sie nach zwei gesehenen Filmen mindestens so wichtig wie Sembene und Mambety). Es gibt zum Beispiel gegen Ende des Films eine Serie wunderschöner und ziemlich rätselhafter tracking shots, die den sonst ruhig beobachtenden Film dezentrieren. Und etwas früher im Film, alleine diese Szene zeigt Fayes Meisterschaft, eine wirklich unglaubliche Montagesequenz, die eine Schlachtung, ein soziales Ritual, rhythmisierte Trommelschläge, rhythmisiertes Lachen und Alltagsimpressionen in genuin unheimlicher Manier zusammenbringen.
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Friday, July 08, 2011
Friday, June 18, 2010
A Grande Arte, Walter Salles, 1991
Ein Film, der sich von Anfang an in der widersprüchlichen Konfiguration seines eigenen Blicks verfängt. Es beginnt mit einer Hitchcock-Allusion: Eine offensichtlich tote junge Frau liegt auf einem Bett, ihr Mörder, dessen Gesicht im Off bleibt, kniet über ihr und ritzt ihr den Buchstaben "P" in die Wange. Die Kamera entfernt sich dann von der Szene, entschwindet aus dem Fenster und öffnet sich für eine Panoramaaufnahme Rio de Janeiros. Dann ein Voice Over: "All my life my eyes have searched for somethin... different." Dann blickt die Kamera auf eine Hausfront, die das gesamte Frame einnimmt und in deren Mitte sich ein Fenster befindet, aus dem eine Frau fast direkt in die Linse blickt. Die Hausfront kollabiert und damit die gesamte Einstellung, erst nach ein paar Sekunden kommt der Abrissbagger als Ursache dieser totalen Disruption ins Bild. Dann folgen Großaufnahmen der Frau, die zu schwarz-weiß-Fotografien einfrieren. Es geht dann noch ein paar Minuten so weiter: die sekundäre Kamera friert die Bilder der primären ein und die Stilisierung der sekundären Bilder verweist vor allem darauf, dass bereits die ersten hochgradig stilisiert sind. Mit dem entfremdeten Blick über den entfremdeten Blick hinaus will A grande arte von der ersten bis zur letzten Minute. Die Form, die Walter Salles wählt, ist die des pulpigen, leicht angetrashten Thrillers, eine Form, die immer eher ein Bild zuviel, als eines zuwenig auswählt, der ich aber eben dafür fast nie ernsthaft böse sein kann.





Bereits Salles' erster Langfilm entstand mit amerikanischem Geld und man hat doch bisweilen das Gefühl, als habe Salles das Projekt nicht immer voll unter Kontrolle gehabt. Der Hollywood-Schauspieler Peter Coyote (unter anderem bekannt aus E.T.) übernimmt die Hauptrolle. Coyote spielt den amerikanischen Fotografen Peter Mandrake, der in Brasilien lebt und dem seine von ihm als distanzierend erlebte Profession nicht mehr ausreicht, der sich danach sehnt, direkteren Kontakt mit der sozialen Realität seiner Wahlheimat aufzunehmen. Der Film beginnt mit Beschreibungen seines Arbeitsalltags. Er lernt dann eine Prostituierte kennen, mit der er nicht nur flirtet, um der wenig entspannten Beziehung zu einer Archäologin wenigstens gedanklich zu entkommen, sondern weil schon dieser Flirt ihn ein wenig von der Position hinter der Kamera befreit und ein kleiner Einbrauch des Realen ist. Die Prostituierte wird ermordet und Coyote beginnt, Unterricht im Messerkampf zu nehmen, weil klar: Pistole wäre eine Fortsetzung der Kamera und ein weiteres Instrument der Distanzierung, wohingegen Mann gegen Mann, Messer gegen Messer, das ist was anderes. Natürlich ist das alles etwas albern, erst recht, wenn der Plot seinen Lauf nimmt und Mandrake zwischen die Fronten eines Drogenkriegs gerät, der von Halunken bestritten wird, die aussehen, als seien sie einem James Bond-Film der Siebziger entsprungen.
Alles etwas platt also, aber sehr interessant dennoch, vor allem aufgrund der Hauptfigur. Der Film erinnert in vieler Hinsicht an Oliver Stones Salvador, der ebenfalls alles zugleich will: Geopolitik, Liebesgeschichte, Paranoiathrills, Genredynamik. Nicht nur in seiner Ausgangssituation: Der Reporter / Bildproduzent als bürgerliche Monade, die versucht, sich selbst zu überschreiten, hin auf ihr postkoloniales Anderes und die dabei von Anfang an alles falsch macht. Er partizipiert auch an den ideologischen blinden Flecken des Sandinisten-Reißers, über die ich hier geschrieben habe - obwohl Salles mit ziemlicher Sicherheit wenn zwar nicht unbedingt ein dynamischerer, aber doch sicher ein klügerer Regisseur als Stone ist. Sicher ist es so, dass auch A grande arte ein etwas aus dem Ruder gelaufener Versuch ist, sich aus dezidiert liberaler Perspektive einen Reim auf die Weltverhältnisse zu machen. Aber wo James Woods' Richard Boyle von allem etwas zu viel ist (zu viril, zu agil, zu artikuliert), ist Peter Coyotes Mandrake von allem zu wenig und pflegt anfangs ein ironisches Verhältnis zur Welt. Mandrake gerät in die Räuberpistole nicht aus Übermut und Tatendrang, sondern aufgrund der Leere in ihm und in seinem Leben. Fast wirkt der gesamte Plot, der sich nach den bildreflexiven ersten zehn Minuten entspinnt, wie eine bloße Projektion auf diese Leere. Das heißt aber auch: Die Sprecherposition des Films selbst ist sich ihrer Sache weit weniger gewiss, als man zu Beginn annehmen konnte. Salles erzählt nicht aus einer Position der Stärke heraus, sondern aus einer der von Innen ausgehöhlten Dominanz. Am Ende greift Mandrake wieder zur Kamera. Es steht zu bezweifeln, dass er der Wirklichkeit näher gerückt ist während seiner ganz persönlichen pulp fiction. Und der Film? Der hat von Anfang an den Umweg durchs Dickicht des Popkulturellen gewählt. Und er ist nicht schlecht damit gefahren.





Bereits Salles' erster Langfilm entstand mit amerikanischem Geld und man hat doch bisweilen das Gefühl, als habe Salles das Projekt nicht immer voll unter Kontrolle gehabt. Der Hollywood-Schauspieler Peter Coyote (unter anderem bekannt aus E.T.) übernimmt die Hauptrolle. Coyote spielt den amerikanischen Fotografen Peter Mandrake, der in Brasilien lebt und dem seine von ihm als distanzierend erlebte Profession nicht mehr ausreicht, der sich danach sehnt, direkteren Kontakt mit der sozialen Realität seiner Wahlheimat aufzunehmen. Der Film beginnt mit Beschreibungen seines Arbeitsalltags. Er lernt dann eine Prostituierte kennen, mit der er nicht nur flirtet, um der wenig entspannten Beziehung zu einer Archäologin wenigstens gedanklich zu entkommen, sondern weil schon dieser Flirt ihn ein wenig von der Position hinter der Kamera befreit und ein kleiner Einbrauch des Realen ist. Die Prostituierte wird ermordet und Coyote beginnt, Unterricht im Messerkampf zu nehmen, weil klar: Pistole wäre eine Fortsetzung der Kamera und ein weiteres Instrument der Distanzierung, wohingegen Mann gegen Mann, Messer gegen Messer, das ist was anderes. Natürlich ist das alles etwas albern, erst recht, wenn der Plot seinen Lauf nimmt und Mandrake zwischen die Fronten eines Drogenkriegs gerät, der von Halunken bestritten wird, die aussehen, als seien sie einem James Bond-Film der Siebziger entsprungen.
Alles etwas platt also, aber sehr interessant dennoch, vor allem aufgrund der Hauptfigur. Der Film erinnert in vieler Hinsicht an Oliver Stones Salvador, der ebenfalls alles zugleich will: Geopolitik, Liebesgeschichte, Paranoiathrills, Genredynamik. Nicht nur in seiner Ausgangssituation: Der Reporter / Bildproduzent als bürgerliche Monade, die versucht, sich selbst zu überschreiten, hin auf ihr postkoloniales Anderes und die dabei von Anfang an alles falsch macht. Er partizipiert auch an den ideologischen blinden Flecken des Sandinisten-Reißers, über die ich hier geschrieben habe - obwohl Salles mit ziemlicher Sicherheit wenn zwar nicht unbedingt ein dynamischerer, aber doch sicher ein klügerer Regisseur als Stone ist. Sicher ist es so, dass auch A grande arte ein etwas aus dem Ruder gelaufener Versuch ist, sich aus dezidiert liberaler Perspektive einen Reim auf die Weltverhältnisse zu machen. Aber wo James Woods' Richard Boyle von allem etwas zu viel ist (zu viril, zu agil, zu artikuliert), ist Peter Coyotes Mandrake von allem zu wenig und pflegt anfangs ein ironisches Verhältnis zur Welt. Mandrake gerät in die Räuberpistole nicht aus Übermut und Tatendrang, sondern aufgrund der Leere in ihm und in seinem Leben. Fast wirkt der gesamte Plot, der sich nach den bildreflexiven ersten zehn Minuten entspinnt, wie eine bloße Projektion auf diese Leere. Das heißt aber auch: Die Sprecherposition des Films selbst ist sich ihrer Sache weit weniger gewiss, als man zu Beginn annehmen konnte. Salles erzählt nicht aus einer Position der Stärke heraus, sondern aus einer der von Innen ausgehöhlten Dominanz. Am Ende greift Mandrake wieder zur Kamera. Es steht zu bezweifeln, dass er der Wirklichkeit näher gerückt ist während seiner ganz persönlichen pulp fiction. Und der Film? Der hat von Anfang an den Umweg durchs Dickicht des Popkulturellen gewählt. Und er ist nicht schlecht damit gefahren.
Tuesday, January 26, 2010
Bahag Kings, Khavn, 2006 / 2008
In meiner kleinen Reihe mit Filmen, die komplett auf Youtube verfügbar sind: Bahag Kings, eines von zehn Werken, das der philippinische ganz-Vielfilmer Khavn 2008 seiner beachtlichen Filmografie hinzugefügt hat. Zehn sind es auch nur laut imdb. Man kann davon ausgehen, dass noch einmal so viele existieren, aber noch nicht gelistet sind. Hier ist die umfangreichste Filmografie, die ich auftreiben konnte, man darf davon ausgehen, dass selbst da das eine oder andere noch fehlt. Verwirrt wird die Sache noch einmal dadurch, dass die verlinkte Seite den Film auf 2006 datiert. Natürlich ist das Nebensache, wichtig ist der Film selbst, eine kleine performative Post-Punk Extravaganz, die mir sehr gefallen hat.
Die "Bahag Kings" sind eine Handvoll Männer, einer unter ihnen Khavn selbst, ein zweiter der Experimentalfilmer Roxlee, die nur mit einem Bahag bekleidet sind, dem minimalistischen Lendenschurz philippinischer Ureinwohner. Die Bahag Kings sind auf der Suche nach "Wala". "Wala" bedeutet auch "Nothing", darauf weisen die ein wenig godardesk anmutenden, aber weitaus poppiger geratenen Zwischentitel gleich mehrmals hin. Vielleicht ist "Wala" in einer Toilette versteckt, vielleicht auch nicht.
Die ersten zwei Drittel des Films bestehen aus einer Reihe längerer Szenen, in denen die Bahag Kings an verschiedenen öffentlichen Orten abhängen und Schabernack treiben: auf einer Wiese, in einem Schuhgeschäft, auf einer Promenade usw. Die Zwischentitel sorgen für Verwirrung: Im zweiten Ausschnitt etwa reisen die Bahag Kings laut Schrifteinblendung um die halbe Welt, bleiben aber dennoch immer auf demselben Schutthaufen zwischen zwei Häusern in einer philippinischen Großstadt. Ein anderer Zwischentitel lautet: "Throw Your Amputated Arms in the Air!" Zwischen den einzelnen Schauplätzen sieht man die Kings in einem SUV-artigen Fahrzeug, wie sie neuen Blödsinn aushecken. Perfekt abgestimmt ist der Film auf das Medium Youtube, da er sich sehr gut in fünf- bis siebenminütigen Segmente aufteilen lässt. Dazu beatlastige Musik und lange überhaupt keine Dialoge.
Wirklich interessant wird das Ganze im letzten Drittel: In einer Mall werden die Bahag Kings vom Security-Personal dingfest gemacht und verhört. Während des Verhörs bleibt die Kamera an. Natürlich ist es möglich, dass Khavn die entsprechenden Szenen mit Schauspielern nachgestellt hat, aber die entsprechenden Szenen sehen so echt aus, dass ich das kaum glauben kann. So oder so sind das tolle Bilder, die den vorherigen Film völlig aus den Angeln heben.
Die naheliegende politische Essenz des Ganzen - vormoderne philippinische Kleidung ist zwar kulturelles Erbe, aber in der modernen Großstadt eine Provokation, die das System nicht zulassen kann, ein Angriff der präkolonialen Vergangenheit auf die postkoloniale Gegenwart - ist in meinen Augen gar nicht so fürchterlich interessant, schließlich würden die Bahag Kings in einem Berliner Media Markt auch nicht viel freundlicher aufgenommen werden. Aber wie Polizisten und Vertreter der Ladenbesitzer das kommunizieren, wie sie angesichts der Asi-Avantgarde, mit der sie keine gemeinsame Sprache finden, aus dem Häußchen geraten und mit der Situation in jeder Hinsicht überfordert sind - das ist schon toll anzuschauen. Auf jeden Fall ist Bahag Kings ein sehr schönes Beispiel für die kreative Energie des neuen philippinischen Kinos. Eines Kinos, das sich manchmal - unter anderem hier - tatsächlich noch einmal ganz neu die Frage stellt, was man mit einer Kamera im sozialen Raum so alles anstellen kann. Hier Teil 1:
Die "Bahag Kings" sind eine Handvoll Männer, einer unter ihnen Khavn selbst, ein zweiter der Experimentalfilmer Roxlee, die nur mit einem Bahag bekleidet sind, dem minimalistischen Lendenschurz philippinischer Ureinwohner. Die Bahag Kings sind auf der Suche nach "Wala". "Wala" bedeutet auch "Nothing", darauf weisen die ein wenig godardesk anmutenden, aber weitaus poppiger geratenen Zwischentitel gleich mehrmals hin. Vielleicht ist "Wala" in einer Toilette versteckt, vielleicht auch nicht.
Die ersten zwei Drittel des Films bestehen aus einer Reihe längerer Szenen, in denen die Bahag Kings an verschiedenen öffentlichen Orten abhängen und Schabernack treiben: auf einer Wiese, in einem Schuhgeschäft, auf einer Promenade usw. Die Zwischentitel sorgen für Verwirrung: Im zweiten Ausschnitt etwa reisen die Bahag Kings laut Schrifteinblendung um die halbe Welt, bleiben aber dennoch immer auf demselben Schutthaufen zwischen zwei Häusern in einer philippinischen Großstadt. Ein anderer Zwischentitel lautet: "Throw Your Amputated Arms in the Air!" Zwischen den einzelnen Schauplätzen sieht man die Kings in einem SUV-artigen Fahrzeug, wie sie neuen Blödsinn aushecken. Perfekt abgestimmt ist der Film auf das Medium Youtube, da er sich sehr gut in fünf- bis siebenminütigen Segmente aufteilen lässt. Dazu beatlastige Musik und lange überhaupt keine Dialoge.
Wirklich interessant wird das Ganze im letzten Drittel: In einer Mall werden die Bahag Kings vom Security-Personal dingfest gemacht und verhört. Während des Verhörs bleibt die Kamera an. Natürlich ist es möglich, dass Khavn die entsprechenden Szenen mit Schauspielern nachgestellt hat, aber die entsprechenden Szenen sehen so echt aus, dass ich das kaum glauben kann. So oder so sind das tolle Bilder, die den vorherigen Film völlig aus den Angeln heben.
Die naheliegende politische Essenz des Ganzen - vormoderne philippinische Kleidung ist zwar kulturelles Erbe, aber in der modernen Großstadt eine Provokation, die das System nicht zulassen kann, ein Angriff der präkolonialen Vergangenheit auf die postkoloniale Gegenwart - ist in meinen Augen gar nicht so fürchterlich interessant, schließlich würden die Bahag Kings in einem Berliner Media Markt auch nicht viel freundlicher aufgenommen werden. Aber wie Polizisten und Vertreter der Ladenbesitzer das kommunizieren, wie sie angesichts der Asi-Avantgarde, mit der sie keine gemeinsame Sprache finden, aus dem Häußchen geraten und mit der Situation in jeder Hinsicht überfordert sind - das ist schon toll anzuschauen. Auf jeden Fall ist Bahag Kings ein sehr schönes Beispiel für die kreative Energie des neuen philippinischen Kinos. Eines Kinos, das sich manchmal - unter anderem hier - tatsächlich noch einmal ganz neu die Frage stellt, was man mit einer Kamera im sozialen Raum so alles anstellen kann. Hier Teil 1:
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Tuesday, May 12, 2009
Kaddu beykat / Lettre paysanne, Safi Faye, 1975
Am Anfang steht Safi Fayes Stimme. Sie spricht über ihre Familie. Gleichzeitig kennzeichnet die Regisseurin ihren Film als einen Brief. Ob es sich um einen Brief nach Afrika oder einen aus Afrika handelt, bleibt bis zum Schluss offen. Wichtiger ist das Faktum der Differenz, die der Brief durchmisst, die vom Absender zum Empfänger, eine Differenz, die dem Abstand der Regisseurin zu ihrem Sujet zumindest teilweise entspricht. Safi Faye ist in einem Dorf in Dakar aufgewachsen, später aber studierte sie, nachdem sie in den Sechziger Jahren die Bekanntschaft Jean Rouchs gemacht hatte, in Paris. Im Anschluss an das Studium entsteht ihr erster Langfilm. Ihr Blick auf das ländliche Afrika kommt gleichzeitig von aussen und von innen. Die Bilder sind manchmal gleichzeitig, manchmal abwechselnd analytisch, persönlich und dokumentarisch. Kaddu beykat zählt zu den interessantesten afrikanischen Filmen, die ich kenne.
Es dauert eine ganze Weile nach dieser Stimme, bis sich das, was als die Story gelten kann, formiert hat. Auch dann bleibt diese Story rudimentär und so oder so ähnlich ist sie im afrikanischen Film der Zeit allgegenwärtig: In einem afrikanischen Dorf sucht der junge Ngor eine Frau. Die Eltern des Mädchens, das ihm versprochen wurde, sind plötzlich von der Heirat nicht mehr überzeugt. Daraufhin macht er sich auf in die Stadt und verdingt sich als Hausangestellter und Tagelöhner.
Doch am Anfang bleibt der Film im Dorf. Faye richtet ihre Kamera auf das Dorfleben und vor allem immer wieder auf die Feldarbeit. Zunächst folgt der Film dem Verlauf eines Tages. Dem Aufwachen, den Mahlzeiten, den verschiedenen Handgriffe der Frauen wie der Männer. Langsam entwickeln sich Wiederholungsstrukturen und ganz nebenbei führt Faye Ngor und seine Versprochene Columba ein. Anschließend folgt der Film dem Verlauf eines Jahres, von der Aussaat bis zur Ernte.
In das dichte Netz aus quasidokumentarischen Beobachtungen (meist ist die Kamera recht weit entfernt von den Figuren) dringen wenige eindeutig inszenierte Momente ein. Eine Einstellung gleich zweimal: Columba tritt im Vordergrund ins Bild, stellt sich an ein Gatter und blickt Ngor nach. Die Grundstruktur des Films würde ich dann folgendermaßen beschreiben: Die Alltagsbeobachtungen, die Bewegungen und Handlungen der Dorfbewohner (später der Städter) bilden das Gerüst des Films, in dieses Gerüst eingetragen werden dann andere Momente, die weder untereinander, noch mit diesem Gerüst zwingend verbunden sind: die Erzählung um Ngor etwa oder politische Diskurse (siehe unten), aber auch spielerische Aneignungen etwa in Form eines Szene, in der Kinder einen Steuereintreiber mimen.
In wieweit der quasidokumentarische Blick ein ethnografischer ist und in welcher Hinsicht sich dieser eventuell ethnografische Blick von anderen ethnografischen Modi unterscheidet, ist nicht leicht zu entscheiden, erst recht nicht für mich, der ich mich im ethnografischen Film kaum auskenne. Dass es einen Unterschied gibt (und zwar einen entscheidenden), dafür spricht nicht zuletzt Fayes Stimme, die sich nach dem Beginn zwar selten, aber wenn doch, dann stets eindrücklich zu Wort meldet. Diese Stimme überträgt die Bilder in persönlichere, autobiografischere Kategorien (einer der Schauspieler ist, das erklärt die Stimme ganz am Ende, Fayes Vater, der sein ganzes Leben in dem porträtierten Dorf verbracht hat) und leitet gleichzeitg über zum politischen Gehalt des Films.
Der politische Diskurs des Films hat einen genau definierbaren Ort: den Dorfplatz im Schatten eines alten Baumes. Hier treffen sich die Dorfältesten und besprechen die Probleme der Gemeinschaft. Die Dorfbewohner (und der Film) kritisieren die von der senegalesischen Regierung verordneten cash crops, die die traditionelle Subsistenzwirtschaft ersetzt haben und die Böden zerstören. Außerdem geht es noch um Maschinen, die der Staat den Bauern leiht, aber was in dieser Hinsicht das Problem ist, habe ich nicht genau verstanden.
Der Senegal, die Heimat Ousmane Sembenes und Djibril Diop Mambetys, kann als das Mutterland des schwarzafrikanischen Kinos gelten. Safi Fayes Position innerhalb dieser Kinematografie unterscheidet sich deutlich von der ihrer berühmteren Landsleute, insbesondere von der Semebenes, dessen Position bisweilen fast in eins gesetzt wird mit der des gesamten afrikanischen Films. Fayes Film geht nicht mehr davon aus, dass der Film aus sich selbst heraus, in didaktischer Manier, Gesellschaft erklären und verändern kann. Die politischen Thesen von Kaddu beykat gehen nicht organisch aus der Handlung oder den Bildern hervor, sie kommen von aussen, teilweise ganz emphatisch in Form von Fayes Stimme. Der Dorfplatz in Kaddu beykat ist nicht wie bei Sembene ein Ort des Diskurses, an dem die Gesellschaft über sich selbst nachdenkt. Die Männer, die bei Faye unter dem Baum sitzen, sprechen zwar nach- aber nicht miteinander, sie blicken sich nicht an und da die Kamera weit entfernt ist, kann man oft noch nicht einmal den Sprechenden ausmachen.
Es gibt am Ende eine Entwicklung, die dieser Darstellung auf den ersten Blick widerspricht. Als Ngor aus der Stadt zurück kehrt, möchte er das Dorf reformieren und agitiert gegen cash crops, außerdem organisiert er den Dorfplatz neu, die Männer sitzen jetzt im Kreis und tatsächlich entsteht so etwas ähnliches wie eine Diskussion. Freilich bleibt nicht nur offen, wohin dieser Wandel das Dorf führen wird, es ist außerdem auch nicht nachvollziehbar, woher er kommt. Weder ist Ngor der erste Dorfbewohner, der die Stadt kennengelernt hat (ein anderer erzählt sogar von Europareisen), noch hat er in dieser Stadt etwas erlebt, was sein Verhalten erklären könnte (ganz im Gegenteil hat er dort eine Niederlage nach der anderen hinnehmen müssen). Der letzte Filmabschnitt ist nicht, wie er das bei Sembene wäre, Teil und vorläufiges Ziel einer Dialektik, sondern lediglich eine weitere Befragung des vorhandenen Materials, ein neuer Versuch. Fayes Film gibt keine Antworten, er stellt sehr vorsichtig Fragen und unternimmt immer neue Versuche. Zurück bleiben nur Bewegungen und Handlungen und ganz zum Schluss bleibt nur Fayes Stimme und eine Fotografie ihres Vaters.
Es dauert eine ganze Weile nach dieser Stimme, bis sich das, was als die Story gelten kann, formiert hat. Auch dann bleibt diese Story rudimentär und so oder so ähnlich ist sie im afrikanischen Film der Zeit allgegenwärtig: In einem afrikanischen Dorf sucht der junge Ngor eine Frau. Die Eltern des Mädchens, das ihm versprochen wurde, sind plötzlich von der Heirat nicht mehr überzeugt. Daraufhin macht er sich auf in die Stadt und verdingt sich als Hausangestellter und Tagelöhner.
Doch am Anfang bleibt der Film im Dorf. Faye richtet ihre Kamera auf das Dorfleben und vor allem immer wieder auf die Feldarbeit. Zunächst folgt der Film dem Verlauf eines Tages. Dem Aufwachen, den Mahlzeiten, den verschiedenen Handgriffe der Frauen wie der Männer. Langsam entwickeln sich Wiederholungsstrukturen und ganz nebenbei führt Faye Ngor und seine Versprochene Columba ein. Anschließend folgt der Film dem Verlauf eines Jahres, von der Aussaat bis zur Ernte.
In das dichte Netz aus quasidokumentarischen Beobachtungen (meist ist die Kamera recht weit entfernt von den Figuren) dringen wenige eindeutig inszenierte Momente ein. Eine Einstellung gleich zweimal: Columba tritt im Vordergrund ins Bild, stellt sich an ein Gatter und blickt Ngor nach. Die Grundstruktur des Films würde ich dann folgendermaßen beschreiben: Die Alltagsbeobachtungen, die Bewegungen und Handlungen der Dorfbewohner (später der Städter) bilden das Gerüst des Films, in dieses Gerüst eingetragen werden dann andere Momente, die weder untereinander, noch mit diesem Gerüst zwingend verbunden sind: die Erzählung um Ngor etwa oder politische Diskurse (siehe unten), aber auch spielerische Aneignungen etwa in Form eines Szene, in der Kinder einen Steuereintreiber mimen.
In wieweit der quasidokumentarische Blick ein ethnografischer ist und in welcher Hinsicht sich dieser eventuell ethnografische Blick von anderen ethnografischen Modi unterscheidet, ist nicht leicht zu entscheiden, erst recht nicht für mich, der ich mich im ethnografischen Film kaum auskenne. Dass es einen Unterschied gibt (und zwar einen entscheidenden), dafür spricht nicht zuletzt Fayes Stimme, die sich nach dem Beginn zwar selten, aber wenn doch, dann stets eindrücklich zu Wort meldet. Diese Stimme überträgt die Bilder in persönlichere, autobiografischere Kategorien (einer der Schauspieler ist, das erklärt die Stimme ganz am Ende, Fayes Vater, der sein ganzes Leben in dem porträtierten Dorf verbracht hat) und leitet gleichzeitg über zum politischen Gehalt des Films.
Der politische Diskurs des Films hat einen genau definierbaren Ort: den Dorfplatz im Schatten eines alten Baumes. Hier treffen sich die Dorfältesten und besprechen die Probleme der Gemeinschaft. Die Dorfbewohner (und der Film) kritisieren die von der senegalesischen Regierung verordneten cash crops, die die traditionelle Subsistenzwirtschaft ersetzt haben und die Böden zerstören. Außerdem geht es noch um Maschinen, die der Staat den Bauern leiht, aber was in dieser Hinsicht das Problem ist, habe ich nicht genau verstanden.
Der Senegal, die Heimat Ousmane Sembenes und Djibril Diop Mambetys, kann als das Mutterland des schwarzafrikanischen Kinos gelten. Safi Fayes Position innerhalb dieser Kinematografie unterscheidet sich deutlich von der ihrer berühmteren Landsleute, insbesondere von der Semebenes, dessen Position bisweilen fast in eins gesetzt wird mit der des gesamten afrikanischen Films. Fayes Film geht nicht mehr davon aus, dass der Film aus sich selbst heraus, in didaktischer Manier, Gesellschaft erklären und verändern kann. Die politischen Thesen von Kaddu beykat gehen nicht organisch aus der Handlung oder den Bildern hervor, sie kommen von aussen, teilweise ganz emphatisch in Form von Fayes Stimme. Der Dorfplatz in Kaddu beykat ist nicht wie bei Sembene ein Ort des Diskurses, an dem die Gesellschaft über sich selbst nachdenkt. Die Männer, die bei Faye unter dem Baum sitzen, sprechen zwar nach- aber nicht miteinander, sie blicken sich nicht an und da die Kamera weit entfernt ist, kann man oft noch nicht einmal den Sprechenden ausmachen.
Es gibt am Ende eine Entwicklung, die dieser Darstellung auf den ersten Blick widerspricht. Als Ngor aus der Stadt zurück kehrt, möchte er das Dorf reformieren und agitiert gegen cash crops, außerdem organisiert er den Dorfplatz neu, die Männer sitzen jetzt im Kreis und tatsächlich entsteht so etwas ähnliches wie eine Diskussion. Freilich bleibt nicht nur offen, wohin dieser Wandel das Dorf führen wird, es ist außerdem auch nicht nachvollziehbar, woher er kommt. Weder ist Ngor der erste Dorfbewohner, der die Stadt kennengelernt hat (ein anderer erzählt sogar von Europareisen), noch hat er in dieser Stadt etwas erlebt, was sein Verhalten erklären könnte (ganz im Gegenteil hat er dort eine Niederlage nach der anderen hinnehmen müssen). Der letzte Filmabschnitt ist nicht, wie er das bei Sembene wäre, Teil und vorläufiges Ziel einer Dialektik, sondern lediglich eine weitere Befragung des vorhandenen Materials, ein neuer Versuch. Fayes Film gibt keine Antworten, er stellt sehr vorsichtig Fragen und unternimmt immer neue Versuche. Zurück bleiben nur Bewegungen und Handlungen und ganz zum Schluss bleibt nur Fayes Stimme und eine Fotografie ihres Vaters.
Monday, October 06, 2008
Oumarou Ganda: Zwei Filme
Le wazzou polygame, 1971
Cabascabo, 1969
In beiden Fällen hat ein Heimkehrer schuld: Der muslimische Geistliche, der von der Wallfahrt nach Mekka zurückkehrt, nimmt einem armen Dorfbewohner in Le wazzou polygame die Braut weg und macht sie zu seiner Nebenfrau. In Cabascabo kehrt ein Veteran des Indochinakrieges mit zahlreichen Schätzen beladen in die Heimatstadt zurück und wird von allen hemmungslos abgezogen, solange, bis ihm nichts mehr übrig bleibt als die Rückkehr aufs Land, die Spitzhacke in der Hand.
Mit zwei weit entfernten Orte, mit Mekka und mit Indochina, werden die Gemeinschaften konfrontiert, in beiden Fällen geht das schief. Doch es geht schief auf jeweils sehr unterschiedliche Art und Weise.
In Le wazzou polygame wird das Problem ausgelöst durch den Heimkehrer, in Cabascabo durch die zuhause gebliebenen. Was nicht heißen soll, das jeweils eine Partie Schuld trägt und die andere nicht. Alles personalisierbare ist den Filmen fremd. Der Wazzou des ersten Films kehrt in eine noch größtenteils kohärent funktionierende Dorfgemeinschaft zurück, die sich freilich nicht zuletzt über Aussschließungsmechanismen definiert. Die Rückkehr löst eine fast mechanische Kettenreaktion aus, an deren Ende sowohl der Nebenbuhler als auch die Braut aus der Dorfgemeinschaft ausgestoßen werden. Gandas Film bezieht die Brautwerbung, die Hochzeit und deren Nachbeben konsequent auf die Dorfgemeinschaft als Ganzes. Verhandlungen, Klatsch und Zeremonien stehen im Mittelpunkt (einmal wird eine Gruppe spielender Kinder gezeigt, die sich darauf vorbereitet, sozialer Akteur in gruppenbasierten Prozessen zu werden). Charakterdrama findet nicht statt, die nominellen Hauptfiguren sind oft genug gar nicht im Bild anwesend. Die entschiedenden Informationen werden in genau einer Einstellung vermittelt, Schuss / Gegenschuss setzt Ganda nur in äußerst wenigen Szenen ein und wenn doch, dann in solchen, die die Hilflosigkeit der Liebenden in den Mittelpunkt stellen.
Le wazzou polygame zeigt die Dorfgemeinschaft als organisches, deshalb aber noch lange nicht gesundes, System. Ein faules Element genügt, um zwei gesunde Elemente zu verderben. Zur Frage der Religion verhält sich Ganda dabei weniger aggressiv als Sembenes Ceddo. Der afrikanische Islam ist nicht mehr aus dem System herauszupräparieren und stellt deshalb auch nicht dessen Schwachstelle dar. Die religiös verbrämte Polygamie fügt sich harmonisch in andere, nichtislamische UNterdrückungs- und Machtmechanismen ein.
Fluchtpunkt ist nicht, wie in Cabascabo, das Land, sondern die Stadt. Die Disco, in der sich die enttäuschte Braut schließlich prostituieren muss, stellt eine neue, chaotische räumliche Ordnung dar, deren Hierarchien weit weniger historisch sind.
Cabascabo ist auf den ersten Blick deutlich personalisierter, die Hauptfigur, der Kriegsheimkehrer, steht in fast allenm Szenen im Mittelpunkt. Freilich spielt der Film auch nicht auf dem Land, sondern in der Stadt. Hier richten sich die Gruppierungen nicht an Traditionen, sondern an Besitzverhältnissen aus. Und um den vermögenden Heimkehrer bildet sich automatisch eine Menschentraube. Freilich geht es dem Film nicht, wie amerikanischen oder europäischen Kriegsheimkehrerfilmen, um Traumabewältigung. Der Heimkehrer scheitert nicht an seinen Psychosen, sondern an der realen Gier seiner Landsleute sowie am Fehlen jedes Auffangnetzes vor der Spitzhacke. Aus der Stadt wird er nicht herausgedrängt aus einer bestehenden Struktur, weil seine Planstelle von einem anderen besetzt wird wie es den Hauptfiguren in Le wazzou polygame in dem Dorf ergeht, er fällt einfach durch eine amorphe Sozialstruktur hindurch, von oben nach unten.
Cabascabo, 1969
In beiden Fällen hat ein Heimkehrer schuld: Der muslimische Geistliche, der von der Wallfahrt nach Mekka zurückkehrt, nimmt einem armen Dorfbewohner in Le wazzou polygame die Braut weg und macht sie zu seiner Nebenfrau. In Cabascabo kehrt ein Veteran des Indochinakrieges mit zahlreichen Schätzen beladen in die Heimatstadt zurück und wird von allen hemmungslos abgezogen, solange, bis ihm nichts mehr übrig bleibt als die Rückkehr aufs Land, die Spitzhacke in der Hand.
Mit zwei weit entfernten Orte, mit Mekka und mit Indochina, werden die Gemeinschaften konfrontiert, in beiden Fällen geht das schief. Doch es geht schief auf jeweils sehr unterschiedliche Art und Weise.
In Le wazzou polygame wird das Problem ausgelöst durch den Heimkehrer, in Cabascabo durch die zuhause gebliebenen. Was nicht heißen soll, das jeweils eine Partie Schuld trägt und die andere nicht. Alles personalisierbare ist den Filmen fremd. Der Wazzou des ersten Films kehrt in eine noch größtenteils kohärent funktionierende Dorfgemeinschaft zurück, die sich freilich nicht zuletzt über Aussschließungsmechanismen definiert. Die Rückkehr löst eine fast mechanische Kettenreaktion aus, an deren Ende sowohl der Nebenbuhler als auch die Braut aus der Dorfgemeinschaft ausgestoßen werden. Gandas Film bezieht die Brautwerbung, die Hochzeit und deren Nachbeben konsequent auf die Dorfgemeinschaft als Ganzes. Verhandlungen, Klatsch und Zeremonien stehen im Mittelpunkt (einmal wird eine Gruppe spielender Kinder gezeigt, die sich darauf vorbereitet, sozialer Akteur in gruppenbasierten Prozessen zu werden). Charakterdrama findet nicht statt, die nominellen Hauptfiguren sind oft genug gar nicht im Bild anwesend. Die entschiedenden Informationen werden in genau einer Einstellung vermittelt, Schuss / Gegenschuss setzt Ganda nur in äußerst wenigen Szenen ein und wenn doch, dann in solchen, die die Hilflosigkeit der Liebenden in den Mittelpunkt stellen.
Le wazzou polygame zeigt die Dorfgemeinschaft als organisches, deshalb aber noch lange nicht gesundes, System. Ein faules Element genügt, um zwei gesunde Elemente zu verderben. Zur Frage der Religion verhält sich Ganda dabei weniger aggressiv als Sembenes Ceddo. Der afrikanische Islam ist nicht mehr aus dem System herauszupräparieren und stellt deshalb auch nicht dessen Schwachstelle dar. Die religiös verbrämte Polygamie fügt sich harmonisch in andere, nichtislamische UNterdrückungs- und Machtmechanismen ein.
Fluchtpunkt ist nicht, wie in Cabascabo, das Land, sondern die Stadt. Die Disco, in der sich die enttäuschte Braut schließlich prostituieren muss, stellt eine neue, chaotische räumliche Ordnung dar, deren Hierarchien weit weniger historisch sind.
Cabascabo ist auf den ersten Blick deutlich personalisierter, die Hauptfigur, der Kriegsheimkehrer, steht in fast allenm Szenen im Mittelpunkt. Freilich spielt der Film auch nicht auf dem Land, sondern in der Stadt. Hier richten sich die Gruppierungen nicht an Traditionen, sondern an Besitzverhältnissen aus. Und um den vermögenden Heimkehrer bildet sich automatisch eine Menschentraube. Freilich geht es dem Film nicht, wie amerikanischen oder europäischen Kriegsheimkehrerfilmen, um Traumabewältigung. Der Heimkehrer scheitert nicht an seinen Psychosen, sondern an der realen Gier seiner Landsleute sowie am Fehlen jedes Auffangnetzes vor der Spitzhacke. Aus der Stadt wird er nicht herausgedrängt aus einer bestehenden Struktur, weil seine Planstelle von einem anderen besetzt wird wie es den Hauptfiguren in Le wazzou polygame in dem Dorf ergeht, er fällt einfach durch eine amorphe Sozialstruktur hindurch, von oben nach unten.
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Thursday, March 13, 2008
Daratt, Mahamat-Saleh Haroun, 2006
Eine Sisyphos-Miniatur als Allegorie in der Allegorie: Eine Frau trägt einen Frücchtekorb auf dem Kopf. Eine Fraucht fällt und im selben, Moment, in dem sie sie zurücklegt, fällt die nächste. So geht das eine Weile, bis Atim ihr zur Hilfe eilt. Gefilmt in einer kontinuierlichen Einstellung mit mittlerem Abstand, die Seitenstreben des Bäckerstandes, in dem Atim arbeitet, begrenzen auch das Bild. Die lakonische Genauigkeit dieser Vignette prägt den gesamten Film.
Die Allegorie hat mindestens zwei Ebenen: Die lokale und die nationale. Der Tschad in Daratt ist genug Tschad um lokal anschlussfähig zu sein, aber nicht so sehr und ausschließlich Tschad, als dass er nicht auch pars pro toto für andere afrikanische Staaten stehen könnte. Aber die Fähigkeit zur ehrlichen Abstrahierung gewinnt der Film aus seinem Bewußtsein fürs lokale Detail.
Abstrahiert wird dennoch: Der Bürgerkrieg ist ein abstrakter und immer schon vorbei, die Leichen sind schon abgeräumt, am Schlachtfeld bedrückt nicht das Gräuel sondern die Leere. Es kann dann auch nicht darum gehen, Leichen auszugraben, sondern nur darum, neue Formen des sozialen Miteinanders der Leere entgegen zu setzen.
Atim tötet Nassara, den Mörder seines Vaters nicht. Nicht ganz unschuldig daran ist Aicha, Nassaras junge Frau. Eitelkeit besiegt Mordlust: In Atims Hand ist nur Platz für entweder Pistole oder Deodorant. Genauer als in nicht nur dieser Szene kann politisches Kino kaum sein.
Lokal geht es um Versöhnung, national um postkoloniale, marktkapitalistische Unterdrückung. Obwohl Atim und Nassarat zusammenarbeiten und gemeinsam Brot backen, kann die Konkurrenz billiger produzieren. Produziert hat Daratt unter anderen Abderrahmane Sissako, mit dessen melancholisch-politischer Ästhetik Harouns Film viel gemein hat.
Die Allegorie hat mindestens zwei Ebenen: Die lokale und die nationale. Der Tschad in Daratt ist genug Tschad um lokal anschlussfähig zu sein, aber nicht so sehr und ausschließlich Tschad, als dass er nicht auch pars pro toto für andere afrikanische Staaten stehen könnte. Aber die Fähigkeit zur ehrlichen Abstrahierung gewinnt der Film aus seinem Bewußtsein fürs lokale Detail.
Abstrahiert wird dennoch: Der Bürgerkrieg ist ein abstrakter und immer schon vorbei, die Leichen sind schon abgeräumt, am Schlachtfeld bedrückt nicht das Gräuel sondern die Leere. Es kann dann auch nicht darum gehen, Leichen auszugraben, sondern nur darum, neue Formen des sozialen Miteinanders der Leere entgegen zu setzen.
Atim tötet Nassara, den Mörder seines Vaters nicht. Nicht ganz unschuldig daran ist Aicha, Nassaras junge Frau. Eitelkeit besiegt Mordlust: In Atims Hand ist nur Platz für entweder Pistole oder Deodorant. Genauer als in nicht nur dieser Szene kann politisches Kino kaum sein.
Lokal geht es um Versöhnung, national um postkoloniale, marktkapitalistische Unterdrückung. Obwohl Atim und Nassarat zusammenarbeiten und gemeinsam Brot backen, kann die Konkurrenz billiger produzieren. Produziert hat Daratt unter anderen Abderrahmane Sissako, mit dessen melancholisch-politischer Ästhetik Harouns Film viel gemein hat.
Sunday, January 20, 2008
Berlinale 2008: Notizen
Invisible City, Tan Pin Pin, 2007
Grandmother's Flower, Mun Jeong-hyun, 2007
Asyl (Park and Love Hotel), Kumasaka Izuru, 2007
Versuche, die Vergangenheit in Bildern wiederzufinden, sind stets in gewissem Sinne zum Scheitern verurteilt. Schließlich enthalten die Bilder selbst keine Vergangenheit, sondern sind nur fruchtbar zu machen, wenn sie in Diskurse eingebettet werden. Und das Verhältnis zwischen Diskurs und Bild ist immer ein problematisches. Eine harmonische Einheit von (Vergangenheits-)Bild und Diskurs kann es nicht geben und wenn Filme diese dennoch zu erreichen suchen, ist Vorsicht geboten. So kann es einem Dokumentarfilm nur darum gehen, intertessante Formen des Scheiterns zu finden. Koloniale Vergangenheiten haben das zusätzliche Problem, dass die Bilder immer jemand anderem gehören und doch über die eigenen Vorfahren zu sprechen scheinen.
In Invisible City gehören die Bilder einem alten Engländer, der sich weigert, dieselben einem Archiv zur Verfügung zu stellen. Statt Teil der Geschichte Singapurs zu werden, sollen sie seinen Kindern als finanzielle Absicherung dienen. Eine von mehreren eindrücklichen Begegnungen: Der am Rande der Demenz immer noch höchst vitale Immernoch-irgendwie-Kolonisatort schwafelt von allem möglichem und entwickelt währenddessen sogar eine Art von Medientheorie: "I want to unload my brain into this machine". Zwischen meterhohen Stapeln veralteter Filmtechnologie stolpert er herum und durchforstet sein Archiv, das zweifellos viele Schätze birgt. Sein neuester Plan: Das Filmmaterial (größtenteils dokumentarische Aufnahmen aus dem Südostasien der Fünfziger und Sechziger) vertonen und zwar mit Hilfe eines frei assoziierenden Voice-Over Kommentars. Wenn daraus mal was wird, möchte ich das nur allzu gerne sehen.
Auch sonst trifft man in Invisible City zwischen Bildfragmenten jeder Art auf absonderliche Gestalten: Einen dandyhaften Archäologen beispielsweise, der Colaflaschen ausbuddelt, oder eine uralte Britin, die nach der Unabhängikeit Singapurs nicht nach Europa zurückgekehrt ist und nun aussieht wie das buchstäbliche Gespenst des Kolonialismus'.
Besonders die Verbindung von Bildproduzenten und Bildfragmenten fasziniert an Invisible City. Etwas weniger sinnvoll scheinen mir die (glücklicherweise nicht allzu häufigen) Attacken auf das eigene Filmmaterial, die Tan Pin Pin selbst vornimmt. Schließlich besteht doch ein Unterschied zwischen dem Verfall von Bildern im Verlauf der Geschichte durch Geschichte und dem Eingriff des modernistischen Künstlersubjekts.
Auch Grandmother's Flower geht auf Spurensuche in der Vergangenheit und hat mit der mangelnden Sichtbarkeit derselben zu kämpfen. Mun Jeong-hyun wählt den Weg der bedingungslosen Personalisierung (bzw Familiarisierung) und Sentimentalisierung. Das geht erwartungsgemäß schief. Dabei macht auch Grandmother's Flower anfang einige interessante Bekanntschaften: Alternde Einwohner zweier durch eine Klassenschranke getrennter südkoreanischer Dörfer, die sich im Koreakrieg in unterschiedlichen politischen Lagern wiederfanden: Die Bourgeoisie im einen Dorf hielt zur Linken, die Arbeiterklasse im andern zur Rechten. Die Fronten sind heute, mehr als 50 Jahre später, immer noch dieselben. Zumindest unter den Rentnern. Ebenfalls wie in Invisible City zeigt der Film hier unter anderem Ex-Kommunisten beim Singen alter Kampfeslieder.
Bald jedoch wird klar, dass Mun Jeong-hyun die Schrecken der Vergangenheit nur beschwört, um sie in der Gegenwart wieder zu versöhnen. Die zähe Familiengeschichte, die sich um diese Versuche entspannt wird durch die Animationseinlagen, die die fehlenden Vergangenheitsbilder ersetzen sollen, nur noch rührseliger.
---
Asyl (Park and Love Hotel) dagegen ist ein Spielfilm. Der Macht des Fiktiven gibt er sich dennoch nur sehr bedingt hin. Soll heißen: Es passiert nicht viel in diesem Debutfilm, dem man die Tatsache, dass er ein Debutfilm ist, schon von weitem ansieht. Manchmal nett anzusehen sind die Versuche, motivische Kohärenz zu etablieren, allerdings leiden diese stets darunter, dass von narrativer Stringenz oder auch nur irgendeinem Projekt weit und breit keine Spur ist. Wahrscheinlich möchte Asyl (Park and Love Hotel) ein Film über alternative Lebensformen in einer konformistischen Gesellschaft sein. Den utopischen Ort jenseits sozialer Klassifizerung bildet eine Dachterrasse voller lärmender Menschen, die putzige Dinge tun. Das ist denn doch etwas wenig. Im Grunde weiß nur die zweite Episode um die Konfrontation einer Hausfrau mit der außerhausfräulichen Wirklichkeit etwas zu erzählen, ansonsten verabschiedet sich das Anliegen des Films mitsamt seiner formalen Spielereien geradewegs in Richtung Nirwana.
Grandmother's Flower, Mun Jeong-hyun, 2007
Asyl (Park and Love Hotel), Kumasaka Izuru, 2007
Versuche, die Vergangenheit in Bildern wiederzufinden, sind stets in gewissem Sinne zum Scheitern verurteilt. Schließlich enthalten die Bilder selbst keine Vergangenheit, sondern sind nur fruchtbar zu machen, wenn sie in Diskurse eingebettet werden. Und das Verhältnis zwischen Diskurs und Bild ist immer ein problematisches. Eine harmonische Einheit von (Vergangenheits-)Bild und Diskurs kann es nicht geben und wenn Filme diese dennoch zu erreichen suchen, ist Vorsicht geboten. So kann es einem Dokumentarfilm nur darum gehen, intertessante Formen des Scheiterns zu finden. Koloniale Vergangenheiten haben das zusätzliche Problem, dass die Bilder immer jemand anderem gehören und doch über die eigenen Vorfahren zu sprechen scheinen.
In Invisible City gehören die Bilder einem alten Engländer, der sich weigert, dieselben einem Archiv zur Verfügung zu stellen. Statt Teil der Geschichte Singapurs zu werden, sollen sie seinen Kindern als finanzielle Absicherung dienen. Eine von mehreren eindrücklichen Begegnungen: Der am Rande der Demenz immer noch höchst vitale Immernoch-irgendwie-Kolonisatort schwafelt von allem möglichem und entwickelt währenddessen sogar eine Art von Medientheorie: "I want to unload my brain into this machine". Zwischen meterhohen Stapeln veralteter Filmtechnologie stolpert er herum und durchforstet sein Archiv, das zweifellos viele Schätze birgt. Sein neuester Plan: Das Filmmaterial (größtenteils dokumentarische Aufnahmen aus dem Südostasien der Fünfziger und Sechziger) vertonen und zwar mit Hilfe eines frei assoziierenden Voice-Over Kommentars. Wenn daraus mal was wird, möchte ich das nur allzu gerne sehen.
Auch sonst trifft man in Invisible City zwischen Bildfragmenten jeder Art auf absonderliche Gestalten: Einen dandyhaften Archäologen beispielsweise, der Colaflaschen ausbuddelt, oder eine uralte Britin, die nach der Unabhängikeit Singapurs nicht nach Europa zurückgekehrt ist und nun aussieht wie das buchstäbliche Gespenst des Kolonialismus'.
Besonders die Verbindung von Bildproduzenten und Bildfragmenten fasziniert an Invisible City. Etwas weniger sinnvoll scheinen mir die (glücklicherweise nicht allzu häufigen) Attacken auf das eigene Filmmaterial, die Tan Pin Pin selbst vornimmt. Schließlich besteht doch ein Unterschied zwischen dem Verfall von Bildern im Verlauf der Geschichte durch Geschichte und dem Eingriff des modernistischen Künstlersubjekts.
Auch Grandmother's Flower geht auf Spurensuche in der Vergangenheit und hat mit der mangelnden Sichtbarkeit derselben zu kämpfen. Mun Jeong-hyun wählt den Weg der bedingungslosen Personalisierung (bzw Familiarisierung) und Sentimentalisierung. Das geht erwartungsgemäß schief. Dabei macht auch Grandmother's Flower anfang einige interessante Bekanntschaften: Alternde Einwohner zweier durch eine Klassenschranke getrennter südkoreanischer Dörfer, die sich im Koreakrieg in unterschiedlichen politischen Lagern wiederfanden: Die Bourgeoisie im einen Dorf hielt zur Linken, die Arbeiterklasse im andern zur Rechten. Die Fronten sind heute, mehr als 50 Jahre später, immer noch dieselben. Zumindest unter den Rentnern. Ebenfalls wie in Invisible City zeigt der Film hier unter anderem Ex-Kommunisten beim Singen alter Kampfeslieder.
Bald jedoch wird klar, dass Mun Jeong-hyun die Schrecken der Vergangenheit nur beschwört, um sie in der Gegenwart wieder zu versöhnen. Die zähe Familiengeschichte, die sich um diese Versuche entspannt wird durch die Animationseinlagen, die die fehlenden Vergangenheitsbilder ersetzen sollen, nur noch rührseliger.
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Asyl (Park and Love Hotel) dagegen ist ein Spielfilm. Der Macht des Fiktiven gibt er sich dennoch nur sehr bedingt hin. Soll heißen: Es passiert nicht viel in diesem Debutfilm, dem man die Tatsache, dass er ein Debutfilm ist, schon von weitem ansieht. Manchmal nett anzusehen sind die Versuche, motivische Kohärenz zu etablieren, allerdings leiden diese stets darunter, dass von narrativer Stringenz oder auch nur irgendeinem Projekt weit und breit keine Spur ist. Wahrscheinlich möchte Asyl (Park and Love Hotel) ein Film über alternative Lebensformen in einer konformistischen Gesellschaft sein. Den utopischen Ort jenseits sozialer Klassifizerung bildet eine Dachterrasse voller lärmender Menschen, die putzige Dinge tun. Das ist denn doch etwas wenig. Im Grunde weiß nur die zweite Episode um die Konfrontation einer Hausfrau mit der außerhausfräulichen Wirklichkeit etwas zu erzählen, ansonsten verabschiedet sich das Anliegen des Films mitsamt seiner formalen Spielereien geradewegs in Richtung Nirwana.
Saturday, August 25, 2007
Blackwater Fever, Cyrus Frisch, 2006
Ein Mann fährt mit dem Auto durch eine recht kahle Ebene, irgendwo zwischen Steppe und Wüste, beziehungsweise Amerika (Wegweiser LA - Las Vegas) und Afrika (hungernde schwarze Kinder am Straßenrand), beziehungsweise Brown Bunny, Twentynine Palms, Vanishing Point und Hunter S. Thompson. Irgendwann sitzt eine Frau neben ihm, und noch später im Film machen die beiden ein bisschen miteinander rum, ohne dass dabei viel rauskäme oder auch nur ein Wort fällt.
Ein kleiner, vollkommen psychotischer, durch und durch narzisstischer Wüsten-Entfremdungs-Roadmovie ist Blackwater Fever. Wirklich neu oder originell ist wenig an dem Film, sicherlich nicht die neoexistentialistische Grundstimmung, die bereits im kurzen Monolog zu Filmbeginn etabliert wird (einige der wenigen Sätze, die in dem Film überhaupt fallen), genauso wenig die obsessive Auseinandersetzun mit einer kaputten männlichen Subjektivität, die sich hier unter anderem in blutigem Urin niederschlägt (beziehungsweise eben überhaupt in dem titelgebenden Blackwater Fever, das wohl eine Form der Malaria ist). Auch die Verbindung eben dieser kaputten Subjektivität mit (post)kolonialen Diskursen, wie sie vor allem in den letzten 10 Minuten versucht wird, wurde in Beau Travail bereits um einiges komplexer ausformuliert.
In mancher Hinsicht ist Blackwater Fever wohl nicht mehr als ein Kondensat aus einigen mehr oder weniger hippen Filmen der letzten Jahre.
Andererseits ist der Film bei weitem nicht ohne Reiz und in jedem Fall ein deutlich interessanteres Kondensat als beispielsweise Electroma. Denn Blackwater Fever interessiert sich letztlich nicht für Zitate und nimmt sich selbst von der ersten bis zur letzten Minute vollkommen ernst. Frisch scheint tatsächlich der Ansicht zu sein, dass es sich lohnt, mit dem Auto in die Wüste und nach Afrika zu fahren. Beziehungsweise einen Film darüber zu machen. Und zwar einen, der dann tatsächlich in Afrika spielt und am besten auch noch echte Hungernde als Schauspieler nutzt (warum das dann doch nicht ganz geklappt hat, kann man hier nachlesen). Blackwater Fever ist obsessives Kino, das durch seine pure Konsequenz überzeugt, beziehungsweise durch den in jedem Bild spürbaren Versuch, irgendwie den Fallen des Kino/Kunst/Festivalbetriebs zu entkommen, die noch jedes stilistische oder inhaltliche Experiment zur vermarkbaren Provokation zu degradieren im Stande sind. Leider und fast zwangsläufig gehen dabei die tatsächlichen Inhalte, die transportiert werden sollen,, tendenziell verloren, sei es durch ihre besonders kryptische Darstellung oder ganz im Gegenteil durch eine für ein "Plattheiten" und "plumpen Politparolen" grundsätzlich feindlich gegenüberstehendes bourgeoises Publikum nicht tragbare zu direkte Annäherung an dieselben. Auf Blackwater Fever trifft im Grunde beides zu und so nähert sich Frischs Werk konsequenterweise strukturell der Konzeptkunst an.
An meiner intuitiven Abneigung, mich tatsächlich mit den moralisch / politischen Fragestellungen auseinanderzusetzen, die der Frisch anbietet, ist der Film selbst wahrscheinlich gar nicht schuld. Blackwater Fever ist ein seltsamer Film, ein Film, dessen Reiz sich weniger aus seinen genuin filmästhetischen Merkmalen herleitet (obwohl er durchausgut aussieht, auf seine Weise und eine Art hypnotische Anti-Dynamik entwickelt, die mir sehr gefallen hat), sondern vielleicht eher aus der Spannung zwischen dem, was er sagen möchte und dem, was er als Off-Off-Kino, im Grunde abgeschnitten von noch fast jeder Form von Publikum, überhaupt sagen kann. Beziehungsweise besteht die Spannung vielleicht noch weiter außerhalb des Films selbst, nämlich in Verschränkungen von Geo- und Filmpolitik, die dafür sorgen, dass Filme, die tatschlich die Auseinandersetzung mit der post/neokolonialen Gegenwart suchen, in die Politfilmghettos peripherer Filmfestivals verbannt werden. Und vielleicht hängen diese Fragen dann doch wieder irgendwie mit Blackwater Fever selbst zusammen.
Ach... Wie gesagt ein seltsamer Film, aber irgendwie doch auch ein großartiger. Zumindest einer, über den man scheinbar nur sehr sonderbare Dinge schreiben kann. Ich ja auch, aber ein gewisser Paul Groot kann das noch viel besser. Mit dessen ausgezeichneter Filmlektüre als Begleitung macht der Streifen gleich doppelt so viel Freude. Check it out if you ever have the chance.
Ein kleiner, vollkommen psychotischer, durch und durch narzisstischer Wüsten-Entfremdungs-Roadmovie ist Blackwater Fever. Wirklich neu oder originell ist wenig an dem Film, sicherlich nicht die neoexistentialistische Grundstimmung, die bereits im kurzen Monolog zu Filmbeginn etabliert wird (einige der wenigen Sätze, die in dem Film überhaupt fallen), genauso wenig die obsessive Auseinandersetzun mit einer kaputten männlichen Subjektivität, die sich hier unter anderem in blutigem Urin niederschlägt (beziehungsweise eben überhaupt in dem titelgebenden Blackwater Fever, das wohl eine Form der Malaria ist). Auch die Verbindung eben dieser kaputten Subjektivität mit (post)kolonialen Diskursen, wie sie vor allem in den letzten 10 Minuten versucht wird, wurde in Beau Travail bereits um einiges komplexer ausformuliert.
In mancher Hinsicht ist Blackwater Fever wohl nicht mehr als ein Kondensat aus einigen mehr oder weniger hippen Filmen der letzten Jahre.
Andererseits ist der Film bei weitem nicht ohne Reiz und in jedem Fall ein deutlich interessanteres Kondensat als beispielsweise Electroma. Denn Blackwater Fever interessiert sich letztlich nicht für Zitate und nimmt sich selbst von der ersten bis zur letzten Minute vollkommen ernst. Frisch scheint tatsächlich der Ansicht zu sein, dass es sich lohnt, mit dem Auto in die Wüste und nach Afrika zu fahren. Beziehungsweise einen Film darüber zu machen. Und zwar einen, der dann tatsächlich in Afrika spielt und am besten auch noch echte Hungernde als Schauspieler nutzt (warum das dann doch nicht ganz geklappt hat, kann man hier nachlesen). Blackwater Fever ist obsessives Kino, das durch seine pure Konsequenz überzeugt, beziehungsweise durch den in jedem Bild spürbaren Versuch, irgendwie den Fallen des Kino/Kunst/Festivalbetriebs zu entkommen, die noch jedes stilistische oder inhaltliche Experiment zur vermarkbaren Provokation zu degradieren im Stande sind. Leider und fast zwangsläufig gehen dabei die tatsächlichen Inhalte, die transportiert werden sollen,, tendenziell verloren, sei es durch ihre besonders kryptische Darstellung oder ganz im Gegenteil durch eine für ein "Plattheiten" und "plumpen Politparolen" grundsätzlich feindlich gegenüberstehendes bourgeoises Publikum nicht tragbare zu direkte Annäherung an dieselben. Auf Blackwater Fever trifft im Grunde beides zu und so nähert sich Frischs Werk konsequenterweise strukturell der Konzeptkunst an.
An meiner intuitiven Abneigung, mich tatsächlich mit den moralisch / politischen Fragestellungen auseinanderzusetzen, die der Frisch anbietet, ist der Film selbst wahrscheinlich gar nicht schuld. Blackwater Fever ist ein seltsamer Film, ein Film, dessen Reiz sich weniger aus seinen genuin filmästhetischen Merkmalen herleitet (obwohl er durchausgut aussieht, auf seine Weise und eine Art hypnotische Anti-Dynamik entwickelt, die mir sehr gefallen hat), sondern vielleicht eher aus der Spannung zwischen dem, was er sagen möchte und dem, was er als Off-Off-Kino, im Grunde abgeschnitten von noch fast jeder Form von Publikum, überhaupt sagen kann. Beziehungsweise besteht die Spannung vielleicht noch weiter außerhalb des Films selbst, nämlich in Verschränkungen von Geo- und Filmpolitik, die dafür sorgen, dass Filme, die tatschlich die Auseinandersetzung mit der post/neokolonialen Gegenwart suchen, in die Politfilmghettos peripherer Filmfestivals verbannt werden. Und vielleicht hängen diese Fragen dann doch wieder irgendwie mit Blackwater Fever selbst zusammen.
Ach... Wie gesagt ein seltsamer Film, aber irgendwie doch auch ein großartiger. Zumindest einer, über den man scheinbar nur sehr sonderbare Dinge schreiben kann. Ich ja auch, aber ein gewisser Paul Groot kann das noch viel besser. Mit dessen ausgezeichneter Filmlektüre als Begleitung macht der Streifen gleich doppelt so viel Freude. Check it out if you ever have the chance.
Friday, January 26, 2007
Berlinale 2007: Le Cercle des noyés, Pierre-Yves Vandeweerd, 2006
Eine tiefe Stimme erzählt von Verhaftungen, Folterungen und Gefängnissen, die dafür ersonnen sind, Leben nicht nur zurechtzustutzen, sondern ganz auszulöschen. Dazu Bilder des heutigen Mauretanien in Schwarz-Weiss. Mehr Schwarz als Weiss. Schwarze Vögel vor weissem Himmel, weisse Glühwürmchen vor schwarzem Himmel, schwarze Schrift auf weissem Papier, schwarze Köpfe auf weissen Fotos. Dazu rauscht es auf der Tonspur und heisser Wind fegt über die Wüste. Bis auf die Fotos tauchen lange keine Gesichter auf. Irgendwann wird dann doch noch ein Wärter interviewt, davor eine verschleierte Frau. Ein Mann möchte, dass man seine Kamele filmt. Alles sehr düster. Das Gefängnis ist ein tiefschwarzer Kasten, irgendwo im Niemandsland, in der Wüste. Am Ende das Gesicht eines alten Mannes. Vielleicht hat ihm die Stimme gehört.
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