Filmfestivals sind immer beides: Exzesse des Sinnlichen und Diskursmaschinen. Einerseits schöpfen sie ihren Reiz daraus, dass man in einem engen Zeitraum sehr unterschiedliche Bilder und Töne entdecken kann, andererseits kann man kaum anders, als diesen Überschuss doch wieder begrifflich einzuhegen. Ein Beispiel: Bei den Filmen, die ich in Duisburg gesehen habe, sind mir zwei unterschiedliche Formen von Formatierung aufgefallen. Die eine arbeitet mit dramaturgischer Struktur und kontextuell-diskursiven Rahmungen, die andere mit fiktionalem, fantasmatischem Überschuss und immersiven, erfahrungsästhetischen Entrahmungen. Die eine verweist aufs Fernsehen, die andere aufs Kunstsystem (und das schlägt auch auf Filme durch, die nicht direkt an den einen der beiden Verwertungszusammenhänge gebunden sind).
Daraus ergeben sich eine Reihe von Fragen. Zum Beispiel die, ob es eine Essenz des Dokumentarischen hinter solchen Formatierungen überhaupt gibt. Oder ob das nicht nur eine idealistische Projektion ist, die übersieht, dass auch der “klassische Kinodokumentarfilm”, der in der Tat nicht allzu oft auftaucht im Duisburger Programm, immer schon formatiert war. Auf einer streng begrifflichen Ebene ist eh klar, dass selbst zB Wiseman-Filme formatiert sind. Vielleicht sogar gerade die; die Differenz ist eher, dass das dann in erster Linie eine auktoriale Formatierung ist, die sich direkt aus der Arbeitsmethode ergibt. Aber auch Wiseman ist umstellt von technologischen und filminstitutionellen Voraussetzungen, zu denen er sich nicht komplett autonom verhalten kann.
Ich frage mich außerdem, warum mich Formatierung bei Dokumentarfilmen mehr beschäftigt und auch mehr ärgert als bei Spielfilmen. Im fiktionalen Kino stören mich funktionale Bilder und erzählerische Allgemeinplätze für gewöhnlich nicht allzu sehr, und wenn andere Kritiker sich an solchen Rhetoriken stören, kommt mir das oft kleinlich vor (fast wie eine Form der absichtsvollen Blindheit; nicht, weil eine solche Kritik formalistisch wäre, sondern weil sie Form nur da erkennt, wo sie zum Klischee geronnen ist). Im Dokumentarischen ist das anders. Ich habe mich zum Beispiel in CHoisir à vingt ans (Regie: Villi Hermann), einem schweizerischen Film über franzöische Deserteure während des Algerienkriegs, regelrecht geärgert über einen wiederkehrenden Einstellungstyp: Die Kamera filmt, wieder und wieder, aus einem fahrenden Auto heraus, erst richtet sie den Blick nach vorne, auf die Straße, dann folgt ein Schwenk, auf die daneben ausgebreitete Landschaft. Die mechanistische Gleichheit dieser Einstellungen zeigt mir, dass es nicht um ein Interesse an der Welt außerhalb des Autos geht, sondern um das bloße Behaupten eines solchen Interesses.
Das kann auch einzelne Momente von Filmen betreffen, die mir ansonsten gefallen. Zum Beispiel habe ich mich gefragt, warum Flavio Marchettis Tiere und andere Menschen, eine rührende, klug gefilmte Studie über den zwischen-geschöpflichen Alltag in einem wiener Tierheim, es nötig hat, seine geduldig beobachteten Miniaturen in eine konventionell-dramaturgische Klammer einzufassen: Es beginnt mit der Ankunft eines Tieres im Käfig, es endet mit einer Auswilderung, oder zumindest mit dem Versuch einer Auswilderung - der Abspann beginnt, bevor zu sehen ist, ob dem Vogel den Abflug in die Freiheit auch tatsächlich gelingt. Das ist ein enttäuschend berechnender, manipulativer Abschluss für einen Film, dessen Struktur sonst eher von der Abfolge klug getimeter tierischer Attraktionen bestimmt wird (ein beständiger Strom an Hunden und Katzen als Grundtextur, die Einzelfallstudie zweier Affen als Leitmotiv, dazwischen als Stargäste: ein Schwan, ein Biber und so weiter).
Die Formatierung fürs Kunstsystem funktioniert anders, nicht über dramaturgische Formeln und Bildklischees, sondern über strategisch platzierte Diskurspartikel, wie etwa im ersten und letzten Drittel von Helena Wittmanns Drift. Wenn ich darauf nicht ganz so allergisch reagiere, dann vielleicht, weil Drift, oder auch Nicolaas Schmidts Final Stage ohnehin stärker fiktionalisiert sind. Dennoch verliert auch da der dokumentarische Kern durch seine Rahmungen an Evidenz. Möglcherweise hat mein Problem in allen Fällen damit zu tun, dass das Dokumnetarische auf jeweils unterschiedliche Weise funktionalisiert wird; und dass diese Funktionalisierung nicht mitreflektiert, nicht wieder ans Material zurückgebunden wird.
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