Sunday, May 26, 2024

Gumpe


Aus den nach Eingangsnummern sortierten, also inhaltlich bunt durchmischten Regalen des Freihandmagazins der Kölner Universitätsbibliothek möchte ich in Zukunft bei jedem Besuch ein Buch ziehen, nach dem ich nicht gesucht, sondern das mich gesucht hat. Kein reines Zufallsbuch, aber eines, das mir im Vorbeigehen, warum auch immer, in die Augen springt.

Das erste, das ich erwische, trägt den Titel "Die schwarze Gumpe", geschrieben wurde es von Ludwig Friedrich Barthel. Barthel war laut Wikipedia Romanautor, Essayist und Lyriker; und außerdem im Dritten Reich ein Systemschriftsteller, dem Nationalsozialismus wohl auch intellektuell zugetan, ganz sicher jedoch nach außen hin ein Mitglied des hitlertreuen literarischen Establishments. "Die schwarze Gumpe" nun ist ein Nachkriegswerk, tatsächlich sogar eine erst 2002 veröffentliche unvollendete Arbeit aus dem Nachlass.

"Die schwarze Gumpe" ist ein Buch, das einerseits als offensichtliche Bemühung gelesen werden kann, die eigene biografische Kontamination loszuwerden und sich, zumindest im Rahmen einer Fiktion, in die gängige Erzählung des "inneren Widerstandes" einzuschreiben; andererseits jedoch steht das Buch, und deshalb ist es interessant, zur Gänze im Schatten des Nationalsozialismus. Die "schwarze Gumpe" des Titels ist eine Freundesgruppe, bestehend aus Künstlern und Intellektuellen, die sich in der Nazizeit regelmäßig traf, um die gemeinsame Leidenschaft für die schönen Künste zu pflegen. Die Handlung setzt in der frühen Nachkriegszeit ein. Nacheinander drei Mitglieder der Gruppe rücken ins Zentrum der Aufmerksamkeit, als Bindeglied dient ein Verrat an der gemeinsamen Freundschaft während der NS-Zeit.

Barthel verhehlt keineswegs, dass er die Porträts dreier Mitläufer zeichnet. Auch seine Abscheu gegenüber den Nationalsozialisten nehme ich ihm ab; sie richtet sich freilich weniger wider Ideologie oder (politisches) Handeln des NS, denn wider dessen Habitus. Nur sehr nebenbei werden reale Opfer erwähnt, im Zentrum stehen die Verheerungen, die die Nazis in den Köpfen der widerwillig mitlaufenden angerichtet haben. Das moralisch zu kritisieren ist selbstverständlich ebenso wenig interessant wie der Abgleich der "schwarzen Gumpe" mit Barthels realem, gewissen Zeitströmungen gegenüber weit weniger distanzierten intellektuellem Umfeld. Dennoch erscheint es zumindest bemerkenswert, dass der Autor gleich drei verkappte Selbstporträts zu entwerfen scheint - als Opfer, als Kollaborateur, als naiver Mitläufer. Ebenfalls bemerkenswert, dass die letzte Option, verkörpert durch einen verblendeten, aber letztlich harmlosen Heimatdichter namens Michaelis, gleichzeitig die erbärmlichste und die eindringlichste Gestalt des Buches darstellt.

Mehr als die Plotkonstruktion fasziniert jedenfalls die obsessive Bezogenheit auf den Nationalsozialismus und darauf, was er mit den Menschen, die von ihm erfasst werden, macht. Die Nachkriegsjugend bleibt ebenso blass und in ihrer Beschreibung gängigen Klischees verpflichtet wie gelegentlich auftauchende Amerikaner; intensiv und detailversessen entwirft Bathel dagegen wieder und wieder, entlang diverser Haupt- und Nebenfiguren, Durchgänge durch Mitläuferschicksale diverser Art - es existiert im Buch kein Zugriff auf Geschichte jenseits des Biografischen; das Biografische selbst jedoch erscheint unerschöpflich, auch wenn der es akkumulierende Text letztlich auf der Stelle tritt, keinen Zentimeter vorwärts kommt in dem Morast, in den er sich selbst stellt.

Kann man das heute noch lesen? Offensichtlich ja, wobei dazu gesagt werden muss, dass es immer dann schlimm wird, wenn Barthel sich an Kunsterfahrungspathos versucht; und also versucht, eine Sphäre der reineren, unbefleckten Geistigkeit zu evozieren, über deren Unmöglichkeit das Buch sich an anderer Stelle durchaus bewusst zu sein scheint. Soziale Situationen und auch die Selbstrechtfertigungsmechanismen seiner Figuren bekommt diese drängende, auch sprachlich obsessive Prosa hingegen oft erstaunlich gut zu fassen.