Ob hier, hier, hier oder natürlich hier; das eigene Versprechen wird nicht eingehalten. 360°-View müsste doch eigentlich heißen: freie Bewegung um alle drei Achsen des Kartesischen Koordinatensystems. Wirklich frei drehbar ist die Kamera aber stets nur um die y-Achse. Auf der x-Achse ist immer nach 180° Schluss. Man stößt schnell auf die entsprechenden Bilder: die Kamera rastet auf dem Himmel, beziehungsweise auf einem nicht mehr näher differenzierten Untergrund ein. Ein Überschlag ist nicht möglich. Und zwar wohl vor allem deshalb, weil die Drehung um die z-Achse (die es unter anderem ermöglichen würde, ein auf dem Kopf stehendes Bild wieder umzudrehen) ganz untersagt ist.
Natürlich ist das ein Interfaceproblem: Der Bildschirm, auf der die Maus die Kamera steuert, hat nur zwei Dimensionen, deshalb lassen sich über die direkte Eingabe auch nur zwei Bewegungsdimensionen kontrollieren. Aber dies ist sicherlich kein Problem, das sich nicht lösen lassen könnte, wenn der Wille dazu vorhanden wäre; etwa durch eine Kombination der Maus mit den Steuerpfeilen der Tastatur.
Die Beschränkung scheint mir eher Ausdruck einer ärgerlichen anthropomorphen Tendenz dieser Bildpraxis zu sein. Die 360°-View-Technologie der Gegenwart strebt eben gerade nicht nach einer Vertov'schen Transzendierung der Beschränkungen menschlicher Wahrnehmungsfähigkeit, sondern ganz im Gegenteil nach deren bloßer Verdopplung. Anders ausgedrückt: Die körperliche Anwesenheit ist nicht mehr notwendig, ihre Bedingungen aber werden technisch nachgestellt. Der Überschlag auf der y-Achse entspräche entweder einer artistischen Körperdrehung, oder aber einem Unfall, deshalb darf es nicht mehr geben, als den Blick des in den Nacken geworfenen Kopfes. Die z-Achse des körpergebundenen Blicks wird meist im Moment eines entweder kontrollierten (liegen) oder unkontrollierten (Sturz) Kontrollverlusts gebeugt, selbst der schräg gestellte Kopf ist eher Geste als neue, andere Blickrichtung. Und ist vor allem: schief, falsch, ungesund. Ich sehe das ähnlich wie Simon Rothöhler und Ekkehard Knörer: Die 360°-Technologien bereiten einem touristisch-totalitären Blickregime den Weg, das auf totale visuelle Durchdringung bei gleichzeitiger eigener Unsichtbarkeit aus ist. Hinzufügen würde ich nur noch, dass den anthropomorphen Kameras von street view und Konsorten gleichzeitig eine Ideologie des aufrechten Gangs eingeschrieben ist.
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(Geerbt hat die 360°-Bildtechnologie ihre Beschränkung vermutlich vom Computerspiel, hauptsächlich vom Ego-Shooter. Auch da war die z-Achse, wenn ich mich richtig erinnere, lange kaum flexibel steuerbar, selbst dann noch, als die ersten Spiele mit 3-D-Engines auf dem Markt waren. Zumindest bei einigen dieser Spiele war die dritte Achse, auf die innerhalb der Spielwelt nicht zugegriffen werden konnte, sogar ganz eindeutig negativ kodiert: Der entkörperlichte Cybertod wurde nicht nur durch eine rötliche Einfärbung des Bildraums gekennzeichnet, sondern auch durch dessen Eindrehung um die z-Achse.)
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