Sunday, August 15, 2010

Was wir sehen, blickt mich an

Bei der WM war das sich selbst bejubelnde Publikum in fast jeder Fernsehübertragung zu beobachten. Auf der Piazza Grande in Locarno konnte ich genauer (teilnehmend) beobachten, was da im Einzelnen vor sich geht. Vor den Filmvorführungen richten die Veranstalter Kameras ins Publikum, die entstehenden Publikumsbilder werden live auf dieselbe Leinwand projiziert, auf der später der Film gezeigt wird. Natürlich ist das eine Anordnung, die mit dem klassischen Kinodispositiv und dessen Versprechen von Anonymität und Unsichtbarkeit nichts zu tun hat. Der einzige nicht verhandelbare Unterschied zwischen der Welt des Films und der des Zuschauers war einmal, dass letzterer in ersterer zwingend abwesend war. Damit ist Schluss in einer Zeit, in der, wohin man auch seine Augen lenkt, immer schon eine Kamera positioniert ist, die zurück blickt.
Es geht nicht einfach nur um die freudige Erwiderung des Blicks der Macht, der eine Gruppe von Individuen mithilfe des Frames in der Gruppe isoliert und aus ihr heraus hebt. Es gibt eine ganze Kette von Ereignissen, die sich in eine regelrechte Inszenierung fügen. Was dabei entsteht, ist eine neue Form von Masse, deren Genese nicht zu trennen ist von sich ständig wiederholenden Akten der lokalen Individualisierung:
-Suchender Kameraschwenk
-Isolierung von zwei, drei Zuschauern, die, das ist entscheidend, im Moment der Isolation NICHT auf die Leinwand blicken
-Fremderkennung, aufgeregte Zurufe und Hinweise durch die Sitznachbarn
-Freudige Selbsterkennung
-Sofortiges Bejubeln der Selbsterkennung durch das gesamte Publikum

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