Wednesday, October 27, 2010

Viennale 2010: Schmutziger Süden, Klaus Lemke, 2010

Das Gespräch nach dem Film war unerträglich. Tobias Kniebe als in sich hinein grinsender Stichwortgeber bringt die schlechtesten Aspekte seines Gegenübers zum Vorschein. Klaus Lemke macht natürlich nur allzu bereitwillig mit; wenn er sieht, dass Wenders-Bashing gut geht, schiebt er noch ein „Schrott, alles Schrott!“ nach. Die eigene Pose wird zum selbstgewählten Gefängnis. Ein Filmgespräch zum aus-trotz-Wim-Wenders-Fan werden. (Keine Angst, so weit wird es nicht kommen...)
Dabei wäre, unter anderen Umständen, nicht alles (im poetischen Sinne) falsch, was er sagt. Ich nehme ihm das, was er daüber erzählt, wie seine Filme entstehen, durchaus ab. Dass die Filme sehr direkt Begegnungen mit erstens einzelnen Menschen und zweitens bestimmten Städten entspringen: Das sieht man ihnen an. Dass Lemke dabei ohne Netz und doppelten Boden arbeitet, dass er sich Menschen und Orte aussucht, die ihn herausfordern, auch, weil sie das, was bei ihm selbst Pose ist, einfach nur sind: Das sieht man ebenfalls. Die Entscheidung Drehort Hamburg oder Drehort Berlin kann in so einem Kino tatsächlich zur existenziellen Frage werden. Und der endgültige, totale Formkollaps, der Schmutziger Süden ist, der wird dann erfühlbar als Folge einiger schiefgelaufener Begegnungen. Die falsche Stadt, die falschen Mädchen, auch der Hauptdarsteller kommt eigentlich aus Essen.
In Hamburg hatte Lemke vorher zwei großartige und auf ihre Weise sehr stringente Filme gedreht: zuerst das Melodram Finale (weg von der Fußball-WM, hin zur amour fou), dann den urbanen Thriller Dancing With Devils (aus dem Knast in den Tod). Der neue Film beginnt ebenfalls in Hamburg, als Kleinkriminellengeschichte, schon dort beginnt die Sache aus dem Ruder zu laufen. In München angekommen zerfällt der Film seinem Regisseur sichtbar unter den Fingern. Er hat das sicherlich bemerkt und sich dann entschlossen, doch weiter zu drehen. In Abwesenheit einer anderen Struktur strukturieren höchstens die verschiedenen Frauen. Vier, fünf, sechs Lemke-Mädchen (manche interessant, manche weniger, die mit den halblangen blonden Haaren aber möchte ich noch sehr gerne in anderen Lemke-Filmen sehen, weil sie mehr Widerstand leistet als die anderen) umschwärmen bald abwechselnd den neuen Helden, der wieder in einem seltsamen Spannungsverhältnis zu seinem Regisseur steht: Lemke investiert stets etwas zu viel in seine Männer, sie sind nicht einfach Stellvertreter, neurotische Projektionen sind sie natürlich schon, aber irgendwo scheinen die Filme trotzdem immer zu wissen (auch wenn Lemke selbst das vielleicht tatsächlich nicht mehr weiß), dass an dem unbedingten, in jeder Geste ausgestellten Vitalismus etwas faul sein muss, dass er (fürs Leben schon gleich gar nicht und auch) für den Film nur als ästhetischer Effekt taugt, der mit anderen Effekten und Affekten konfrontiert werden muss. Inkongruenzen, die im neuen Film tendenziell, aber doch nicht ganz, hinter grundlegenderen, offensichtlicheren Inkongruenzen verschwinden. Denn in Schmutziger Süden ist es vielleicht tatsächlich nur noch die Diskontinuität, der brutale Bruch, in dem dieses Wissen zu verorten ist.
Und toll ist das Titellied: „Overnight Slavery“.

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