Thursday, June 02, 2016

neue filmgeschichte

Christoph Hochhäusler schreibt auf facebook: "Wenn wir uns einig sind, dass die Filmgeschichte nicht aus "Wellen", "Schulen" und "Meisterwerken" besteht, sondern eine viel verwickeltere Sache ist, ja sich in der Unordnung vielfältiger Berührungen ihr eigentlicher Reichtum zeigt, bliebe die Frage, mit welchen Mitteln wir sie am besten erfahren, erforschen, beschreiben sollen."

mein erster impuls: gibt es doch alles schon, schwelgerische cinephilie kennt keine grenzen. "die collagen von rainer knepperges auf der einen, umfangreiche historische detailuntersuchung / liebhaberprojekte (zum beispiel zu shapiro glickenhaus entertainment) auf der anderen seite. das reicht vermutlich nicht, ist aber ein guter ausgangspunkt, finde ich."

aber es reicht eben tatsächlich nicht, und das nicht reichen erlebe ich selbst als krise in meiner beschäftigung mit dem kino (und auch mit anderen dingen manchmal). vielleicht fehlt ja eher als eine neue filmgeschichte, denke ich mir, eine neue politische theorie des kinos, bzw eine, auf die sich zumindest ein paar leute einigen können - oder die zumindest von genügend leuten wahrgenommen wird; wenn ich mir zum beispiel godards "histoire(s)" ansehe ist sofort klar, dass es ein solches denken über film nicht mehr gibt, jedenfalls nicht mehr an halbwegs exponierter stelle. die "histoire(s)" entstammen freilich noch dem zeitalter der wellen, schulen und meisterwerke, und schleppen auch sonst einigen ideologischen ballast mit sich herum. gibt es heute irgendeine möglichkeit, so etwas zu aktualisieren / entstalinisieren?

3 comments:

Short Cut said...

Schwierig. Besonders hierzulande, wo die Filmgeschichte, im Gegensatz zu anderen Kultur Bereichen, eh zweit-drittrangig behandelt wird.

Aber es ist vielleicht auch tatsächlich ein internationales Thema. Einen interessanten Ansatz finde ich da die über 10stündige BBC Doku "Story of Film" von Mark Cousins, der sich zwar auch an der klassischen Herangehensweise orientiert, sie aber aufbricht und von Beginn sagt, dass die bisherige Filmgeschichte im Grunde faschistisch ist, da sie bislang die Hälfte der Welt ausgespart hat und kanonisch sich auf das europäische und nord-amerikanische Kino vertieft hat. Natürlich ist auch "diese" Filmgeschichte subjektiv gefärbt aber dennoch interessant, genauso wie ich die von Dir Lukas, erstellten Jahreslisten enorm bereichernd finde, da sie auch erfrischend, kanonische Strukturen aufbrechen.

Gruß aus Hannover,
Jörn aka Short Cut.

orcival said...

Ich denke manchmal es bräuchte bei uns allen, die wir uns mit Film/Kino rumschlagen, mehr Größenwahn. Das Problem bei den Godards waren ja nicht die Setzungen, sondern einerseits die geringen Kenntnisse für bestimmte Bereiche/Regionen, denen aber dennoch ein globaler Anspruch des eigenen WIssens übergeholfen wurde; andererseits die Intransparenz der Kriterien. (Und als drittes vielleicht die Blindheit für die Bedrohungen, die das Trägermaterial mit sich bringt, weil das zu Zeiten der HISTOIRES schlicht zu natürlich schien, dass das Filmmaterial sein würde.)
Was folgt: Mehr Foren für den Streit um das politisch "richtige" im Film, mehr Sichtbarkeit für die Ergebnisse dieses Streits. Ob es dafür freilich ein Publikum gibt, weiß ich nicht. Auf deutsch jedenfalls eher nicht in ausreichender Größe.

Lukas Foerster said...

Ich finde das durchaus transparent bei Godard. Das ist, was die Auswahl der Filme und auch einige Gewichtungen angeht, eine Synthese französischer cinephiler Auseinandersetzungen der Fünfziger bis Neunziger Jahre, mit allen (zumindest sehr vielen unterschiedlichen: auteuristischen, regionalen, imperialistischen, antiimperialistischen usw) blinden Flecken, die das mit sich bringt. Für mich ist diese Tradition (und ihre Enstprechungen in den USA, auch in Deutschland und sicher in vielen anderen Ländern) auch trotz aller Probleme nach wie vor die interessanteste, reichhaltigste, komplexeste Auseinandersetzung mit Kino und Filmgeschichte, die ich kenne. Aber heute ist sie eben auf hoffnungslos verlorenem Posten, da hilft alles nichts. Es gibt kaum noch Kanäle für die Sprache, die sie spricht.