Tuesday, September 26, 2017

Die Fahrt nach Kairo, Renate Sami, 1990

Die Kamera ist auf einem Auto montiert, das vom antiken Memphis aus in Richtung der Innenstadt Kairos fährt. Die Kamera ist für die Umgebung sichtbar positioniert, gelegentlich winken Leute ihr zu, ein Mann, der auf dem Beifahrersitz eines hinter der Kamera herfahrenden Wagens sitzt, schlägt scherzhaft die Hände vor dem Gesicht zusammen. Die Kamera blickt also nicht voraus, sondern zurück, und ist auch nicht "geradeaus rückwärts" positioniert, sondern so, dass sie schräg den Rand der Straße filmt. Der Effekt ist einerseits, dass die Dinge, Menschen, Häuser, Autos nicht langsam auftauchen, sondern plötzlich, nicht klein, sondern groß, dass sie den Film nicht als zu entschlüsselnde Potentiale betreten, sondern dass der Film ihnen für einen Moment seine volle Aufmerksamkeit schenkt, wie als wären sie Darsteller auf einer Theaterbühne. Andererseits gibt es durch die Schrägstellung den Effekt, dass die meisten dieser Menschen und Dinge den Film auch wieder relativ schnell verlassen, dass sie also nicht "am Horizont verschwinden", sondern aus dem Bild gedrängt werden. (Genauer gesagt: sie wandern im Bild von links nach rechts, erst sehr schnell, dann zunehmend langsamer; aber die Bewegung endet nicht in einem Nullpunkt, sondern führt, zumindest in der Tendenz, aus dem Bild hinaus.) Nur einige prominente, hoch aufragende Gebäude verwandeln sich für einige Zeit, vielleicht gar für einige Minuten, in Fixpunkte, erlangen einen temporären Ewigkeitswert und auch einen Charakter, werden zu Elementen einer Dramaturgie.

Der Verkehr auf der Straße hinter der Kamera wiederum wird, durch die kleineren und größeren Fahrzeugbewegungen, in den Film abwechselnd hinein- und herausgeklappt. Es gibt, wenn der Film den Stadtkern Kairos erreicht, eine Verschiebung der Aufmerksamkeit: weg von der Umgebung jenseits der Straße, hin zur Straße, zum Verkehr, der nun öfter ein- als ausgeklappt ist und andere, erratischere Bewegungsvektoren in den Film einschreibt. Weil die anderen Autos sich ebenfalls bewegen. Über die Dauer der stets mehrere Minuten lang ungeschnittenen (und erstaunlich bildstabilen) Einstellungen ergibt sich ein neuer Blick auf den Verkehr, der sichtbar wird als etwas Monströses, als etwas, das zwar von Menschen hervorgebracht wird, aber das Maß des Menschlichen übersteigt, als ein Energiestrom, der die Erde in seine Gewalt gebracht hat und sie (natürlich auch, vor allem sogar: zum Glück) nicht mehr loslässt. Bei Wong Kar-Wai und Anderen gibt es gelegentlich diese bunt glitzernden Zeitrafferbilder eines zumeist nachts abgefilmten Straßenverkehrs. Das sind Bilder, die etwas Ähnliches zeigen wollen, die aber, vielleicht weil sie auf eine Position der nichtfließenden, fixierten Autorität verweisen, nur lächerlich wirken können, wenn man sie mit Renate Samis souverän dezentrierter Selbstpreisgabe an den Verkehrsstrom vergleicht.

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