Monday, October 20, 2025

Gegenwartsliteratur, ein Sample (16)

Bela B. Felsenheimer, Scharnow. Comfort food. Nicht nur, aber natürlich auch und besonders, weil gleich mehrere Joe-d'Amato-Filme auf VHS eine nicht unwichtige Rolle spielen im Plot. Erwartungen hatte ich keine großen nach den tristen Büchern von Felsenheimers Entertainmentbranchenkollegen Schamoni und Kamerun. Aber das hier ist wirklich ein völlig anderes Beast, eine enthusiastisch drauflos fantasierte Dunkeldeutschland-Provinzgrotestke, vielsträngig und höchstens pro forma linear, manche Handlungsstränge, zum Beispiel einer um eine Lovecraft-esques Terrorbuch, laufen mit voller Absicht ins Leere, die anderen ziehen sich ungefähr zur Halbzeit zu einer Klimax mit sanftem Tarantino-Einschlag zusammen, auf die im weiteren Verlauf keine zweite folgt. Stattdessen wird der Autor gegen Ende, meint man zu erfühlen, von einem geradezu rührenden Harmoniebedürfnis übermannt, Pärchen finden sich, Sexualitäten befreien sich, irgendwann wird sogar die siffigste Bude von allen gründlich ausgemistet. Elegant geschrieben ist das nicht immer, gelegentliche krumme Sätze würde ich aber eher dem mangelnden Lektorat anlasten, das vielleicht auch hier und da dem Autor einige weniger griffige Plotideen (ausgerechnet der fliegende Typ auf dem Cover ist leider so eine) hätte ausreden können. Aber genug gemäkelt, ein rundum schönes Buch ist das, ein Buch, mit dem man gerne befreundet wäre.

Kai Meyer, Der Schattenesser. Kein comfort food, eher eine überraschend reichhaltige Mahlzeit in einem abseits der üblichen Pfade gelegenen Restaurant; das ich auch weiterhin nicht allzu oft aufsuchen werde, fürchte ich - historical Fantasy ist schlicht nicht ganz mein Ding, auch bei Meyer fühlt sich manches, was an Realgeschichte in den Plot hinein ragt, nach halbverdauter Recherche an. Gut gefällt mir das world building hingegen, wo es kleine, eng am Figurenhandeln, insbesondere an physischen Bewegungsspielräumen entlang entworfene Modelle auf Größeres extrapoliert. Immer wieder turnen Leute seitenweise zwischen Balkengefügen und auf Dächern herum, und sonderbarerweise wird das nie langweilig. Ein immersives Action-Adventure-Game, das das routiniert-egale Melodram, in das es eingelassen ist, vergessen macht. Der Schattenesser ist eines der frühesten Meyer-Bücher, zum echten Vielschreiber scheint er erst danach avanciert zu sein. Vielleicht erstickt manches, was hier noch frisch und neugierig anmutet, schon wenig später in Routine.

Schwarzes Herz, Jasmina Kuhnke. Eine Überraschung, eine tour de force, eine Selbstzersplitterung, die gleichzeitig eine Aufwallung wie aus einem Guss ist - jedes der kurzen Kapitel setzt neu an, wie ein Atemholen, jedesmal eine frische, mit der Vorherigen nie direkt verbundene Perspektive auf allerdings stets dieselbe Misere. Wie als hätte die Erzählerin zwischendurch Fluchtversuche unternommen. Meileneit entfernt ist das jedenfalls von der juste-milieu-Slbstgerechtigkeit der Hotzheims, Safiers, Klings dieser Welt, durchaus auch von fein säuberlich ausgearbeiter, Bourdieu-geschulter from-rags-to-Kulturkritiker-Autofiktion. Gelegentlich ist es schon so, dass im ersten Satzteil eine schöne Beobachtung steht, oft mit poetischer Nonchalance einfach runtergeschrieben, und im zweiten eine blöde Hohlformel aus dem idpol-Baukasten (und auch hier wieder: kein gutes Redigat, wenn überhaupt eins). Aber dass beides so eng zusammensteht heißt eben auch, dass Kuhnke auf objektivierende Metasprache verzichtet. Kein souveräner Checkerblick aufs eigene Leben, vielmehr ein obsessiv-fiebriges Bohren in Wunden, das immer mal wieder fast ebenso obsessiv in self-help-Rhetorik umgebogen wird. Rassismus ist erst in zweiter Linie strukturell, in erster Linie ist es etwas, das die Erzählerin zwei Superarschlöchern (Schwiegervater und Ex) ausliefert, und der immer wieder gleichen, immer wieder gleich stumpfen Gewalt, die vor allem von einem der beiden ausgeht. Die Grenze zwischen Figur und Autorin: keine Spur davon im Buch zu finden, schlicht nicht von Interesse, was nicht heißt, dass es sie nicht gibt.

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