Wednesday, May 03, 2006

Xiao cheng zhi chun, Tian Zhuangzhuang, 2002

Man stelle sich einmal vor, Hollywood drehe ein Remake von Casablanca und heraus käme tatsächlich ein guter Film. Also einer ohne postmodernes Gewurste, blöde überstilisierte Noiroptik, ironische Humphrey-Bogart-Wannabes und idiotisches Rumgeflashe jeder Art. Und ohne Robbie Williams oder Gott weiss wer sonst als Sam. Unvorstellbar, natürlich, und dies liegt zugegebenermaßen nicht nur am großenteils erbärmlichen Zustand des gegenwärtigen Hollywoods, sondern auch an der popkulturellen Überformung die Casablanca hinter sich hat und die eine Annäherung an den Originalfilm nur über eine nicht ignorierbare Barriere aus kulturellen Konnotationen und Fußnoten jeder Art erlaubt.
So gesehen hatte es Tian Zhuangzhuang leichter. Zwar ist die Vorlage seines Films ein mindestens so perfektes Werk wie Casablanca, doch der kulturelle Einfluss des kleinen, aufs allernötigste reduzierte Melodram aus dem Jahr 1948 hat sich in den wirren der chinesischen Geschichte kaum in einer nennenswerten Legendenbildung niederschlagen können - zumindest soweit diese Beobachtung mir als very distant observer möglich ist.
Zhuangzhuang übernimmt zwar die Geschichte des Originals zu weiten Teilen, doch etabliert ein völlig anderes stilistisches Konzept, weit entfernt von den subjektivierenden Techniken des Originals. Die Kamera gleitet in lateralen Kamerafahrten an die Szenerie heran, mal schneller, meistens langsamer, doch wenn sie einmal die optimale Position erreicht hat, bindet sie sich an die Figuren, weicht keinen Millimeter mehr von diesen ab, bis ans Ende der Einstellung. Die lateralen Fahrten erschaffen einen plastischen und gleichzeitig höchst künstlichen Raum, der in mancher Hinsicht den Postkartenbildern Ozus gleicht, jedoch dennoch auf fast bizarre Art Tiefe vermittelt, eine Tiefenwirkung, wie man sie in 3D-Postkarten findet, fein säuberlich voneinander geschiedene, im Raum gestaffelte Sphären. Die Kamerafahrten sind nichts anderes als ein Nachvollziehen der Bewegung, die auch das Betrachten dieser Karten erfordert, um die Tiefenillusion zu erzeugen.
Unterschiedliche Schichten, die mehr mechanisch als organisch verbunden sind; Gefühle, die an Menschen haften wie Aufkleber; Menschen, die den Raum, der sie umgibt nicht beherrschen, sondern sich in ihn einschreiben, sich der spatialen Logik unterordnen.
Differenzen entstehen nicht durch Brüche im System, sondern durch Intensivierung. Die Kamera fährt immer noch in ruhigen, lateralen Fahrten im verwinkelten Bürgerhaus umher, allerdings ein wenig näher an den Figuren, die nun noch mechanischer erscheinen. Zwei, drei Einstellungen sind es nur in diesem Film, die das große Drama andeuten.
Am Ende verlässt der Störenfried, der wie der erste Dominostein der reihe das Drama in Gang brachte, die zurückbleibende Familie. Die Steine sind längst wieder aufgestellt. Die Frau sitzt vor dem Fenster und stickt, der Mann stutzt die neuen Triebe der Bäume. Der Frühlig ist vorbei, der Alltag kehrt wieder ein. Ganz leise hört man, wie der Zug mit dem Eindringling abfährt und langsam in die Ferne entschwindet.

No comments: