Sind Naruses ruhige, fast spartanische Nachkriegsfilme ein konzentriertes Destillat seines ungestümeren, experimentelleren Vorkriegswerkes, auf das Wesentliche reduziert und deshalb zielgenauer, präziser und wirkungsvoller? Oder sind sie im Gegenteil, wie Noell Burch meint, Zeugnis des Verfalls nicht nur eines Auteurs, sondern einer ganzen Filmnation (im Falle Ozus spricht Burch vom "kalten Akademismus" der Werke der 50er Jahre, was einige Zweifel daran weckt, ob er überhaupt die richtigen Filme gesehen hat...)?
Vielleicht ist es sinnvoller, anstatt über die Unterschiede zwischen den beiden Werkabschnitten zuerst über die Kontinuitäten nachzudenken. Zum Beispiel darüber, wie es Naruse sowohl im Früh- als auch im Spätwerk gelingt, seine oftmals äußerst eklektischen Drehbücher zu einem kohärenten Werk zusammenzufügen, das zwar gerade nicht einer Schließung im engeren Sinne zustrebt, aber doch stets ein Äquilibrium wahrt, welches dem Erzählmaterial eigentlich nicht zu eigen sein scheint. Denn auch wenn die Techniken, die der Regisseur verwendet, sehr unterschiedlich sind, so verweigern sich doch die spielerischen Montageexperimente (Schuss/Gegenschuss-Aufnahmen abwechselnd mit / ohne Achsensprung, rhythmische Cutaways während dramatischer Gespräche usw.) aus Tsuma yo bara no yo ni (1935) in ähnlicher Weise der im Drehbuch angelegten dramaturgischen Klimax des Melodrams wie die ausgedehnten Parallelmontagen, die weite Teile von Bangiku bestimmen und die leitmotivisch (wie in vielen Naruse-Filmen) von Sraßenbildern unterbrochen werden.
Bei näherem betrachten sind in der Tat die Unterschiede zwischen beiden Werksgruppen weit geringer, als man auf den ersten Blick annehmen möchte. Denn auch Bangiku (und in ähnlicher Weise Nagareru oder Yama no oto) besitzen in ihrem Drehbuch, auch wenn sie auf dramaturgische Kunstgriffe wie Rückblenden verzichten, die Anlage zu einem wilden, exzessiven Melodrama. Die Drehbücher sind alles andere als ökonomisch, führen wichtige Personen erstaunlich spät ein, geben andere scheinbar viel zu früh auf, wechseln in unabsehbaren Mustern Schauplätze, Handlungsstränge und Figurenkombinationen (in dieser Hinsicht unterscheiden die Werke sich deutlich von denen Ozus mit ihren standardisierten Setpieces, dem immer wiederkehrendem Personal und dem dezidiert antidramatischen Plotaufbau).
Dennoch verweigert sich alle Werke Naruses (in gewisser Weise sogar seine Stummfilme, obwohl deren Aufführungspraxis - und damit ein Großteil ihrer Wirkkraft zumindest hierzulande nicht nachstellbar ist) den emotionalen Mustern der jeweiligen Genre, in welchen sie sich befinden, gerade innerhalb ihrer Mikrostruktur. Naruses Filme scheinen mit breiteren, allgemeineren emotionalen Pattern zu arbeiten, die ganze Filmabschnitte mit sorgfältig augearbeiteten Stimmungen überziehen und die dadurch die dramaturgische Struktur jedes einzelnen Gesprächs unterlaufen. Vielleicht resultiert die Melancholie, die viele seiner Werke durchzieht, genau aus den zum Scheitern verurteilten Versuchen der Naruse-Figuren, sich gegen die Macht der Inszenierung zur Wehr zu setzen und auf den Wert ihres ganz persönlichen Schicksals zu pochen.
Eine wichtige Rolle scheint dabei die Musik zu spielen. Die Bilder werden in Bangiku in vielen Sequenzen von einfachen, ruhigen und unaufgeregten Melodien untermalt, die sich über mehrere Minuten auch nicht ein klein wenig ändern und sich nur in absoluten Ausnahmefällen den emotionalen Zuständen der Figuren anpassen (die einzige Ausnahme, die mir aufgefallen ist, war ein Geigeneinsatz kurz vor Schluss, während dem Gespräch der geizigen Geisha mit ihrem Ex). Als komplettes Gegenstück zum Mickey Mousing verbinden diese Klänge oft Unvereinbares, jedoch ohne sich selbst in den Vordergrund zu rücken (wie dies die ansonsten manchmal ähnlich funktionierenden neoromantischen Melodiebögen im zeitgenössischen Blockbusterkino zu tun pflegen). Einige Szenen werden gar nur von einem monotonen Stakkato unterlegt, ohne jede Melodie, ohne irgendeine Konnotation eines emotionalen Zustandes. Dieser ebenso auffällige wie unauffällige Soundtrack ebnet noch die disparatesten Momente des Films ein, überbrückt die Brüche zwischen einzelnen Handlungssträngen und entlastet ganz allgemein die Narration von ihrer Dringlichkeit, verschiebt sie bisweilen in den Hintergrund und verhindert dadurch auch deren Schließung.
Denn trotz aller leiser Melancholie ist Bangiku eigentlich kein depressiver Film. Auf den Zusammenbruch der Illusionen folgt eine Serie von Öffnungen, die den Film endgültig von der Narration entfernen und in ein ganz neues Reich zu führen scheinen. Öffnungen zuerst durch ein Fenster in den Regen der Stadt (die vielleicht schönste Szene eines großartigen Films), Öffnungen in das geschäftige Treiben der Fußgänger auf der Straße oder in Richtung des Horizonts durch die Bewegung eines abfahrenden Zuges.
Vielleicht ist es sinnvoller, anstatt über die Unterschiede zwischen den beiden Werkabschnitten zuerst über die Kontinuitäten nachzudenken. Zum Beispiel darüber, wie es Naruse sowohl im Früh- als auch im Spätwerk gelingt, seine oftmals äußerst eklektischen Drehbücher zu einem kohärenten Werk zusammenzufügen, das zwar gerade nicht einer Schließung im engeren Sinne zustrebt, aber doch stets ein Äquilibrium wahrt, welches dem Erzählmaterial eigentlich nicht zu eigen sein scheint. Denn auch wenn die Techniken, die der Regisseur verwendet, sehr unterschiedlich sind, so verweigern sich doch die spielerischen Montageexperimente (Schuss/Gegenschuss-Aufnahmen abwechselnd mit / ohne Achsensprung, rhythmische Cutaways während dramatischer Gespräche usw.) aus Tsuma yo bara no yo ni (1935) in ähnlicher Weise der im Drehbuch angelegten dramaturgischen Klimax des Melodrams wie die ausgedehnten Parallelmontagen, die weite Teile von Bangiku bestimmen und die leitmotivisch (wie in vielen Naruse-Filmen) von Sraßenbildern unterbrochen werden.
Bei näherem betrachten sind in der Tat die Unterschiede zwischen beiden Werksgruppen weit geringer, als man auf den ersten Blick annehmen möchte. Denn auch Bangiku (und in ähnlicher Weise Nagareru oder Yama no oto) besitzen in ihrem Drehbuch, auch wenn sie auf dramaturgische Kunstgriffe wie Rückblenden verzichten, die Anlage zu einem wilden, exzessiven Melodrama. Die Drehbücher sind alles andere als ökonomisch, führen wichtige Personen erstaunlich spät ein, geben andere scheinbar viel zu früh auf, wechseln in unabsehbaren Mustern Schauplätze, Handlungsstränge und Figurenkombinationen (in dieser Hinsicht unterscheiden die Werke sich deutlich von denen Ozus mit ihren standardisierten Setpieces, dem immer wiederkehrendem Personal und dem dezidiert antidramatischen Plotaufbau).
Dennoch verweigert sich alle Werke Naruses (in gewisser Weise sogar seine Stummfilme, obwohl deren Aufführungspraxis - und damit ein Großteil ihrer Wirkkraft zumindest hierzulande nicht nachstellbar ist) den emotionalen Mustern der jeweiligen Genre, in welchen sie sich befinden, gerade innerhalb ihrer Mikrostruktur. Naruses Filme scheinen mit breiteren, allgemeineren emotionalen Pattern zu arbeiten, die ganze Filmabschnitte mit sorgfältig augearbeiteten Stimmungen überziehen und die dadurch die dramaturgische Struktur jedes einzelnen Gesprächs unterlaufen. Vielleicht resultiert die Melancholie, die viele seiner Werke durchzieht, genau aus den zum Scheitern verurteilten Versuchen der Naruse-Figuren, sich gegen die Macht der Inszenierung zur Wehr zu setzen und auf den Wert ihres ganz persönlichen Schicksals zu pochen.
Eine wichtige Rolle scheint dabei die Musik zu spielen. Die Bilder werden in Bangiku in vielen Sequenzen von einfachen, ruhigen und unaufgeregten Melodien untermalt, die sich über mehrere Minuten auch nicht ein klein wenig ändern und sich nur in absoluten Ausnahmefällen den emotionalen Zuständen der Figuren anpassen (die einzige Ausnahme, die mir aufgefallen ist, war ein Geigeneinsatz kurz vor Schluss, während dem Gespräch der geizigen Geisha mit ihrem Ex). Als komplettes Gegenstück zum Mickey Mousing verbinden diese Klänge oft Unvereinbares, jedoch ohne sich selbst in den Vordergrund zu rücken (wie dies die ansonsten manchmal ähnlich funktionierenden neoromantischen Melodiebögen im zeitgenössischen Blockbusterkino zu tun pflegen). Einige Szenen werden gar nur von einem monotonen Stakkato unterlegt, ohne jede Melodie, ohne irgendeine Konnotation eines emotionalen Zustandes. Dieser ebenso auffällige wie unauffällige Soundtrack ebnet noch die disparatesten Momente des Films ein, überbrückt die Brüche zwischen einzelnen Handlungssträngen und entlastet ganz allgemein die Narration von ihrer Dringlichkeit, verschiebt sie bisweilen in den Hintergrund und verhindert dadurch auch deren Schließung.
Denn trotz aller leiser Melancholie ist Bangiku eigentlich kein depressiver Film. Auf den Zusammenbruch der Illusionen folgt eine Serie von Öffnungen, die den Film endgültig von der Narration entfernen und in ein ganz neues Reich zu führen scheinen. Öffnungen zuerst durch ein Fenster in den Regen der Stadt (die vielleicht schönste Szene eines großartigen Films), Öffnungen in das geschäftige Treiben der Fußgänger auf der Straße oder in Richtung des Horizonts durch die Bewegung eines abfahrenden Zuges.
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