Dem türkischen Kino geht es, nach einer schwerwiegenden Rezession Anfang der Neunziger Jahren, als jährlich kaum ein halbes Dutzend Filme produziert wurden, wieder ausgezeichnet. Und zwar nicht nur dank den neuen Autorenfilmern um Nuri Bilge Ceylan. Mindestens ebenso eindrucksvoll wie deren Festivalerfolge gerät die Renaissance des populären Kino. Jahr für Jahr reüssieren zahlreiche Blockbuster an den türkischen Kinokassen, der Marktanteil einheimischer Produktionen übersteigt in manchen Jahren 50% - ein Wert, der in den meisten europäischen Ländern nicht einmal annähernd realisierbar scheint. Kulturelle und anderweitige Übersetzungsschwierigkeiten sorgen dafür, dass die Mehrzahl dieser Filme außerhalb der Türkei praktisch überhaupt nicht wahrgenommen wird. Außer natürlich in den umfangreichen Auslandsgemeinden: In deutschen Großstädten kann man sich dank Verleihern wie "Maxximum Film und Kunst", die - oft zeitgleich zum türkischen Kinostart - deutsch untertitelte Kopien in Berlin, München und anderen Städten vertreiben, ein recht umfassendes Bild des populären türkischen Kinos machen. Wie wenig sich die deutsche Presse mit diesem parallelen Kino auskennt, konnte man 2006 anlässlich der hysterischen Reaktionen auf den Actionfilm Kurtlar Vadisi - Irak beobachten. Die Aufregung war damals schnell verflogen und dass in den Folgejahren zwei weitere Kurtlar Vadisi-Filme (Kurtlar vadisi - Muro, 2008 & Kurtlar vadisi - Gladio, 2009) sowie eine Kurtlar Vadisi-Parodie (Maskeli Beşler – Irak, 2007) in den deutschen Kinos starteten, hat bereits kaum jemand mehr mitbekommen.
Die Wiederbelebung des türkischen Kinos ist allerdings primär nicht dem B-Actionfilm, sondern einem ganz anderen Genre zu verdanke: der Komödie. Die Dorfklamotte Vizontele aus dem Jahr 2001 darf als einer der wichtigsten Filme für die Wiederbelebung Yeşilçams (die türkische Filmindistrie wird Yeşilçam genannt nach der Istanbuler Straße, in der zahlreiche Filmstudios ihren Sitz hatten) gelten. Cem Yılmaz war in Visontele in einer Nebenrolle zu sehen. Während die meisten Comedy-Stars des türkischen Kinos ihre Sporen im Fersehen verdienten, machte sich Cem Yılmaz als Stand-up-Komiker einen Namen. Seit seiner Science-Fiction-Farce G.O.R.A. (2004) ist Yılmaz der einzige türkische Comedystar, der hierzulande einem etwas breiteren Publikum ein Begriff ist. Seine Formel ist ebenso einfach wie einleuchtend: alles kann und muss türkisiert werden. In G.O.R.A. war das Weltall und die Zukunft an der Reihe, im Nachfolger A.R.O.G. (2008) die Steinzeit. Gemeinsam mit G.O.R.A.-Regisseur Ömer Faruk Sorak überträgt Yılmaz sein Erfolgsrezept nun auf einen ganz anderen Zusammenhang: Yahşi Batı ist ein Western mit Postkutschen, Totempfählen und auch sonst allem drum und dran. Und während G.O.R.A. seinerzeit unter seinem eigenen für türkische Verhältnisse extrem hohen Büdget zu ersticken drohte, ist Yılmaz / Sorak diesmal eine gut geölte Mainstreamkomödie gelungen, die nicht nur auf ein beachtliches Produktionsniveau, sondern auch auf handwerkliche Routine verweist.
Eine rudimentäre Rahmenhandlung in der Gegenwart führt in den Film ein: Anlässlich eines Verkaufsgesprächs erzählt ein übereifriger Geschäftsmann eine Räuberpistole aus vergangenen Zeiten. Es geht um zwei Abgesandte des Sultans, Aziz Efendi (Cem Yılmaz) und Lemi Bey (Ozan Güven), die dem amerikanischen Präsidenten einen faustgroßen Diamanten als Geschenk überbringen sollen. Nachdem die ersten Dialoge auf englisch vorgetragen werden, beschwert sich ein Zuhörer und der Film wechselt - per eingeblendetes DVD-Sprachauswahlmenu - ins Türkische. Dass die Banditen, die in dieser Szene Aziz' und Lemis Postkutsche überfallen, türkisch sprechen ist in diesem Film nur konsequent. Der Humor resultiert eben gerade nicht daraus, dass Aziz und Lemi mit einer ihnen völlig fremden Kultur konfrontiert würden. Statt dessen lauert hinter jeder Indianerfedern und unter jedem Cowboyhut immer schon die Türkei und wartet nur darauf, von den Neuankömmlingen aktiviert zu werden. Wenn die beiden Helden die Poststation betreten, begrüßt sie der Postbeamte mit Wangenküsschen und reicht ihnen Tee. Der Bösewicht des Films, der gleichzeitig Sheriff und Pastor ist, hat einen starken südostanatolischen Dialekt und die Indianer tragen allesamt Namen Istanbuler Fast-Food-Restaurants. Ein running gag greift währenddessen die vor einigen Jahrzehnten in der Türkei populäre Theorie auf, dass Indianer und Türken dieselben zentralasiatischen Vorfahren gehabt hätten und dass deshalb Indianer irgendwie auch Türken seien und die in einer langen Reihe steht mit ähnlich gelagerten Selbstbetrachtungen des Türkentums. In Filmen wie Yahşi Batı allerdings wird Kultur gerade nicht mehr essenzialistisch und identitär, sondern spielerisch verhandelt.
So kalauern sich Aziz und Lemi durch einen der Unternehmung angemessen kulissenhaft ausgestalteten wilden Westen, bandeln mit einem Calamity-Jane-Verschnitt an ("Dein Schnurrbart ist interessant" - "Deiner auch, meine Süße"), nehmen an einem türkischen Ringkampf teil und landen am Ende tatsächlich im weißen Haus, wo ein schwarzer Diener auf die Frage, was seine weiteren Pläne seien, antwortet: "Jetzt pisse ich nur in die Limonade, aber ich habe noch Großes vor".
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