Thursday, September 13, 2012

Zwei Filme von Benny Chan

Als "großes, sprödes, schmerzliches Meisterwerk" bezeichnete jemand (mehr oder weniger) gerade auf facebook Ringo Lams Full Alert, den ich selber als leichte Enttäuschung in nicht mehr allzu klarer Erinnerung habe. Was Full Alert angeht, liege ich vermutlich falsch, diese Sequenz zumindest hat mich sofort wieder elektrisiert. Trotzdem bringt diese Beschreibung etwas auf den Punkt, was mich an einigen auch der besten neuen Hongkongfilme bei aller Bewunderung (es ist dann eben eher Bewunderung als Liebe) stört: gerade die ambitionierten und besseren Filme haben eine Tendenz zum steril meisterwerklerischen, zur spröden Coolness (es gibt natürlich Vorläufer, John Woo und Wong Kar-Wai vor allem). Zu seiner allergrößten Zeit hatte das Hongkongkino keine Probleme damit, sich im durch und durch Uncoolen regelrecht zu suhlen; oder, wie zum Beispiel Benny Chans eigentlich eher mittelmäßiger What a Hero!, direkt für die Uncoolness und gegen die sonnenbebrillte Sprödigkeit Partei zu ergreifen; in dem Fall heißt das: für die grellbunt gekleideten Dorftrottel, gegen die modebewussten, selbstverliebten City-Cops. Wenn man sich erinnert, wie sich Chow Yun Fat in Tiger on the Beat oder auch in den God of Gamblers-Filmen zum Affen gemacht hat - so etwas wäre in den Milkyway-Filmen (selbst in off-beat-Produktionen wie Running on Kharma) nie im Leben denkbar.

Hongkongmode 1992:




Die frühen Benny-Chan-Filme, die ich in den letzten Wochen, im Rahmen einer breiteren Wiederbegegnung mit dem Hongkongkino, gesehen habe, waren ein Fenster in eine andere Zeit. Vor allem zwei Filme, die er zwischen dem semi-Klassiker A Moment of Romance (1990) und dessen Sequel (1993) gedreht hatte haben eine Art von lowbrow-Wucht, die man heute höchstens noch in den immer liebloser heruntergekurbelten Wong-Jing-Filmen findet: eben jene Actionkomödie What a Hero! und noch mehr das exaltierte, umwerfende Stuntman-Melodram Son on the Run, das über weite Strecken ausschließlich aus Erregungsbildern besteht und in seinem Kern ein melancholischer Film über sein eigenes Produktionsumfeld ist - der finale stunt, ein Sprung von einem mehrstöckigen Haus, gedehnt über gefühlte zehn Minuten, sagt mehr aus über das Wesen des Kinos als zehn beliebige europäisch-modernistische Kinoreflektionsfilme. Ein Film aber auch, bei dem ein Darsteller offensichtlich die Regieanweisung erhalten hat: "Stecken Sie sich einen Finger in die Nase. Und zwar in jeder einzelnen Szene!" Ein Film, in dem zwischen fantastischen, dynamisch inszenierten set pieces auch schon einmal ein Kind in der Toilette stecken bleibt. Wie überhaupt Komik in beiden von jeglicher Subtilität fast schon maximal weit entfernten Filmen ausschließlich über Körperfunktionen vermittelt werden soll. Das nimmt, erst recht bei fehlenden Chinesischkenntnissen und mangelhafter Übersetzung dadaeske Formen an, ich zitiere aus dem Untertitel-file von What a Hero!:

343
00:18:15,761 --> 00:18:16,659
Where is Fat Boy?

344
00:18:23,135 --> 00:18:28,368
Fat boy found he had loose bowel
at 6:00 this morning

345
00:18:28,807 --> 00:18:30,707
So he called Hwa

346
00:18:30,742 --> 00:18:32,300
Hwa had loose bowel too

347
00:18:32,344 --> 00:18:34,335
So he called Wai

348
00:18:34,379 --> 00:18:35,971
Wai had loose bowel too

349
00:18:36,014 --> 00:18:39,211
So he asked them all to toilet

350
00:18:39,418 --> 00:18:43,286
They had loose bowel form 7 am to 5pm

Ich bin kein unbedingter Verteidiger von Fäkalhumor (obwohl ich das Wort - und Dennis Dugan - mag) und Benny Chan ist definitiv als Komödienregisseur um längen unbegabter denn als Melodramatiker oder gar als Actionregisseur; trotzdem ist dem Hongkongkino etwas verloren gegangen, als es beschlossen hat, sich unter den Vorzeichen der Coolness zu benehmen.

Monster-Melancholie:







So stellt sich das Hongkongkino einen "foreign movie director" vor:

8 comments:

Christoph said...

Sind "Erregungsbilder" das, was ich mir darunter vorstelle?

Jochen said...

Touché. FULL ALERT ist aber trotzdem ein Meisterwerk. :)

Lukas Foerster said...

das kannst nur du selbst überprüfen, christoph...

Thomas said...

Stimmt, die schebbige Uncoolness früherer Hongkong-Produktionen fehlt dem Hongkong-Film mittlerweile total, vermutlich seit er sich nicht mehr primär auf sein lokales, sondern auf das internationale Publikum ausrichtet. Früher fühlte man sich ja eher als Zaungast, wenn man sich die Filme angeschaut hat - heute ist man Bestandteil der Kapitalkalkulation.

Sano said...

Sehe das ähnlich. Die post 2000er Hongkong-Filme scheinen sicht verstärkt der Hochglanzoberfläche hinzugeben, und das dreckige und nicht-internationale zu meiden. Zuletzt unangenehm aufgefallen beim mir etwas zu intellektuellen MOTORWAY oder beim formal leider doch auch sehr (pan)chinesichen FLYING SWORDS OF DRAGON GATE. Die Fokussierung auf das vor allem Hongkong-spezifische (und für Außenstehendde oft so irritierende und widersprüchliche) scheint inzwischen größtenteils gewichen.

Natürlich ist das Hongkong-Kino der 90er inzwischen auch schon eine Epoche für sich, die retrospektiv dann noch einmal reicher und verwirrender erscheinen mag, als zur Zeit, da sie gelebte Gegenwart darstellte. Wie die Mode der 90er, die aus heutiger Perspektive teilweise furchteinflößender aussieht als diejenige, die wir als "typisch" für die 80er erfassen.

Wundervoller Text übrigens, vor allem die Untertitelauszüge! Hach, großartig - ich mag aber auch diesen blödelnden asiatischen Humor sehr. Zuletzt ist mir das in einem eher düsteren japanischen Pinkfilm mit dem epochalen Titel "White Rose Campus: Then Everybody Gets Raped" von 1982 bewusst aufgefallen, der auch als Groteske angelegt ist. Da gibt es auch solche Untertitel zu bestaunen (siehe z.B. hier: http://my.opera.com/TimoP/blog/2008/04/28/white-rose-campus-then-everybody-gets-raped)...

Der Außenseiter said...

Sehr schöner Text. Du sprichst mir aus der Seele. Damals, als alle einen Riesenaufriss um INFERNAL AFFAIRS gemacht haben, merkte ich an, dass die Reduzierung der kantonesischen Burleske, sowie der hyperaktiven Spielweise, sowie eine Andienung an westliche Inszenierungsstandards (wo sind die fürs Hongkong-Kino typischen Achsenbrüche geblieben?) auf Dauer nur zu einem nivellierten Kino führen wird. Die kinetische Energie des Hongkong-Kinos scheint verloren, da sie sich eben nicht nur auf Stunt und Action bezog.

vannorden said...

Ich liebe dieses suhlen in der Uncoolness des früheren Hongkongkinos. Ih vermisse es mitunter, aber nicht so sehr, weil ich noch soviele, so alberne Filme vor mir habe. Vielleicht ist dies passiert, weil Filmemacher respektive Produzenten, sich einem internat. Publikum anzupassen wollen, wo ich mir aber nicht so sicher bin. Ich denke aber nicht, dass Hongkong sich dadurch nivellieren wird. Gerade aus Hongkong sehe ich eher noch eigenständiges Kino kommen, dass nicht wie SCHUTZENGEL versucht auf Hollywoodniveau zu sein. Es hat immernoch seine eigene Qualität. Vor allem hat es sich geändert, was wichtiger ist, als so zu bleiben, wie es ist. Warum sollte es immer so sein, wie es war? Warum sollten sie immer wieder dem gleichen hinterherrennen, obwohl sich in Hongkong etwas geändert hat? (Parmenides würde diese Diskussion schon gar nicht verstehen :P) Vor allem hat es sich vll. nicht auf gleich bleibenden Niveau geändert, aber auf hohem. Ich würde jede Wong Jing Film INTERNAL AFFAIRS vorziehen. Das gilt aber nicht für To oder FULL ALERT. Besonders sehe ich die Vorherrschaft der Coolness nicht. Tos Filme sind vll weniger albern als Woo, der weniger albern als der frühe Tsui Hark ist, aber bei ihm geht es mehr um Coolness, als das er sich dieser bedient. Es geht um Fassaden und die Leere dahinter. Damit ist er mehr Kind seiner Zeit, der sich für diese interessiert, als jemand der Zuschauerwünschen entspricht oder einfach cooler wirken möchte.

vannorden said...

(Hach, ich verwechsel immer Richard Gere mit Andy Lau :P )