Friday, May 24, 2013

Regisseur der Zärtlichkeit

Waidmannsheil im Spitzenhöschen, Jürgen Enz, 1982

Am Anfang haut sie ab, mit der Leiter. Der Film setzt schon in der Flucht ein, das Haus hat sie schon verlassen, so wie die beiden Frauen auch in der ersten Einstellung von Herbstromanze die Haustür bereits hinter sich schließen. Was sie jeweils hinter sich lassen, sehen wir nicht. Auch nicht, wie sie den Entschluss fassen. Wenn der Film beginnt, gibt es immer schon kein zurück mehr.


Weil nicht, wie in Herbstromanze, das Taxi schon wartet, hält sie an der Straße ein Auto an. Das geht nicht gut.


"Da wollte mich doch soeben so ein Mistkerl im Auto glatt vergewaltigen."
"So ein Halunke. Da haben Sie ja Glück gehabt. Und wo wollen Sie jetzt hin?"
"Für heute reicht's mir."

Was ist das für eine Freiheit, die man mit schlafwandlerischer Lethargie sucht? Wovon flieht man, wenn jeder Schritt von schlaftrunkener Dudelmusik unterlegt ist? Vielleicht sucht sie von Anfang an, in ihrem Aufbruch ohne Aufbruch, nicht die Fremde, sondern nur eine Heimat, die sich ein wenig anders anfühlt. Sie landet jedenfalls in einer Art Zauberschloss der trappsigen Erotik. Selbst verglichen noch mit dem Landhaus aus Herbstromanze wirkt dieses Anwesen ganz besonders durch den Wind. Nicht umsonst ist der Hofnarr aus Herbstromanze im späteren Film zum Schlossmeister geworden.


(Beim nochmaligen Durchsuchen des Films habe ich bemerkt, dass es sehr wenige Einstellungen gibt, in denen nur eine Figur zu sehen ist. Meist geht es um mindestens zwei Menschen, die mit sozialen Ritualen beschäftigt sind. Und die sich diesen Ritualen, ganz egal ob Paartanz, Besäufnis, oder Sex, mit introspektiver Ernsthaftigkeit hingeben.)

Das Schloss ist pleite, lernt sie. Und sie kommt auf die Idee, nachdem sie sich ein schickes Trachtenkleid angezogen hat ("Das ist was für meinen gestörten Hormonhaushalt" meint der sie durchs Fernglas beobachtende Spanner, der seinerseits mit einer wuchtbrummigen Blondine den ganzen Film über schier Unglaubliches anstellt; in anderen Filmen könnte man so etwas "zotig" nennen, bei Enz passt so ein Wort nicht, bezeichnet gleichzeitig zu wenig und zu viel), dass man das Schloss in eine Jagdschule umfunktionieren solle.

Was auch passiert; der Schlossherr gibt Anweisungen, die befolgt werden. Die Jagdschüler erweisen sich als auf lethargische Art dauerhorny, wie alle anderen im Film. Die Jägersprache ergibt sich in einer Weise der Anzüglichkeit, die mit Esprit nichts, mit Zwanghaftigkeit alles zu tun hat. Eigentlich würde auch schon die brav aufgesagte Abschiedsformel "Waidmannsheil" - "Waidmannsdank" genügen, um zu zeigen, dass da ein Virus die Sprache befallen hat, der weder gut- noch bösartiger, sondern schlichtweg außerirdischer Natur sein muss.

Toll: die tanzenden Geister vor und auf der Treppe, noch ein Ritual, nochmal introspektive Ernsthaftigkeit. Dazu wieder Musik, gefühlt minutelang, das könnte auch als Installation funktionieren. (Wie heißen Treppen, die frei im Raum, also nicht in einem Treppenhaus, installiert sind? Für mich sind das die guten Treppen und Filme, in denen sie - oder natürlich "echte" Freitreppen - vorkommen, können nicht ganz schlecht sein.)


Die Sache mit der Ente (und wieder die Treppe):



Nicht bei allen Enzianern scheint der Film einen guten Ruf zu haben. Tatsächlich lähmt ihn das Sexfilmhafte zwischendurch immer wieder. Trotzdem hat er mich gefangen genommen. Und immerhin enthält er, kurz vor Schluss, den schönsten aller möglichen Enz-Dialoge:
"Du bist so zärtlich."
"Ja, Liebes. Die Wildheit überlassen wir den anderen."

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