Friday, June 19, 2015

Mein schönes kurzes Leben, Klaus Lemke, 1970








Körnige Aufnahmen von undurchsichtigen Städten, glasige Blicke durch verregnete Scheiben. 16mm-Material ins Schwarz-Weißfernsehen rübergekippt, dazu jede Menge Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz. All das ergibt: verrauschte Bilder, einen verrauschten Film.

In den Außenszenen tendieren die Bilder zu einem allumfassenden Schwarz: dunkle Silhouetten in dunklen Rahmen, drogen- und auch sonstwie verhangene Blicke aus kaum noch transparenten Autofenstern. Bei den Modeshoots, die dann ursprünglich, eher wie eine Falle denn wie ein Ausweg, im Film auftauchen, droht das Bild, drohen die Menschen, die in ihm arrangiert werden, dagegen von einem aggressiven Weiß aufgefressen zu werden. Der Wind oder irgendwas anderes pfeift fast durchgängig.

Langhaarige, räudige Männer und langhaarige, stylische Frauen. Einer der Männer und eine der Frauen verlieben sich, aber von Anfang an ist klar, dass das Chaos um die beiden herum und das Chaos in den beiden drin sie wieder verschlucken wird. (Irgendwo im Hintergrund lauert "Brummbär", der kürzere Haare trägt, dafür einen Vollbart und einen Wollpullover. Das ist der bad guy, der Drogen nicht nimmt, um das Leben durchlässig zu machen, sondern um andere hemmungslos im Aufzug fertig machen zu können.)

Anfangs sind die beiden in München (zumindest lassen die Autokennzeichen darauf schließen), später in Hamburg, anschließend steigen sie gelegentlich in ein Flugzeug und fliegen im Kreis, kommen jedenfalls an keinem identifizierbaren Ort an und befinden sich ein paar Einstellungen später wieder wie ganz selbstverständlich in Hamburg.

Von München nach Hamburg, aber eigentlich im permanenten Aufbruch begriffen: Auch deshalb könnte man Mein schönes kurzes Leben als einen Übergangsfilm in Lemkes Werk sehen. Noch gibt es einigen Schwabing-Chique und jede Menge Bilder, die direkt aus dem Genrekino kommen (Autoverfolgungsjagden vor allem), aber alles wirkt bereits deutlich ausgefranzter, schrundiger als vorher in Acapulco und Negresco. (Was für großartig kaputte Typen die ganze Zeit auftauche, wie aus dem Nichts, und dann auch wieder verschwinden. Ein Blonder namens Güni ist 10 Minuten lang unfassbar, danach verschwindet auch er, wahrscheinlich in einer benachbarten Dimension.)





















(Diese Bilder stammen tatsächlich alle aus dem Film. Und es gibt noch viel, viel mehr. Klaus Lemke ist eben doch der beste aller deutschen Regisseure.)

Vor allem ist Mein schönes kurzes Leben der erste Lemke-Film, der sich ganz von seinem Hauptdarsteller gefangen nehmen lässt. Michael Schwankhart ist ein sonderbarer Typ: Er agiert ganz und gar nicht "unbefangen", viele Dialogzeilen wirken hochgradig aufgesagt, aber dann gibt es andauernd großartige Momente von hingerockter Eleganz, wie zum Beispiel gleich am Anfang: Da steht er als Gigolo fast LA Plays Itself-mäßig am Straßenrand und isst ein ziemlich obszönes Brötchen. Als er dann von einer sagenhaften Porno-Blondine auserwählt wird, wirft den Brötchenrest mit einer gleichzeitig lässigen und eruptiven Bewegung weg unmittelbar bevor er ins Auto steigt. Eigentlich sitzt er schon halb drin. Jedenfalls bleibt er in seiner ersten und einzigen Filmrolle ein störrisches Geheimnis.

Auch für Claudia Littmann blieb es der einzige Auftritt als Schauspielerin - imdb verzeichnet nur noch einen credit als "herself" in einem kurzen Dokumentarfilm namens "Bräute der Revolution". Wenn sie redet, hört es sich stets an, als würde sie ganz für sich selbst sprechen, in einen ganz anderen Resonnanzraum hinein. Durch den Film bewegt sie sich ein wenig spöttisch, distanziert.

Laut Hamburger Abendblatt vom 14.07.1970 war Littmann "mit allem unzufrieden, fand die ganze Filmerei 'autoritär' und mithin 'unzumutbar'. Letzteres Prädikat gab man ihr für ihre Schauspielkünste umgehend zurück. Claudia Littmann sei eine so schlechte Schauspielerin, sagten die Produzenten, daß man sie nie wieder engagieren werde." Letzteres ist selbstverständlich Blödsinn.


Im Spiegel 29/1970 stand über sie und den Film zu lesen: "Claudia Littmann, 20 (1.), Revoluzzer-Tochter des Frankfurter Polizeipräsidenten Gerhard Littmann, geriet bei ihrer ersten Fernsehrolle in die Gesellschaft haschischrauchender Kommunarden. Das seit April letzten Jahres in München lebende Photomodell spielte neben dem Laien-Darsteller Michael Ungr, 19 (r.), den Hauptpart des 66-Minuten-Krimis "Mein schönes kurzes Leben", den Jungfilmer Klaus Lemke, 29 ("48 Stunden bis Acapulco"), nach einem eigenen Stoff für den Westdeutschen Rundfunk in München, Frankfurt, Hamburg und Maasholm (Kreis Flensburg) drehte. Ein großer Teil der rund 60 Mitspieler, die Regisseur Lemke in Münchner Kommunen angeheuert hatte, standen während der 46tägigen Dreharbeiten oft unter Drogeneinfluß, obwohl die Produktionsleitung sie vorher ausdrücklich davor gewarnt hatte. WDR-Trupps mußten mehrfach ausrücken, um die bezahlten Mitwirkenden zu suchen und vor die Kamera zu holen. Produktionsleiter Wolfgang Kötz. 51: "Ich habe schließlich beim Münchner Rauschgiftdezernat angefragt. Man sagte mir, daß gegen mich, wenn weiterhin bei den Dreharbeiten gehascht würde, ein Verfahren wegen Beihilfe zum Rauschgifthandel eingeleitet werden könnte." Nach Abschluß der Dreharbeiten wurde Hauptdarsteller Ungr auf dem Hamburger Flughafen festgenommen, nach dreiwöchiger Untersuchungshaft jedoch wegen Haftunfähigkeit entlassen. Anklage: Haschisch-Handel. Thema des TV-Films, der am 14. Juli um 21 Uhr gesendet werden soll: Rauschgifthandel."

Wie die meisten wirklich guten Filme dauert Mein schönes kurzes Leben nur eine gute Stunde und endet mit einem explodierenden Auto.

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