Sunday, July 19, 2015

Crime in the Streets, Don Siegel, 1956

(Der Walter-Hill-artige Auftakt - ein Gangfight in einem anonym und erkaltet anmutenden Gewerbegebiet - könnte kaum mehr in die Irre führen...)

Ich hatte vermutet, dass das - nicht einmal durch allzu viele Bühnentricks abgemilderte - Bühnenartige an dem Film auch tatsächlich auf eine Bühnenvorlage zurückzuführen wäre. Tatsächlich ist Crime in the Streets die Kinoadaption einer Episode der Live-TV-Anthologieserie The Elgin Hour (inszeniert wurde die von Sidney Lumet, die Hauptrolle hatte ebenfalls schon John Cassavetes übernommen).

Mich würde interessieren, ob die ein Jahr nach der Ausstrahlung fertiggestellte Kinofassung direkt am selben Set gedreht wurde - das würde die teils ziemlich extremen Beschränkungen, die der Film seiner Diegese auferlegt, erklären (so oder so könnte man den Film in einer feuilletonistischen, aber nicht ganz schiefen Wendung zusammenfassen: Das Fernsehen hilft Don Siegel dabei, den kleinsten gemeinsamen Nenner von Brecht und poverty row zu entdecken). Jedenfalls ist Crime in the Streets komplett im Studio entstanden. Tatsächlich gibt es nur eine einzige Kulisse, die nur durch die Lichtänderung (es wird Nacht) dynamisiert wird: Der Film spielt in einem einzigen Straßenzug, der sich über fast die gesamte Laufzeit noch weiter verengt, auf einen einzigen Häuserblock und eine kleine, kaum fünf Meter lange Gasse zwischen zwei Häusern.

Diese Gasse misst auch schon die gesamte Tiefe des Sets aus, dessen Herausragende Eigenschaft nicht die auch innerdiegetisch behauptete Enge, sondern die Flachheit ist. Die Figuren bewegen sich mit Vorliebe an der Hausfassade entlang, klettern manchmal sogar an ihr per Feuerleiter empor; gleich zu Beginn gibt es einen tolle Plansequenz, die mehrere dieser planen Bewegungen zeigt und schließlich selbst eine nachvollzieht, mithilfe eines Schwenks, der nicht an einer einzlnen Figurenbewegung, sondern am narrativierten Raum selbst ausgerichtet ist. (Man kann dieser Welt, btw, durchaus entkommen, man muss einfach nur seitlich aus ihr hinaus laufen... vor allem die wenigen Frauen, die in dem Film auftauchen, tun genau das auch immer wieder).

In die Räume, die hinter der Fassade liegen (und die man allesamt mit ein paar Schritten ausgemessen hat), dringt die Kamera selten ein. Eigentlich tut sie das nur in den Szenen, die in der kleinen Wohnung spielen, in der die Cassavetes-Figur Frankie Dane (ein Problemjugendlicher mit Gangaffiliation) mit seiner Mutter und seinem jüngeren Bruder lebt. Es herrscht da eine Kargheit, die mehr nach B-Movie-Ökonomie als nach kitchen sink ausschaut; und Intimität schafft dieser Raum schon gleich gar nicht, er ist maximal durchlässig auf die Außenwelt. Zur B-Movie-Ökonomie passt auch, dass die Figuren die Beschränkung des Raumes ohne Umstände internalisieren und ihre Handlungen entsprechend vor sich selbst plausibilisieren: Es ist sinnvoll, ein Verbrechen vor der eigenen Haustür zu begehen, weil: Da würde ja niemand drauf kommen.

Ein planes Set, in das sich ein paar gefährliche Tiefen öffnen: Das ist schon die gesamte Architektur des Films. Den Mordplan Frankies, um den es mit ziemlicher Ausschließlichkeit geht, sobald er einmal gefasst ist, gerät in Gefahr, weil in einer solchen Tiefe der Bruder lauscht. Ausgeführt werden soll er in einer anderen - in der Gasse zwischen den beiden Häuserblocks, die sich im Lauf des Films verwandelt, nicht mehr nur ein Stück leerer, überschüssiger Raum ist, zu einem Spalt in der Welt wird, in der drei Jugendliche (wei davon offensichtlich von Erwachsenen gespielt) kauern und einen Plan fassen, der ihre Welt aus den Angeln heben soll.

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Das morality play, das der Film an der Erzähloberfläche ist, benötigt einen Sozialarbeiter, der feierabends neben seiner Tischtennisplatte sitzt und liest; der aber so sehr eine Funktion von Plot und dem therapeutischen Anliegen des Films ist, dass er einem schon ziemlich leid tun kann. Siegel gelingt es, in diese Erzähloberfläche regelmäßig Momente reiner B-Movie-Intensität einzubauen, die sich in ihrer Gesamtheit ebenfalls zu einer Art Tiefendimension fügen: Die Zigarettenglut, die das Gesicht eines im Bett liegenden Mannes illuminiert, ein verzweifelter Blick von Mutter und Sohn in den Spiegel, ein kurzer nicht-Flirt zwischen Balkon und Straße.

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Frankies Mutter ist eine tolle Figur: Eine arbeitende, alleinerziehende Frau, die stets erst spät abends nach hause kommt (und dann die Welt des Films aus einem absoluten Off, das bereits an der nächsten Straßenecke beginnt) und mit jedem Wort, das sie ausspricht, auch mit jeder Geste eine alles verzehrende Verzweiflung artikuliert. Ein Satz ist mir besonders (wenn auch vielleicht nicht wortwörtlich korrekt) im Gedächtnis geblieben: "I touched every part of your body" (nämlich: während meiner Schwangerschaft), meint sie einmal zu Frankie, als sie sich von ihm besonders entfremdet fühlt.

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