Spät nachts sitzen Jackson Maine (Bradley Cooper) und Ally (Lady Gaga) auf dem Parkplatz eines Supermarkts. Ein atmosphärisches Bild, die Ladenfassade im Hintergrund wird zu einem glitzernden Ornament, im Vordergrund zwei fast wie von selbst, von innen glänzende Figuren, die von Dunkelheit umschlossen sind. Vorher waren sich die beiden, zuerst in einer Drag-, dann in einer Polizistenbar, näher gekommen, jetzt breitet Jackson, ein erfolgreicher Countrysänger, vor der noch unbekannten, aber ebenfalls popmusikalisch ambitionierten Ally seine traumatische, von Verlusterfahrungen und Alkoholismus geprägte Lebensgeschichte aus.
Irgendwann ist Jackson am (wie sich bald zeigt: nur vorläufigen) Ende seiner Leidenserzählung angekommen. Nun wäre es eigentlich, wenn man von Alltagserfahrungen oder den Genremustern des Kinos ausgeht, an Ally, es ihm gleich zu tun. Aber genau in dem Moment, in dem wir erwarten, dass sie sich ebenfalls daran macht, von der Vergangenheit zu sprechen, fängt sie stattdessen an zu singen. Ohne jede Vorankündigung. Erst verschleppt, vor jeder Silbe zögernd, dann immer selbstbewusster findet sie, on the spot, Text und Melodie jenes Lieds („Shallow“), das sie zum Star machen wird (und das inzwischen auch im echten Leben dabei ist, die Charts zu erobern). Genauer gesagt transformiert sie in diesem Moment nicht ihre eigene, sondern seine Erfahrung in ihre Musik: „Tell me something, boy / aren't you tired tryin' to fill that void“.
In dieser Szene scheint in nuce eine interpersonelle Dynamik angelegt zu sein, die in vielen der interessanteren Besprechungen des Films – auch in einigen, die ihm insgesamt durchaus gewogen sind, hier und hier zwei Beispiele – kritisiert wird: In der neuen Version von „A Star is Born“ steht eigentlich gar nicht, ist da zu lesen, der neugeborene Star, Ally, im Mittelpunkt, sondern der Geburtshelfer, Jackson. Tatsächlich wird Jackson, im Gegensatz zu Ally, nicht nur mit einer ausführlich und wiederholt thematisierten Vergangenheit ausgestattet; auch seine Alkoholeskapaden in der Gegenwart, sowie seine Versuche, von der Sucht wegzukommen, scheinen im Film mehr Raum einzunehmen als Allys fast mechanisch abgespulte Popstarwerdung.
Meine Lesart des Films ist dennoch eine andere. In der Supermarktparkplatzszene geht es, glaube ich, keineswegs darum, dass Allys Erfahrung beziehungsweise Subjektivität von der Countrykitschballade Jacksons überschrieben, oder gar ausgelöscht wird. Sondern es geht, fast (aber eben nur fast) umgekehrt, um eine Übertragung: Seine Erfahrung wird zu ihrer Musik. Was auch heißt: ab sofort handelt es sich bei seiner Erzählung nicht mehr um tatsächliche, individualbiografische Erfahrung, um einen psychisch verortbaren Schatz an Erinnerungen, Bildern und so weiter, sondern um einen popmusikalisch gemachtes und damit warenförmiges Erfahrungssubstrat (letzten Endes: um eine Form, nicht um eine Erfahrung).
---
Eine weitere oft zu lesende Kritik: Coopers Film erreiche nicht im Entferntesten die psychologische und ästhetische Dichte insbesondere der weltberühmten, von George Cukor inszenierten 1954er-Version; da ist vermutlich etwas dran, aber für sich selbst ist das erst einmal keine allzu hilfreiche Perspektive. Insbesondere, weil es durchaus eine Neuerung gibt, die Cooper den vorherigen Verfilmungen hinzufügt: Eben die oben beschriebene direkte Kopplung der beiden bestimmenden Handlungselemente – Allys musikalischer Karriere und Jacksons persönlichen Martyrium. In einer besonders scharfen (ich würde hinzufügen: auf einer besonders selektiven Rezeption beruhenden) Abrechnung mit dem aktuellen „A Star is Born“ findet sich ein interessanter Gedanke zu Cukors Film: Dessen männliche Hauptfigur (gespielt von James Mason) wird beschrieben als ein vampirisches Wesen, das die weibliche Hauptfigur (gespielt von Judy Garland) aussaugt.
In Coopers Film nun ist nicht Jackson, sondern Ally die Vampirin. Allerdings eine Vampirin, die nicht aus bösem Willen, eigentlich überhaupt nicht willensgesteuert handelt. Der Vampirismus ist nicht Teil ihrer persönlichen Identität, sondern ein kultureller Mechanismus, für den sie nur ein prinzipiell austauschbares Medium darstellt. Über die genaue Form dieses gewissermaßen automatischen Vampirismus, der in der zweiten Filmhälfte auch auf die Bilder selbst überzugreifen, ihnen die Tiefe und die naturalistischen Details auszusaugen (oder vielleicht eher, angesichts der vielen fast blendend hellen Bilder: auszubrennen) scheint, bin ich mir nach der Erstbegegnung mit Coopers Film noch keineswegs im Klaren. Interessieren würde mich zum Beispiel die im Film mehrfach und durchaus ambivalent verhandelte Frage nach der Rolle der Handschrift als Zeichen einer verkörperlichten Individualität.
---
Jedenfalls halte ich noch einen weiteren Vorwurf an den Film (siehe zum Beispiel hier) für verfehlt: Keineswegs wird im Film die vermeintlich authentische Countrymusik pauschal gegen „unpersönlichen Plastikpop“ ausgespielt. Vielmehr geht es durchweg um unterschiedliche Konstellationen von Subjekt und Musik. Während in Jacksons Countrysongs das singende Subjekt mit sich selbst identisch ist, seine eigenen Erfahrungen musikalisch verarbeitet, ist in Allys deutlich poporientierteren Kompositionen von Anfang an eine quasischizoide Spannung eingeschrieben: Das Ich singt nicht von sich selbst, sondern immer, nicht erst auf den Showbühnen, sondern schon auf dem Supermarktparkplatz, von (einem) Anderen.
Im weiteren Verlauf des Films verstärkt sich diese Spannung zunächst, indem sie auf die zwangsläufig von Entfremdung gekennzeichneten Mechanismen popkultureller Musikproduktion übertragen wird, bevor sie im ergreifenden Finale wieder zur ursprünglichen, dialogischen Form zurückfindet – mit einer entscheidenden, tragischen Differenz: der jetzt wieder spezifische Andere, von dem das Ich singt, ist nicht mehr am Leben. In gewisser Weise artikuliert sich entlang dieser Entwicklung kein negativer, sondern ein geradezu utopischer Popbegriff: Die rohe, „authentische“ Energie des Countryrocks (gleich die erste Einstellung reist uns in eine dynamische Performance; es existiert ein direktes Energieübertragungsband zwischen Jacksons Musik und dem filmischen Bild) muss durch die tiefsten Tiefen des Trash und des Ultrakommerzes hindurch, um am Ende transformiert zu werden in die Transzendenz des reinen Gefühls. (Das zum ersten Mal im schönsten Bild des Films aufscheint: wenn Ally bei ihrem ersten Auftritt sich die Hände vors Gesicht schlägt.)
---
Es lässt sich sofort einwenden: Das ist einfach eine alternative Lesart. Wer kann entscheiden, ob sie richtig liegt? Niemand, selbstverständlich. Dennoch glaube ich natürlich (sonst hätte ich mir nicht die Mühe gemacht, sie auszuformulieren), dass sie es tut, dass sie dem Film gerechter wird als ein interpretatorischer Zugriff, der von einer Entmächtigung, beziehungsweise -subjektivierung Allys ihren Ausgang nimmt. Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen: Meine Lesart wird nicht nur diesem einen Film, sondern dem Kino insgesamt gerechter.
Und zwar, weil ihr nicht eine Idee von Kino zugrunde liegt, die Figuren auf Subjektivität und Narration auf Fragen der Verteilung von Handlungsmacht reduziert. Insbesondere letztere Reduktion ist in der aktuellen Filmkritik (und leider ganz besonders in jenen ihrer Spielarten, die grundsätzlich hohe, weil politische Ansprüche ans Kino stellen) fast zu einem Axiom geronnen; das, glaube ich, einigen Schaden angerichtet hat. Zum Beispiel, weil dadurch das ästhetische Potential von Hilflosigkeit und Passivität aus dem Blick gerät. Aber auch, weil einer Kritik, die auf Handlungsmacht fixiert ist, das Instrumentarium fehlt, die Dramatik, die Schönheiten und die Ironien eines Films wie „A Star is Born“ zu beschreiben, eines Films, in dem eine Figur alle Subjektivitäts- und Handlungsmachtsmarkierungen auf sich zu vereinen scheint, in dem aber nicht diese, sondern eine andere Figur zum Star aufsteigt.
Irgendwann ist Jackson am (wie sich bald zeigt: nur vorläufigen) Ende seiner Leidenserzählung angekommen. Nun wäre es eigentlich, wenn man von Alltagserfahrungen oder den Genremustern des Kinos ausgeht, an Ally, es ihm gleich zu tun. Aber genau in dem Moment, in dem wir erwarten, dass sie sich ebenfalls daran macht, von der Vergangenheit zu sprechen, fängt sie stattdessen an zu singen. Ohne jede Vorankündigung. Erst verschleppt, vor jeder Silbe zögernd, dann immer selbstbewusster findet sie, on the spot, Text und Melodie jenes Lieds („Shallow“), das sie zum Star machen wird (und das inzwischen auch im echten Leben dabei ist, die Charts zu erobern). Genauer gesagt transformiert sie in diesem Moment nicht ihre eigene, sondern seine Erfahrung in ihre Musik: „Tell me something, boy / aren't you tired tryin' to fill that void“.
In dieser Szene scheint in nuce eine interpersonelle Dynamik angelegt zu sein, die in vielen der interessanteren Besprechungen des Films – auch in einigen, die ihm insgesamt durchaus gewogen sind, hier und hier zwei Beispiele – kritisiert wird: In der neuen Version von „A Star is Born“ steht eigentlich gar nicht, ist da zu lesen, der neugeborene Star, Ally, im Mittelpunkt, sondern der Geburtshelfer, Jackson. Tatsächlich wird Jackson, im Gegensatz zu Ally, nicht nur mit einer ausführlich und wiederholt thematisierten Vergangenheit ausgestattet; auch seine Alkoholeskapaden in der Gegenwart, sowie seine Versuche, von der Sucht wegzukommen, scheinen im Film mehr Raum einzunehmen als Allys fast mechanisch abgespulte Popstarwerdung.
Meine Lesart des Films ist dennoch eine andere. In der Supermarktparkplatzszene geht es, glaube ich, keineswegs darum, dass Allys Erfahrung beziehungsweise Subjektivität von der Countrykitschballade Jacksons überschrieben, oder gar ausgelöscht wird. Sondern es geht, fast (aber eben nur fast) umgekehrt, um eine Übertragung: Seine Erfahrung wird zu ihrer Musik. Was auch heißt: ab sofort handelt es sich bei seiner Erzählung nicht mehr um tatsächliche, individualbiografische Erfahrung, um einen psychisch verortbaren Schatz an Erinnerungen, Bildern und so weiter, sondern um einen popmusikalisch gemachtes und damit warenförmiges Erfahrungssubstrat (letzten Endes: um eine Form, nicht um eine Erfahrung).
---
Eine weitere oft zu lesende Kritik: Coopers Film erreiche nicht im Entferntesten die psychologische und ästhetische Dichte insbesondere der weltberühmten, von George Cukor inszenierten 1954er-Version; da ist vermutlich etwas dran, aber für sich selbst ist das erst einmal keine allzu hilfreiche Perspektive. Insbesondere, weil es durchaus eine Neuerung gibt, die Cooper den vorherigen Verfilmungen hinzufügt: Eben die oben beschriebene direkte Kopplung der beiden bestimmenden Handlungselemente – Allys musikalischer Karriere und Jacksons persönlichen Martyrium. In einer besonders scharfen (ich würde hinzufügen: auf einer besonders selektiven Rezeption beruhenden) Abrechnung mit dem aktuellen „A Star is Born“ findet sich ein interessanter Gedanke zu Cukors Film: Dessen männliche Hauptfigur (gespielt von James Mason) wird beschrieben als ein vampirisches Wesen, das die weibliche Hauptfigur (gespielt von Judy Garland) aussaugt.
In Coopers Film nun ist nicht Jackson, sondern Ally die Vampirin. Allerdings eine Vampirin, die nicht aus bösem Willen, eigentlich überhaupt nicht willensgesteuert handelt. Der Vampirismus ist nicht Teil ihrer persönlichen Identität, sondern ein kultureller Mechanismus, für den sie nur ein prinzipiell austauschbares Medium darstellt. Über die genaue Form dieses gewissermaßen automatischen Vampirismus, der in der zweiten Filmhälfte auch auf die Bilder selbst überzugreifen, ihnen die Tiefe und die naturalistischen Details auszusaugen (oder vielleicht eher, angesichts der vielen fast blendend hellen Bilder: auszubrennen) scheint, bin ich mir nach der Erstbegegnung mit Coopers Film noch keineswegs im Klaren. Interessieren würde mich zum Beispiel die im Film mehrfach und durchaus ambivalent verhandelte Frage nach der Rolle der Handschrift als Zeichen einer verkörperlichten Individualität.
---
Jedenfalls halte ich noch einen weiteren Vorwurf an den Film (siehe zum Beispiel hier) für verfehlt: Keineswegs wird im Film die vermeintlich authentische Countrymusik pauschal gegen „unpersönlichen Plastikpop“ ausgespielt. Vielmehr geht es durchweg um unterschiedliche Konstellationen von Subjekt und Musik. Während in Jacksons Countrysongs das singende Subjekt mit sich selbst identisch ist, seine eigenen Erfahrungen musikalisch verarbeitet, ist in Allys deutlich poporientierteren Kompositionen von Anfang an eine quasischizoide Spannung eingeschrieben: Das Ich singt nicht von sich selbst, sondern immer, nicht erst auf den Showbühnen, sondern schon auf dem Supermarktparkplatz, von (einem) Anderen.
Im weiteren Verlauf des Films verstärkt sich diese Spannung zunächst, indem sie auf die zwangsläufig von Entfremdung gekennzeichneten Mechanismen popkultureller Musikproduktion übertragen wird, bevor sie im ergreifenden Finale wieder zur ursprünglichen, dialogischen Form zurückfindet – mit einer entscheidenden, tragischen Differenz: der jetzt wieder spezifische Andere, von dem das Ich singt, ist nicht mehr am Leben. In gewisser Weise artikuliert sich entlang dieser Entwicklung kein negativer, sondern ein geradezu utopischer Popbegriff: Die rohe, „authentische“ Energie des Countryrocks (gleich die erste Einstellung reist uns in eine dynamische Performance; es existiert ein direktes Energieübertragungsband zwischen Jacksons Musik und dem filmischen Bild) muss durch die tiefsten Tiefen des Trash und des Ultrakommerzes hindurch, um am Ende transformiert zu werden in die Transzendenz des reinen Gefühls. (Das zum ersten Mal im schönsten Bild des Films aufscheint: wenn Ally bei ihrem ersten Auftritt sich die Hände vors Gesicht schlägt.)
---
Es lässt sich sofort einwenden: Das ist einfach eine alternative Lesart. Wer kann entscheiden, ob sie richtig liegt? Niemand, selbstverständlich. Dennoch glaube ich natürlich (sonst hätte ich mir nicht die Mühe gemacht, sie auszuformulieren), dass sie es tut, dass sie dem Film gerechter wird als ein interpretatorischer Zugriff, der von einer Entmächtigung, beziehungsweise -subjektivierung Allys ihren Ausgang nimmt. Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen: Meine Lesart wird nicht nur diesem einen Film, sondern dem Kino insgesamt gerechter.
Und zwar, weil ihr nicht eine Idee von Kino zugrunde liegt, die Figuren auf Subjektivität und Narration auf Fragen der Verteilung von Handlungsmacht reduziert. Insbesondere letztere Reduktion ist in der aktuellen Filmkritik (und leider ganz besonders in jenen ihrer Spielarten, die grundsätzlich hohe, weil politische Ansprüche ans Kino stellen) fast zu einem Axiom geronnen; das, glaube ich, einigen Schaden angerichtet hat. Zum Beispiel, weil dadurch das ästhetische Potential von Hilflosigkeit und Passivität aus dem Blick gerät. Aber auch, weil einer Kritik, die auf Handlungsmacht fixiert ist, das Instrumentarium fehlt, die Dramatik, die Schönheiten und die Ironien eines Films wie „A Star is Born“ zu beschreiben, eines Films, in dem eine Figur alle Subjektivitäts- und Handlungsmachtsmarkierungen auf sich zu vereinen scheint, in dem aber nicht diese, sondern eine andere Figur zum Star aufsteigt.