Tuesday, January 21, 2025

Kein Fitnesstagebuch

Warum kein Fitnesstagebuch? Weil ich letztlich doch meist nicht diszipliniert, nicht selbsteinschränkungsbereit genug bin fürs Beobachten, auch nicht fürs Selbstbeobachten. Deshalb höre ich inzwischen, bezeihungsweise bereits seit dem zweiten Training, während des Trainings Musik. Mahler vor allem (lebe so, dass Adorno nicht damit einverstanden wäre). Rennen, Mahler höhren und beobachten: Das geht schlicht nicht. Ist auch besser so, denn ich habe, spät aber doch noch, entdeckt, dass ich mich auf dem Laufband gar nicht hinter blickdichtem Glas befinde. Sondern der Gegenbeobachtung ausgeliefert bin. Zum Glück gibt es wenig Gründe, sich im Bereich, den ich beobachten könnte und von dem aus man mich beobachten könnte, länger aufzuhalten. Der Frage, ob mein Beobachten dennoch bemerkt werden könnte, entziehe ich mich, indem ich gar nicht erst beobachte.

Wednesday, January 08, 2025

Gegenwartsliteratur, ein Sample (8) (und erst einmal wieder Pause; weil, muss sein)

Matthias Jügler, Die Verlassenen. Die nüchterne Melancholie könnte was für mich sein, dachte ich zunächst. Schnell allerdings beginnen die ostentativen Brüche im Erzählfluss zu irritieren. Cliffhanger ins irgendwo, die, vermute ich, gleichzeitig eine "Blockade" gleichzeitig traumatischer und, als im Vordergrund lauernder Subtext, erinnerungspolitischer Natur (die aber schon arg gebaut wirkt) markieren und eine Spannungsdramaturgie etablieren sollen. Am Ende wird es eine Umschrift gewesen sein, die eine Jugenderzählung vom Kopf auf die Beine stellt. Nunja. Ich fürchte, für solche einigermaßen fein gedrechselten thematisch motivierten und sozusagen nur aus strategischen Gründen (um etwas "erzählbar" zu machen oder so) in Romanform gepressten Unternehmungen, literarische Bastelarbeiten im Grunde, fehlt mir die Muße.

Leif Randt, Schimmernder Dunst über Coby County. Gefallen hat mir, wie das Buch zunächst ganz im world building aufzugehen scheint (insbesondere darin, wie Hauptfigur und Welt sich ineinander spiegeln) und man eine Weile lang den Eindruck hat: Das könnte jetzt bis zum Schluss so weiter gehen, da braucht es gar keine Erzählung. Schließlich geht es dieser Zukunftsvision (und sicher nicht nur in dieser) gerade um die Fantasie eines Equlibriums, und wenn die Narration da zu sehr eingreift, widerlegt die Fantasie sich selbst. Wenn der Plot dann Fahrt aufnimmt, gibt sich Randt einige Mühe, ihn nicht zu direkt auf die Subjektivität der Hauptfigur zu beziehen. Eine langsam, wie von selbst kollaborierende Füllwörterwelt, das hat durchaus einigen Reiz, ist aber vielleicht in den Figurenanlagen nicht einfallsreich genug. Etwas mehr Varianz in Sachen Entlebendigung wäre angebracht gewesen.

Simone Buchholz, Revolverherz. Zum ersten Mal seit längerem wieder klassische Genreliteratur. Das fühlt sich zunächst durchaus an wie ein wärmendes Nachhausekommen. Ein Effekt, der sich allerdings leider schnell abnutzt, wenn die Genreliteratur nicht viel taugt. Mit Revolverherz konnte ich leider rein gar nichts anfangen. Die Krimihandlung läuft, früh erkennbar, auf geläufige, spannungsarme moralische Kasuistik hinaus, und die Kiezromantik, Himmel hilf. Herz am rechten Fleck Geschnoddere Galore. Comichafte Überzeichnung schön und gut, aber die Nebenfiguren entstammen weniger einem hard-boiled Comic als einem Schlagerfilm der 1960er. Seriously, frage ich mich vor allem jedes Mal, wen der italienische Polizist auftaucht, die Panettone-Vergleiche anstellt und natürlich weiß, wo der beste Espresso der Stadt aufzutreiben ist. Alles zu gemein, was ich hier schreibe, sicher, ist kein böses Buch, gar nicht, nur eines, das mir nichts gibt.

Friday, January 03, 2025

Gegenwartsliteratur, ein Sample (7)

Mo, Frank Göhre. Zu kurz die Sätze, zu pauschal das zugrundeliegende Interesse. Mir scheint, dass beides miteinander zusammenhängt. Dass Friedrich Glauser (bin weder Kenner noch ganz unbedingt Fan, aber definitiv Sympathisant) gegen die Fliehkräfte seiner eigenen Biografie angeschrieben hat; dass seine Bücher also gerade keine Anverwandlung an den eigenen unsteten Lebenswandel, keine Drogenliteratur vor allem, sind; sondern vielmehr Versuche, auf die als falsch und unbarmherzig empfundenen Solidität der ihn umgebenden Welt (des Schweizerischen, des Bildungsbürgerlichen) mit einer anderen, menschlicheren, reflexiveren, notwendig imaginären Solidität zu antworten; dass der Komplex “Glauser und die Frauen” mit all dem zu tun hat, dass auch die Liebe und das Weibliche für Glauser immer wieder wie Alternativen zur selbstzerstörerischen Totalopposition erscheinen; dass allerdings eben dieser Erwartungsüberschuss, beziehungsweise das imaginäre Moment in Glausers Begehren, die Liebesbeziehungen immer wieder zum Entgleisen bringen muss… all dies ist soweit einigermaßen schlüssig. Allein, es ist letztlich doch nur eine analytische Schablone, die über ein Leben und ein Werk geworfen wird; als Grundlage einer Fiktion eigenen Rechts scheint sie mir nur von begrenztem Wert zu sein. Zu wenig Fleisch an den Knochen, könnte man sagen, und Göhre versucht dann, mit Recherche zu ersetzen, was Fiktion leisten müsste. Der suggestive Stil, die kurzen Sätze, die Stilisierung der Biografie vermittels Auslassungen und “filmischer” Settings soll dann, glaube ich, eben dies verdecken.

Das Wetter vor 15 Jahren, Wolf Haas. In Deutschland hat’s das Leichte schwer; in Österreich: nicht gar so sehr. Reim sich und es wird schon was dran sein, wobei mir das leichtfüßig Verlaberte zum Beispiel bei Schachinger und Präauer eher wenig gemundet hat. Bei Wolf Haas allerdings ist das Leichte nicht Gestus, sondern Form und Strukturprinzip: Textproduktion als Ornament, das keineswegs etwas ihm Vorgängiges veredelt, sondern sich so lange und so fein in sich selbst entfaltet, bis es ein Ganzes, Rundes, in sich Vollkommenes ergibt. Entzückend ganz besonders die Modulation von Zeit, die Kunst des immer-weiter-Herunterbremsens. Ebenso wie Zeit immer weiter teilbar ist, ein Intervall stets mindestens zwei noch kürzere enthält, passt zwischen zwei Wörtern stets noch ein drittes, und dann ein viertes, ein fünftes. Gibt man sich den Eigendynamiken der Zeit und des Schreibens hin, dann strebt man nicht frisch und zielstrebig in Richtung Zukunft, sondern produziert Unterscheidungen im Leerlauf. Gesicherte Rezepte, wie man trotzdem “vorwärts” kommt, gibt es nicht, allenfalls stets nur lokal anwendbare Heuristiken wie das Herunterzählen oder das Foreshadowing: Die Geschichte muss bei jenem Kuss enden, bei dem sie begonnen hat, koste es was es wolle.

Ein von Schatten begrenzter Raum, Emine Sevgi Özdamar. In Menschen, Dingen, Gefühlen leben, nicht in Städten, schon gar nicht in Ländern. Das heißt klarerweise: selbstgewählt leben, nicht fremdbestimmt; es heißt aber noch mehr, nämlich ungefähr: Leben in etwas/als etwas, das man sich persönlich aneignen kann, zumindest temporär, oder, vermutlich: immer nur temporär. Leben als ständige Anverwandlung an die eigene Zugewandtheit zur Welt. Ein solches Leben lässt sich als Liebesreigen auch dann erzählen, wenn es gleichzeitig ganz und gar nicht frei ist von Verletzung, Verlust, Trauer. Zwischendurch kleine persönliche Missstimmungen, die aber kaum irgendetwas besagen angesichts dieser Textwucht: Ein wenig arg differenzlos sind sie schon, diese vielen Lieben. Man spürt, dass in jeder Einzelnen etwas Spezifisches steckt, das aufgefaltet werden könnte; und doch bleibt es fast stets bei der wuchtigen, markanten Liebeserklärung; vielleicht irritiert mich freilich auch nur, dass es in der Welt dieses Buches die Kunst, die wahre Kunst, die Kunst der Moderne, und auch die Gemeinschaft, die die Kunst stiftet, noch eine Gesamtheit ist, die als Ganzes und allumfassend bezeichenbar und der Liebe würdig ist. Außerdem: Kitschfrei ist das alles nun nicht. Jedoch, manchmal ist ein Parisaufenthalt eben ein Kiki-de-Montparnasse-Leben, warum ihn dann nicht genau so aufschreiben. Und es geht danach ja eh anders, deutlich vielfach gebrochener weiter. Und über die Selbstbefragung, die in den Liebes- und Lebensreigen eingebettet ist (oder umgekehrt?) habe ich eh noch nicht geschrieben, eine Selbstbefragung, die nicht etwa nur die eines lyrischen Ichs ist, sondern eine des Texts selbst, der sich sozusagen selbst zur Wiedervorlage auffordert… Was soll ich auch schreiben, außer, es hat mich schwer beeindruckt und ich habe wirklich keine Begriffe dafür, was der Text da genau macht.