Friday, January 03, 2025

Gegenwartsliteratur, ein Sample (7)

Mo, Frank Göhre. Zu kurz die Sätze, zu pauschal das zugrundeliegende Interesse. Mir scheint, dass beides miteinander zusammenhängt. Dass Friedrich Glauser (bin weder Kenner noch ganz unbedingt Fan, aber definitiv Sympathisant) gegen die Fliehkräfte seiner eigenen Biografie angeschrieben hat; dass seine Bücher also gerade keine Anverwandlung an den eigenen unsteten Lebenswandel, keine Drogenliteratur vor allem, sind; sondern vielmehr Versuche, auf die als falsch und unbarmherzig empfundenen Solidität der ihn umgebenden Welt (des Schweizerischen, des Bildungsbürgerlichen) mit einer anderen, menschlicheren, reflexiveren, notwendig imaginären Solidität zu antworten; dass der Komplex “Glauser und die Frauen” mit all dem zu tun hat, dass auch die Liebe und das Weibliche für Glauser immer wieder wie Alternativen zur selbstzerstörerischen Totalopposition erscheinen; dass allerdings eben dieser Erwartungsüberschuss, beziehungsweise das imaginäre Moment in Glausers Begehren, die Liebesbeziehungen immer wieder zum Entgleisen bringen muss… all dies ist soweit einigermaßen schlüssig. Allein, es ist letztlich doch nur eine analytische Schablone, die über ein Leben und ein Werk geworfen wird; als Grundlage einer Fiktion eigenen Rechts scheint sie mir nur von begrenztem Wert zu sein. Zu wenig Fleisch an den Knochen, könnte man sagen, und Göhre versucht dann, mit Recherche zu ersetzen, was Fiktion leisten müsste. Der suggestive Stil, die kurzen Sätze, die Stilisierung der Biografie vermittels Auslassungen und “filmischer” Settings soll dann, glaube ich, eben dies verdecken.

Das Wetter vor 15 Jahren, Wolf Haas. In Deutschland hat’s das Leichte schwer; in Österreich: nicht gar so sehr. Reim sich und es wird schon was dran sein, wobei mir das leichtfüßig Verlaberte zum Beispiel bei Schachinger und Präauer eher wenig gemundet hat. Bei Wolf Haas allerdings ist das Leichte nicht Gestus, sondern Form und Strukturprinzip: Textproduktion als Ornament, das keineswegs etwas ihm Vorgängiges veredelt, sondern sich so lange und so fein in sich selbst entfaltet, bis es ein Ganzes, Rundes, in sich Vollkommenes ergibt. Entzückend ganz besonders die Modulation von Zeit, die Kunst des immer-weiter-Herunterbremsens. Ebenso wie Zeit immer weiter teilbar ist, ein Intervall stets mindestens zwei noch kürzere enthält, passt zwischen zwei Wörtern stets noch ein drittes, und dann ein viertes, ein fünftes. Gibt man sich den Eigendynamiken der Zeit und des Schreibens hin, dann strebt man nicht frisch und zielstrebig in Richtung Zukunft, sondern produziert Unterscheidungen im Leerlauf. Gesicherte Rezepte, wie man trotzdem “vorwärts” kommt, gibt es nicht, allenfalls stets nur lokal anwendbare Heuristiken wie das Herunterzählen oder das Foreshadowing: Die Geschichte muss bei jenem Kuss enden, bei dem sie begonnen hat, koste es was es wolle.

Ein von Schatten begrenzter Raum, Emine Sevgi Özdamar. In Menschen, Dingen, Gefühlen leben, nicht in Städten, schon gar nicht in Ländern. Das heißt klarerweise: selbstgewählt leben, nicht fremdbestimmt; es heißt aber noch mehr, nämlich ungefähr: Leben in etwas/als etwas, das man sich persönlich aneignen kann, zumindest temporär, oder, vermutlich: immer nur temporär. Leben als ständige Anverwandlung an die eigene Zugewandtheit zur Welt. Ein solches Leben lässt sich als Liebesreigen auch dann erzählen, wenn es gleichzeitig ganz und gar nicht frei ist von Verletzung, Verlust, Trauer. Zwischendurch kleine persönliche Missstimmungen, die aber kaum irgendetwas besagen angesichts dieser Textwucht: Ein wenig arg differenzlos sind sie schon, diese vielen Lieben. Man spürt, dass in jeder Einzelnen etwas Spezifisches steckt, das aufgefaltet werden könnte; und doch bleibt es fast stets bei der wuchtigen, markanten Liebeserklärung; vielleicht irritiert mich freilich auch nur, dass es in der Welt dieses Buches die Kunst, die wahre Kunst, die Kunst der Moderne, und auch die Gemeinschaft, die die Kunst stiftet, noch eine Gesamtheit ist, die als Ganzes und allumfassend bezeichenbar und der Liebe würdig ist. Außerdem: Kitschfrei ist das alles nun nicht. Jedoch, manchmal ist ein Parisaufenthalt eben ein Kiki-de-Montparnasse-Leben, warum ihn dann nicht genau so aufschreiben. Und es geht danach ja eh anders, deutlich vielfach gebrochener weiter. Und über die Selbstbefragung, die in den Liebes- und Lebensreigen eingebettet ist (oder umgekehrt?) habe ich eh noch nicht geschrieben, eine Selbstbefragung, die nicht etwa nur die eines lyrischen Ichs ist, sondern eine des Texts selbst, der sich sozusagen selbst zur Wiedervorlage auffordert… Was soll ich auch schreiben, außer, es hat mich schwer beeindruckt und ich habe wirklich keine Begriffe dafür, was der Text da genau macht.

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