"80 Sachen Rauschen" im Moviemento und im Lichtblick.
U.a. heute und morgen: Nekromantik 1 +2, Mittwoch: Der Todesking
Sunday, December 16, 2007
Saturday, December 15, 2007
La baie des anges, Jacques Demy, 1963
Schön sind die Casino-Szenen: Beim Betreten des Raumes sind Jackie, Jean und die anderen noch Charaktere, doch während des Spiels reduzieren sie sich mehr und mehr reduzieren auf die Chips, welche sie von Roulettetisch zu Roulettetisch tragen und die ihnen anhaften wie Preisschilder. Die Verteilung des Geldersatzes bestimmt die Verteilung der Körper im Raum wie auch ihre Anordnung und wer seine letzten liquiden Mittel verspielt hat, ist für die übrigen Luft. Ärgerlich ist in dieser Hinsicht nur manchmal Demys unschicklicher Eingriff in die Natur des Glückspiels: Eine Roulettekugel, die sich einer melodramatischen Struktur unterordnet, wird entweder vom Croupier unredlich gelenkt oder sie ist eben keine Roulettekugel. Genau andersrum müssten sich doch eigentlich die melodramatischen Strukturen der Kugel beugen. Andererseits denkt Demy diese Drehung vielleicht mit und vollzieht in seinem Film die Melodramatisierung nach, die wir alle geneigt sind, auf kontingente Systeme wie Roulette,Lotto oder vergleichbares zu projizieren.
Gleich während dem ersten Gespräch zwischen dem großartigen Calaude Mann und der zu bemitleidenden Jeanne Moreau (dazu gleich mehr) weißt der Film darauf hin, dass es sich hier nicht um echte Casinos, echte Spielsucht, echte amour fou etc handelt, sondern höchstens um abgeleitete. Die Boulevards und die sie bevölkerten Menschen kenne man dem Dialog zufulgo eben nicht aus der französischen Realität der Sechziger Jahre, sondern aus amerikanischen Filmen und Romanen. Genauso Jeanne Moreau selbst: Da kann sie noch so psychotisch durch die Gegend laufen, alle zwei Minuten Fruisur und Kleidung wechseln (mit Vorliebe irgendwas mit Bändern, Schleifen, Schleiern etc), da kann sie noch so melodramatisch beleuchtet werden, sie bleibt doch stets nur das Zitat eines Stars und wird nie zu diesem selbst.
Das ökonomische Erzählen Hollywoods beherrscht Demy in jedem Fall ebenso perfekt wie den souveränen Umgang mit der Bildmotivik: Bei seinem Eintritt in die Welt der Spieler wird Claude Mann von einer Spiegelserie vervielfältigt, nach zahlreichen weiteren Spiegelspielen muss Moreaus bei ihrem Austritt aus derselben die gleiche Prozedur in umgekehrter richtung durchlaufen.
Schön ist der Film zweifellos, höchst unterhaltsam ebenso. Da es mein erster Demy ist, sollte ich außerdem mit einem abschließenden Urteil vorsichtig sein: vielleicht klärt sich manches noch bei einer breiteren Betrachtung des Werks. Bislang jedoch kann ich den ganz großen Reiz an der Sache noch nicht erkennen. La baie des anges sieht mir doch eher nach - zugegebenermaßen handwerklich perfektem aber letztlich doch eher ödem - Kunsthandwerk am Vorabend der Postmoderne aus.
Gleich während dem ersten Gespräch zwischen dem großartigen Calaude Mann und der zu bemitleidenden Jeanne Moreau (dazu gleich mehr) weißt der Film darauf hin, dass es sich hier nicht um echte Casinos, echte Spielsucht, echte amour fou etc handelt, sondern höchstens um abgeleitete. Die Boulevards und die sie bevölkerten Menschen kenne man dem Dialog zufulgo eben nicht aus der französischen Realität der Sechziger Jahre, sondern aus amerikanischen Filmen und Romanen. Genauso Jeanne Moreau selbst: Da kann sie noch so psychotisch durch die Gegend laufen, alle zwei Minuten Fruisur und Kleidung wechseln (mit Vorliebe irgendwas mit Bändern, Schleifen, Schleiern etc), da kann sie noch so melodramatisch beleuchtet werden, sie bleibt doch stets nur das Zitat eines Stars und wird nie zu diesem selbst.
Das ökonomische Erzählen Hollywoods beherrscht Demy in jedem Fall ebenso perfekt wie den souveränen Umgang mit der Bildmotivik: Bei seinem Eintritt in die Welt der Spieler wird Claude Mann von einer Spiegelserie vervielfältigt, nach zahlreichen weiteren Spiegelspielen muss Moreaus bei ihrem Austritt aus derselben die gleiche Prozedur in umgekehrter richtung durchlaufen.
Schön ist der Film zweifellos, höchst unterhaltsam ebenso. Da es mein erster Demy ist, sollte ich außerdem mit einem abschließenden Urteil vorsichtig sein: vielleicht klärt sich manches noch bei einer breiteren Betrachtung des Werks. Bislang jedoch kann ich den ganz großen Reiz an der Sache noch nicht erkennen. La baie des anges sieht mir doch eher nach - zugegebenermaßen handwerklich perfektem aber letztlich doch eher ödem - Kunsthandwerk am Vorabend der Postmoderne aus.
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Liu Hulan, Feng Bailu, 1950
1950, nur ein Jahr nach der Gründung der Volksrepublik China, entstand ein biographischer Film (der zwar eine DVD-Veröffentlichung mitsamt englischer Untertitel erfahren durfte, auf einen imdb-Eintrag aber noch warten muss) über die Revolutionsheldin Liu Hulan, welche auch heute noch Gegenstand von Kontroversen ist. Angesichts der bei weitem noch nicht gesichterten internationalen Stellung des neuen chinesischen Staates nimmt es nicht Wunder, dass insgesamt propagandistische Elemente klar im Vordergrund stehen. Vor allem stellt Feng Bailu wieder und wieder China als eine Nation dar, die sich über Krieg (gegen das Großbürgertum, gegen Japaner, Reaktionäre und im Hintergrund natürlich auch die USA) definiert. Ihrem eigenen wagen Pazifismus erteilt Feng Bailus Liu denn auch gleich zu Beginn eine Absage.
Liu Hulan ist wohl (mangels genauerer Kenntnis dieser filmgeschichtlichen Epoche muss ich mich mit Mutmaßungen begnügen) einer chinesischen Version des sowjetischen sozialistischen Realismus zuzuordnen, jenem Stilprinzip, das zumindest in der klassischen Filmgeschichtsschreibung so schlecht wegkommt wie kaum ein anderes und für den Niedergang des progressiven linken Agitationskinos der Zwanziger verantworlich gemacht wird. Auch Feng Bailu verzichtet auf jegliches formales Experiment und orientiert sich sowohl was die Filmsprache als solche, als auch was die Individualisierungsstrategien zwecks Zuschaueridentifikation betrifft, deutlich an Hollywood (sogar die doppelte Gliederung des Plots ist vorhanden).
Ob ein solches Vorgehen grundsätzlich als reaktionär zu begreifen ist, sei dahingestellt (mir selbst sind solche Versuche, Form gegen Inhalt auszuspielen, zunehmend suspekt), allzu spannend ist das Ergebnis in diesem Fall allerdings tatsächlich nicht beziehungsweise höchstens aus philologischer Sicht. Interessant sind ansonsten nur die Momente, in welchen sich der Film zu seinen wenigen melodramatischen Höhepunkten aufwirft. Hier, während der Attacke der Japaner wie während der abschließenden Hinrichtung (selbstverständlich sind in dieser Version die Dorfbewohner nicht beteiligt) erweist sich Feng Bailu als technisch äußerst versierter Regisseur, der die Affektexzesse Hollywoods mittels Beleuchtung und Mise en Scene bestens nachzuvollziehen weiß. Freilich: So schön diese Sequenzen auch anzusehen sind, sind sie doch gewissermaßen gleich doppelt falsch: einerseits aufgrund der Personalisierung und der Ausstellung des apolitischen Affekts zu klein für die historische Bedeutung des Dargestellten, andererseits zu groß für den braven Sozialrealismus des restlichen Films.
Liu Hulan ist wohl (mangels genauerer Kenntnis dieser filmgeschichtlichen Epoche muss ich mich mit Mutmaßungen begnügen) einer chinesischen Version des sowjetischen sozialistischen Realismus zuzuordnen, jenem Stilprinzip, das zumindest in der klassischen Filmgeschichtsschreibung so schlecht wegkommt wie kaum ein anderes und für den Niedergang des progressiven linken Agitationskinos der Zwanziger verantworlich gemacht wird. Auch Feng Bailu verzichtet auf jegliches formales Experiment und orientiert sich sowohl was die Filmsprache als solche, als auch was die Individualisierungsstrategien zwecks Zuschaueridentifikation betrifft, deutlich an Hollywood (sogar die doppelte Gliederung des Plots ist vorhanden).
Ob ein solches Vorgehen grundsätzlich als reaktionär zu begreifen ist, sei dahingestellt (mir selbst sind solche Versuche, Form gegen Inhalt auszuspielen, zunehmend suspekt), allzu spannend ist das Ergebnis in diesem Fall allerdings tatsächlich nicht beziehungsweise höchstens aus philologischer Sicht. Interessant sind ansonsten nur die Momente, in welchen sich der Film zu seinen wenigen melodramatischen Höhepunkten aufwirft. Hier, während der Attacke der Japaner wie während der abschließenden Hinrichtung (selbstverständlich sind in dieser Version die Dorfbewohner nicht beteiligt) erweist sich Feng Bailu als technisch äußerst versierter Regisseur, der die Affektexzesse Hollywoods mittels Beleuchtung und Mise en Scene bestens nachzuvollziehen weiß. Freilich: So schön diese Sequenzen auch anzusehen sind, sind sie doch gewissermaßen gleich doppelt falsch: einerseits aufgrund der Personalisierung und der Ausstellung des apolitischen Affekts zu klein für die historische Bedeutung des Dargestellten, andererseits zu groß für den braven Sozialrealismus des restlichen Films.
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Thursday, December 13, 2007
Berlin Kino, 13. - 19.12. 2007
Heute startet recht kurz nach dem tollen The Assasination of Jesse James... ein weiterer Neo/Spät/Whatever-Western. Das 3:10 to Yuma Remake ist allerdings trotz mancher Qualitäten bei weitem schlechtere Film und bietet sich an für ein Pladoyer gegen die Psychologisierung im Western als Kontrastfolie an. Besonders nervig: Russel Crowe. Ansehbar ist der Film dennoch, genauso wie der von Jerry Seinfeld produzierte Animationsfilm Bee Movie (siehe ebenfalls hier). Allerdings sollte man keine auch nur annähernd so detailversessen liebevoll gestaltete Diegese erwarten wie in Ratatouille und anderen Pixar-Produktionen. Vor allem jedoch seien alle, die der englischen Sprache auch nur halbwegs mächtig sind geraten, sich an die Originaltonspur zu halten. Von der Doku Rubljovka – Straße zur Glückseligkeit möchte ich eher abraten, ansonsten könnte eventuell Hitman interessant sein (Ebert hat's gefallen), laut imdb ist der Film hierzulande allerdings geschnitten. Hmmm.
Das Arsenal zeigt heute abend in einer von Thomas Arslan programmierten Reihe Agnes Vardas Le bonheur (strictly film school), nächsten Dienstag läuft dann King Vidors unglaubliche Ayn Rand-Verfilmung The Fountainhead.
Im Babylon läuft heute abend wieder ein Programm der sehr interessanten Reihe zum chinesischen Underground-Film Close Up China, außerdem fühle ich mich dazu verpflichtet, auf die Wiederholung des hier kürzlich erwähnten Filmes Keane hinzuweisen: Diese findet am Montag statt.
Das Arsenal zeigt heute abend in einer von Thomas Arslan programmierten Reihe Agnes Vardas Le bonheur (strictly film school), nächsten Dienstag läuft dann King Vidors unglaubliche Ayn Rand-Verfilmung The Fountainhead.
Im Babylon läuft heute abend wieder ein Programm der sehr interessanten Reihe zum chinesischen Underground-Film Close Up China, außerdem fühle ich mich dazu verpflichtet, auf die Wiederholung des hier kürzlich erwähnten Filmes Keane hinzuweisen: Diese findet am Montag statt.
Wednesday, December 12, 2007
Man Push Cart, Ramin Bahrani, 2005
Obwohl wie in La Grain et la mulet letztlich irgendwie der italienischen Neorealismus als hauptsächliche ästhetische Referenz im Hintergrund steht, macht Man Push Cart doch in mancher Hinsicht alles genau andersrum. Während Kechiches Handkameraexzesse auf eine plastische, modellierbare, durchdringbare, kurz: durch und durch dreidimensionale Welt verweisen, betont Bahrani radikal die dem Medium eigene Flächigkeit und erschwert dadurch den Weltzugriff sowohl von Seiten der Protagonisten als auch von Seiten des Publikums.
Ahmad ist einen Großteil des Films damit beschäftigt, einen fahrbaren Coffee & Donut Shop durch New York zu ziehen. Der Silberbeschlag des Wagens reflektiert das sparsam eingesetzte Licht und sorgt für eine leicht halluzinierende, plastische Flächigkeit, die nach und nach den ganzen Film übernimmt. Die extrem langen Brennweiten der Kameralinse vernichten jeden Anflug von Tiefenschärfe, die Bewegungsrichtung der Kamera (aber auch der Figuren innerhalb der Diegese) ist stets rein lateral. Verschiebung statt Durchdringung, sanfte Akkumulation (von Bildern, Personen, Affekten) statt Penetration. Die lateral organisierten Kamerabewegungen können alles erfassen und behandeln alles tendenziell gleich.
In der Tat erzählt der Hauptdarsteller nach dem Film, dass viele Kundengespräche (und auch einige andere Episoden) mit zufällig Anwesenden Passanten improvisiert wurden (unter anderem ein sehr lustiges Pornoverkaufsgespräch). Den Bildern jedoch sieht man nie einen wie auch immer gearteten Bruch zwischen Inszenierung und Improvisation an, beides verbindet sich zu einem dichten, strikt zweidimensional organisierten Geflecht. Manchmal legt sich (ähnlich wie in Thomas Arslans ohnehin in vieler Hinsicht ähnlichem) Dealer eine kleine melancholische Melodie weniger über als neben die Bilder. Das Fehlen der Tiefendimension verweist in beiden Filmen auf die Schwierigkeit gesellschaftlich marginalisierter Individuen, sich als handelnde Subjekte in einem dreidimensionalen Raum zu konstituieren.
Irgendwann verschwindet der Wagen durch das Geflecht in die dem Film, dem Protagonisten und dem Zuschauer nicht zugängliche Tiefe des Raumes. Konsequenterweise ist er dann auch nicht mehr aufzutreiben, wenn sich auch für einen kurzen Moment eine Straße in Richtung Fluchtpunkt öffnet.
Man Push Cart ist ohne Zweifel ein kleinerer Film als La Grain et la mulet, ein Film, dem manch einer vorwerfen wird, er schrecke davor zurück, Machtstrukturen auch außerhalb seiner bloßen Form zu diskutieren und dadurch Handlungsmöglichkeiten zu eröffnen. Für manche ist Man Push Cart vielleicht nichts anderes als eine Übung in sozialrealistisch verbrämtem Bressonianismus. Mir jedoch gefällt der Film weitaus besser als Kechiches Sozialepos, auch und gerade in seiner Reduktion. New York beispielsweise wird in einer eigenartigen Mischung aus Naturalismus und Artifizialität inszeniert, die diese neben Los Angeles wahrscheinlich meistgefilmte Stadt der Welt wieder einmal völlig neu zu erschließen scheint. Aber eben gerade nicht als einen kohärenten, sozial differenzierten Handlungsraum, sondern als ein sonderbares Nebeneinander schummrig beleuchteter Straßenecken und halbrenovierter Appartments.
Ahmad ist einen Großteil des Films damit beschäftigt, einen fahrbaren Coffee & Donut Shop durch New York zu ziehen. Der Silberbeschlag des Wagens reflektiert das sparsam eingesetzte Licht und sorgt für eine leicht halluzinierende, plastische Flächigkeit, die nach und nach den ganzen Film übernimmt. Die extrem langen Brennweiten der Kameralinse vernichten jeden Anflug von Tiefenschärfe, die Bewegungsrichtung der Kamera (aber auch der Figuren innerhalb der Diegese) ist stets rein lateral. Verschiebung statt Durchdringung, sanfte Akkumulation (von Bildern, Personen, Affekten) statt Penetration. Die lateral organisierten Kamerabewegungen können alles erfassen und behandeln alles tendenziell gleich.
In der Tat erzählt der Hauptdarsteller nach dem Film, dass viele Kundengespräche (und auch einige andere Episoden) mit zufällig Anwesenden Passanten improvisiert wurden (unter anderem ein sehr lustiges Pornoverkaufsgespräch). Den Bildern jedoch sieht man nie einen wie auch immer gearteten Bruch zwischen Inszenierung und Improvisation an, beides verbindet sich zu einem dichten, strikt zweidimensional organisierten Geflecht. Manchmal legt sich (ähnlich wie in Thomas Arslans ohnehin in vieler Hinsicht ähnlichem) Dealer eine kleine melancholische Melodie weniger über als neben die Bilder. Das Fehlen der Tiefendimension verweist in beiden Filmen auf die Schwierigkeit gesellschaftlich marginalisierter Individuen, sich als handelnde Subjekte in einem dreidimensionalen Raum zu konstituieren.
Irgendwann verschwindet der Wagen durch das Geflecht in die dem Film, dem Protagonisten und dem Zuschauer nicht zugängliche Tiefe des Raumes. Konsequenterweise ist er dann auch nicht mehr aufzutreiben, wenn sich auch für einen kurzen Moment eine Straße in Richtung Fluchtpunkt öffnet.
Man Push Cart ist ohne Zweifel ein kleinerer Film als La Grain et la mulet, ein Film, dem manch einer vorwerfen wird, er schrecke davor zurück, Machtstrukturen auch außerhalb seiner bloßen Form zu diskutieren und dadurch Handlungsmöglichkeiten zu eröffnen. Für manche ist Man Push Cart vielleicht nichts anderes als eine Übung in sozialrealistisch verbrämtem Bressonianismus. Mir jedoch gefällt der Film weitaus besser als Kechiches Sozialepos, auch und gerade in seiner Reduktion. New York beispielsweise wird in einer eigenartigen Mischung aus Naturalismus und Artifizialität inszeniert, die diese neben Los Angeles wahrscheinlich meistgefilmte Stadt der Welt wieder einmal völlig neu zu erschließen scheint. Aber eben gerade nicht als einen kohärenten, sozial differenzierten Handlungsraum, sondern als ein sonderbares Nebeneinander schummrig beleuchteter Straßenecken und halbrenovierter Appartments.
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Monday, December 10, 2007
La graine et le mulet, Abdel Kechiche, 2007
Abdel Kechiche rückt seinen Akteuren so nah auf den Leib, wie das sonst nur die Dogma-Filmer versuchen. Überhaupt bricht Kechiche wohl nur recht wenige Regeln des berüchtigten Manifests und reiht sich in die lange Reihe derer ein, die Authentifizierung vor allem über Handkameraexzesse zu erreichen können glauben.
Zu Beginn: Sozialdrama galore. Nach einer noch recht entspannten Episode um (wie sich bald herausstellen wird: außerehelichen) Sex auf einem Touristenschiff, wendet La graine et la mulet sich konsequent dem harten Alltagsleben zweier Immigrantenfamilien zu. Der touristische Blick ist nur Antithese zu allem, was folgen wird. Der falschen Objektivität des Touristen möchte Kechiche eine Vielzahl an Subjektivitäten entgegensetzen, Subjektivitäten, die sich oft gegenseitig widersprechen und sich nur widerstrebend den zahllosen sozialen Verträgen, die das Leben ihrer Träger objektiv bestimmen, unterordnen.
Doch zunächst wie gesagt: Sozialdrama pur. Im Mittelpunkt steht Anfangs der alternde Slimane. Nach einigen Lektionen in Sachen neoliberalem Outsourcing werden die Kinder, die Ex-Frau und die Freundin eingeführt, die Kamera bleibt weiterhin nah an den Gesichtern und Händen, auch wenn die Tochter ihren (französischen und zumindest grenzchauvinistischen) Mann in einer überaschend didaktischen Passage über die Regeln des Wirtschaftsspiels aufklärt.
Sobald Thematik und Ausgangsposition etabliert sind, löst sich die Erzählung mehr und mehr von Slimane, der schließlich fast das gesamte letzte Drittel des Films nur noch damit zubringen wird, einige Kinder zu verfolgen, die sein Moped gestohlen haben. Nun kommt jeder zu seinem Recht, noch die scheinbar unwichtigsten Figuren des Ensembles erhalten ihre Subjektivität, von den eben nicht nur rein funktionell bestimmten Antagonisten der Immigrantenclans, den alteingesessenen vollblutfranzösischen Geschäftsmännern bis zu den oben erwähnten Mopeddieben und den fast schon sprichwörtlichen alten Männern, die im Cafe sitzen.
Durchaus beeindruckend ist die Konsequenz, mit welcher Kechiche diese multiple Subjektivierung in Szene setzt. Freilich gibt La graine et la mulet im Zweifelsfall stets dem Familienmelo den Vorzug vor der Erkundung sozioökonomischer Zusammenhänge. Und auch die dramatische Struktur des gesamten Filmsfolgt diesem Paradigma und reduziert die anfangs noch recht frei angelegten Konflikte zu einer mehrschichtigen Parallelmontage mit Suspense und allem, was dazu gehört. (Im Grunde ist La graine et la mulet klassisches Kino in Reinform, vor allem in seinem Streben nach motivischer Kohärenz und seiner bedingungslosen räumlichen Verdichtung der Ereignisse.)
Was bleibt sind vor allem viele lange Gespräche. Die sind oft sehr schön: Die junge Rym steht während einer ruhigen, konzentrierten Unterredung vor einer rosa gemusterten Tapete, während sich hinter dem sitzenden Slimane ein Fenster zum Hafen öffnet; ein Familienessen entwickelt sich zur polyphonen Sprachsynphonie. Doch nicht ganz lässt sich der Eindruck verdrängen, dass Kechiche im Zweifelsfall der Soap Opera immer etwas zu gewogen ist. Vor allem in Bezug auf die Schließung, die nun tatsächlich viel zu viel schließt. So ist La graine et la mulet zwar ohne Zweifel ein guter Film. Ein ehrlicher jedoch nur bis zur vorletzten Einstellung. Und ein "neues Kino der Menschlichkeit" (Hochhäusler)? Ich weiss nicht so recht...
Zu Beginn: Sozialdrama galore. Nach einer noch recht entspannten Episode um (wie sich bald herausstellen wird: außerehelichen) Sex auf einem Touristenschiff, wendet La graine et la mulet sich konsequent dem harten Alltagsleben zweier Immigrantenfamilien zu. Der touristische Blick ist nur Antithese zu allem, was folgen wird. Der falschen Objektivität des Touristen möchte Kechiche eine Vielzahl an Subjektivitäten entgegensetzen, Subjektivitäten, die sich oft gegenseitig widersprechen und sich nur widerstrebend den zahllosen sozialen Verträgen, die das Leben ihrer Träger objektiv bestimmen, unterordnen.
Doch zunächst wie gesagt: Sozialdrama pur. Im Mittelpunkt steht Anfangs der alternde Slimane. Nach einigen Lektionen in Sachen neoliberalem Outsourcing werden die Kinder, die Ex-Frau und die Freundin eingeführt, die Kamera bleibt weiterhin nah an den Gesichtern und Händen, auch wenn die Tochter ihren (französischen und zumindest grenzchauvinistischen) Mann in einer überaschend didaktischen Passage über die Regeln des Wirtschaftsspiels aufklärt.
Sobald Thematik und Ausgangsposition etabliert sind, löst sich die Erzählung mehr und mehr von Slimane, der schließlich fast das gesamte letzte Drittel des Films nur noch damit zubringen wird, einige Kinder zu verfolgen, die sein Moped gestohlen haben. Nun kommt jeder zu seinem Recht, noch die scheinbar unwichtigsten Figuren des Ensembles erhalten ihre Subjektivität, von den eben nicht nur rein funktionell bestimmten Antagonisten der Immigrantenclans, den alteingesessenen vollblutfranzösischen Geschäftsmännern bis zu den oben erwähnten Mopeddieben und den fast schon sprichwörtlichen alten Männern, die im Cafe sitzen.
Durchaus beeindruckend ist die Konsequenz, mit welcher Kechiche diese multiple Subjektivierung in Szene setzt. Freilich gibt La graine et la mulet im Zweifelsfall stets dem Familienmelo den Vorzug vor der Erkundung sozioökonomischer Zusammenhänge. Und auch die dramatische Struktur des gesamten Filmsfolgt diesem Paradigma und reduziert die anfangs noch recht frei angelegten Konflikte zu einer mehrschichtigen Parallelmontage mit Suspense und allem, was dazu gehört. (Im Grunde ist La graine et la mulet klassisches Kino in Reinform, vor allem in seinem Streben nach motivischer Kohärenz und seiner bedingungslosen räumlichen Verdichtung der Ereignisse.)
Was bleibt sind vor allem viele lange Gespräche. Die sind oft sehr schön: Die junge Rym steht während einer ruhigen, konzentrierten Unterredung vor einer rosa gemusterten Tapete, während sich hinter dem sitzenden Slimane ein Fenster zum Hafen öffnet; ein Familienessen entwickelt sich zur polyphonen Sprachsynphonie. Doch nicht ganz lässt sich der Eindruck verdrängen, dass Kechiche im Zweifelsfall der Soap Opera immer etwas zu gewogen ist. Vor allem in Bezug auf die Schließung, die nun tatsächlich viel zu viel schließt. So ist La graine et la mulet zwar ohne Zweifel ein guter Film. Ein ehrlicher jedoch nur bis zur vorletzten Einstellung. Und ein "neues Kino der Menschlichkeit" (Hochhäusler)? Ich weiss nicht so recht...
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Saturday, December 08, 2007
Berlin Kino: Zwei Kurzhinweise
Und der erste gleich in eigener Sache:
Seit letztem Sommer bin ich an der Programmierung der Filmreihe debut im Berliner Kino Babylon beteiligt (allerdings nicht hauptverantwortlich, Beschwerden also bitte nicht an mich...).
Die Reihe geht nächsten Montag mit der Berlinpremiere von Lodge Kerrigans Keane in die zweite Runde. Zugegebenermaßen ist der Film nicht unbedingt mein Lieblingsstreifen der aktuellen Staffel (that would be Mary, demnächst ebenfalls in Berlin), sehr interessant ist Kerrigans Werk aber in jedem Fall. Hier zwei sehr schöne Kritiken, von Ekkehard Knörer und Katharina Stumm.
Außerdem bin ich Dank Sarah auf eine Reihe im Haus der Kulturen der Welt aufmerksam geworden, die in neun Programmen neue Dokumentarfilme aus dem arabischen Raum vorstellt. Los geht's am Dienstag, bis Anfang Januar werden alle Filme noch zweimal wiederholt.
Seit letztem Sommer bin ich an der Programmierung der Filmreihe debut im Berliner Kino Babylon beteiligt (allerdings nicht hauptverantwortlich, Beschwerden also bitte nicht an mich...).
Die Reihe geht nächsten Montag mit der Berlinpremiere von Lodge Kerrigans Keane in die zweite Runde. Zugegebenermaßen ist der Film nicht unbedingt mein Lieblingsstreifen der aktuellen Staffel (that would be Mary, demnächst ebenfalls in Berlin), sehr interessant ist Kerrigans Werk aber in jedem Fall. Hier zwei sehr schöne Kritiken, von Ekkehard Knörer und Katharina Stumm.
Außerdem bin ich Dank Sarah auf eine Reihe im Haus der Kulturen der Welt aufmerksam geworden, die in neun Programmen neue Dokumentarfilme aus dem arabischen Raum vorstellt. Los geht's am Dienstag, bis Anfang Januar werden alle Filme noch zweimal wiederholt.
Thursday, December 06, 2007
Berlin Kino, 6.12. / 12.12. 2007
Derzeit ist hier aufgrund Zeitmangels recht wenig los und auch an dieser Stelle nur einige ganz kurze Hinweise:
Neu im Kino startet Maria Speths Madonnen. Meine (positive) Kritik wird wohl noch im Laufe des Tages bei critic.de online gehen, ein unsäglicher Artikel der FAS wird bei newfilmkritik diskutiert und für fundierte (allerdings auch etwas hysterische: "Eigentlich ist das furchtbar profanes Erzählkino, geerdet sogar bis hin zur ekelhaftesten emotionalen Zuschauer-Manipulation, die Mitleids-Evokation mit dem sowieso die ganze Zeit über unerträglich traurig dreinschauenden Mädchen, das nach dem Sportunterricht von seinen grausamen Mitschülern misshandelt wird, buhuhu." aber umso besser: etwas mehr gut ausformulierte Hysterie kann der deutschen Filmkritik nur guttun) Gegenposition besuche man Christian. Kurz und gut: Anschauen! Ansonsten: Ulrike Ottingers netter Prater und ein neuer Thome namens Das Sichtbare und das Unsichtbare, auf den ich mich eigentlich gefreut hatte, an welchem jedoch Knörer kein gutes Haar lässt.
Weiterhin im Babylon: In 14 Filmen um die Welt mit u.a. Jia Zhang-kes Dong heute und Samstag sowie nächsten Mittwoch wieder Italowestern.
Im Zeughauskino läuft derweil heute abend Bitomskys Reichsautobahn. Nächsten Mittwoch dann Originalnazikino mit Veit Harlans Die goldene Stadt.
Neu im Kino startet Maria Speths Madonnen. Meine (positive) Kritik wird wohl noch im Laufe des Tages bei critic.de online gehen, ein unsäglicher Artikel der FAS wird bei newfilmkritik diskutiert und für fundierte (allerdings auch etwas hysterische: "Eigentlich ist das furchtbar profanes Erzählkino, geerdet sogar bis hin zur ekelhaftesten emotionalen Zuschauer-Manipulation, die Mitleids-Evokation mit dem sowieso die ganze Zeit über unerträglich traurig dreinschauenden Mädchen, das nach dem Sportunterricht von seinen grausamen Mitschülern misshandelt wird, buhuhu." aber umso besser: etwas mehr gut ausformulierte Hysterie kann der deutschen Filmkritik nur guttun) Gegenposition besuche man Christian. Kurz und gut: Anschauen! Ansonsten: Ulrike Ottingers netter Prater und ein neuer Thome namens Das Sichtbare und das Unsichtbare, auf den ich mich eigentlich gefreut hatte, an welchem jedoch Knörer kein gutes Haar lässt.
Weiterhin im Babylon: In 14 Filmen um die Welt mit u.a. Jia Zhang-kes Dong heute und Samstag sowie nächsten Mittwoch wieder Italowestern.
Im Zeughauskino läuft derweil heute abend Bitomskys Reichsautobahn. Nächsten Mittwoch dann Originalnazikino mit Veit Harlans Die goldene Stadt.
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