Monday, February 11, 2008

Berlinale 2008: Panasiatisches Kunstkino

Zou you /In Love We Trust, Wang Xiao Shuai, 2008

Wonderful Town, Aditya Assarat, 2008

Sweet Food City, Gao Wendong, 2008

Die Kamera bewegt sich selten, die Einstellungen sind lang, wenn Musik, dann Klaviermusik, erzählt wird tendenziell weniger als anderswo.
Die Vorbilder sind deutlich erkennbar: Hou Hsiao-hsien für Zou you (aber nur stilistisch, seine Geschichte rollt Wang Xiao Shuai ohne die Houschen Aussetzer und Ellipsen ab), Wong Kar Wai für Wonderful Town, Tsai Ming Liang für Sweet Food City. Innerhalb des (süd)ostasiatischen Kunstfilms haben sich verschiedene Archetypen herausgebildet, die endlos variiert werden können.
Zou You ist ein Wettbewerbsfilm. Und zwar nicht nur, weil er im Wettbewerb läuft, weil Kosslick ihn während seiner äußerst tiefschürfenden Recherchen im Bereich des asiatischen Autorenfilms ausfindig gemacht hat. Nein, Zou you wurde von Anfang an für diesen Wettbewerb geschrieben und gedreht. Oder wenn nicht für diesen, dann für den in Locarno oder San Sebastian (für Venedig oder Cannes ist er denn doch zu schlecht). Klar, das gilt prinzipiell für viele, wenn nicht gar für alle Filme des Programms: Der Festivalbetrieb wählt seine Filme nicht aus einem außerhalb seiner selbst existierenden Filmmarkt, sondern produziert diesen selbst, teils direkt, teils und weitaus effektiver indirekt. Dennoch addressiert Zou you die Programmkommission als anvisiertes Publikum noch deutlicher als die meisten anderen Wettbewerbsfilme der letzten Jahre, die ich gesehen habe. Pitch: World Cinema light. In diesem Fall wie bereits angedeutet und wie Wang Xiao Shuai es bereits mit Drifters einstudiert hat: Hou Hsiao-hsien light. Die Bilder sind streng komponiert, teilweise schön in die Tiefe gestaffelt, Kamerabewegungen werden spärlich, dann aber effizient eingesetzt. Freilich: In den dramatischen Momenten gibt's dann trotzdem Schuss/Gegenschuss.
Narrativ betrachtet ist Zou you leicht formalisierter Arthausproblemsozialkitsch: Wörtlich übersetzt heißt "Zou you" "Rechts Links", eine Familie rechts, eine links, das Mädchen, um dessen Krankheit es geht, hat ein Zöpfchen rechts, eines links, ein biologisches Elternteil in der rechten, eines in der linken Familie, aus medizinischen Gründen sollen sich die beiden noch einmal sexuell vereinigen (zwecks Erzeugung eines Stammzellenliefernates für das Zopfmädchen), das führt zu Ehekrach rechts und Ehekrach links, vor allem nachdem die künstliche Befruchtung scheitert. Zwischendrin erklärt eine Figur der anderen die chinesische Zweikindpolitik. Die weiß natürlich bereits Bescheid also erklärt eigentlich eine Figur dem Publikum die chinesische Zweikindpolitik. Noch genauer: Der Film erklärt der Programmkommision, dass er irgendwie auch politisch ist. Hou Hsiao-hsien würde einen solchen Stoff natürlich nie anfassen, bei Alain Resnais wäre daraus ein Masterpiece geworden. Bei Wang Xiao Shuai erfüllt sich der Zweck des Films mit der Einladung zum Berlinalewettbewerb und werweiß dem Preis irgendeiner ökumenischen Jury. Mehr gibt es für einen solchen Film nicht zu hoffen, mehr verlangt er auch nicht.
Wonderful Town hat es nur ins Forum geschafft. Wahrscheinlich, weil es sich um einen Debutfilm handelt. Auch Aditya Assarat hält sich an die Regeln. Und zwar an die von Wong Kar Wai. Beziehungsweise an die von Christopher Doyle. Langsam schwebende Kamerafahrten, liebliche Farbtöne, dünne Mädchen, die neben flatternden Vorhängen auf dem Bett liegen. Irgendwo ist ein Geisterhaus, das macht kurz Hoffnung, spielt dann aber keine große Rolle. Statt dessen bittersüße Liebesgeschichte, bittersüße Liebesgeschichtebilder, bittersüße Liebesgeschichtebilderbegleitmusik.
Technisch ist das sehr ansehnlich und da die Narration wie bei Wong Kar Wai nicht allzu aufdringlich ist, gefällt Wonderful Town besser als Zou you. Schön ist eine Sequenz, in der die lokalen Dorfprolls die Liebenden während einer Autofahrt traktieren. Die Kamera schwebt mit dem fahrenden Auto und teilt die Verunsicherung dessen Insassen. Schön ist auch das brutale Finale, welches dann doch nicht mehr ganz im Genre aufgeht. Das letzte Bild ist dann wieder Kinopoesie der schrecklicheren Art: Zwei rosa gekleidete Kinderballerinas tanzen auf einer Steinmauer.
Auch Sweet Food City läuft im Forum. Im Gegensatz zu Wonderful Town kann ein solcher Film auch nur dort laufen. Gefühlte 10 Minuten dauert eine starre Einstellung, die im Vordergrund einen Müllsammler zeigt, der im auf der Straße liegenden Abfall wühlt. Narrativ von Interesse ist eine andere Figur, im Hintergrund. Erst sitzt sie ein paar Minuten schweigend auf einer Treppe, dann führt sie ein kurzes Telefongespräch, das so gut wie keine Informationen bietet, dann bleibt sie noch ein wenig sitzen, schließlich steht sie auf und geht. Die Einstellung ist jedoch erst zu Ende, nachdem der Müllsammler das Bild verlassen hat.
Sweet Food City ist ein guter Film und orientiert sich an Tsai Ming Liang, an seiner Art, Bilder zu komponieren, wie auch an seinem Erzählstil, an einer narrativen Logik, die auf die Fähigkeit des Publikums setzt, Lücken selbstständig zu füllen. World Cinema heavy. Dabei deutlich stärker als Tsai Ming Liang Realismusdiskursen verhaftet. Sweet Food City ist nicht emphatisches nothing happens. Zumindest nicht nur. Meist gibt es in den szenischen Panoramen der vor sich hin gammelnden Stadt Interessantes zu beobachten. Das soziale Leben im Zustand seines Verfalls, denkbar weit entfernt von Jia Zhang-kes im Vergleich vitalistischen Gewusel in Still Life. Architektur im Zustand ihres Zerfalls, die Häuser brechen auf, die Kamera entfernt sich und betrachtet sie von weitem. Auf mehreren Etagen dieser Ruinen organisiert eine Art Ersatzleben, ganz ähnliche Bilder findet Sweet Food City hier wie Rithy Panhs Les artistes du Theatre Brule.
Dazwischen entwickelt sich irgendwo eine Geschichte. Erst fast gar nicht, nicht einmal deren Exposition kommt weiter als zur Klärung, dass eine Figur der Onkel einer anderen ist und eine Dritte wohl als Prostituierte arbeitet. Wenn die Geschichte dann in Schwung kommt, tut sie das zwischen den Bildern und zwar so schnell, dass die Bilder selbst gar nicht mehr hinterherkommen und das auch schnell wieder aufgeben. Dann schauen die Figuren lieber Filme von Bergman, Antonioni und Edward Yang. Dazwischen auch mal Hongkong-Trash. Gewidmet ist der Film aber natürlich nicht Godfrey Ho, sondern Antonioni, Bergman und Yang. Das sorgt für Erheiterung im Publikum. Warum eigentlich?

5 comments:

Anonymous said...

Sorry, aber es heißt Zuo You mit Y. Zuo Hou klingt, als würden Sie zehnmal hintereinander Links-Pechts schreiben, es tut ein bisschen weh. Danke und nichts für ungut.

Lukas Foerster said...

danke für den Hinweis, war falsch abgeschrieben

Anonymous said...

Ich gebe zu: Die Widmung hat mich belustigt. Wie auch das Geständnis, dass die Crew beim nächsten Mal nur mitmacht, wenn es ein Drehbuch gibt.

Ich fand die Länge unerträglich.

Und wie soll ich deuten, dass der Regisseur mit einem Vornamen der Kulturrevolution (Wendong, den Osten kultivieren) tatsächlich im Edel-Mao-Anzug (dunkelblau! Wolle!) aufläuft? "Unterm großen Vorsitzenden ging es uns gut (im Gegensatz zu heute, wie Sie gerade gesehen haben)"?

Lukas Foerster said...

Ich habe den Film in einer Pressevorstellung gesehen, deshalb habe ich das Auftreten des Regisseurs nicht mitbekommen. Zu den Widmungen: In meinen Augen ist auch ein Bergman nicht so heilig, dass ihm ein chinesischer Debutfilmer nicht seinen Film widmen dürfte.

Anonymous said...

Naja, bevor jemand eine Widmung ausspricht sollte das in irgendeinem Verhältnis zu seinem Talent stehen finden Sie nicht? Ich fand die Widmung war eine Dadaistische Pointe nach gefühlten 5 Stunden gähnender Langweile und einem Spanungsbogen kreativ wie die Aufzeichnung einer CCTV Anlage in einem Parkhaus. Wenn Gao Wendong nur ein bisschen Disziplin, Kreativität und Begabung gehabt hätte (was Tsai Ming Liang ja beispielsweise hat, auch wenn ich seine Filme ebensohart an der Grenze des Erträglichen finde) dann hätte mich die Widmung nicht so belustig - aber dennoch herrliche Hybris eines Dilletanten der einem "westlichen Publikum" den Kaiser ohne Kleider vorspielte...